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Kunst der Nation — 2.1934

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Eckstein, Hans: Vom Sinn der Sachlichkeit
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Pankok, Otto: Das Kindheitserlebnis im Schaffen des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0013

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si-(.


II.JHg., Nr.3,1.8ebr.19Z4

Verlag Kunst der Nation G. m. b. L., Berlin W 62, Kurfürstenftr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz-und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W 50, Tauentzienstraße 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.

Einzelpreis Zd Pfennige

Vom Sinn der Sachlichkeit
Von
Hans Eckstein

Die Wohnung soll die Wohnbedürfnisse so voll-
kommen wie möglich befriedigen. Alle „künstle-
rische" Ausstattung wird zur Sinnlosigkeit, wenn
sie den natürlichen, reibungslosen Ablauf der
Wohnfunktionen hemmt. Die Forderung der
Sachlichkeit wird nicht selten dahin mißverstanden,
als richte sie sich gegen den Menschen und seine
seelischen Bedürfnisse. In Wahrheit entspringt
sie dem Wunsch, den Menschen aus der Knechtschaft
der toten Dinge und starren Konventionen zn be-
freien. Die „neue Sachlichkeit" ist kein Stil.
Aber noch jeder echte Stil war sachlich. Unsach-
lich, weil verlogen, aber war jener pseudoklassische
Wohn-„Stil", den sich im 19. Jahrhundert der
bürgerliche Parvenü ohne Tradition und ohne
innere Kultur schuf. In ihm war nichts echt als
der Wunsch, mehr zu scheinen als man ist. „Je
ordinärer die Familie", sagte Adolf Loos, „desto
reicher und größer das Büfett". Die düsteren
Zimmer, wo den achteckigen Tisch in der Mitte
unter der Cuivre Poli-Gaskrone die Plüsch-
fauteuils umstanden, wo hinter dem über Eck
gestellten Sofa das Makart-Bouquet prangte,
ließen gewiß kaum eine Erinnerung an die fest-
lichen Räume der Barock- und Rokokopaläste auf-
kommen. Und doch ist hier, im Palais des abso-
lutistischen Fürsten, das Vorbild zn suchen, das sich
ein in seinem Selbstbewußtsein wenig ausgegliche-
nes repräsentationssüchtiges Bürgertum für feine
Wohnung nahm. Die sachliche, den wirklichen
Bürgertum um 1800, insbesoudere die damals
intellektuellen Kreise (Goethehans in Weimar!)
geschaffen hatte, schien dem rasch zu Anseheil und
Reichtum gelangten Bürger zu schlicht. Sein Gel-
tungsbedürfnis verlangte nach repräsentativeren,
protzigeren Formen.
Repräsentativ zum Beispiel war die höfische
Baukunst des Absolutismus. So wurde die streng
geometrische Ordnung der klassischen Baukunst für
die bürgerliche Architektur und Wohnform des
späteren neunzehnten Jahrhunderts übernom-
men, der Widersprüche ungeachtet, die zwischen der
repräsentativen Feierlichkeit der Klassik und der
Wirklichkeit des neuen bürgerlichen Lebens klaff-
ten. Das Palais des 18. Jahrhunderts war der
Lebenshaltung seines Bewohners aufs genaueste

