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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 18.1938

DOI Heft:
Heft 7 (Juli 1938)
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Grunow, Gertrud: Natürliche Formentwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28172#0149

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Natürliche Formentwicklung

Von Gertrud Grunow-^amburg

I. V§n Xaum und punkt.

Dcr Mensch ist mit ;weicrlei gcistigcr Begabung aus-
gestattct: mit »Zilfe seiner Sinncsorgane ka-in er die
Außenwelt wahrnehmen, mit seinen Augen die welt
schauen, und er kanu in seinem eignen Annern mit Hilfe
des Verstandes „dcnken". Beide geistigcn Fähigkeiten sind
innig miteinander verknüpft. Die Wechselwirkung der bei-
dcn Fähigkeiten schafft in der Hauptsache crst die volle
Erkenntnis, das wahre Erkennen. — Alle mcnschliche Er-
kenntnis beginnt mit der Anschauung; schauend befindet
sich der Mensch in einer besonderen geistch lebendigen Hal-
tung und Gestimnitheit, und dqs Auge sieht in einer be-
sonderen weise, welche man mit Gffenheit bezeichnen dars.

— Die Menschen pflegen dinghaft Kuf die Dinge ;u sehen
und verstehen allgemein' nicht, physisch, d. h. den Raum,
die Umgebung, den Zwischenraum, den Hintergrund ;u
crschauen, sie blicken mehr und schauen ;u wenig. Die
Lehre des Schauens aber ist Raumlehre und die Lehre vom
Raume ist die Lehre des Schauens.

„Gesetze des Sehens" nennt sich ein io;6 erschienenes
werk von wolfgang Metzger, in dein dieser auf das herr-
schende Unvermögen, genügend Umgebung, Zwischenraum
und Hintergrund sehen ;u können, hinweist, und in dem
er Beispiele aus der Gestaltspsychologie darlegt, welche
sich für die wahrnehmungsforschung crgeben haben (siehe
Besprechung in „Runst und Iugend", Heft ir/)p;7). Im
letzten Rapitel, „Geseye des Sehens und Naturgesetze"
bekennt sich Metzger am Schluß ;u der 2lnsicht, daß der
Geist und mit ihm unsere wahrnehmung ein Stück Natur
sei. Die zuweilcn geäußerte Meinung, daß die Gestalts-
psychologie statt der Gesetze der wahrnehmung ;u sehr
Gesetze des künstlerischen Schafscns behandle, ist eine stark
übertriebene Ansicht; das Metzgersche Buch aber ist einer
so innerlich lebendigen, künstlerischen Anschauung entsprun-
gen, daß es in wissenschaftlicher Hinsicht auch jedem will-
komm'en sein dürfte, der sich in der Runst mit dem Seh-
problem beschäftigt. — Von Gesetzlichkeiten, die im Runst-
schaffen walten, und nicht nur in diescm, und von Tat-
sachcn, welche von grundsätzlicher Bedeutung für Empfin-
dung und wahrnehmung sind, soll hier nun die Rede sein.
Der weg, der hier bcschritten wird, ist gan; anderer Art
wie bei Metzgcr. Man könnte ihn als in nahcr Beziehung
;um Geist—Seele—Leib-Problem stehend betrachtcn; er ist
rein schöpfcrischer Art, der des rein schöpferisch schendcn
Menschen. Um diesen weg, welchcr manchem viclleicht
„mystisch" klingen mag, der aber durchaus natürlich ist, in
seiner wesenheit anzudeuten, sei erinnert an'die Bewegung
b;w. Führung der 2lugen, welche nicht willkürlich, son-
dern gesetzmäßig von innen her geschicht.

Vor uns befindet sich cine lichte Fläche und darauf ein
punkt. wenn wir die lichte Flächc empfinden, bis dic Nctz-
haut davon crfüllt ist und dann in derselben geistigen Hal-
tung dcn punkt crlebcn, bis er sich im Auge auf der Nctz-
haut erfüllt hat, und diescs Tun abwechsclnd fortsetzcn,
dabei weder Flächcnteil noch punkt fest lokalisiert haltcnd,
bewegen sich unmerklich die 2lugen und es wird nach jedcr
neuen Flächenempfindung ein ncucr punkt gcboren. (Es
ist darauf ;u achtcn, daß stets nüt dcr 2lnschauung und
Empfindung des lichten Raumes, dcr Fläche, zu bcginncn
ist, nicht mit der des punktcs.) Es entstcht einc Reihc von
Punkten in horizontaler Richtung nachrcchts, in welcher

