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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 3.1909

DOI issue:
Heft X (Oktober 1909)
DOI article:
Hoßfeld, Max: Denkmalpflege auf dem Lande, [3]
DOI article:
Kolb, Gustav: Zur Kunstbeilage
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0160

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13G

alte Kirclie, gedrungen und traulich, passend zur Umgebung, mit hohem, über dem
Altarraum hinweggezogenem Dache und niedrigen Mauern, mit Dachturm und male-
rischem inneren Ausbau. Sie findet den alten Besitz nicht mehr schön, nicht mehr
zeitgemäss, will etwas anderes haben, so etwas wie die neue Kirche des Nachbardorfes,
mit schlankem spitzen Turm und hohen Frontmauern, mit Apsis, grossen Mass-
werkfenstern, Flügeltüren usw. Sie bleibt trotz aller Vorhaltungen des Konser-
vators bei ihrem Willen, es gelingt ihr sogar, ein geringfügiges Erweiterungsbedürfnis
sowie die beginnende Baufälligkeit des Dachturms, der ihr besonders ein Dorn im
Auge ist, nachzuweisen. Was verschlägt es da, ihr entgegenzukommen und die
Hauptsache dadurch zu retten, dass man ihr einen selbständigen, von Grund auf-
geführten Turm ähnlichen Gepräges zubilligt, durch dessen An- und Einbau
an der Westseite zwar ein etwas verändertes Kirchenbild entsteht, aber doch eine
Baulichkeit, die nicht nur den praktischen Anforderungen der Gemeinde entspricht,
sondern auch allen künstlerischen und billigen konservatorischen Ansprüchen genügt!
Ueberhaupt kann das Hängen an der Substanz leicht zu weit gehen. Geschicht-
lich wichtige Denkmäler ausgesprochener Individualität, hochorganisierte und von
der Hand erster Meister herrührende Kunstwerke müssen natürlich unter allen
Umständen bis zu ihrem völligen Verfalle im Originale erhalten werden. Ein Extern-
stein-Relief, ein Reiterbild Konrad III im Bamberger Dome, ein Lionardosches
Abendmahl würden ihren ganzen Wert verlieren, wollte man sie in vollständig neuer
Substanz nachbilden. Anders schon bei einem Architekturwerke, das des Meisters
Hand ja nur mittelbar zeigt. Und noch mehr bei den schlichten Erzeugnissen
ländlicher Kunst, bei denen es sich meist nur um die Erhaltung einfacher Typen
handelt, und bei denen die Nachbildung oder Ergänzung durch die heut zur Ver-
fügung stehenden Kräfte keine Schwierigkeiten bereitet. Bei ihnen kann durch
die Verhinderung eines rechtzeitigen gründlichen Eingriffes leicht der Bestand des
Ganzen gefährdet werden. (Fortsetzung folgt.)
Zur Kunstbeilage.
Unsere Kunstbeilage zeigt eine Aktstudie. Für diejenigen, die mit dem
künstlerischen Studium nicht vertraut sind, möge zur Erklärung gesagt sein, dass
man unter der Bezeichnung „Akt“ für gewöhnlich den nackten menschlichen
Körper versteht. Das Aktzeichnen gehört nun zum täglichen Brot jeglichen künst-
lerischen Studiums, gleichviel, ob sich dieses mit Bildhauerei, Malerei oder ange-
wandter Kunst befasst. Deshalb spielt es mit Recht in den Lehr- und Stunden-
plänen der Kunst- und Kunstgewerbeschulen eine hervorragende Rolle. Manchmal
hört man die Anschauung vertreten, dass der kunstgewerbliche Lehrer der Gewerbe-
schule Uebung im Aktzeichnen nicht notwendig habe, „da er wohl nie in die Lage
komme, mit seinen Schülern Aktzeichnen treiben zu müssen“. Das zeugt indessen
von keinem genügenden Einblick in das Wesen des Kunstgewerbes. Abgesehen
davon, dass in jeder Schule, selbst in einer kleinen, der Fall eintreten kann, dass
eine figürliche Aufgabe zu erledigen ist, muss darauf hingewiesen werden, dass
der menschliche Körper das Mass aller Dinge ist, besonders in der angewandten
Kunst. Der Tisch, der Stuhl, der Löffel, die Gabel usw., alle müssen praktisch,
mit Rücksicht auf den Menschen, für den sie bestimmt sind, gestaltet sein. Jeder
Künstler weiss ferner, dass die Proportionen des Menschen den idealen Massstab
für jegliche Architektur bilden; ich fasse den Begriff Architektur jetzt im weitesten
Sinn und verstehe darunter auch den Aufbau einer Vase, einer graphischen Um-
rahmung, also auch sämtlicher Gegenstände der angewandten Kunst. Das lehrt
uns die Geschichte der Kunst aller Völker und aller Zeiten und mancher Nieder-
gang, manche Verirrung, z. B. in der Möbelbranche, ist darauf zurückzuführen, dass
diese Erkenntnis verloren ging.
Dementsprechend muss man also vom kunstgewerblichen Lehrer schlechter-
dings verlangen, dass er vertraut ist mit der menschlichen Figur und das kann
nicht sein ohne jahrelanges Aktzeichnen.
 
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