Rückhalt findet, noch in der Öffentlichkeit zu re-
präsentieren? Die klassische Fassade wurde besten-
falls nur zum Ausdruck unterbewußter Wunsch-
träume. Deun der Bürger hat nie die Achtungs-
stellung besessen, die ihm die von Karyatiden ge-
stützte Hanstüre vorlog, durch die er eiligen
Schritts zum Büro jagt. Mit den Requisiten
des Dixhuitiöme repräsentierte er ins Leere: der
Nachbar erwies ihm nicht Reverenz — er trumpfte
mit einer pompöseren Fassade gegen ihn aus. Und
wie freudlos wirkte die kalte Pracht seiner Räume
im Vergleich zu der Festlichkeit ihrer Vorbilder!
Als Protest gegen diese bürgerliche Repräsenta-
tionsarchitektur setzten um die Jahrhundertwende
die verschiedenen Bestrebungen zu einer Gesun-
dung der Wohnkultur ein. Von der englischen
Landhausarchitektur, die um die Mitte des neun-
zehnten Jahrhunderts die mittelalterliche Tradi-
tion (Norman Shaw) wieder ausgenommen hatte,
kamen wertvolle Anregungen. Sie führten zn
einer freieren Grundrißgestaltung, allerdings auch
zur „malerischen" Gruppierung im Ausbau. Die
Biedermeierrenaissance förderte den Sinn für
Schlichtheit und Einfachheit des Mobiliars, führte
aber schließlich doch zn einem (gewiß vornehmen)
Eklektizismus, zur Kopie von Stilmöbeln aus dem
Biedermeier. Sie hielt vor allem auch in Grund-
riß- und Aufbaugestaltung an der geometrischen
Ordnung der Klassik fest — ihr Vorbild war das
französische Haus des Dixhuitiöme, wenn auch in
versandeten im kunstgewerblichen Formalismus.
Nur der gesunde, klare, weltmännische Geist eines
Adolf Loos hatte die Unfruchtbarkeit des
Formerfindertums (das er im dekorativen Schein-
zauber des Jugendstils, der Wiener Werkstätten
und der Sezession bekämpfte) schon vor dreißig
Jahren erkannt. Er sah die Erscheinungsformen
des modernen Lebens in ihrem Zusammenhang
und wußte zu unterscheiden zwischen den Rudi-
menten abgestorbener Epochen und dem, was be-
stimmt war, das Gesicht der neuen Zeit zu Prä-
gen. Gewiß war nicht Loos der Befreier vom
„überflüssigen Ornament". Die Reaktion gegen
den Leerlauf des Ornaments hätte auch ohne ihn
eingesetzt. Sie war eine internationale Bewegung,
wie die bürgerliche Repräsentationsarchitektur


Griechische Vasenmalerei. 7. Jahrh. v. Chr. Athen

angemessen, die alles Private so sehr zugunsten
der gesellschaftlichen Repräsentation unterdrückte,
daß selbst das Schlafzimmer kein privater Raum
mehr war: „Lever" und „Coucher" waren Staats-
aktionen. Die klassische Architektur des 18. Jahr-
hunderts war durch und durch sachlich. Unsachlich
aber war es, klassisch-repräsentativ zn bauen und
mit Stilmöbeln aus der Möbelfabrik zu repräsen-
tieren, nachdem das demokratische Zeitalter die
Mauern zwischen den Gesellschaftsklassen mehr und
mehr eingerissen hatte. Was blieb dem modernen
Bürger, dessen Existenz sich auf Persönlicher
Leistung im selbsterwählten Beruf aufbaut und an
der Familie, nicht aber an einer Gesellschaftsklasse

eine internationale Erscheinung gewesen war.
Neben Holland aber darf sich Deutschland rühmen,
in dieser Bewegung europäisch führend gewesen
zu sein. Die neue Baukunst wird in Italien wie
in Rußland „Deutscher Baustil" genannt, ein
deutliches Zeichen für die Anerkennung der
Leistung des deutschen Geistes auf dem Gebiet der
Architektur und der neuen Gegenstandskultur.
Es mag mit der Neigung des Deutschen zum
Doktrinarismus Zusammenhängen, daß die von
Le Corbusier aufgestellten Forderungen zur Ratio-
nalisierung des Haushalts nicht selten radikaler
verstanden und auch verwirklicht wurden, als sie
ursprünglich gemeint waren. Mißverständnisse


K,.h


Das Kin-Heitserlebms
im Schaffen -es Künstlers
Von
Otto Pankot

Alle Dinge und Erlebnisse, die einen Künst-
ler bewegen, sind die gleichen, die ihn schon in
seiner Kindheit entzückten. Was ihn zum Schas-
sen reizt, bleibt für sein ganzes Leben das, was
schon das Kind begeisterte. Die Schauer, die ein
junger Mensch empfand bei einem Gewitter über
einer Ebene, einem Sturmwind im Park, beim
Anblick eines knospenden Baumes im Vorfrüh-
ling, eines gequälten Tieres, beim Klang einer
Stimme, eines Gedichtes oder einer Melodie, bei
der Betrachtung eines Menschenantlitzes, der er-
schreckenden Tiefe des Nachthimmels, sie setzten
sich in seiner Seele fest, zwangen ihn zum Er-
greifen des Künstlerberufes und zu intensiver
Tätigkeit, um diese uuerforschlichen und unaus-
sprechlichen Erlebnisse zu realisieren, um einem
Etwas Gestalt und Leben zu geben, das bisher
als angeboren in der Welt schlummerte. Der
Mensch Rembrandt suchte sein ganzes Leben lang
zu gestalten, was das Kind Rembrandt erlebt
hatte in der düsteren väterlichen Mühle mit ihrem
Ausblick über die riesige holländische Ebene. In
allen seinen Werken spüren wir dieselben Pro-
bleme: die Dunkelheit des Mühleninterienrs und
die magisch belichteten und verdunkelten Gestalten,
die hohen dramatischen Himmelsgewölbe und die
Einfalt biblischer Geschehnisse ans den täglichen
Andachtsstunden der alten Müllersleute.

