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Kunst der Nation — 2.1934

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Hieber, Hermann: Das Tier in der bildenden Kunst
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Pinder, Wilhelm: Neue Architektur?
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Müller, Gottfried: Kunst als Gewerbe?
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Betram, Ernst: Der Nord
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0034

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Kunst der Nation

Nicht allein zum Künstler, sondern auch zum
Kunsthandwerker. Denn neben den Wandgemäl-
den, mit denen er die Wohnhöhlen schmückte, hat
er es verstanden, seine Knochen- und Feuerstein-
geräte und Massen in Tiersorm umzuprägen —
etwa einen Dolchgriff in den Körper eines fliehen-
den Renntiers. Diese beiden Betätigungen, die
freikünstlerische und die kunsthandwerkliche, laufen
von da ab beständig nebeneinander her. Man darf
also annehmen, daß die religiösen Vorstellungen
auch das häusliche Leben und den Alltag beherrscht
haben. In Ägypten und Babylonien erhebt sich
die Tierdarstellung im Dienst des Tempelkults zu
monumentaler Größe. Es genügt, an die Sphinx
und an die Torwächter, die geflügelten Stiere mit
dem Menschenhaupt, zu erinnern. Diese Vorbilder
werden in Griechenland und Rom ausgenommen
und wirken weiter, solange die Antike künstlerisch
fruchtbar geblieben ist.
Aber die Entwicklung in Indien und China ist
nicht weniger wichtig. Die Fabeltiere der Hindu-
phantasie, der chinesische Drache, sind in herrlichen
Kunstschöpfungen verewigt worden. In der ger-
manischen Mythologie wiederum ist von der Mid-

gardschlange, vom Fenriswolf, von Odins Raben
Hugin und Munin die Rede. Noch im hohen
Mittelalter spuken die heidnischen Fabeltiere in
den Initialen der von Mönchen geschriebenen Er-
bauungsbücher und im plastischen Schmuck der
gotischen Dome. Und wäre es auch uur, daß sie
sich unter den Füßen der Kirchenheiligen krümmten
oder die Säulen der Kanzel trügen.
Alle diese Tiere, ob sie nun vom Norden oder
Süden, von Gott oder vom Teufel stammen, haben
allesamt von der Religion eines mitbekommen: die
strenge Stilisierung. Sie sind keine gewöhn-
lichen Tiere, sondern Träger irgendwelcher
Symbole. Sie sind vergeistigt, vereinfacht, ins
Typische erhoben. Dem Rationalismus, der um
die Reformationszeit aus Italien über uns herein-
gebrochen ist und selbst unserem großen Albrecht
Dürer ein Bein gestellt hat, fehlt dieses beste Erb-
teil. Die naturalistischen Tiere sind, ebenso wie
die materialistischen Menschen, trostlos. Sie zeigen
uns am klarsten, in welche Sackgasse wir uns mit
dem Kultus der „reinen Vernunft" verrannt
haben.

