4
Kunst der Nation
Paula Modersohn-Vecker, Kind mit Katze. Sammlung Borst, Stuttgart
eine leidenschaftliche Na-
tur. Ihre Freundschaften
erlebte sie wie Tragödien.
Als Klara Westhoff,
die sie in weißem Kleid,
Kopf, ein Stück Hand
und eine rote Rose Por-
trätierte, im selben Ort
den Dichter Rilke hei-
ratete, heißt es: „Ich
scheine zu ihrem Leben
nicht mehr zu gehören.
Daran muß ich mich erst
gewöhnen. Ich sehne mich
eigentlich danach, daß sie
noch zu meinem gehöre, es
war schön mit ihr." Eine
Tagebuchstelle bekennt:
„Es ist meine Erfahrung,
daß die Ehe nicht glück-
licher macht. Sie nimmt
die Illusion, die vorher
das ganze Wesen trug, daß
es eine Schwesternseele
gäbe. Man fühlt in der
Ehe doppelt das Unver-
standensein, weil das
frühere Leben darauf hin-
ausgillg, ein Wesen zu
finden, das versteht. Und
ist es vielleicht nicht doch
besser, ohne dieseJllusion,
Äug'in Auge einer großen,
einsamen Wahrheit?"
Sie flüchtet nach Paris,
sich das stille, ihr zu eng
gewordene Worpswede,
von dem sie doch nicht los-
kommen sollte, durch die
kritische Brille anzusehen.
Inmitten der Leichtigkeit
der Weltstadt, die „Esprit
in ungeheuerlichen Quan-
titäten" gab, erlebte sie,
besonders nachdem sie in
dem Ehepaar Hoetger treue
und fördernde Freunde
gefunden hatte, noch ein-
mal gute Tage, selig in den:
Bewußtsein, es in ihrer
Alten aus dem Armenhaus und der Säuglinge
auf gewürfeltem Bettzeug oder an der Brust der
Mütter, der Kinder mit Katzen, die Stilleben mit
ihren Blumen, Tomaten, Zitronen, Näpfen und
Töpfen, diese unbefangenen Selbstbildnisse, einige
Akte und sehr wenig Landschaftliches, war der
Erfolg groß. Er löste jedoch auch Widerspruch
aus, der den Ruf all dieser farbig ungemein in-
tensiven und sich in ihrer einfachen Komposition
mit schlichter Monumentalität ausdrückenden
Stücke, die vielen als große Malerei, früheste und
stärkste Vorbereitung des Expressionismus erschien,
auf die suggestive Wirkung ihrer Briefe zurück-
fuhrte. Vielleicht kann, worauf auch einige sehr
MlkeOZeäMungen Yindeuten, der Meinung recht
gegeben werden, Paula Modersohn hätte, eben
weil ihre Kunst ganz aus der Tiefe kam, sehr
lange ^eit gebraucht, um zur Reise und Fülle zu
gelangen. Nicht immer geht ihre Bildsorm dem
Betrachter leicht ein, sie hatte eine etwas schwere
Hand, und manchmal erscheint ihre Malweise
schwerfällig, mit Resten behaftet, die an ein Nicht-
können im akademischen Sinn rühren. Das war
aber anch ein Nichtanderskönnen, weil sie — und
das ist ihre größte Stärke und das besondere nord-
deutsche Wesenselement ihrer Kunstweise — ohne
Intellekt aus dem Seelischen heraus schuf, das
auch ihre Niederschriften durchdringt und die male-
rischen Werke selbst dort adelt, wo ihre Form-
sprache, die immer schweres Ringen und niemals
leichtes Hinströmen gewesen ist, ihren Gesichten
nicht Folge zu leisten vermag.
Es hat zu ihren Lebzeiten geschicktere und
interessantere Künstler gegeben, was weder gegen
sie, noch gegen ihr Schassen spricht, das dem seiner
Zeit immerhin soweit voraus eilte, um die ein-
zige noch von ihr veranlaßte Ausstellung in der
Kunsthalle zu Bremen zu einem eklatanten Miß-
erfolg auswachsen zu lassen. Sie blieb instinkt-
sicher und hatte ein untrügliches Gefühl für ihren
Wert und malte trotz mancher empfangenen, mit
übergroßer Dankbarkeit aufgenommenen An-
regungen, als ob niemand vor ihr gemalt hätte.
Zuspruch kam Wohl seltener als Verwunderung.
Auch nachträglich hat man ihr noch einiges an-
gehängt. Ein Zünftiger bezeichnete ihre Werke
als „gemalten Schrei nach dem Kinde" und sie
selbst als „Tante des Expressionismus". Aber
selbst maßvollere Beurteilungen, wie die, daß sie
versucht hätte, Gauguin irr die Moorlandschaft bei
Bremen zu verlegen, muten heute schon ein wenig
verstaubt an. Gewiß hat sie ihre Lernzeit in
Paris gut genutzt, einiges angenommen und viel
gesehen. Ihrer Eigenart hat dies ebensowenig
geschadet, wie die Stimmungslandschafterei ihrer
malenden Genossen am Weyersberg, deren Gren-
zen sie dann recht bald erkannte. Zuletzt lag in
der Art dieser Wegbereiterin, die mit inbrünstigem
Gefühl das Pflanzenhafte, Gewachsene ihrer an
Erde und Luft, Baum und Strauch verhaftet ge-
bliebenen, aus großen Augen blickenden Menschen
gestaltete, die Kinder in der unbeholfenen Starr-
heit des Puppenhaften malte, eine Triebhaftigkeit
und Intensität, die bei allem Abstand in der
Energie der reinmalerischen Mittel an Nolde
gemahnt.
