Kunst der Nation
5
Erich Heckel, Landungsbrücke. Ausstellung im Kunstvcrein Hannover
Verwaltung, wo er fünfmal Mitglied des Rates
und zweimal Bürgermeister war.' So mußte er
den Betrieb seiner Kunst mehr und mehr unter-
geordneten Hilfskräften überlassen. Wir wissen
eitriges von seinen Söhnen Hans und Lucas dem
jüngeren, der nach dem Tode des Vaters dessen
Atelier unter dem Schlangenzeichen fortführte,
aber sonst kaum etwas von den zahlreichen anderen
Schülern, die den Cranachstil bis nach Lübeck und
Königsberg hin verbreitet haben.
Führte er selbst den Pinsel — und er vermochte
es, wie das Selbstbildnis in Florenz beweist, bis in
sein spätestes Alter —, gibt dieser manchmal etwas
profane, aber nicht eigentlich nüchterne, immer
wirklichkeits-besessene und mit den apartesten
Mitteln des Farbentones schaffende Schilderer der
fürstlichen und bürgerlichen Gesellschaft der Re-
sormationszeit Akkorde des Farbigen, die an die
Glut gotischer Glasmalerei gemahnen. Gewiß
ging es auch bei ihm, der begehrtester Bilder-
lieferant des ganzen protestantischen Nordens ge-
worden war, nicht ohne formale Wiederholungen.
Mitunter gerät die markige, charaktervolle, dabei
meist emailleartig saubere Behandlung in den
Kompositionen, den Köpfen, deren meisterhaftes
Gefüge oft an Holbein denken läßt, in den wunder-
vollen kleinen weiblichen Akten, die als Dianen,
Nymphen usw. meist nur wenig bewegt vor
krausem Waldgebüsch oder auf schimmernden
Wiesengründen stehen, etwas ins Schematische.
Aber noch in solchen Zeugnissen triumphieren, sei
es in den durchsichtigen, dunstigen Fernere des
Himmels oder in dem sprießenden Gewebe von
Blattwerk und Vegetation die unerhört künst-
lerischen Mittel, über die Cranach gebot. Und
wenn er in Jagddarstellungen oder anderen Ab-
schildereien Wiesenflächen und Waldesdunkel wie-
dergibt, ist es, als wolle er sich im malerischen
Nachfühlen all dieser von ihm geschauten Köstlich-
keiten, einem Nachfühlen, das noch heute so ur-
sprünglich wie am ersten Tage wirkt, für vieles
ihm in der Komposition reizlos Erscheinende oder
unvollkommen Gelungene entschädigen.
Viel von dem, was uns in Cranachs Werk
etwas fremdartig anmntet, erklärt sich aus den
Bestellungen und der Kultur seiner Umgebung.
Aber mag in der Kunst des eifervollen, glauben-
starken Mannes der eines Dürer oder Holbein
gegenüber manches zeitgebunden erscheinen, dafür
spricht sie auch stärker und vernehmlicher als diese
den Pnlsschlag ihrer Zeit aus. Sie verlief auch in
dem entlegenen Erdenwinkel, in dem Cranach
lebte, nicht ohne Stürme. Karl V. schlug den
sächsischen Kurfürsten bei Mühlberg und führte
ihn gefangen zum Augsburger Reichstag. Tizian,
der dort den Kaiser malt, läßt sich von ihm den
Holzschlag an der Drau und eine Pfründe für
seinen Sohn sichern, und man rühmt ihm zu Hause
nach, er sei „arm wie ein Maler gegangen und
reich wie ein Fürst heimgekehrt". Cranach, der
seinem Landesherrn in die Gefangenschaft folgt,
trifft den Kaiser im Lager von Wittenberg. Dem
fällt dabei sein eigenes Bild als Knabe ein, das
der Meister vor vierzig Jahren in den Nieder-
landen von ihm ge-
malt. „Schildert
mir, was ich da-
mals für ein
Bursch war!" Und
Cranach: „Euer
Majestät waren
acht Jahre alt, als
der Kaiser Maxi-
milian Sie bei der
Hand nahm und
die Huldigung der
Brabanter Staaten
empfing. Es war
ein Lehrer von
Ihnen; als er Sie
unruhig sah, sagte
er mir, Eisen und
Stahl würden Ihre
Aufmerksamkeit
besonders fesseln.
