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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft X (Oktober 1909)
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Faut, Theodor: Entwicklungsstufen im Zeichenunterricht: (Erläuterungen der Abbildung Seite 133)
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0155

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Heft X 111. Jahrgang Oktober 1909
Schriftleiter: Gustav Kolb, Oberreallehrer in Göppingen.
Tn In oll" • Entwicklungsstufen im Zeichenunterricht. — Denkmalpflege auf dem Lande. — Zur Kunstbeilage.—
lIlllCllL. Nochmals „Die Fibel für die evangel. Volksschulen Württembergs“. — Besprechungen.

Entwicklungsstufen im Zeichenunterricht.
(Erläuterungen der Abbildung Seite 133)
Faut- Nürtingen.
I. Darunter verstehe ich zunächst clie Stufen des Könnens, der Auffassung,
wie sie das verschiedene Alter der Zeichner mit sich bringt. Sie sollen illustriert
werden an einer und derselben Aufgabe — der Stachelbeere.
Für Lehrer, die gleichzeitig 2 und 3 Altersklassen zu unterrichten haben, ist
es beinahe unmöglich, 2 oder 3 verschiedene Gegenstände zu behandeln, wenn
anders das Zeichnen nicht in planloser Spielerei entweder im Sande verlaufen
oder mit Blasiertheit endigen will. Ich habe an der hiesigen Seminarübungsschule
50 Knaben im Alter von 10—14 Jahren, gleichzeitig in 3 —4 Abteilungen während
2 Wochenstunden. Allein in jeder Abteilung unterrichtet 1 Lehrseminarist, auf
Grund eingehender Vorbereitung, die ich bespreche. Trotzdem bin ich vollauf
beschäftigt, indem ich das Ganze leite und kritische Notizen mache. Welche Aufgabe
hat aber erst der nicht fachmännisch vorgebildete Klassenlehrer an einklassigen Schulen!
Ihm empfehle ich, 2 bezw. 3 Jahrgänge zur gleichen Aufgabe zusammenzunehmen,
nur entsprechend andere Stoffauswahl zu treffen, damit die Schüler des 2. bezw.
3. Jahres nicht dieselben Stoffe 2 mal zeichnen müssen. Also behandelt man z. B.
im 1. Jahr die Stachelbeere (siehe A, B, C), im 2. Jahr die Pflaume — stofflich
betrachtet sind es 2 verschiedene Gegenstände, vom formalen Standpunkt angesehen,
kehrt die gleiche Grundform (Oval) wieder , die doch das unentbehrliche Schema
für eine Menge anderer Gegenstände bietet. Für die Schüler des 3. Jahres kann noch
das Blatt der entsprechenden Frucht kommen. Die kleineren mit 1, 2, 3 bezeich-
neten Skizzen sind von einem besser begabten 11jährigen Zeichner. Der ganze
Zweig unten ist eine Arbeit des Lehrers, die wiederum denselben Stoff behandelt
und die den Kindern gross vorgezeichnet oder in den Schaukasten gesteckt wird.
II. „Entwicklungsstufen“ sollten aber nicht nur bei dem verschiedenen Alter
des Zeichners, sondern auch bei jeder einzelnen Aufgabe im Unterricht beobachtet
werden können.
A. In den 2 ersten Keill en sind Vorstellungs-Zeichnungen zweier Anfänger
(hiesige Seminar-Uebungsschüler W. und S., lOjährig). Am oberen Ende des
Blattes lasse ich einen Kaum von 2 oder 3 Fingerbreiten abgrenzen. Probieret
„aus dem Kopf“ (aus der Vorstellung*) Stachelbeeren oder Stachelbeersträucher
zu zeichnen; wer will, kann auch Kinder zeichnen, welche Beeren sammeln etc. Der
Eifer, die Freude ist gross, das Ergebnis meist unbedeutend. Und dennoch kann ich
nicht von dieser Uebung lassen: Die Darstellungsfreude wird erhalten, besonders aber
kann der Lehrer die Stufen der zeichnerischen Begabung feststellen, wie es
Dr. Kerschensteiner in so überaus klarer Weise untersucht hat. Wer es mit einem
entwickelnden Zeichenunterricht ernst nimmt, kann an diesem Werk nicht vorbeigehen.
Hier nur so viel: Die Kinder-Figuren sind schematisch wie die meisten auf dieser
Altersstufe. Knabe W. behauptete, dass die den Korb tragenden Individuen Mädchen
seien. Woran zu erkennen? An den Zöpfen. Schematisch ist auch der Strauch
und der Zweig. Es könnte dies auch jeden andern Zweig bedeuten.
Etwas höher steht die Zeichnung der einzelnen Stachelbeerblätter. Schüler
S. hat die Einschnitte der Lappen besser betont. Der hängende Zweig ist
wiederum ein Beweis von schärferer Vorstellungskraft.
Was soll aber der Schüler aus seinen Versuchen sehen? Immerhin wird
man ihm beibringen, dass die Grössenverhältnisse zwischen Strauch, Zweig, Frucht,
*) Anmerkung. Der Begriff' „Gedächtniszeichnen“ ist bei diesen Anfangsübungen
irreführend. Das eigentliche Gedächtniszeichnen kann erst dann auftreten , nachdem eine
Form mit der ganz bestimmten zeichnerischen Absicht betrachtet wurde. Es ist also zu-
nächst „Brücke“ zum bewussten Sehen, dann dient es aber am Schluss zur Prüfung,
in wie weit die Form zum geistigen Besitz geworden ist.
 
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