Es gibt Bilder, denen bei aller Sprödigkeit ein
so seltsam reizvoller Ausdruck eignet, daß man
nicht mehr loskommt und sie lieben muß mit einer
Liebe, die dennoch nicht Überschätzung ist, sondern
Erkenntnis sein kann. Und Menschen, besonders
frühvollendete, geben manchmal ein Echo, das un-
endliche Sehnsucht weckt. Sie mögen, wenn sie
Konzessionen und Kompromissen abgeneigt waren,
ihrer Umwelt gegenüber nicht allzu bequem ge-
wesen sein. Paula Becker, Tochter eines Beamten,
die über einige Umwege zur Kunst kam und in
der Folge Gefährtin des Malers Modersohn
wurde, war bei innerlicher und äußerlicher Ruhe
Malerei weiter zu bringen.
Aber manchmal mochten ihr auch Tränen in die
Augen kommen, dachte sie an Worpswede, einst-
mals vor stillem Glück, solch eine Heimat zu
haben. Sie war nun nicht mehr das junge, lebens-
hungrige, doch nachdenkliche Mädchen, das aus
Berlin nach dem Besuch eines Lustspiels ge-
schrieben hatte: „Das Haus brüllt. Ich knöpfe
mich innerlich einen Knopf höher zu und fühle
mich im Augenblick der Menschheit sehr fremd.
Ich fand sie alle so scheußlich um mich herum, daß
ich gar nicht nachdenken mochte." Und nach einem
Streit in der Schule: „Weiber! Weiber! . . .
Teils sind sie fein und groß. Und dann wieder
solch kleines Pack!" Ihre äußere Welt wird ge-
rade in der großen Stadt enger,'aber ihr'NnstO
lerisches Vermögen wächst, um dessen willen sie
sich auch nicht scheut, einseitig und egoistisch zu er-
scheinen: „Nach Kraft ringen! Das klingt alles
so dramatisch. Man tut eben, was man kann, und
legt sich dann schlafen. Und auf diese Weise ge-
schieht es, daß man eines Tages etwas geleistet
hat. — Schuld oder Nichtschuld. Man ist eben so
gut oder so schlecht, wie man ist. Das Herum-
doktern an sich hat wenig Zweck. Man gehe ge-
rade und einfach seinen Weg. Ich halte mich für
gut von Natur und sollte ich dann und wann
etwas Schlechtes tun, so ist das auch natürlich. —
Die Hauptsache ist, daß jeder einheitlich denkt mit
seinem ganzen Optimismus."
Als sie dann nach Worpswede und zu ihrem
Gatten zurückgekehrt war, schrieb sie an Hoetger:
„Ich wollte den Impressionismus nur besiegen,
indem ich ihn zu vergessen suchte. Dadurch wurde
ich besiegt. Mit dem verarbeiteten, verdauten
Impressionismus müssen wir arbeiten."
Und nun war sie auch so weit, um — wie sie
sich ausgedrückt hat — mit „Runenschrift zu
schreiben". Viel Zeit war ihr nicht mehr ver-
gönnt; doch bevor sie dahinging, entstand noch ein
Malwerk, das den Sinn und die Bedeutung der
Dinge in einfachen, ganz groß gesehenen und auf-
gebauten Formen gab; Bilder, die das konkret
Erschaute niemals umbiegen, aber fern aller
naturalistischen Oberfläche bleiben.
1 ü o r xv u 1 ck
Stil?
Von
Otto-Andreas Schreiber
Wir begrüßen die futuristische Ausstellung am
Lützowufer in Berlin nicht etwa als wegweisend
und welterschütternd, sondern als erfreuliches
Zeugnis für die Vielseitigkeit
künstlerischer Bestrebungen und für
die Berechtigung dieser Vielseitig-
keit. Es ist nicht notwendig, zu betonen, die
Ausstellung „beabsichtige" keinen Einfluß auf die
deutsche Malerei auszuüben, die Ausstellung ver-
mag es vielmehr nicht, da vor zwanzig Jahren
die deutschen Expressionisten weitaus tiefer uud
gründlicher in der Richtung der Neueroberung
künstlerischer Grundelemente vorgestoßen sind und
zugleich dem nordischen Menschentum neue Mög-
lichkeiten eröffneten. Es soll nicht geleugnet wer-
den, daß der Faschismus den Futurismus über
formale Errungenschaften hinaus auch ein neues
Menschentum propagieren läßt. Nur ist dieses
Menschentum zu sehr romanischer Prägung, als
daß es uns Nordländern zugänglich wäre.