Ich bat ihn darauf,
einen Speer gegen
die Wand zu legen,
daß die Spitze sich
gegen Eure Maje-
stät wendete, und
Eurer Majestät
Auge bleiben dar-
auf gerichtet, bis
ich das Bild voll-
endet." Diese Ant-
wort befriedigte
den sonst mißlaunigen Sieger so, daß er dem
Maler eine Bitte verstattete — und der bittet für
seinen gefangenen Herrn. Zwei Jahre später, nach-
dem Cranach noch Tizian in Augsburg porträtiert
hatte, kehrten sie in das sächsische Land zurück, wo
der Maler in dem noch erhaltenen Haus zu Wei-
mar am Markt seine letzten Tage verbrachte. Weit
hinter ihm lagen die Jugendjahre, deren künst-
lerischer Ertrag erst von der Forschung der letzten
Zeit einigermaßen erhellt worden ist. Sie stellen
ihn, so spärlich wie sie auch auf uns gekommen
sein mögen, auf die gleiche Höhe mit den Größten
seiner Zeit. Es sind Landschaftsschilderungen und
Bildnisse, mit denen nur wenige Werke deutscher
Kunst sich vergleichen lassen. Dliorwulä
Frühjahrsausstellung
im Kunstverein Hannover
Die diesjährige Frühjahrsausstellung des
Kunstvereins Hannover trägt bereits die Nr. 102.
Uber hundert Jahre lang ist hier alljährlich dem
deutschen Kunstschaffen Gelegenheit gegeben wor-
den, zum Beschauer zu sprechen. Kaum je aber
ist Wohl einer Ausstellung mit solchen Erwar-
tungen begegnet worden wie der dieses Jahres;
mußte nicht eine ganz neue Zielsetzung der deut-
schen Kunst in ihr zu erkennen sein, wenn anders
die Kunst nicht stumm geblieben ist vor den um-
wälzenden Ereignissen des letzten Jahres? Der
Besucher der Ausstellung findet in der Tat einen
neuen Ton, eine Einstimmung auf Werke einer
innigen Welt- und Naturerscheinung, wie sie auch
in Hannover und in Niedersachsen gepflegt wor-
den ist. Aber etwas umstürzend Neues darf man
nicht erwarten, und kann es auch nicht, will man
nicht der Kunst die Möglichkeit eines neuen, orga-
nischen Werdens abschneiden. Mit einer neuen
flüchtigen Mode ist uns ja nicht gedient, sondern
nur mit einer neuen Kunstgesinnung, die sich
nicht herbeikommandieren läßt, sondern langsam
von unten herauf wachsen muß. Ebensowenig
ist ja das Problem Kunst und Volk damit gelöst,
daß man Volksmassen in die Ausstellungen hin-
einkommandiert.
Dasselbe gilt von neuen Formen der Kunst-
ausstellung, die ebenfalls nicht organisiert wer-
den können, sondern sich organisch entwickeln
müssen. Das Streben auch des Kunstvereins
Hannover geht dahin, von der Aneinanderreihung
einzelner Kunstwerke abzukommen und in den
Ausstellungen die verschiedenen künstlerischen
Ausdrucksformen — Raumkunst, Gebrauchskunst,
bildende Kunst — in ihrem Zusammenwirken zu
zeigen. Aber noch sind wir nicht so weit. Des-
halb hat die neue hannoversche Ausstellung in
ihrem äußeren Aufbau noch das alte Gesicht,
wenn auch der Rahmen durch eine Schau von
Entwürfen Tessenows und Schmitthenners er-
weitert worden ist. Aber das, was ausgestellt
Ernst Thoms, Stilleben
Wird, ist an einem strengen Leistungsbegriff ge-
prüft worden. So sind eine Reihe geschlossen
wirkender Säle zustandegekommen, die Wesent-
liches für den Stand unseres Kunstschaffens er-
kennen lassen.
Zum ersten Male tritt in dieser Frühjahrs-
ausstellung jener Kreis von Schaffenden deutlich
hervor, die anknüpfend an die Romantik eine
tiefere Naturanschauung mitbringen, als sie den
versachlichenden Künstlern der letzten Jahre eigen
war; denen die Natur mehr als eine Sache, ein
Malobjekt, nämlich ein innerer Besitz, ein Ge-
mütswert ist. Ich meine Künstler wie Schrimpf,
Lenk, Weidemann, Ernst Böhm. Sie geben der
Ausstellung die eigentliche Note. Und dabei zeigt
es sich, wie stark die innere Bindung gerade auch
der niedersächsischen Künstler an diese Kunstauf-
fassung ist. Was Künstler wie Ernst Thoms und
Bernhard Doerries seit Jahren versucht haben,
was Wilhelm Horchler und Erich Warweg neuer-
dings versuchen, geht dieselben Wege einer über
den äußeren Eindruck hinausdringenden, vertie-
fenden Gestaltung, begreift das Bild als Sinn-
bild und nicht bloß als Abbild. Und auch andere
hannoversche Künstler — Seiffert-Wattenberg —
geben sich in neuer Umgebung, als Nachbarn etwa
von Otto Herbig oder Hermann Tender in ihrer
gepflegten Farbigkeit als starke Kräfte des Male-
rischen zu erkennen.