Was anders zwingt den Pariser Bankbeam-
ten Gauguin, eines Tages einfach nicht mehr ins
Büro zn gehen, seine Familie im Stich zu lassen
und wie ein Besessener sich auf die Malerei zu
werfen, was anderes, als eben die in der Tiefe
hockenden, ewig Wachen Jugenderlcbnisse, die dem
Menschen niemals Ruhe lassen, bis er ihrem
Drängen nachgibt? Alle Kunst ist einseitig, weil
der Mensch nur aus seiner Jugend schöpft. Dar-
um malt Chagall sein ganzes Leben lang Ghetto-
bilder und Utrillo seine heimatlichen Montmartre-
straßen.
Oft hatte ich Gelegenheit, jene „vielseitigen"
Künstler nach ihren Jugenderlebnissen auszufor-
schen und fand immer, daß diese von vielen Be-
schauern oft bewunderten Eigenschaften ihren Sitz
in einer zerrissenen, lieblosen Jugend hatten.
Die zirkusmäßige Blufferei eines Picasso, die
Allerweltsmalereien von Bataillonen von Pin-
selschwingern, die in „Richtungen" sich bewegen
und die europäischen Ausstellungen überschwem-
men, gestern Futurist, heute Kubist, morgen Kon-
struktivist und übermorgen lebensmüder Koks-
schnupfer — was spricht aus ihnen deutlicher als
eine geknebelte, schief gewachsene, ungelebte Ju-
gend?

und einzelne Übertreibungen aber vermögen die
Fruchtbarkeit der Forderung der „Sachlichkeit"
nicht zu widerlegen. Es ist ein Irrtum, Sachlich-
keit — Materialismus zu setzen. Sachlichkeit ist
Voraussetzung jeder vernünftigen Gestaltung.
Aber es ist nicht wahr (so oft es auch seit der
Jahrhundertwende behauptet wurde), daß Zweck-
mäßigkeit — Schönheit ist. Wenn sich heute das
Zweckmäßige und das Schöne in einer vordem
unbekannten Weise verbunden haben, so ist das
Wesentliche doch immer erst das Resultat dieser
Verbindung, nicht die Zweckmäßigkeit an sich. Nur
in seiner Verbindung mit formgestaltenden Kräf-
ten wird der Wille zur Sachlichkeit formschöpfe-
risch. Zur sachlichen Baugestaltung gehört, dem
modernen Menschen mit seinem Drang nach Ver-
bundenheit mit der Natur, nach Licht und Luft
im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen das Haus
zu schaffen, das seinem Lebensgefühle entspricht,
d. h. den Raum aus seiner geometrischen Bindung
im klassischen Baukörper zu lockern und ihm an
Stelle der schmalen hohen Fenster mit dazwischen
liegenden dunklen Mauerpfeilern eine gleichmäßige
Belichtung zu geben. Die neuen konstruktiven

Möglichkeiten, die hier die Technik geschaffen hat,
galt es den Wohnbedürfnissen dienstbar zu machen.
Hier kämpfte nicht allein die neue Architektur,
ein neues Formgefühl gegen die akademischen Re-
geln der Klassik an, sondern auch das Lebensgefühl
des modernen Menschen. Die Rationalisierung
des Haushalts soll den Menschen nicht nur im
Materiellen befreien, sondern sie soll ihn vom
Materiellen und im Geistigen befreien! Das
Entscheidende ist immer das Menschliche. Ihm hat
alle Sachlichkeit zu dienen. Wo „Sachlichkeit"
zum Selbstzweck wird, entartet sie zum Kunst-
gewerbe — und der Gefahr allen Radikalismus':
daß das gute Mittel zum bösen Herren wird, ist
auch die neue Architektur nicht immer entgangen.
Le Corbusier selbst, der das Schlagwort
„Wohnmaschine" Prägte, mußte das Echo, das
seine Gedanken verfälscht zurückgab, berichtigen:
„Und nun plötzlich im Jahre 1927, als das
Wort von der „Wohnmaschine" schon ausgesprochen
war, wollten sie wieder alles mit diesem Schlag-
wort erledigen. Natürlich, Bäder, Zentralheizung,
Lüftung, Beleuchtung, das alles sind unentbehr-
liche Bedürfnisse! Die Menschen wühlen sich in
 
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