Aeue Architektur?
Von
Wilhelm Pinder
Auf der unter dem Protektorat des bayr.
Kultusministers Schemm stehenden Tagung des
Pädagog.-psycholog. Instituts in München 1933
sprach der bekannte deutsche Kunstwissenschaftler
über „Die deutsche bildende Kunst im neuen
deutschen Staate". Sämtliche auf dieser Tagung
gehaltenen Reden sind in einem Band „Die Er-
ziehung im nationalsozialistischen Staat" im Ar-
manenverlag in Leipzig erschienen. Wir bringen
einen Auszug.
Wie oft habe ich erlebt, daß gute, rührend see-
lengute Menschen in Ausstellungen, Museen,
Konzerten vor irgendeinem ungewohnten Form-
anspruch moralische Vorwürfe erhoben — nicht,
weil der Inhalt unsittlich gewesen wäre, das
Recht bestreite ich niemals —, sondern einfach
weil sie die Form nicht verstanden; daß sie den
Künstler nicht nur als einen Narren, sondern als
einen Verbrecher empfanden. Einen Menschen,
der vielleicht gar nichts anders als ein ehrlich
Suchender war! Land- und Reichsgerichtsräte,
die ein ehrenvolles Leben im Dienste des Rechts-
gefühles hinter sich hatten und nie sonst einem
Menschen an seiner Ehre ein Härchen krümmen
könnten, habe ich in die furchtbarsten Verdächti-
gungen Abwesender ausbrechen hören, bloß weil
ihnen deren Kunst, ihre Form, nicht gefiel! Und
manchmal kannte ich nun auch noch zufällig den
betroffenen Künstler und wußte: er war ein
ebenso ehrlicher, braver, guter Deutscher, und
hatte nur das Pech, daß er ein Ringer war um
Formen, die ein Landgerichtsrat nicht verstand.
Ich hatte zuletzt, im Beispiel von den Land-
gerichtsräten, davon gesprochen, wie moralisch
aufwühlend Kunst sein kann als ein mir aufge-
zwungener Formenweg, den ich nur dann gehen
will, wenn ich eben mich dieser Formenkraft auch
anvertrauen kann, wenn ich sie dazu würdig
finde.
Ich möchte jetzt daraus Hinweisen: Wir haben
ja zwei Staaten in Europa, die uns ganz klar
zeigen können, wie sehr schwierig es ist, den poli-
tisch-weltanschaulichen Begriff „bolschewistisch"
aus Kunst anzuwenden: Italien nämlich und
Rußland. Das eine uns seelisch nahe, das andere

uns — was den Staat angeht, nicht das Volk —
seelisch fern; jedenfalls aber die beiden anderen
Staaten in Europa, die ebenfalls an den starken
Staat glauben, und an sein Recht und seine
Pflicht, alles Menschliche durchzuformen.
Italien hat fast zehn Jahre lang versucht,
einen faschistischen Stil zu bauen. — Ich rede
jetzt von der Architektur, als von etwas, was
öffentlich weit mehr bedeuten muß als Malerei,
weil es als unausweichlich öffentlich wirksame
Form weit deutlicher Staatsgesinnung auszu-
drücken vermag. — Italien hat zunächst versucht,
zehn Jahre lang, einen faschistischen, halb alt-
römischen, halb renaissancemäßigen Stil zu
bauen. Der Erfolg war kläglich gewesen. Jetzt,
seit fast zwei Jahren, baut der italienische
Faschismus völlig modern. Er büut den neuen
europäischen Stil, der gewiß noch sehr unfertig
ist, der noch, wie wir sehn werden, unfähig ist zu
einem sakralen und monumentalen Ausdruck,
aber immerhin Ausdruck unserer eigenen Zeit!
Dieser Stil ist ganz besonders in Deutschland an-
gebaut worden, und der Italiener von heute
spricht auch, ganz ehrlich, fast zum erstenmal in
seiner Geschichte, von einer Übernahme aus
Deutschland, er spricht anerkennend und bewun-
dernd vom „nouvo stila teckoseo", vom neuen
deutschen Stil! In den Zeitschriften Ita-
liens können Sie gar nicht selten bewundernde
Aufsätze über diesen neuen Stil in Deutschland
lesen. Vor einem Jahr las ich den Aufsatz eines
italienischen Architekten, einen sehr klugen Auf-
satz, der aufs tiefste beeindruckt war von dem aus-
gemacht national-deutschen Charakter dieses an-
gefochtenen „bolschewistischen" „Bauhaus-Stiles",
und der sich bemühte (nicht ganz überzeugend
für einen Deutschen), diesen deutschen Stil, diesen
„nouvo Stile tsckeseo" aus dem deutschen Na-
turgefühl, dem deutschen Freiheitsgefühl, dem
deutschen Walde herzuleiten, und sogar aus der
so oft genannten deutschen Gotik — das letztere
geht vielleicht etwas zu weit, aber es kommt der
Wahrheit immerhin weit näher als der Glaube
vieler Deutscher, diese sehr eigene deutsche Lei-
stung sei bolschewistisch!
Und darüber belehrt uns nun das Land des
Bolschewismus, Rußland. Leider ist ja ein Ver-
treter dieses deutschen Stiles, dieses europäischen,
ganz besonders in Deutschland ausgebildeten Sti-
les, nämlich May (Frankfurt), nach Rußland ge-
gangen, leider, denn man hat nicht nach Ruß-
land zu gehn, und hat dort für die Bolschewisten
große Aufträge in diesem unfern Stil, der offen-
bar nicht dort hingehört,
erledigt. (Das mag übri-
gens einer der Gründe
dafür sein, warum die-
ser deutsche Stil, den wir
unter uns kurz „Bau-
hausstils nennen, nun
bolschewistisch genannt
wird. Ein anderer ist, daß
im Bauhause selbst eine
Zeitlang, aber dem
Sinne des Bauhauses
widersprechend, der
Schweizer Hannes Meyer
politischen Kommunis-
mus getrieben hat. Durch
das Verdienst des jungen
Dr. Grote in Dessau,
der inzwischen abberusen
worden ist, ist dieser
Kommunist entlarvt und
binnen wenigen Tagen
zur fristlosen Entlassung
gezwungen worden. Das
Bauhaus ist unter Mies
van der Rohe in einem
nationalen, aber nicht
innenpolitisch betonten
Sinne geleitet worden.)
Rußland baut
jetzt klassizistisch!
Ebenso wie Rußland die
abstrakte Malerei ver-
boten hat, den „Bolsche-
wismus". Wir stehen vor
der Tatsache, kurz ausge-
drückt: der Faschismus
baut „bolschewistisch", der
Bolschewismus „faschi-
stisch". Wer behält vor
diesen Tatsachen den
Mut, den Stil, den der
Faschismus von uns be-
wundernd und dankbar
übernommen hat, als
„bolschewistisch" zu be-
zeichnen, den Stil, wie ge-
sagt, den Italien von uns
angenommen hat, und
den Rußland ablehnt?