ll. Raum, pnn

Das Erlcben von Rauin und punkt läßt punktrcihcn in
brei Richtungen geborcn wcrdcn, vorausgcsctzt, daß das
Schaucn untcr Russchluß aller willeiisniäßigeii »nd gedank-

der Zwischenraum zwischen den einzelnen punkten, ihre
Entfernung von einandcr etwa i cm beträgt. Voraus«
setzung für diesen Vorgang ist, daß das Schauen unter
Ausschluß aller willensmäßigen und gedanklichen Anstren-
gungcn und in gleichzeitiger Sammlung des Empfindens
und Fühlcns, in einem Zuständ möglichster Entspannung
und zugleich Ronzentration geschieht. — wenn wir die
punkte zugleich mit der Hand ausdrücken, zeichnerisch mit
dem Bleistist, so können sie einen zwiefachen Lharakter
im Aussehen zeigen; licht, locker oder aber fester. Die Ur-
sache ist in der Antensttät der Ronzentration ;u suchen.

punktrcihen in anderen Richtungen: Geschieht die Erfas«
sung von lichtem Raume und punkt in verschärfterer
gcistiger Lebendigkeit, dann crfolgt die Bewegung und Er-
scheinung eines neuen punktes auf horizontaler Ebene
nach links, und zwar wicderum in Zwischenräumen von
1 cm etwa. Das Aussehen der gezeichneten punkte zeigt
eine seine Schärfe.

An den beiden genannten Fällen war die Ronzentration
auf den Raum und diejenige auf den punkt die gleiche.
Tritt sie jetzt in größerer Stärke für den punkt auf, be-
tont man den punkt stärker, dann findet eine Bewegung
statt, welche sich in senkrechter Richtung — von oben nach
unten — vollzieht und eine senkrechte punktreihe entstehen
läßt. Das Maß der Entfernung, der Zwischenraum der ein-
zelnen punkte, ist auch hier i cm. Die Zeichnung der punkte
ist kräftig, von cindrucksvoller Festigkeit.

Die Bewegung, welche durch das wiederholte wechsel-
scitige Erleben von Raum und punkt sich vollzog, ge-
schah in Richtung, Abschnitten, Maßen. Letztere blieben
stets die gleichen, die Richtung dagegen hing von der Gn-
tensität, Schärfe und Stärke der Ronzentration ab; der
Lharakter der Punkte entsprach ebenfalls solcher besonderen
Ronzentration. Das Sinnesorgan Auge, in enger Verbin-
dung mit dem Hirn, ist hier, in lebendiger bestimmter gei-
stiger Haltung natürlich atmend, in einem „natürlichen"
Maße, in natürlichen 2lbschnitten, im Raume lebendig be-
wegt.

Die beiden Richtungen rechts und links sind auf die V e r«
schicdenheit unserer zwei Augen zurückzufüh-
ren. Man pflegt die rechte Seite in der psychologie als die
geistige ;u bezeichnen, und dies gilt auch für das rechte
Augc, wclches e y zentrischen Lharakter in der Bewegung
besitzt, während sich für das linke ein mehr kon zentrischer
Lharakter aufzeigen läßt. Ast die Antensität der gcistigen
Ronzcntration, sagen wir einmal: eine einfache, ruhige,
normale, natürliche, dann vollzieht sich die Bewegung bei-
der Augen „natürlich nach rechts". Ast die Ronzentration
eine schärfere, die Atmung also einerseits höher gespannt,
andercrseits vcrticftcr, so ist die Verbundenheit mit öer
linkcn Seitc und dem linken Augc tiefer „natürlich" und
zeigt sich bei dem wiedcrholten Erleben von Raum und
punkt in dcr Richtung nach links. Es sei, wenn cs auch
übcrflüssig erschcinen müßte, bemcrkt, daß das wiederholte
Erlcbcn cin lebcndigcs ist, nicht sogcnannt automatisch
ctwa, und daß nicht jcdem dcr punkte gleiche Bedeutung
zukommt. An der scnkrcchtcn Richtungsbewegung entspricht
die stärkere Aonzcntration bcider 2lugen der stärkcrcn
gcistigcn Ronzentration.

kt und L i n i e.

lichen Anstrcngungen und in gleichzcitiger Sammlung des
Enipfindens und Fühlens, in einem Zustand möglichster
Entspannung und zuglcich Ronzcntratiou geschicht. Die
 
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