Natürlich herrscht auch in dieser Ausstellung
noch das Bild eines bunten Vielerlei der An-
schauungen vor, aber in den besten Sälen klingt
ein neuer Ton einer künstlerischen Gemeinschaft
auf, von der wir Gutes und Fortwirkendes er-
hoffen dürfen. L. V.
„Die Kunst im Dritten Reich"
Vortrag des Präsidenten der Reichs-
kunstkammer
Im Festsaal des Münchener Künstlerhauses sprach vor
überfülltem Haus der Präsident der Reichskammer der bilden-
den Künste, Prof. Eugen Hönig, über das Thema: „Die
Kunst im Dritten Reich".
Prof. Hönig setzte sich im Laufe seiner Ausführungen mit
lerischen Willen, Fortschritte der Kunst aufzuweisen hätten.
In der Zahl- und Wahllosigkeit der heutigen Aus-
stellungen sei eine große Gefahr zu erblicken. E r n st
und Stille seien die Voraussetzungen
für abgeklärte Kulturlei ft ungen, nicht
Betriebsamkeit. Der Vortragende gab dann An-
regungen für Gemeinschafts- und Eruppenausstellungen und
forderte eine zeitgemäße Verlebendigung der Bestände der
Museen und Kunstsammlungen. Fr.
Ernst Thoms
Unter den jungen Malern, die auf den Aus-
stellungen der letzten Monate die Aufmerksamkeit
auf sich lenkten, fällt der Hannoveraner Ernst
Thoms durch farbig zart abgestimmte Landschafts-
schilderungen aus, die konsequent und eigenwillig
den Naturalismus mit den Farberfahrungen des
Expressionismus weiterführen. Die Vorliebe für
östliche Typen und schwermütige Stimmungen, die
sich auch in den durch ihre schlichte Auffassung be-
sonders ansprechenden Bildnissen und den schwer-
gefügten Stilleben bemerkbar macht, scheint auf
das väterliche Erbteil des westpreußischen Blutes
zurückzuführen zu sein. Der vorherrschende Cha-
rakterzug in seinen Darstellungen spricht sich als
ein Gefühl aus, das in lyrischem Widerklang mit
den Dingen dieser Erde, mit Gras, Gewächs,
Strauch und Baumwerk, zu Stimmungen gelangt,
die das Atmosphärische des Naturgeschehens in
Zügen einfangen, denen etwas Verhaltenes,
Schwebendes eigen ist. Keine Steigerung, manch-
mal ein Abgleiten ins allzu Poetisch Gestimmte,
aber immer von einem Ernst beseelt, der auch
diesen leichter wiegenden Stücken noch eine Reso-
nanz verleiht, die aufmerken läßt. Feuchte Wiesen,
verlorene Gegenden an felsigem Meeresstrand,
dunkle Wälder, Tiere, die in hohem Grase weiden,
empfangen bei diesem blonden Autodidakten etwas
von seinem schwerblütigen Wesen, das bereit ist,
sich die Welt, die für ihn oft Last und Druck und
selten Beglückung und Freude ist, stets von neuem
zu erobern. Das stempelt seine herbe, nieder-
deutsche Art zu einem Malerschicksal, wie es in
unseren Zeiten nicht allzu selten sein mag, das
Ernst Thoms, Landschaft mit Kühen
Entschiedenheit für Solidarität unter den Künstlern
und im Kunstleben ein. Es sei immer wieder festzustellen,
daß Pfuscher und ungeeignete Elemente den Künstlern das
Brot nehmen, daß mit verwerflichen Mitteln Werbungen be-
trieben werden, daß die an sich schon gering vorhandenen
Erwerbsmöglichkeiten der Künstler durch massen-
haft vertriebenen Kitsch versperrt werden. Diese Schädigung
entfalle auf das Konto mancher gewissenlosen sogenannten
Kunsthändler.
Die Arbeitsbeschaffung sei das wichtigste Problem des
gegenwärtigen Kunstlebens. Der Künstler müsse seine
Isolierung im Atelier aufgeben, die Bindungslosigkeit der
einzelnen Künste unserer Zeit und der vergangenen Jahr-
zehnte könne durch neue Bindungen der Malerei
und Plastik andieArchitektur aufgehoben wer-
den. Nur durch in dieser Richtung gehende Initiativen sei
allmähliche Gesundung des Berufsstandes möglich.