Emil Nolde, Selbstbildnis. Ausstellung: Berlin, Galerie Möller
Ausstellungsbericht folgt in der nächsten Nummer


Kopf des Werdener Kruzifixes. 11. Jahrh.

Kunst als Gewerbe?
Bekanntlich gibt es eine weitverzweigte Indu-
strie, die Kunstgegenstände mechanisch herstellt und
diejenigen, die aus handwerkerlichem Können der
Einzelhand entstanden sind. Die Handwerker,
die ehemals schöpferische Künstlerschaft besaßen,
haben diese Fähigkeiten verloren und sanken zu
trostloser Phantasielosigkeit und schablonenmäßiger
Beschränkung herab. An ihrer Stelle
schufen Zeichner, die in Fabrik-
bureaus jaßen, Formen. Diese Zeichner
hatten keine Beziehung zum Material. Sie kopieren
aus literarischer Vorstellung verschiedene historische
Formen, übertrugen die Zierart eines Materials
auf das andere. Metallgegenstäude bekamen
„hölzerne Rillen" und Holzgegenstände „metallene"
ätnause. Ja, es wurden sogar Marmorsäulen aus
Glas hergestellt. Diese vollkommene Instinkt-
losigkeit konnte nur die Industrie begehen. Die
Handwerker, die ursprünglich ihrem Material ver-
haftet waren, und aus diesem heraus Schöpferisches
schufen, wurden durch die tollen Sprünge der In-
dustrie so verbildet und erschreckt, daß sie ihr
Können restlos verlernten.

