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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft X (Oktober 1909)
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Kolb, Gustav: Nochmals "Die Fibel für die evangel. Volksschulen Württembergs"
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0162

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den Zeichner die „interessante“ Bewegung des „Aktes“, die sich daraus ergebenden Ver-
kürzungen und Ueberschneidungen reizten, aber Figuren wie die des Mädchens mit dem
Seil (Seite 11) scheinen mir für unsern Zweck nickt mehr naiv und selbstverständlich genug
zu sein.
Im Tierbild ist Gref Meister, wie der prächtige Pudel (Seite 15), dieKatze (Seite
37), der Hund (Seite 39) und die lustigen Frösche (Seite 77) zur Genüge beweisen. Wenig
gelungen scheinen mir der Wald (Seite 61) und die Quelle (Seite 69), letztere Zeichnung
allerdings nicht vom künstlerischen, sondern vom pädagogischen Gesichtspunktaus betrachtet.
Solche Aufgaben verlangen entschieden eine typische Gestaltung.
Ais die besten Leistungen Grefs möchte ich folgende aufzählen: Vor allem das
Titelbild, das ausserordentlich gelungen ist und mit seinem lieblichen und sinnreichen
Inhalt, seinen grossgesehenen Formen und Farben und seiner guten Komposition ein vor-
treffliches Präludium zu der Fibel bildet; die lustigen Soldaten (Seite 5), die Mäuslein
an der Fruchtschale (Seite 6), der Ringelreihen .Seite 10), der an Ausdruck dem Titelbild
am nächsten steht, das linksstehende kleine Mädchen auf dem Bild (Seite 11), das mir in
seiner graziösen Unbeholfenheit eine Perle von Kinderschilderung zu sein dünkt, Hund
und Katze (Seite 13) und das Vogelnest (Seite 14). Wie rührend ist die verhaltene
Bewegung des zarten Knaben zur Darstellung gebracht! Sehr gut ist namentlich der Pudel
(Seite 15), ein Tierbild, das an Sicherheit der Zeichnung und glücklichem Humor seinesgleichen
sucht. Ausgezeichnet finde ich auch die spielenden Kinder (Seite 21), dann Katze
und Hund (Seite 37 und 39) und die Umrahmung mit den Eichhörnchen auf Seite 53,
die zum Besten gehört, was ich in diesem Genre überhaupt gesehen habe.
Pellegrini ist, wie ich schon in Heft VIII hervorgehoben habe, nur vom impressi-
onistischen Standpunkt aus zu beurteilen. Er ist vor allem moderner als Gref, seine Aus-
drucksweise ist von der eines Richters himmelweit entfernt.
Pellegrini offenbart sich uns nach zwei Seiten, die einander auszuschliessen scheinen, zu
unserer Ueberraschung hier aber in einer Seele beisammenwohnen. Zunächst tritt er als
lyrisch empfindender Stimmungsmaler vor uns; denn die Schöpfungen auf Seite 4, 8, 9, 19,
22, 24, 27, 32, 55, 58, 65, 70 sind nicht zeichnerisch, sondern durchaus malerisch gedacht.
Diese Figuren und Gegenstände befindest sich alle im lufterfüllten, von Licht und Sonne
durchfluteten Raum; allwo das Zittern und Flimmern des Lichtes die starren Konturen auf-
löst und die strenge plastische Form in Farbe und Bewegung umwandelt.
In dieser Welt von Licht und Farben lebt das Denken und Träumen dieses Künstlers.
Die meisten seiner Bilder können wir ohne Farbe nicht denken, trotzdem diese meist
sehr zurücktritt. Manchmal aber sucht er das Zittern des Lichtes ohne dieses Mittel zum
Ausdruck zu bringen, er greift dann zu einer pointellistischen zeichnerischen Darstellungs-
weise und gibt die flimmernde Kontur durch aneinandergereihte schwarze Punkte und
Fleckchen wider, wie das Dorf auf Seite 50 beweist. Der Maler Pellegrini weiss uns
aber nicht hur durch seine geistreiche Technik zu interessieren, er versteht es auch, unsere
Seele in Stimmung zu versetzen. Wie lacht die Frühlings- und die Sommerlust aus den
Bildchen auf Seite 4 u. 22. Mit den sparsamsten Mitteln versteht er es, in uns die Illussion
der winterlichen Landschaft zu wecken mit den verschneiten Häuslein und dem schnee-
bedeckten Hügel, über den die lustige tolle Schlittenfahrt der Dorfjugend geht (Seite 18).
Währenddem sitzt der Grossvater im traulich erwärmten Stübchen im bequemen Lehnsessel
und raucht die altväterisch lange Pfeife. Die behagliche friedliche Stimmung, die über
allem liegt, nimmt uns unwillkürlich gefangen. Wir glauben das Surren der Bratäpfel im
Kachelofen zu vernehmen und das Hündchen zu hören, wie es im Schlafe knurrt (Seite 33).
Das Auto in der Landschaft mit dem Regenbogen erweckt in uns den Eindruck eines wunder-
samen Phänomens (Seite 24). Auf dem Erntefeld (Seite 55) lastet die Hitze eines August-
tages. Als Stimmungsbilder ganz besonders gelungen sind aber das Storchenbild (Seite42)
und die Mondnacht im Dorf (Seite 58). Auf letzterem die hellbeleuchteten spitzen Giebel
eines echt schwäbischen Dorfes, die grotesk über den Weg fallenden Schlagschatten, die
blühenden Kastanienbäume, die flimmernden Sterne und der tutende Nachtwächter: all das
ist zu einem traumhaft schönen Bild vereinigt, dessen Poesie die Seele ergreift. Man glaubt
zu hören, wie die Wipfel der Bäume sanft im Winde rauschen, und wie die Wasser eines
Brunnens plätschern, sonst aber alles still bis auf das Horn des Nachtwächters.
Pellegrini zeigt aber neben dieser Seite noch eine andere, wo er zu unserer Ueber-
raschung sich von der Farbe vollständig emanzipiert. Das Herbstbild (Seite 28) mit dem
sturmzerzausten Baum, den ziehenden Vögeln und den ackernden Bauern ist noch durchaus
lyrisch empfundenes Stimmungsbild, die Postkutsche (Seite 62) ist ein feingezeichneter
Silhouettenfries, der in der typographischen Wirkung sich mit den Schrifttypen vielleicht
am besten vereinigt, die Maikäfer (Seite 71) sind organisch und dekorativ gleich vorzüglich.
Aber eine ganz neue Note schlägt der Künstler zum Schluss mit 3 Zeichnungen an,
die uns eine Kraft offenbaren, die wir bei ihm nicht vermuteten. Hier ist alles Zarte und
Träumerische abgestreift. Mit einer überraschenden Frische, Energie und Sicherheit führt
er hier die Feder. Im „Morgengebet“ (Seite 78) hat er ein schwieriges Beleuchtungs-
problem spielend gelöst. Wie flutet die Morgensonne herein und füllt den engen Raum
mit ihrem Glanz!
Der Schneemann mit der Katze in der Winternacht (Seite 100) ist ein köstlicher
humoristischer Einfall und wunderbar markig gezeichnet. Und erst der monumentale Säe-
 
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