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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 18.1938

DOI Heft:
Heft 2 (Februar 1938)
DOI Artikel:
Hartung, W.: Unsere Stellung zu Lucas Cranach
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https://doi.org/10.11588/diglit.28172#0028

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24

Mw LleNmg M Lukiis Äwmch

Von w. ^artung-wolfenbüttel

So erschien uns Lucas Lranach untec dem Urteil der
Runstgeschichte:"

hausbackene Nüchternheit und Derbheit der Auf-
fassung"; „... von den Vorbiidern italienischer Runst, die
sich ... nachweisen lassen, geschweige denn von dem Geist
dec Antike ist kein Zug mehr ;u verspüren, dafür lebt in
manchen Darstellungen wenigstens der poetische Zauber des
deutschen waldmärchens." „... das zweideutige Lob des
schnellsten Malers „... Mode und Dutzend-Bilder";
„... zählt nur ;u den Rünstlcrpersönlichkeiten ;weiten
Ranges." Ia noch schlimmcr: „... wird der mythische
Lharakter erst recht ;u einer Maske, unter der man ein
niedlich frivoles Spiel mit viel Zicrerci spielt. ... drei
niedliche Hofdamen ..."; „... der am Laum angebundene
Hengst geht bei dem ungewohnten 2lnblick dec drei nackten
Dämchen in die Höhe . . ."; „. . . mit ge;iert sprei;igen
Gliederbewegungen versuchen sie sich intereffant ;u
machen...".

Aber immerhin „ergibt sich doch das Bild einer hoch-
begabten Rünstlerpersönlichkeit". Immerhin: „... ein per-
sönlicher Freünd Luthers und treuer Anhänger seiner
Lehre, kamen spe;ifisch protestantische Gedanken ;uweilen
;um Ausdruck ... für den künstlerischen Ausdruck prote-
stantischer Adeen ... die maßgebenden Muster geschaffen".
„Schöpfer großer Ältarwerke"." „... unerschöpfliche Zahl
von werken, unter denen die Bildnisse von Männern der
Zeitgeschichte die wertvollsten sind, so ;. B. etliche von
Martin Luther". Ia; jedoch: Dänlchen, hausbacken, wald-
märchen, alsö ;weiten Ranges.

Än diesem Lichte steht Lucas Lranach vor uns, wenn wir
ältere Runstgeschichten durchblättern, die jedoch ;ugeben
müssen, daß das „... werkstatt;eichen der geflügelten
Schlange ... in gan; Europa ;erstreut ... keinen klaren
Begriff von der persönlichen Eigenart des Meisters..."
gibt. Sah man die wenigen Bilder Granachs, die man in
einem Museum ;u finden gewohnt war, durch die Lrille
dieser Urteile, so fragt man sich jetzt erstaunt, ob sich eine
so große Ausstellungsmaschinerie sür diesen Meister wohl
lohne. Suchte man diese Zerstreuten aber überall mit dem
Her;en, so wußte man, daß nur eine solche Ausstellung
dem deutschen Volke cincn ihrer altcn Meister wieder;u-
schenken imstande wäre.

wec durch die vielen wohlgeordneten Räume im Deut-
schen Museum ;u Berlin gegangen ist, die den beiden Lra-
»achs geweiht waren, dem haben vielleicht ;um ersten Male
die Männer etwas gesagt, die mit dem gcflügelten Dra-
chen ihre werke ;eichneten. wem wäre dabei der Gedanke
gekommcn, aus Nüchternheit, Hausbackenheit und Frivoli-
tät ;u Dürers und Holbeins werken flüchten ;u müssen;
wer wäre nicht wie von großer lebendiger wärme an-
gcstrahlt, vcrsonnen in den Raum gcgangen, in dem, auch
als Sonderausstellung, die Bildnisse des Hieronymus Hol;-
schuher, Aakob Nluffel, Georg Gi;c u. a. m. hingen, um
ab;uwägen und ;u vergleichen.

iÄiemand wird dabei Lranach ttberschätzen: Dürcrs kla-
rcm, strengem und suchendem Geist, seinem Eindringen in
dic Gebicte der Erkcnntnis, die sclbst den Großcn um ihn
unerreichbar waren, bleibt stcts die Rrone; die Monu-
mcnte Holbcins, die dieser durch scinc werke seincn Mit-
inenschen sctztc, sind wcrkc crsten Ranges. Aber niemand
sollte auch solche worte der Bücherweishcit vor dieser

* Stellcn sind angeführt: üübke-Semrau: „Dic Runst
dcr Renaiffance". Hainann: „Geschichte der Runst".