Zur Frage der Ausstellungen erklärte Prof.
Hönig, die Kunst der Vergangenheit möge von Kunstgelehrten
gepflegt werden, die Ausstellung lebender, d. h. zeit-
genössischer Künstler solle grundsätzlich von den Künstlern
selbst veranstaltet werden. Kunstausstellungen seien keine
Stapelschau von Werken, Kunstausstellungen seien nur dann
berechtigt, wenn sie wirklich etwas Neues, starken künst-
Menzel-Anekdoten
Als Menzel den hohen Orden vom Schwarzen Adler
erhalten hatte, mußte der neue Ritter natürlich im noblen
Ornat photographiert werden. Auf dem Bilde stand Seine
Exzellenz neben einem großen Stuhl, und auf diesem sein
Zylinderhut. Als er gefragt wurde, warum gerade dieser
Hut dort stände, ob er ihn mit besonderer Absicht aufgestellt
habe, sagte Menzel sehr ernst: „Gewiß habe ich dies absicht-
lich angeordnet, denn die hohen Orden bekommen nur ge-
krönte Häupter, Fürsten oder hohe Militärs. Mit dem
schwarzen Zylinderhut wollte ich andeuten, daß ich ein ein-
facher Bürger bin."
*
Im „Verein Berliner Künstler" wurde diese Ehrung mit
einem Festbankett gefeiert, wobei der 83jährige eine seiner
Ansprachen hielt, deren Geist nur denjenigen zugänglich
wurde, die unmittelbar neben dem Redner standen. Menzel,
der den schlesischen Akzent nie ganz ablegte, sprach mit nicht
lauter Stimme gerade vor sich hin in seinen Teller. Zunächst
danke er Anton von Werner, der außer ihm allein noch die
„Branche" der Historienmaler vertrete. Das Weitere ging,
immer leiser murrend und knurrend, in das große Hörrohr
des ihm zunächst sitzenden schwerhörigen Bildhauers Herler,
der dann fast noch als einziger von allen ihn zu verstehen
vermochte. Schließlich schüttelten sich bei einem Witz, den
Menzel machte, nur noch der Redner und der halbtaube
Bildhauer vor Lachen, während sonst kein Mensch mehr
etwas verstand.
aber durch die Inbrunst des Fühlens und den
Ernst des Strebens Achtung und Anerkennung
beansprucht, die jungen Künstlern heute nicht so
ohne weiteres in den Schoß fallen. vrlc.
Dreimal moderne Musik -
Dreierlei moderne Musik
Die Städtische Oper in Berlin hat trotz der
intendantenlosen, der schrecklichen Zeit (wann und
wie wird Wohl das Interregnum dort seine Lö-
sung finden?) mit der Erstaufführung von
P. v. Klenaus Oper „Michael Kohlhaas" eine
künstlerische Großtat vollbracht, die aller Ehren
wert ist. Paul v. Klenau, jetzt etwa 50 Jahre alt,
gehört seiner künstlerischen Grundhaltung nach
durchaus der Vorkriegsgeneration an. Über-
raschend ist nun, zu hören, mit welchem hohen künst-
lerischen Ernst sich der Komponist in diesem Werk
mit den Problemen der modernen Musik ausein-
andergesetzt hat. Klenau sagt selbst:
„Meine Musik ist modern, zum Teil sehr
polyphon und kompliziert. Mit unerbittlicher
Konsequenz habe ich meine theoretischen Prin-
zipien durchgesührt. Ich bin der Ansicht, daß eine
historische klassizistische Kunst in einer so revolu-
tionären Zeit, wie der unsrigen, nicht am Platze
ist. Die Kunst ist Ausdruck der Zeit, und eine
revolutionäre Zeit schreit nach revolutionärer
Musik. Niemals lausen die Wege, die zu lebens-
fähiger Kunst führen, rückw ärts —Alles, was
nach Form ringt, hat Bezug aus das Ewig-
Menschliche! In allen großen Werken der Kunst
finden wir das Ringen um ein reines Menschen-
tum. Aber die Sprache der Kunst ist immer
neu! Jede Generation hat versucht, neue Töne zu
finden, denn nur dann, wenn der Künstler mit
dem Material ringt, findet er den eigenen, leben-
digen Ausdruck für eine tiefe, überzeitliche Lebens-
erfüllung."