Die geistige Fruchtbarkeit der nordischen Rasse
erweist sich gerade an diesem Vergleich. Während
die deutschen Maler nämlich die Werte des Ex-
pressionismus ausgenommen haben, anwenden
und organisch weiterentwickeln, nicht als
Stil, sondern als Erfahr ungs- und
B e k e n n t n i s g u t, erklärt sich der italienische
Futurismus als sakrosankt und als Stil mit Aus-
schließlichkeitsgeltung. Anstatt die V i e l f a l t der
Methoden anzuerkennen, alle Methoden aber als
sekundär zu betrachten und die Augen vielmehr
auf das Kernproblem der Malerei, die Qualität,
gerichtet zu halten, sucht der Futurismus eine
Methode malerischer Realisierung zu verbreiten,
ja, zur Herrschaft zu bringen. Der Futurismus
denkt und führt das Gedachte konsequent durch, er
malt die wohlbegründete Philosophie der
Aeropittura, findet neue Kategorien (wie die
„Simultaneitü"). Er legt sich auf Motive fest und
lehnt „Früchte und Gemüse auf Schüsseln gehäuft,
Wein- und Bierflaschen danebengestellt und dann
noch einen toten Hasen oder eine Pute" sowie
„nackte Frauen" als Motive ab.
Demgegenüber stellen wir fest, daß Fläche,
Farbe, Anschauung (innere und äußere) d i e
Kategorien der Malerei bleiben. Ferner daß prin-
zipielle Ablehnung von Motiven ein unkünst-
lerisches Unternehmen ist. Motive altern nicht
und pflegen nur immer die Schuld zu erhalten,
wenn die Malkraft versagt. Es ist nicht aus-
geschlossen, daß ein „Stilleben" oder eine „nackte
Frau" trotz aller Manifeste doch die größte künst-
lerische Leistung unseres Jahrhunderts sein
könnte!
Es gilt ja letzten Endes nicht, „Eindrücke" —
ob reguläre oder irreguläre — zu verwirklichen,
wir wollen etwas viel Wesent-
licheres verwirklichen: unsere
Empfindungen und inneren Ge-
sichte, unseren Charakter, unsere
„Weltanschauung" und Persönlich-
keit! Macht man aber Äußerlichkeiten der
Malerei lehrbar, so schasst man einen neuen
Akademismus, der sich im wesentlichen keineswegs
von einem Akademismus vollbartumrauschter
Klassizisten unterscheidet.
Wir können in der Festlegung (bewußten oder
unbewußten) auf einen „Stil" nichts dem Fort-
schritt der Malerei Dienendes finden. Stil wird
immer da sein. Auch unsere Zeit wird einheit-
liche Merkmale ausweisen, auch unsere Malerei
wird Eigenarten in der Verteilung von Kompo-
sition, Technik, Motiv usw., Besonderheiten der
Empfindungswelt, von vielen Malern gemeinsam
angewandte gemeinsame Charakteristik besitzen.
Auch wenn wir es wollten, könnten wir diesen
Stil heute noch nicht erkennen. Es würde auch
völlig nutzlos, ja sogar schädlich sein. Kein wirk-
licher Maler will das. Die kleinen Ab-
stempelungsversuche der Kunsttheoretiker oder
Laien zählen nicht. Wenn nun der als „Genre-
maler" Gekennzeichnete morgen heroische Porträts,
der „Heroische" morgen Schweinekoben, der „Länd-
liche" abstrakt malen würde? Was dann? Es
würde zeigen, daß das Kernproblem ganz anders
liegt. Daß es darauf ankommt, gute Bilder
zu malen.
Wir erkennen die qualitätvollen Klassizisten
ebenso an wie die qualitätvollen Expressionisten
oder Naturalisten. Uns interessieren keine
Distanzen von 500 oder mehr Jahren, sondern
uns interessiert die Aussage eines Kunstwerks auf
die Frage nach Persönlichkeit und Gestaltung. Ob
Qualität oder eine Stümperarbeit, ob Fortschritt
oder Nachahmung vorliegt.
Manchem wird das nicht leicht eingehen. Wer
in den vergangenen Jahrzehnten Aufschluß über
künstlerische Dinge haben wollte,- fragte, ent-
sprechend einer lebensfremder: historizistischen Ver-
bildung, nach den „Stilen". So lautete auch nach
der nationalsozialistischen Revolution die peinlich
äußerliche Frage, die vielerseits gestellt wurde:
Welcher Stil wird nun Geltung behalten oder
erhalten? Der Nationalsozialismus
wollte die Weltanschauung revolutionieren — und
der Kleinbürger erkundigte sich nach der
gängigen Malmethode. Der Nationalsozialismus
jedoch brachte keine Prädestinierung eines
Stils, er brachte weltanschauliche und 'menschliche
Wertungen als Grundlegung für die Kunst mit:
Artgemäßheit und Z e i t g e m ä ß h e i t.
Es war ganz offensichtlich, daß zahlreiche Künstler,
darunter anch hervorragende Talente, manchmal
der inneren Richtungslosigkeit der Zeit erlegen
waren und diese beiden natürlichen Wälle des
künstlerischen Kraftstroms durchbrochen hatten.
