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Kunst der Nation — 2.1934

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Wieszner, Georg Gustav: Monumentalmalerei
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Bonatz, Paul: Brücke und Turm
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Akademischer Frühling
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0050

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2

Kunst der Nation


Wir wissen: Die ästhe-
tische Beglücktheit Ghir-
landajos und Gozzolis ge-
nügt nicht; die großartige
Repräsentation Michelan-
gelos und Raffaels dachte
an Monarchen, nicht an
das arbeitende Volk, auch
die Mosaiken frühen
Christentums zwiugen die
Massen, zermürbt von
jahrhundertlangen Zwei-
feln, nicht mehr, die heute
nach Erlösung verlangen.
Es muß anders kommen.
Das heute Monumen-
tale kann nicht mehr den
einzelnen, es muß die
Massen zu einem höheren
Wesen steigern. Wer heute
die Form der Massen
sucht, muß allen Intellekt
Preisgeben und dort be-
ginnen, wo aus Uni-
sorm Form wird. Die
blaue Arbeitsbluse, das
braune Hemd sind form-
bildende Elemente, über
die der heutige Künstler
nicht Wegsehen kann. Auch
erleben wir's immer wie-
der, wie gern die Masse
sich einheitlich fühlt: in
Marsch und Aufmarsch:
der einzelne taucht unter;
der Primitive findet vor-
erst einmal die ganz
schlichte Form der Preis-
gabe seines Jchs im
Ganzen. Es wird darauf
ankommeu, solcher Preis-
gabe den Sinn innerer
Steigerung zu geben.
Schon Hodler, der

Flaftgenturm des Deutschen Turnfestes 1988 in Stuttgart. Architekt P. Bonah

.Auszug der Jenenser

tualismus des französisch orientierten Jahr-
hunderts bändigt. In solche Form zwingt und
bändigt er schließlich die „Zwei Seelen", die in
seiner Brust ringen.
Aus dein wilden Bewegungswurf mancher
Skizzen, aus der labilen Form erster Bildanfänge
wird, Schicht ans Schicht, die „Form" der reifen
Gemälde, ein fanatisches Ringen um allerletzte
Schlichtheit, allermonnmentalste Haltung:
„Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestig es mit dauernden Gedanken"
läßt Goethe 1798, an der Schwelle des neuen
Jahrhunderts, seinem Gott sagen.
Hier setzt die neue Ästhetik überhaupt ein, sich
steigernd zur philosophischen Forderung Nietzsches:
„Der Einzelne soll zu etwas überpersönlichem
geweiht werden"
Nun kommt am Ende des 19. Jahrhunderts rasch
und zwingend die Loslösung von zufällig-alltäg-
licher Bedingtheit.
An dem Punkte deutscher Kunstentwicklung, da
Marees zu erstarren droht, setzt vom Süden her
neues Leben ein: Ferdinand Hodler. Er
reduziert die ganze Welt auf Wesentlichkeiten, wird
eindringlich nicht durch Geschwätzigkeit, sondern
durch rein künstlerische Mittel: Rhythmik der
Kontur, Parallelschaltungen der Bewegungen. Die
Anekdote verschwindet: Aus „Reformatoren" wird
„Die Reformatio n", ans schreitenden Män-
nern „D i e E u r h y t h m i e", ans Sitzenden „L e -
bens m ü d e" und „L e b e n s e n t t ä u s ch t e".
Das Viele wird genommen, damit das Einheit-
liche um so tiefer wirke. Die Kunst setzt sich in
bewußten Gegensatz zu einem, durch Bevölkerungs-
zuwachs, Technik und Verkehrstempo unendlich
vielheitlich erscheinenden Prosanleben. Eine
Bedingung des Monumentalen
wird in sakralem Abstand vom
Leben erkannt.
Das Lebensgültige wird ins Allgemeingültige
zu steigern versucht, es geschieht erstes Bemühen,
zufällige Form in ewige Form zu verwandeln.
Beschauliches erhebend zu machen.
IV.
Die heutige Forderung
Soll ein Kunstwerk erhebend sein, dann will
sich der Beschauer in seiner Existenz von ihm er-
hoben fühlen. Solche Erhabenheit aber ist
wiederum mouumeutal.
Ihr Sinn aber ist Preisgabe, Überwindung
beschaulicher Existenz, Steigerung des zufälligen
Ich in ein größeres Ganzes hinein. Nietzsche
nennt das den Sinn der Tragödie: „Höchste Auf-
gabe (der Menschheit) für alle kommenden Zeiten:
ins Eine und Gemeinsame zusammenzuwachsen."
Das aber ist schließlich der Sinn jeder, auch
der politischen „Erhebung", ein echtes, pathetisches
Hochgefühl, eine tragische Gesinnung: Opfer einer
Form um einer gesteigerten Form willen: For-
mung einer vorläufig noch chaotischen Idee: Zu-
sammenschweißung einer neuen Gemeinde.
Das ist auch der Sinn des neuen Deutschland.
Dieser Sinn wird seine neue monumentale Kunst
bestimmen.
Aus der mittelalterlichen „Gemeinde der Hei-
ligen" soll eine „Gemeinde der Tätigen" werden:
so verlangt es das Programm, das von Staats
wegen neue Fest- und Kunstblätter fordert: „ein
Gebäude als Breuupunkt des Gemeinschaftslebens
des schaffenden Volkes, eine Kultstätte deutschen
Arbcitsgeistes".
Solche Forderungen sind nicht ans der Idylle
romantischer Landschaft, nicht aus der Selbst-
gefälligkeit kultivierter Salons gestellt. Diese For-
derung ist getragen vorn Tempo der Zeit: Schorn-
steine, Flugzeuge, Schwungräder, Antennen,
Feuergarbcn, Dampf und elektrische Entladungen
setzen sie voraus.
Die Aufgabe ist: Dieses Getöse an einem fest-
lichen Punkt zu bändigen, daß es, bewegungs-
geladen, zur Stille wird. Einmal eine Heiligung
der Arbeit, wie es eine Heiligung des Schmerzes
im Kreuz gab.