So sehr wir das ehrliche Wollen Klenaus an-
erkennen: einem so gigantischen Stoss wie dem
Kleistschen Kohlhaas gegenüber reicht seine schöpfe-
5
Erich Heckel, Landungsbrücke. Ausstellung im Kunstvcrein Hannover
Verwaltung, wo er fünfmal Mitglied des Rates
und zweimal Bürgermeister war.' So mußte er
den Betrieb seiner Kunst mehr und mehr unter-
geordneten Hilfskräften überlassen. Wir wissen
eitriges von seinen Söhnen Hans und Lucas dem
jüngeren, der nach dem Tode des Vaters dessen
Atelier unter dem Schlangenzeichen fortführte,
aber sonst kaum etwas von den zahlreichen anderen
Schülern, die den Cranachstil bis nach Lübeck und
Königsberg hin verbreitet haben.
Führte er selbst den Pinsel — und er vermochte
es, wie das Selbstbildnis in Florenz beweist, bis in
sein spätestes Alter —, gibt dieser manchmal etwas
profane, aber nicht eigentlich nüchterne, immer
wirklichkeits-besessene und mit den apartesten
Mitteln des Farbentones schaffende Schilderer der
fürstlichen und bürgerlichen Gesellschaft der Re-
sormationszeit Akkorde des Farbigen, die an die
Glut gotischer Glasmalerei gemahnen. Gewiß
ging es auch bei ihm, der begehrtester Bilder-
lieferant des ganzen protestantischen Nordens ge-
worden war, nicht ohne formale Wiederholungen.
Mitunter gerät die markige, charaktervolle, dabei
meist emailleartig saubere Behandlung in den
Kompositionen, den Köpfen, deren meisterhaftes
Gefüge oft an Holbein denken läßt, in den wunder-
vollen kleinen weiblichen Akten, die als Dianen,
Nymphen usw. meist nur wenig bewegt vor
krausem Waldgebüsch oder auf schimmernden
Wiesengründen stehen, etwas ins Schematische.
Aber noch in solchen Zeugnissen triumphieren, sei
es in den durchsichtigen, dunstigen Fernere des
Himmels oder in dem sprießenden Gewebe von
Blattwerk und Vegetation die unerhört künst-
lerischen Mittel, über die Cranach gebot. Und
wenn er in Jagddarstellungen oder anderen Ab-
schildereien Wiesenflächen und Waldesdunkel wie-
dergibt, ist es, als wolle er sich im malerischen
Nachfühlen all dieser von ihm geschauten Köstlich-
keiten, einem Nachfühlen, das noch heute so ur-
sprünglich wie am ersten Tage wirkt, für vieles
ihm in der Komposition reizlos Erscheinende oder
unvollkommen Gelungene entschädigen.
Viel von dem, was uns in Cranachs Werk
etwas fremdartig anmntet, erklärt sich aus den
Bestellungen und der Kultur seiner Umgebung.
Aber mag in der Kunst des eifervollen, glauben-
starken Mannes der eines Dürer oder Holbein
gegenüber manches zeitgebunden erscheinen, dafür
spricht sie auch stärker und vernehmlicher als diese
den Pnlsschlag ihrer Zeit aus. Sie verlief auch in
dem entlegenen Erdenwinkel, in dem Cranach
lebte, nicht ohne Stürme. Karl V. schlug den
sächsischen Kurfürsten bei Mühlberg und führte
ihn gefangen zum Augsburger Reichstag. Tizian,
der dort den Kaiser malt, läßt sich von ihm den
Holzschlag an der Drau und eine Pfründe für
seinen Sohn sichern, und man rühmt ihm zu Hause
nach, er sei „arm wie ein Maler gegangen und
reich wie ein Fürst heimgekehrt". Cranach, der
seinem Landesherrn in die Gefangenschaft folgt,
trifft den Kaiser im Lager von Wittenberg. Dem
fällt dabei sein eigenes Bild als Knabe ein, das
der Meister vor vierzig Jahren in den Nieder-
landen von ihm ge-
malt. „Schildert
mir, was ich da-
mals für ein
Bursch war!" Und
Cranach: „Euer
Majestät waren
acht Jahre alt, als
der Kaiser Maxi-
milian Sie bei der
Hand nahm und
die Huldigung der
Brabanter Staaten
empfing. Es war
ein Lehrer von
Ihnen; als er Sie
unruhig sah, sagte
er mir, Eisen und
Stahl würden Ihre
Aufmerksamkeit
besonders fesseln.