Diese beiden natürlichen Wälle „Artgemäßheit
und Zeitgemäßheit" scheiden Liberalismus von
völkischer Freiheit. In diesem Prinzip sind sich
alle Nationalsozialisten einig, nur ist es, weil es
sich um die Kunst handelt, also der Sache
wegen, vielfach außerordentlich schwierig und
verantwortungsvoll, die Urteile „entartet" und
„unzeitgemäß" zu fällen. Die Schwierigkeit vermag
jedoch nicht zu verhindern, daß jeder National-
sozialist unbeirrbar in der nicht nur weltanschau-
lichen, sondern auch uralten künstlerischen Er-
kenntnis verharrt, daß der Angehörige einer Rasse
und Zeit nur dann die ihm mögliche Höchstleistung
vollbringen kann, wenn er seine eigenen rassischen
und die Energien seiner Zeit voll ansetzt.
Die deutschen Maler wollen keine
Bilder malen um Bilderchen zu
malen, sondern sie wollen sich
durch die Malerei und die Malerei
durch sich höher entwickeln. Nicht
allen unter den jungen Malern wird — ähnlich
wie zahllosen Kollegen in der Geschichte der Kunst
— das Verständnis des Volkes leicht oder sofort
folgen können. Die künstlerischen Wege mancher
jungen Maler werden den Laien als Umwege er-
scheinen. Der Laie wird meinen, der Maler könne
doch schneller zum Ziel kommen, wenn er gleich
von vornherein ein angängiges Motiv und eine
im Volk beliebte, glatte Malmcthode wählte! Die
gutmeinenden Laien mögen so viel Respekt vor dem
schöpferischen Element, das ihnen versagt ist, be-
sitzen, daß sie den Malern unbe-
dingte Sauberkeit und fanatischen
Glauben an die ewiger: Ziele der
Malerei zu billigen und ihnen die-
jenige Stille ungestört lassen,
aus der sich allein Reife hervor-
bringen läßt.
Ikarus oder die Leidenschaft der Kunst
(Fortsetzung von S. 1)
noch viele anderen Sätze der entschlossenen Reden, würdig
eines Revolutionärs und Künstlers!
Und eingedenk der Eoetheschen Mahnung, der Künstler
möge weniger reden und mehr bilden, wenden wir uns den
Bildern zu, uns der Gerechtigkeit und Gründlichkeit be-
fleißigend, die dem Deutschen so wohl ansteht und ihm den
lichen Banausen vorstellen. Das muß hier wiederholt werden,
sonst — Hände weg von alter und moderner Kunst! Die
Futuristen zeigen deutlich genug, daß man die Zeit nicht
zurückdrehen kann, und daß wir mit unseren eigenen Mitteln
berufen sein können, der Kunst und dem Volke wichtiges
Neuland des Geistes zu erobern. Daß die Erde sich dreht,
das hat noch keiner gesehen, trotzdem tut sie es. Aber die
Futuristen tun so, als ob sie es gesehen Hütten: das ist
zweifellos das Ethos jeder ehrlichen Kunst. Diese Illusion,
die die Realität vernichtet und den sechsten Sinn freimacht,
Schmidt-Notlusf, Der Angler. Ausstellung Galerie Niercndorf, Berlin
Photo A. Quidde
Ruf eines skurrilen Pedanten eingetragen hat. Die Futu-
risten stehen in einer neuen Phase ihrer Kunst. Sie haben
die Malerei des Fliegens und Ecflogenwerdens für sich ent-
deckt. Sie schaffen eine neue Illusion und legen dabei eine
herzerfrischende Kindlichkeit, das Vorrecht jedes wahrhaft
künstlerisch Formenden, an den ihnen so gut gesinnten Tag.
Wer hat eigentlich das Gerücht aufgebracht, die abstrakten
Maler, als da sind die Futuristen, Expressionisten, Surrea-
listen, Kubisten und Abstrakten, seien ausnahmslos intellek-
tualistisch? (Es ist hier von Künstlern die Rede, nicht von
Vilderschustern und Salonhelden!) Es ist ein Irrtum, daß
Kunstwerke unter Ausschluß des Intellektes geschaffen wer-
den; nur ein völlig geistig verarmtes Bürgertum konnte sich
den Künstler nur als einen stumpfsinnigen, gedankenfeind-
schafft neue Werte und eine neue Wertung unserer Zeit
und auch der — Geschichte. Allerdings sollten die Futuristen
nicht derartig auf die Alten schimpfen, früher oder später
kommen sie doch zu einer geschichtlichen Auswertung und
Ahnenreihe, und man kann überzeugt sein, daß Lionardo
da Vinci, hätte es zu seiner Zeit schon Flugzeuge gegeben,
sich die Chance einer Aeropittura nicht hätte entgehen lassen,
wobei zugleich einmal an die intellektuelle Zündkraft dieses
Universalgenies gedacht werden möge. Damit soll nur gesagt
sein, daß die Futuristen auf dem rechten Wege sind.
Unsere Zeit hat den Ästhetizismus überwunden und die
Schönheit mißhandelt. Das erstere war ihre Pflicht, das
letztere ihr Unglück. Schönheit aus erster Hand, kein Surro-
gat eines Philhellenismus: die Futuristen haben eine
Kunst der Nation
Paula Modersohn-Vecker, Kind mit Katze. Sammlung Borst, Stuttgart
eine leidenschaftliche Na-
tur. Ihre Freundschaften
erlebte sie wie Tragödien.