Menzel-Anekdoten
Menzel, der nie mit seiner Garderobe fertig wurde und
sehr unpünktlich war, besuchte nicht oft, aber sehr gern das
Theater. Natürlich kam er immer zu spät und hat den
Komtur im „Don Juan" nie lebend kennen gelernt. Der
modernen Theaterliteratur gegenüber blieb er fremd und
ging nur in klassische Stücke, welche ihm schon bekannt waren.
Wenn versucht wurde, ihn zu einem neuen Stück, etwa von
Gerhart Hauptmann, zu überreden, meinte er: „Ich kann
der Sache gar nicht folgen, ich beobachte immer, was die
Leute anhaben, wie sie beleuchtet sind und was für Gruppen
sie bilden, und darüber geht mir das Stück verloren."
Für zwei Arten von Bildern hatte Menzel wenig übrig,
für Stimmungsbilder und für Bilder mit sogenanntem deut-
schem Gemüt. Als er einen befreundeten Maler besuchte,
versteckte dieser ein solches Opus vor ihm. Menzel drehte die
Staffelei aber doch herum und betrachtete schweigend das
junge, sehnsuchtsvolle Mädchen, das bei aufgehendem Mond
unter einem Jasminstrauch einem Zuge Vögel nachschaut. Er
besah es mit ärgerlichem Blick, tippte mit den Fingern auf
den blahrosa aufgehenden Mond und sagte: „In den Fürst
Pückler hättest du auch noch einen Eislöffel hineinstecken
können!"
Einmal hielt Menzel eine kleine Skizze einer nackten
Nymphe in den Händen, die Begas Gustav Richter geschenkt
hatte. Er bewunderte sie außerordentlich und sagte dabei zu
Richter: „Sagen Sie doch dem Reinhold, wenn Sie ihn
sehen, ob er nicht imstande wäre, sich einmal etwas platonisch
zu verlieben, damit er den Eesichtsteilcn auch einige Auf-
merksamkeit schenken möchte."

Keiu Land besaß einen so hochentwickelten
Handwerksstand wie Deutschland, aber in keinem
Laude sank er auch durch die Industrialisierung
so herab. Schließlich kam es so weit, daß selbst die
Türen, Fenster und Schlösser krachend und jäm-
merlich versagteil. Wenn heute wieder dem Hand-
werk eine Sendung gegeben werden soll, daun muß
man beim M a t e r i a l g e s ü h l beginnen: Jede
Form muß ans dem Rohstoff entstehen. Dann
werden wir vielleicht so weit kommen, daß
Handwerker wieder Künstler werden; und darüber

hinaus sollen Architekten, Baumeister uud Kunst-
gegeustäude-Hersteller wieder Haudwerker werden.
Dann wird eilt Haus, das vou den Händeu
materialgerechtarbeiteuder Maurer, Maler, Zim-
merer usw. entsteht, eilte einheitliche und form-
betonte Wirkung haben, wie die Kunstwerke un-
serer deutschen Vergangenheit. Es soll so weit
kommen, daß alle Bauten uud Handwerksarbeiten
nur von solchem künstlerischen Gesichtspunkt aus
entstehen und nicht ästhetisch, sondern werkgerecht
sind. Dann wird es auch möglich sein, daß eilte
Kunst als Industrie hergestellt wird, wenu diese
Herstellungsart auf handwerkerlicher Gruudlage
steht.
Auf der Leipziger Messe (Baumesse)
sieht mall zwar das Material berücksichtigt, es sind
aber keiue künstlerischen Möglichkeiten einbezogen.
Es werden höchstens Spielereien im Material ge-
zeigt. Eine Toilette wird in weißelt, grünen und
sogar braunen Kacheln gezeigt. Dies scheint mir
ein Witz.
Künstlerische Formen, wie sie wieder gefordert
werden müssen, sieht man dagegelt auf der Souder-
messe im Grassimuseum. Dort ist der von uns
angedeutete Weg eingeschlagen. Regensburger
Zillngießer stellen aus, herrliche Teller, Gefäße
und Krüge in moderner, sachgemäßer, schöpferischer
Form. Die Karlsruher Porzellan-Manufaktur
bringt Keramiken, die vou jungen Künstlern als
Plastiken und farbige Reliefs gebildet sind. Aus
Vielheit des Stoffes entsteht unterschiedliche Wir-
kung. Ein Leipziger Silberschmied fertigte große,
schöne Teller zum Bruchteil des Preises für deu
eutsprecheuden Kitschartikel. Eine Sonderschall der
Goldschmiede zeigt die bekannten kirchlichen und
weltlichen Schaustücke, die wir bereits in Berlin
gesehen haben, und die an die Tradition unserer
großen Zeit des Kunsthandwerks anknüpfen. Hier
ist Ausblick und Hoffnung.
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