Ich bat ihn darauf,
einen Speer gegen
die Wand zu legen,
daß die Spitze sich
gegen Eure Maje-
stät wendete, und
Eurer Majestät
Auge bleiben dar-
auf gerichtet, bis
ich das Bild voll-
endet." Diese Ant-
wort befriedigte
den sonst mißlaunigen Sieger so, daß er dem
Maler eine Bitte verstattete — und der bittet für
seinen gefangenen Herrn. Zwei Jahre später, nach-
dem Cranach noch Tizian in Augsburg porträtiert
hatte, kehrten sie in das sächsische Land zurück, wo
der Maler in dem noch erhaltenen Haus zu Wei-
mar am Markt seine letzten Tage verbrachte. Weit
hinter ihm lagen die Jugendjahre, deren künst-
lerischer Ertrag erst von der Forschung der letzten
Zeit einigermaßen erhellt worden ist. Sie stellen
ihn, so spärlich wie sie auch auf uns gekommen
sein mögen, auf die gleiche Höhe mit den Größten
seiner Zeit. Es sind Landschaftsschilderungen und
Bildnisse, mit denen nur wenige Werke deutscher
Kunst sich vergleichen lassen. Dliorwulä
Frühjahrsausstellung
im Kunstverein Hannover
Die diesjährige Frühjahrsausstellung des
Kunstvereins Hannover trägt bereits die Nr. 102.
Uber hundert Jahre lang ist hier alljährlich dem
deutschen Kunstschaffen Gelegenheit gegeben wor-
den, zum Beschauer zu sprechen. Kaum je aber
ist Wohl einer Ausstellung mit solchen Erwar-
tungen begegnet worden wie der dieses Jahres;
mußte nicht eine ganz neue Zielsetzung der deut-
schen Kunst in ihr zu erkennen sein, wenn anders
die Kunst nicht stumm geblieben ist vor den um-
wälzenden Ereignissen des letzten Jahres? Der
Besucher der Ausstellung findet in der Tat einen
neuen Ton, eine Einstimmung auf Werke einer
innigen Welt- und Naturerscheinung, wie sie auch
in Hannover und in Niedersachsen gepflegt wor-
den ist. Aber etwas umstürzend Neues darf man
nicht erwarten, und kann es auch nicht, will man
nicht der Kunst die Möglichkeit eines neuen, orga-
nischen Werdens abschneiden. Mit einer neuen
flüchtigen Mode ist uns ja nicht gedient, sondern
nur mit einer neuen Kunstgesinnung, die sich
nicht herbeikommandieren läßt, sondern langsam
von unten herauf wachsen muß. Ebensowenig
ist ja das Problem Kunst und Volk damit gelöst,
daß man Volksmassen in die Ausstellungen hin-
einkommandiert.
Dasselbe gilt von neuen Formen der Kunst-
ausstellung, die ebenfalls nicht organisiert wer-
den können, sondern sich organisch entwickeln
müssen. Das Streben auch des Kunstvereins
Hannover geht dahin, von der Aneinanderreihung
einzelner Kunstwerke abzukommen und in den
Ausstellungen die verschiedenen künstlerischen
Ausdrucksformen — Raumkunst, Gebrauchskunst,
bildende Kunst — in ihrem Zusammenwirken zu
zeigen. Aber noch sind wir nicht so weit. Des-
halb hat die neue hannoversche Ausstellung in
ihrem äußeren Aufbau noch das alte Gesicht,
wenn auch der Rahmen durch eine Schau von
Entwürfen Tessenows und Schmitthenners er-
weitert worden ist. Aber das, was ausgestellt
Ernst Thoms, Stilleben
Wird, ist an einem strengen Leistungsbegriff ge-
prüft worden. So sind eine Reihe geschlossen
wirkender Säle zustandegekommen, die Wesent-
liches für den Stand unseres Kunstschaffens er-
kennen lassen.
Zum ersten Male tritt in dieser Frühjahrs-
ausstellung jener Kreis von Schaffenden deutlich
hervor, die anknüpfend an die Romantik eine
tiefere Naturanschauung mitbringen, als sie den
versachlichenden Künstlern der letzten Jahre eigen
war; denen die Natur mehr als eine Sache, ein
Malobjekt, nämlich ein innerer Besitz, ein Ge-
mütswert ist. Ich meine Künstler wie Schrimpf,
Lenk, Weidemann, Ernst Böhm. Sie geben der
Ausstellung die eigentliche Note. Und dabei zeigt
es sich, wie stark die innere Bindung gerade auch
der niedersächsischen Künstler an diese Kunstauf-
fassung ist. Was Künstler wie Ernst Thoms und
Bernhard Doerries seit Jahren versucht haben,
was Wilhelm Horchler und Erich Warweg neuer-
dings versuchen, geht dieselben Wege einer über
den äußeren Eindruck hinausdringenden, vertie-
fenden Gestaltung, begreift das Bild als Sinn-
bild und nicht bloß als Abbild. Und auch andere
hannoversche Künstler — Seiffert-Wattenberg —
geben sich in neuer Umgebung, als Nachbarn etwa
von Otto Herbig oder Hermann Tender in ihrer
gepflegten Farbigkeit als starke Kräfte des Male-
rischen zu erkennen.