Als Klara Westhoff,
die sie in weißem Kleid,
Kopf, ein Stück Hand
und eine rote Rose Por-
trätierte, im selben Ort
den Dichter Rilke hei-
ratete, heißt es: „Ich
scheine zu ihrem Leben
nicht mehr zu gehören.
Daran muß ich mich erst
gewöhnen. Ich sehne mich
eigentlich danach, daß sie
noch zu meinem gehöre, es
war schön mit ihr." Eine
Tagebuchstelle bekennt:
„Es ist meine Erfahrung,
daß die Ehe nicht glück-
licher macht. Sie nimmt
die Illusion, die vorher
das ganze Wesen trug, daß
es eine Schwesternseele
gäbe. Man fühlt in der
Ehe doppelt das Unver-
standensein, weil das
frühere Leben darauf hin-
ausgillg, ein Wesen zu
finden, das versteht. Und
ist es vielleicht nicht doch
besser, ohne dieseJllusion,
Äug'in Auge einer großen,
einsamen Wahrheit?"
Sie flüchtet nach Paris,
sich das stille, ihr zu eng
gewordene Worpswede,
von dem sie doch nicht los-
kommen sollte, durch die
kritische Brille anzusehen.
Inmitten der Leichtigkeit
der Weltstadt, die „Esprit
in ungeheuerlichen Quan-
titäten" gab, erlebte sie,
besonders nachdem sie in
dem Ehepaar Hoetger treue
und fördernde Freunde
gefunden hatte, noch ein-
mal gute Tage, selig in den:
Bewußtsein, es in ihrer
Alten aus dem Armenhaus und der Säuglinge
auf gewürfeltem Bettzeug oder an der Brust der
Mütter, der Kinder mit Katzen, die Stilleben mit
ihren Blumen, Tomaten, Zitronen, Näpfen und
Töpfen, diese unbefangenen Selbstbildnisse, einige
Akte und sehr wenig Landschaftliches, war der
Erfolg groß. Er löste jedoch auch Widerspruch
aus, der den Ruf all dieser farbig ungemein in-
tensiven und sich in ihrer einfachen Komposition
mit schlichter Monumentalität ausdrückenden
Stücke, die vielen als große Malerei, früheste und
stärkste Vorbereitung des Expressionismus erschien,
auf die suggestive Wirkung ihrer Briefe zurück-
fuhrte. Vielleicht kann, worauf auch einige sehr
MlkeOZeäMungen Yindeuten, der Meinung recht
gegeben werden, Paula Modersohn hätte, eben
weil ihre Kunst ganz aus der Tiefe kam, sehr
lange ^eit gebraucht, um zur Reise und Fülle zu
gelangen. Nicht immer geht ihre Bildsorm dem
Betrachter leicht ein, sie hatte eine etwas schwere
Hand, und manchmal erscheint ihre Malweise
schwerfällig, mit Resten behaftet, die an ein Nicht-
können im akademischen Sinn rühren. Das war
aber anch ein Nichtanderskönnen, weil sie — und
das ist ihre größte Stärke und das besondere nord-
deutsche Wesenselement ihrer Kunstweise — ohne
Intellekt aus dem Seelischen heraus schuf, das
auch ihre Niederschriften durchdringt und die male-
rischen Werke selbst dort adelt, wo ihre Form-
sprache, die immer schweres Ringen und niemals
leichtes Hinströmen gewesen ist, ihren Gesichten
nicht Folge zu leisten vermag.
Es hat zu ihren Lebzeiten geschicktere und
interessantere Künstler gegeben, was weder gegen
sie, noch gegen ihr Schassen spricht, das dem seiner
Zeit immerhin soweit voraus eilte, um die ein-
zige noch von ihr veranlaßte Ausstellung in der
Kunsthalle zu Bremen zu einem eklatanten Miß-
erfolg auswachsen zu lassen. Sie blieb instinkt-
sicher und hatte ein untrügliches Gefühl für ihren
Wert und malte trotz mancher empfangenen, mit
übergroßer Dankbarkeit aufgenommenen An-
regungen, als ob niemand vor ihr gemalt hätte.
Zuspruch kam Wohl seltener als Verwunderung.
Auch nachträglich hat man ihr noch einiges an-
gehängt. Ein Zünftiger bezeichnete ihre Werke
als „gemalten Schrei nach dem Kinde" und sie
selbst als „Tante des Expressionismus". Aber
selbst maßvollere Beurteilungen, wie die, daß sie
versucht hätte, Gauguin irr die Moorlandschaft bei
Bremen zu verlegen, muten heute schon ein wenig
verstaubt an. Gewiß hat sie ihre Lernzeit in
Paris gut genutzt, einiges angenommen und viel
gesehen. Ihrer Eigenart hat dies ebensowenig
geschadet, wie die Stimmungslandschafterei ihrer
malenden Genossen am Weyersberg, deren Gren-
zen sie dann recht bald erkannte. Zuletzt lag in
der Art dieser Wegbereiterin, die mit inbrünstigem
Gefühl das Pflanzenhafte, Gewachsene ihrer an
Erde und Luft, Baum und Strauch verhaftet ge-
bliebenen, aus großen Augen blickenden Menschen
gestaltete, die Kinder in der unbeholfenen Starr-
heit des Puppenhaften malte, eine Triebhaftigkeit
und Intensität, die bei allem Abstand in der
Energie der reinmalerischen Mittel an Nolde
gemahnt.
