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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft XII (Dezember 1909)
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Kolb, Gustav: Die Pflichtstunden der Zeichenlehrer
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0185

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161

Abbildung 10.

Schulen, Pflichtstundenzahl betreffend. — — — Oberreallehrer bis zu 26 Wochenstunden.
Nun ja, wie schon seit Jahren üblich. — — Turn- und Zeichenlehrer an derselben Abteilung-
bis zu — 30 Wochenstunden!! — Wochenlang wird, wenn es die Witterungsverhältnisse
irgendwie erlauben, in den Turnstunden Schlittschuh gelaufen, gerodelt, sommers gebadet —
und das ist ganz gut so! Wir gönnen der Jugend wie den Lehrern dieses Vergnügen von
Herzen. Aber mit dieser Leib und Seel’ erquickenden Tätigkeit wird unsere, das ganze
Jahr gleich anstrengende und aufreibende Arbeit in
eine Linie gestellt! Dabei haben viele unter uns inner¬
halb ihrer Pflichtstunden auch Nachtunterricht, der
bekanntlich noch viel, viel anstrengender ist, und
Sonntagsarbeit, die sonst überall höher gewertet wird!
Von dem allem in dem Erlass kein Wort! Zeichnen
eben wie Turnen ein technisches Fach! Da werden
nur Hand und Arm bewegt, und Bewegung ist so
gesund! Und wenn ein Zeichenlehrer das dringende
Bedürfnis fühlt, sich künstlerisch weiterzubilden, so
darf er nur Hand und Arm bewegen, und Bewegung
ist so gesund! — Kunst, fahr’ wohl! — Die Gabel
entfiel meiner Hand; ich hatte genug! Im ganzen
Bezirk liest es jetzt jeder Bauer, dass meine Arbeit
minderwertig ist. Mit brennender Schamröte im Gesicht
schlich ich durch Gassen und Winkel zur Schule. Wie
hatte ich mich sonst gerade auf diesen Mittag gefreut!
Die Klasse ist zufällig nicht gross: wie konnte man
da jedem Einzelnen sich widmen! — Stirb, Lieb’ und
Freud’! — Und da soll man noch Berufsfreudigkeit
haben! — Ob ich sie aber jemals wiederfinde? !“
So schreibt nicht etwa ein junger Springinsfeld, dem die augenblickliche
Stimmung über den Kopf gewachsen ist, sondern ein im Dienst ergrauter Zeichen-
lehrer, der nach langjähriger aufreibender Berufstätigkeit, die ihn Werktags und
Sonntags, und fast jeden Tag bis in die vorgeschrittenen Abendstunden hinein
an den Dienst fesselt, eine Erleichterung ersehnte.
Ströme von Tinte und Druckerschwärze sind im letzten Jahrzehnt um die


Frage der „Kunsterziehung“ vergossen worden und allenthalben war man sich
einig, dass der Zeichenunterricht in erster Linie berufen sei, diese Frage zu lösen.
Wir Zeichenlehrer standen diesen Förderungen unserer Zeit nicht taub gegenüber
und unterzogen unsern Lehrbetrieb einer grundsätzlichen Reform, nahmen die
vermehrten Arbeitsleistungen willig auf
unsere Schultern und das alles aus
eigenem Antrieb, ohne auf einen An¬
stoss seitens der Behörden zu warten,
die der Reform zuerst keineswegs günstig
gegenüberstanden. Heute ist diese
Reform, die das Zeichnen von seiner
niedrigen Stellung als technisches Fach
erhob und in den Dienst der allge¬
meinen Geistesbildung stellte, überall
siegreich durchgedrungen und man hat
ihre grosse ästhetische und wirtschaft¬
liche Bedeutung, die weit über den
Rahmen dieses Fachgebiets hinausragt,
allseitig erkannt. Aber unsere Be¬
hörden scheinen das alles nicht zu
wissen. Ein Vertreter unseres Faches
sitzt nicht im Rat der Behörde und
Fachleute werden vor Abfassung solcher
Bestimmungen nicht gefragt, somit
sind nur solche Faktoren massgebend, die nicht aus eigener Erfahrung urteilen
können. Und da ist es nicht wunderzunehmen, wenn der veraltete Standpunkt
immer noch vorherrscht: der Zeichenunterricht ist ein technisches
Fach und deshalb für Lehrer und Schüler wenig anstrengend. Der
Zeichenlehrer hat keinen Aufwand an Vorbereitung und Korrektur.

Abbildung 11.
 
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