Natürlich herrscht auch in dieser Ausstellung
noch das Bild eines bunten Vielerlei der An-
schauungen vor, aber in den besten Sälen klingt
ein neuer Ton einer künstlerischen Gemeinschaft
auf, von der wir Gutes und Fortwirkendes er-
hoffen dürfen. L. V.
„Die Kunst im Dritten Reich"
Vortrag des Präsidenten der Reichs-
kunstkammer
Im Festsaal des Münchener Künstlerhauses sprach vor
überfülltem Haus der Präsident der Reichskammer der bilden-
den Künste, Prof. Eugen Hönig, über das Thema: „Die
Kunst im Dritten Reich".
Prof. Hönig setzte sich im Laufe seiner Ausführungen mit
lerischen Willen, Fortschritte der Kunst aufzuweisen hätten.
In der Zahl- und Wahllosigkeit der heutigen Aus-
stellungen sei eine große Gefahr zu erblicken. E r n st
und Stille seien die Voraussetzungen
für abgeklärte Kulturlei ft ungen, nicht
Betriebsamkeit. Der Vortragende gab dann An-
regungen für Gemeinschafts- und Eruppenausstellungen und
forderte eine zeitgemäße Verlebendigung der Bestände der
Museen und Kunstsammlungen. Fr.
Ernst Thoms
Unter den jungen Malern, die auf den Aus-
stellungen der letzten Monate die Aufmerksamkeit
auf sich lenkten, fällt der Hannoveraner Ernst
Thoms durch farbig zart abgestimmte Landschafts-
schilderungen aus, die konsequent und eigenwillig
den Naturalismus mit den Farberfahrungen des
Expressionismus weiterführen. Die Vorliebe für
östliche Typen und schwermütige Stimmungen, die
sich auch in den durch ihre schlichte Auffassung be-
sonders ansprechenden Bildnissen und den schwer-
gefügten Stilleben bemerkbar macht, scheint auf
das väterliche Erbteil des westpreußischen Blutes
zurückzuführen zu sein. Der vorherrschende Cha-
rakterzug in seinen Darstellungen spricht sich als
ein Gefühl aus, das in lyrischem Widerklang mit
den Dingen dieser Erde, mit Gras, Gewächs,
Strauch und Baumwerk, zu Stimmungen gelangt,
die das Atmosphärische des Naturgeschehens in
Zügen einfangen, denen etwas Verhaltenes,
Schwebendes eigen ist. Keine Steigerung, manch-
mal ein Abgleiten ins allzu Poetisch Gestimmte,
aber immer von einem Ernst beseelt, der auch
diesen leichter wiegenden Stücken noch eine Reso-
nanz verleiht, die aufmerken läßt. Feuchte Wiesen,
verlorene Gegenden an felsigem Meeresstrand,
dunkle Wälder, Tiere, die in hohem Grase weiden,
empfangen bei diesem blonden Autodidakten etwas
von seinem schwerblütigen Wesen, das bereit ist,
sich die Welt, die für ihn oft Last und Druck und
selten Beglückung und Freude ist, stets von neuem
zu erobern. Das stempelt seine herbe, nieder-
deutsche Art zu einem Malerschicksal, wie es in
unseren Zeiten nicht allzu selten sein mag, das
Ernst Thoms, Landschaft mit Kühen
Entschiedenheit für Solidarität unter den Künstlern
und im Kunstleben ein. Es sei immer wieder festzustellen,
daß Pfuscher und ungeeignete Elemente den Künstlern das
Brot nehmen, daß mit verwerflichen Mitteln Werbungen be-
trieben werden, daß die an sich schon gering vorhandenen
Erwerbsmöglichkeiten der Künstler durch massen-
haft vertriebenen Kitsch versperrt werden. Diese Schädigung
entfalle auf das Konto mancher gewissenlosen sogenannten
Kunsthändler.
Die Arbeitsbeschaffung sei das wichtigste Problem des
gegenwärtigen Kunstlebens. Der Künstler müsse seine
Isolierung im Atelier aufgeben, die Bindungslosigkeit der
einzelnen Künste unserer Zeit und der vergangenen Jahr-
zehnte könne durch neue Bindungen der Malerei
und Plastik andieArchitektur aufgehoben wer-
den. Nur durch in dieser Richtung gehende Initiativen sei
allmähliche Gesundung des Berufsstandes möglich.