" Schulye-l!Zauinburg: „Die Runst der Deutschcn".

lebenden Runst sprechen wie der Besucher, der sich hinter
mir mit dem wärter laut darübec unterhielt, daß die
gesamte Lranach-Ausstellung ein Nichts sei (er drückte sich
noch stärker aus) gegen einen Ropf von Dürer. wir wol-
len nicht sernerhin Rünstler mißachten, die lebenswarm
und volkstümlich sind; nur weil sie eine vergangene Zeit
aufgrund mangelnder Erkenntnis und fehlender Gesamt-
schau mit den ctwas anrüchigen Titeln" bürgerlich, haus-
backen, deutsch-waldmärchenhaft" belegte. wir freuen uns,
heute eine volksnahe, schlichte und nicht gleich nach den
Sternen höchster Erkenntnis greifende Runst bejahen ;u
könncn, einen anderen Maßstab der Runstbeurteilung ge-
wonnen;u haben. wir wissen, daß Runst von unten aus
Volksseele und Handwerk blüht. wir belächeln keinen
Bauern, der Figuren schnitzt, keinen Handwerker, der sich
;ur Darstellung im Bilde gedrängt fühlt. wir schneiden
sonst wiederum dem Volk den Zugang ;ur Runst ab, im
Dun wie im Verstehen. Um wieviel weniger kann man
Tranach so abtun, den frühere Generationen nicht verstan-
den, indem sie nach dem Maßstab der Antike und der
Renaiffance außervolklich werteten. Ein solches Urteil
sollte uns aufhorchen laffen; denn wenn es wirklich so
wäre, so müßte ja gerade hier ein Stück unverfälschten
Volkstums sprechen. Und dieses Stück Volkstum ver-
suchen wir ja heute aus unseren gesamten Meistern ;u er-
forschen. Es ist nur aus der Geschichte unseres Volkes ver-
ständlich, daß man das Uberhaupt sagen muß.

Die Gesamtausstellung der werke beider Lranachs stand
während ;weier Monate vor uns. Es waren Schätze ;u
heben sür den, der;u sehen verstand, und viel Liebe und
Bewunderung für das Volk der Deutschen war ;u gewin-
nen. Ein Meister sprach, der gar nicht mit DUrer und Hol-
bein verglichen sein will — wohl aber kann —, der aber
als ein Verkünder deutschen Volkstums wieder entdeckt
werden wollte.

Lranachs Lußere Lebensumstände — soweit überhaupt
erforschbar — sind bekannt genug, als daß sie hier er-
wähnt werden müffen; trügen sie doch auch nichts wesent-
lichcs ;u einer würdigung des RUnstlers durch unsere Zeit
bei. Hicr kann es sich allein um des RUnstlers deutsch-
weltanschauliche Haltung, sein Rönnen, seine 2lbsicht und
scin Ziel — bewußter und unbewußter Art — handeln.
Diese Dinge stehen allein in seinen werken geschrieben,
weshalb ja auch eine Ausstellung seines Gesamtwerkes er-
folgte und nicht ein Buch über ihn erschien. Dekannt vor
allem ist Lucas Lranach d. Ae. als Maler großec deutscher
persönlichkeiten der Reformations;eit, doch weiß ich nicht,
ob genug gewürdigt. Rein anderer Rünstler der Zeit kann
diesen Ruhm in dem Umfange für sich in Anspruch neh-
men wie Eranach. Rein RUnstler hat so aktiv kämpferisch
auf dem Boden der Lutherschen Reformation gestanden
wie er. welche Un;ahl von wahrhaften deutschen Lharak-
ter;Ugen faßt nicht — als Beispiel gewählt — das Bildnis
Luthers als „Iunker Iörg" (wcimar iyri)! Das Sinnen,
Dräumen und wiffen des leicht geneigten Hauptes; die
Encrgie dcs wollens und des Rampfes, der harten An-
griffsrede und des menschlichen Drostes in den Zügen des
Mundcs! Ein junger Mann noch, gereift in der Ausrich-
tung auf sein klar erkanntes Ziel, sein Volk von Fcffeln
;u befreicn, die artfremdc Idee ihm auferlegte! Diese
Röpfe sind Beweis der Rrast echter, auf Idecn sußender
Runst. Ulicht Foto odcr 2lbbild sind Eranachs Röpfe. In
ihncn findet wollen und Ahnen eines Deutschen Ausdruck,
wird wiffcn um das Ziel eines Rampfes Gcstalterin
menschlichen Antlitzes. Äedcr Zug um Stirn und Augen,
 
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