Es gibt Bilder, denen bei aller Sprödigkeit ein
so seltsam reizvoller Ausdruck eignet, daß man
nicht mehr loskommt und sie lieben muß mit einer
Liebe, die dennoch nicht Überschätzung ist, sondern
Erkenntnis sein kann. Und Menschen, besonders
frühvollendete, geben manchmal ein Echo, das un-
endliche Sehnsucht weckt. Sie mögen, wenn sie
Konzessionen und Kompromissen abgeneigt waren,
ihrer Umwelt gegenüber nicht allzu bequem ge-
wesen sein. Paula Becker, Tochter eines Beamten,
die über einige Umwege zur Kunst kam und in
der Folge Gefährtin des Malers Modersohn
wurde, war bei innerlicher und äußerlicher Ruhe
Malerei weiter zu bringen.
Aber manchmal mochten ihr auch Tränen in die
Augen kommen, dachte sie an Worpswede, einst-
mals vor stillem Glück, solch eine Heimat zu
haben. Sie war nun nicht mehr das junge, lebens-
hungrige, doch nachdenkliche Mädchen, das aus
Berlin nach dem Besuch eines Lustspiels ge-
schrieben hatte: „Das Haus brüllt. Ich knöpfe
mich innerlich einen Knopf höher zu und fühle
mich im Augenblick der Menschheit sehr fremd.
Ich fand sie alle so scheußlich um mich herum, daß
ich gar nicht nachdenken mochte." Und nach einem
Streit in der Schule: „Weiber! Weiber! . . .
Teils sind sie fein und groß. Und dann wieder
solch kleines Pack!" Ihre äußere Welt wird ge-
rade in der großen Stadt enger,'aber ihr'NnstO
lerisches Vermögen wächst, um dessen willen sie
sich auch nicht scheut, einseitig und egoistisch zu er-
scheinen: „Nach Kraft ringen! Das klingt alles
so dramatisch. Man tut eben, was man kann, und
legt sich dann schlafen. Und auf diese Weise ge-
schieht es, daß man eines Tages etwas geleistet
hat. — Schuld oder Nichtschuld. Man ist eben so
gut oder so schlecht, wie man ist. Das Herum-
doktern an sich hat wenig Zweck. Man gehe ge-
rade und einfach seinen Weg. Ich halte mich für
gut von Natur und sollte ich dann und wann
etwas Schlechtes tun, so ist das auch natürlich. —
Die Hauptsache ist, daß jeder einheitlich denkt mit
seinem ganzen Optimismus."
Als sie dann nach Worpswede und zu ihrem
Gatten zurückgekehrt war, schrieb sie an Hoetger:
„Ich wollte den Impressionismus nur besiegen,
indem ich ihn zu vergessen suchte. Dadurch wurde
ich besiegt. Mit dem verarbeiteten, verdauten
Impressionismus müssen wir arbeiten."
Und nun war sie auch so weit, um — wie sie
sich ausgedrückt hat — mit „Runenschrift zu
schreiben". Viel Zeit war ihr nicht mehr ver-
gönnt; doch bevor sie dahinging, entstand noch ein
Malwerk, das den Sinn und die Bedeutung der
Dinge in einfachen, ganz groß gesehenen und auf-
gebauten Formen gab; Bilder, die das konkret
Erschaute niemals umbiegen, aber fern aller
naturalistischen Oberfläche bleiben.
1 ü o r xv u 1 ck
Stil?
Von
Otto-Andreas Schreiber
Wir begrüßen die futuristische Ausstellung am
Lützowufer in Berlin nicht etwa als wegweisend
und welterschütternd, sondern als erfreuliches
Zeugnis für die Vielseitigkeit
künstlerischer Bestrebungen und für
die Berechtigung dieser Vielseitig-
keit. Es ist nicht notwendig, zu betonen, die
Ausstellung „beabsichtige" keinen Einfluß auf die
deutsche Malerei auszuüben, die Ausstellung ver-
mag es vielmehr nicht, da vor zwanzig Jahren
die deutschen Expressionisten weitaus tiefer uud
gründlicher in der Richtung der Neueroberung
künstlerischer Grundelemente vorgestoßen sind und
zugleich dem nordischen Menschentum neue Mög-
lichkeiten eröffneten. Es soll nicht geleugnet wer-
den, daß der Faschismus den Futurismus über
formale Errungenschaften hinaus auch ein neues
Menschentum propagieren läßt. Nur ist dieses
Menschentum zu sehr romanischer Prägung, als
daß es uns Nordländern zugänglich wäre.
