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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft IX (September 1909)
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Erhardt, Hans: Hans Erhardt †
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0140

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richtete, ich hatte es damals nicht verstanden , aber nach und nach lernte ich es
verstehen. Mit der Zeit wurde ich der Liebling meiner Pflegeeltern, ein Hündchen
kann seinem Herrn nicht treuer sein als ich es gegen diese Leute war. Abge-
schlossen vom Getriebe des Lebens wurde ich in strenggläubigem Protestantismus
erzogen. Der Hausvater erteilte den Unterricht, welcher während der schönen Jahreszeit
vielfach ausgesetzt wurde, um die Zöglinge mit der Garten- und Feldarbeit vertraut
zu machen, überhaupt gab es äusser den regelmässigen Pausen keine müssige Stunde.
In der Schule wurde gründliche Arbeit verrichtet. Obwohl der biblische Stoff vor-
herrschte, war doch kein Unterrichtsfach vernachlässigt, und ich erinnere mich noch
mit Freuden an die herrlichen Naturgeschichtsstunden in Gottes freier Natur. Da war
kein Pflänzlein unseren Augen verborgen. Auch die Elemente des Zeichnens durfte ich
kennen lernen, indem mir eine Unmenge Vorlagen zu freier Benützung zur Verfügung
standen. Nebenbei erhielt ich auch Privatunterricht im Violin- und Klavierspiel.
Fast 15 Jahre alt verliess ich die Anstalt, um mich in der Präparanden-
schule zu Tauberbischofsheim und nach Ablauf zweier Jahre im Seminar zu Karls-
ruhe zum Lehrerberuf vorzubereiten. Ich stand allein im Kampf mit dem Leben,
dessen Wellen mich nun so mächtig umtosten nach der ewigen Buhe des Anstalts-
lebens, nur die wohlmeinenden Batschläge des ehemaligen Pflegevaters standen mir
zur Seite. Mein Vormund besorgte die Geldangelegenheiten , so dass mir meine
Selbstversorgung einigermassen erleichtert war. Im Seminar beschäftigte ich mich
in den freien Stunden sehr viel mit Zeichnen und Violinspielen, und es gereichte
mir zu grosser Befriedigung, mit meinen Künsten durch Stundengeben schon Geld
zu erwerben; ich dachte eigentlich eher daran, Musiklehrer als Zeichenlehrer zu
werden. Jederzeit aber war ich bemüht, festzuhalten an dem, was mir meine Erziehung
gegeben, in treuer Pflichterfüllung mir die Zufriedenheit der Lehrer zu erwerben.
Im Herbst 1885 wurde ich als Volksschulkandidat dem Leben übergeben.
Der 23. September desselben Jahres brachte mir denn auch die ersehnte An-
stellung, und zwar zu meiner grossen Freude in das geliebte Hanauerland nach
Willstedt. Bei dem arbeits- und lebensfrohen Völkchen verbrachte ich ein glück-
liches Jahr, dann rief mich die hohe Behörde nach Walldorf bei Wiesloch mit
dem ehrenvollen Auftrage, daselbst eine gewerbliche Fortbildungsschule einzurichten.
Mit Lust und Liebe löste ich die mir anvertraute Aufgabe, zumal sie mich meiner
Lieblingsbeschäftigung, dem Zeichnen, wieder näher brachte. Jetzt kamen mir auch
immer lebhafter die Worte in Erinnerung, welche mein Zeichenlehrer am Seminar,
Heinrich Eytb, beim Verlassen der Anstalt an mich richtete: „Wollen Sie nicht
Zeichenlehrer werden?“ Zwei Jahre fast brauchte es , um den Entschluss reif
werden zu lassen. Zunächst wollte ich noch die Dienstprüfung für Volksschulen
ablegen, um mit einer gewissen Beruhigung das neue Studium aufnehmen zu können.
Sobald diese Prüfung bestanden war (im Sommer 1888), nahm ich Urlaub zur A or-
bereitung auf das Zeichenlehrerexamen auf der Kunstgewerbeschule zu Karlsruhe.
Der VorscffHft gemäss sollte ich hier 7, zum mindesten aber 6 Semester zubringen.
Es gelang mir jedoch, einen Vorkurs, 2 Semester, zu überspringen, nachdem ich
den Nachweis gegeben hatte , dass das Pensum dieses Jahres von mir nebenbei
durchgearbeitet worden war; ich hatte schon als Unterlehrer in Walldorf daran
gearbeitet. Auf dieser Schule beschäftigte ich mich mit Arithmetik und Geometrie,
vorwiegend darstellender Geometrie, mit Projektions- und Beleuchtungslehre,
konstruktive und angewandter Perspektive , ornamentaler und architektonischer
Formenlehre, dekorativem und architektonischem Entwerfen, mit Stillehre, malerischer
Anatomie, Figurenzeichnen, Flächen- und Stilllebenmalen, Modellieren. Neben
dem Besuch dieser Unterrichtsfächer waren die Zeichenlehramtskandidaten ver-
pflichtet , die privaten kunstgewerblichen Vorträge des Herrn Geheimrat Wagner
zu hören , diese dauerten 2 Semester. Während des Aufenthalts an genannter
Schule wurde mir erstmals ein Preis für gute Lösung der Preisaufgaben für Zeichen-
lehrkandidaten und andermals ein Diplom zuerkannt.
Nach Beendigung des Sommersemesters im Jahr 1890 bestand ich das Examen
und wurde bald darauf an der Gewerbeschule in Lahr verwendet. Nach Verlauf
 
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