Zur Frage der Ausstellungen erklärte Prof.
Hönig, die Kunst der Vergangenheit möge von Kunstgelehrten
gepflegt werden, die Ausstellung lebender, d. h. zeit-
genössischer Künstler solle grundsätzlich von den Künstlern
selbst veranstaltet werden. Kunstausstellungen seien keine
Stapelschau von Werken, Kunstausstellungen seien nur dann
berechtigt, wenn sie wirklich etwas Neues, starken künst-
Menzel-Anekdoten
Als Menzel den hohen Orden vom Schwarzen Adler
erhalten hatte, mußte der neue Ritter natürlich im noblen
Ornat photographiert werden. Auf dem Bilde stand Seine
Exzellenz neben einem großen Stuhl, und auf diesem sein
Zylinderhut. Als er gefragt wurde, warum gerade dieser
Hut dort stände, ob er ihn mit besonderer Absicht aufgestellt
habe, sagte Menzel sehr ernst: „Gewiß habe ich dies absicht-
lich angeordnet, denn die hohen Orden bekommen nur ge-
krönte Häupter, Fürsten oder hohe Militärs. Mit dem
schwarzen Zylinderhut wollte ich andeuten, daß ich ein ein-
facher Bürger bin."
*
Im „Verein Berliner Künstler" wurde diese Ehrung mit
einem Festbankett gefeiert, wobei der 83jährige eine seiner
Ansprachen hielt, deren Geist nur denjenigen zugänglich
wurde, die unmittelbar neben dem Redner standen. Menzel,
der den schlesischen Akzent nie ganz ablegte, sprach mit nicht
lauter Stimme gerade vor sich hin in seinen Teller. Zunächst
danke er Anton von Werner, der außer ihm allein noch die
„Branche" der Historienmaler vertrete. Das Weitere ging,
immer leiser murrend und knurrend, in das große Hörrohr
des ihm zunächst sitzenden schwerhörigen Bildhauers Herler,
der dann fast noch als einziger von allen ihn zu verstehen
vermochte. Schließlich schüttelten sich bei einem Witz, den
Menzel machte, nur noch der Redner und der halbtaube
Bildhauer vor Lachen, während sonst kein Mensch mehr
etwas verstand.
aber durch die Inbrunst des Fühlens und den
Ernst des Strebens Achtung und Anerkennung
beansprucht, die jungen Künstlern heute nicht so
ohne weiteres in den Schoß fallen. vrlc.
Dreimal moderne Musik -
Dreierlei moderne Musik
Die Städtische Oper in Berlin hat trotz der
intendantenlosen, der schrecklichen Zeit (wann und
wie wird Wohl das Interregnum dort seine Lö-
sung finden?) mit der Erstaufführung von
P. v. Klenaus Oper „Michael Kohlhaas" eine
künstlerische Großtat vollbracht, die aller Ehren
wert ist. Paul v. Klenau, jetzt etwa 50 Jahre alt,
gehört seiner künstlerischen Grundhaltung nach
durchaus der Vorkriegsgeneration an. Über-
raschend ist nun, zu hören, mit welchem hohen künst-
lerischen Ernst sich der Komponist in diesem Werk
mit den Problemen der modernen Musik ausein-
andergesetzt hat. Klenau sagt selbst:
„Meine Musik ist modern, zum Teil sehr
polyphon und kompliziert. Mit unerbittlicher
Konsequenz habe ich meine theoretischen Prin-
zipien durchgesührt. Ich bin der Ansicht, daß eine
historische klassizistische Kunst in einer so revolu-
tionären Zeit, wie der unsrigen, nicht am Platze
ist. Die Kunst ist Ausdruck der Zeit, und eine
revolutionäre Zeit schreit nach revolutionärer
Musik. Niemals lausen die Wege, die zu lebens-
fähiger Kunst führen, rückw ärts —Alles, was
nach Form ringt, hat Bezug aus das Ewig-
Menschliche! In allen großen Werken der Kunst
finden wir das Ringen um ein reines Menschen-
tum. Aber die Sprache der Kunst ist immer
neu! Jede Generation hat versucht, neue Töne zu
finden, denn nur dann, wenn der Künstler mit
dem Material ringt, findet er den eigenen, leben-
digen Ausdruck für eine tiefe, überzeitliche Lebens-
erfüllung."
So sehr wir das ehrliche Wollen Klenaus an-
erkennen: einem so gigantischen Stoss wie dem
Kleistschen Kohlhaas gegenüber reicht seine schöpfe-