Die geistige Fruchtbarkeit der nordischen Rasse
erweist sich gerade an diesem Vergleich. Während
die deutschen Maler nämlich die Werte des Ex-
pressionismus ausgenommen haben, anwenden
und organisch weiterentwickeln, nicht als
Stil, sondern als Erfahr ungs- und
B e k e n n t n i s g u t, erklärt sich der italienische
Futurismus als sakrosankt und als Stil mit Aus-
schließlichkeitsgeltung. Anstatt die V i e l f a l t der
Methoden anzuerkennen, alle Methoden aber als
sekundär zu betrachten und die Augen vielmehr
auf das Kernproblem der Malerei, die Qualität,
gerichtet zu halten, sucht der Futurismus eine
Methode malerischer Realisierung zu verbreiten,
ja, zur Herrschaft zu bringen. Der Futurismus
denkt und führt das Gedachte konsequent durch, er
malt die wohlbegründete Philosophie der
Aeropittura, findet neue Kategorien (wie die
„Simultaneitü"). Er legt sich auf Motive fest und
lehnt „Früchte und Gemüse auf Schüsseln gehäuft,
Wein- und Bierflaschen danebengestellt und dann
noch einen toten Hasen oder eine Pute" sowie
„nackte Frauen" als Motive ab.
Demgegenüber stellen wir fest, daß Fläche,
Farbe, Anschauung (innere und äußere) d i e
Kategorien der Malerei bleiben. Ferner daß prin-
zipielle Ablehnung von Motiven ein unkünst-
lerisches Unternehmen ist. Motive altern nicht
und pflegen nur immer die Schuld zu erhalten,
wenn die Malkraft versagt. Es ist nicht aus-
geschlossen, daß ein „Stilleben" oder eine „nackte
Frau" trotz aller Manifeste doch die größte künst-
lerische Leistung unseres Jahrhunderts sein
könnte!
Es gilt ja letzten Endes nicht, „Eindrücke" —
ob reguläre oder irreguläre — zu verwirklichen,
wir wollen etwas viel Wesent-
licheres verwirklichen: unsere
Empfindungen und inneren Ge-
sichte, unseren Charakter, unsere
„Weltanschauung" und Persönlich-
keit! Macht man aber Äußerlichkeiten der
Malerei lehrbar, so schasst man einen neuen
Akademismus, der sich im wesentlichen keineswegs
von einem Akademismus vollbartumrauschter
Klassizisten unterscheidet.
Wir können in der Festlegung (bewußten oder
unbewußten) auf einen „Stil" nichts dem Fort-
schritt der Malerei Dienendes finden. Stil wird
immer da sein. Auch unsere Zeit wird einheit-
liche Merkmale ausweisen, auch unsere Malerei
wird Eigenarten in der Verteilung von Kompo-
sition, Technik, Motiv usw., Besonderheiten der
Empfindungswelt, von vielen Malern gemeinsam
angewandte gemeinsame Charakteristik besitzen.
Auch wenn wir es wollten, könnten wir diesen
Stil heute noch nicht erkennen. Es würde auch
völlig nutzlos, ja sogar schädlich sein. Kein wirk-
licher Maler will das. Die kleinen Ab-
stempelungsversuche der Kunsttheoretiker oder
Laien zählen nicht. Wenn nun der als „Genre-
maler" Gekennzeichnete morgen heroische Porträts,
der „Heroische" morgen Schweinekoben, der „Länd-
liche" abstrakt malen würde? Was dann? Es
würde zeigen, daß das Kernproblem ganz anders
liegt. Daß es darauf ankommt, gute Bilder
zu malen.
Wir erkennen die qualitätvollen Klassizisten
ebenso an wie die qualitätvollen Expressionisten
oder Naturalisten. Uns interessieren keine
Distanzen von 500 oder mehr Jahren, sondern
uns interessiert die Aussage eines Kunstwerks auf
die Frage nach Persönlichkeit und Gestaltung. Ob
Qualität oder eine Stümperarbeit, ob Fortschritt
oder Nachahmung vorliegt.
Manchem wird das nicht leicht eingehen. Wer
in den vergangenen Jahrzehnten Aufschluß über
künstlerische Dinge haben wollte,- fragte, ent-
sprechend einer lebensfremder: historizistischen Ver-
bildung, nach den „Stilen". So lautete auch nach
der nationalsozialistischen Revolution die peinlich
äußerliche Frage, die vielerseits gestellt wurde:
Welcher Stil wird nun Geltung behalten oder
erhalten? Der Nationalsozialismus
wollte die Weltanschauung revolutionieren — und
der Kleinbürger erkundigte sich nach der
gängigen Malmethode. Der Nationalsozialismus
jedoch brachte keine Prädestinierung eines
Stils, er brachte weltanschauliche und 'menschliche
Wertungen als Grundlegung für die Kunst mit:
Artgemäßheit und Z e i t g e m ä ß h e i t.
Es war ganz offensichtlich, daß zahlreiche Künstler,
darunter anch hervorragende Talente, manchmal
der inneren Richtungslosigkeit der Zeit erlegen
waren und diese beiden natürlichen Wälle des
künstlerischen Kraftstroms durchbrochen hatten.
Diese beiden natürlichen Wälle „Artgemäßheit
und Zeitgemäßheit" scheiden Liberalismus von
völkischer Freiheit. In diesem Prinzip sind sich
alle Nationalsozialisten einig, nur ist es, weil es
sich um die Kunst handelt, also der Sache
wegen, vielfach außerordentlich schwierig und
verantwortungsvoll, die Urteile „entartet" und
„unzeitgemäß" zu fällen. Die Schwierigkeit vermag
jedoch nicht zu verhindern, daß jeder National-
sozialist unbeirrbar in der nicht nur weltanschau-
lichen, sondern auch uralten künstlerischen Er-
kenntnis verharrt, daß der Angehörige einer Rasse
und Zeit nur dann die ihm mögliche Höchstleistung
vollbringen kann, wenn er seine eigenen rassischen
und die Energien seiner Zeit voll ansetzt.
Die deutschen Maler wollen keine
Bilder malen um Bilderchen zu
malen, sondern sie wollen sich
durch die Malerei und die Malerei
durch sich höher entwickeln. Nicht
allen unter den jungen Malern wird — ähnlich
wie zahllosen Kollegen in der Geschichte der Kunst
— das Verständnis des Volkes leicht oder sofort
folgen können. Die künstlerischen Wege mancher
jungen Maler werden den Laien als Umwege er-
scheinen. Der Laie wird meinen, der Maler könne
doch schneller zum Ziel kommen, wenn er gleich
von vornherein ein angängiges Motiv und eine
im Volk beliebte, glatte Malmcthode wählte! Die
gutmeinenden Laien mögen so viel Respekt vor dem
schöpferischen Element, das ihnen versagt ist, be-
sitzen, daß sie den Malern unbe-
dingte Sauberkeit und fanatischen
Glauben an die ewiger: Ziele der
Malerei zu billigen und ihnen die-
jenige Stille ungestört lassen,
aus der sich allein Reife hervor-
bringen läßt.
Ikarus oder die Leidenschaft der Kunst
(Fortsetzung von S. 1)
noch viele anderen Sätze der entschlossenen Reden, würdig
eines Revolutionärs und Künstlers!
Und eingedenk der Eoetheschen Mahnung, der Künstler
möge weniger reden und mehr bilden, wenden wir uns den
Bildern zu, uns der Gerechtigkeit und Gründlichkeit be-
fleißigend, die dem Deutschen so wohl ansteht und ihm den
lichen Banausen vorstellen. Das muß hier wiederholt werden,
sonst — Hände weg von alter und moderner Kunst! Die
Futuristen zeigen deutlich genug, daß man die Zeit nicht
zurückdrehen kann, und daß wir mit unseren eigenen Mitteln
berufen sein können, der Kunst und dem Volke wichtiges
Neuland des Geistes zu erobern. Daß die Erde sich dreht,
das hat noch keiner gesehen, trotzdem tut sie es. Aber die
Futuristen tun so, als ob sie es gesehen Hütten: das ist
zweifellos das Ethos jeder ehrlichen Kunst. Diese Illusion,
die die Realität vernichtet und den sechsten Sinn freimacht,
Schmidt-Notlusf, Der Angler. Ausstellung Galerie Niercndorf, Berlin
Photo A. Quidde
Ruf eines skurrilen Pedanten eingetragen hat. Die Futu-
risten stehen in einer neuen Phase ihrer Kunst. Sie haben
die Malerei des Fliegens und Ecflogenwerdens für sich ent-
deckt. Sie schaffen eine neue Illusion und legen dabei eine
herzerfrischende Kindlichkeit, das Vorrecht jedes wahrhaft
künstlerisch Formenden, an den ihnen so gut gesinnten Tag.
Wer hat eigentlich das Gerücht aufgebracht, die abstrakten
Maler, als da sind die Futuristen, Expressionisten, Surrea-
listen, Kubisten und Abstrakten, seien ausnahmslos intellek-
tualistisch? (Es ist hier von Künstlern die Rede, nicht von
Vilderschustern und Salonhelden!) Es ist ein Irrtum, daß
Kunstwerke unter Ausschluß des Intellektes geschaffen wer-
den; nur ein völlig geistig verarmtes Bürgertum konnte sich
den Künstler nur als einen stumpfsinnigen, gedankenfeind-
schafft neue Werte und eine neue Wertung unserer Zeit
und auch der — Geschichte. Allerdings sollten die Futuristen
nicht derartig auf die Alten schimpfen, früher oder später
kommen sie doch zu einer geschichtlichen Auswertung und
Ahnenreihe, und man kann überzeugt sein, daß Lionardo
da Vinci, hätte es zu seiner Zeit schon Flugzeuge gegeben,
sich die Chance einer Aeropittura nicht hätte entgehen lassen,
wobei zugleich einmal an die intellektuelle Zündkraft dieses
Universalgenies gedacht werden möge. Damit soll nur gesagt
sein, daß die Futuristen auf dem rechten Wege sind.
Unsere Zeit hat den Ästhetizismus überwunden und die
Schönheit mißhandelt. Das erstere war ihre Pflicht, das
letztere ihr Unglück. Schönheit aus erster Hand, kein Surro-
gat eines Philhellenismus: die Futuristen haben eine