„freie" Schweizer, hat das
einmal ganz deutlich ge-
spürt: in seinem Bild
„ - .. Studenten", in dem er
Rhythmus der Gemeinschaftlichkeit und Einklingen
individueller Melodien meisterhaft erfaßte.
Das war erster Ansatz, blieb lange mißver-
standen, ja geschmäht. Heute reist für die Ge-
samtheit alles das heran, was um die Jahr-
hundertwende Erlebnis Weniger war.
Die Ausgabe für den heutigen Künstler ist aus
den Geschehnissen gestellt:
So steht das Festhaus des Volkes im Leben:
Das Volk kommt aus abertausend Arbeits-
stätten in Tropfen, Bächen, Strömen heran. Alle
münden in der Feststraße. Es wird ein Platz der
eigentlichen Festhalle vorgelagert sein, bei dessen
Überquerung der Alltag zurückbleibt.
Groß muß die Baufrout dasteheu. Es gibt
keine Diskussion um den „Stil", einzige Forde-
rung ist d:r Ausdruck. Und-das Volk marschiert
ein, verteilt sich im Raum, bereitet sich zum ge-
steigerten Erlebnis seiner selbst, ähnlich der Ge-
meinde des 15. Jahrhunderts in ihrer gotischen
alles umfassenden Hallenkirche. Die Blicke konzen-
trieren sich nach der Stelle, da das Leben als Kunst
erlebt werden soll: dort auch hat die Monumental-
malerei ihren Platz.
Der Raum braucht Gliederung und Farbe.
Beide Elemente sind nicht ernst genug zu nehmeu,
deuu sie bestimmeu die Stimmuug der Warten-
dem Der Raum braucht aber auch als letzte Kon-
zentration an der Blickseite das Bild. Das Monu-
mentalgemälde dort ist, wenn es schlecht ist, bloße
Dekoration, es ist, wenn es gut ist, ausschlaggebend
für die seelische Haltung der Massen. Sie brauchen
es nicht „verstehen", aber sie müssen von ihm er-
faßt werden. Es soll kein reklameähnliches
Programm-Gemälde sein, aber es muß eiue
seelische Haltuug verbürgen. Dieses gleiche Bild
muß, unlöslich mit der Wand verbunden, immer
wieder neue Feste einleiten, es muß aber auch nach
dem Fest das Hochgefühl der Menge halten können
als allerletzte pathetische Erhebung.
Der Monnmentalmaler an der Mauer des
Festbaues der „Kultstätte deutschen Arbeitsgeistes"
hat die ungeheure Aufgabe: Überregisseur zu sein.
Sein Werk muß eine wirkende Existenz be-
deuten. Er kann nicht wie der Redner den Willen
der Hörer langsam bezwingen, er kann nicht, wie
der Spielleiter auf der Bühne, seine Zuschauer
raum-zeitlich seine Endabsicht erleben lassen: er
kann sich nicht entfalten, er muß sein.
Er steht vor dem ungeheuren Problem einer
ganz neuen Aufgabe: die Masse der Beschauer hat
sich rein quantitativ seit der Renaissance und der
Biedermeierzeit verzehn-, ja verhundertfacht. Der
festliche Einzelmensch ist festliche Masse geworden:
„Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen"
sagt der Theaterdirektor vor dem „Faust" und ver-
steht unter Masse die Summe von Einzelheiten,
Personen und Geschehnisse, aus denen Auswahl
getroffen werden kann.
Das Problem steht heute anders: Die Masse ist
keine zerfallende Summe mehr, sie erscheint als
neue Einheit.
Darum muß heute die „Masse" als Kunstwerk,
die nun als Choreinheit, nicht mehr als Programm-
folge eines „Bunten Abends" erscheint, die „Masse"
der Beschauer nicht nur zwingen, sondern zugleich
zum Gefühl ihrer neuen Existenz alsVolksei n-
heit bringen. Es muß eine Vision bleiben, die
die Menschen nicht mehr losläßt. Ein-anderer muß
den Festraum verlassen, als der ihn betrat, nicht
schon gewandelt, das wäre allzu schneller fauler
Zauber, sondern mit der Tendenz zur Wandlung.
Letzter Eindruck bleibt dabei das Monumental-
gemälde des Festsaales. Diese Aufgabe bestimmt
eindeutig die äußere und innere Form solcher
Monumentalmalerei:
Die Formen müssen höchst einfach sein, von
jedem Körper leicht nacherlebbar: Starke Horizon-
tale, die beruhigen, strebige Vertikale, die empor-
reißen, energische Schräge, die Vorwärtstreiben.
Alles das kann natürlich hintergründige Konstruk-
tion bleiben, mehr oder weniger bestimmt durch

die umgebende Architektur. Es muß überspielt
werden vom beglückenden Melos eindringlicher,
einfacher Formrhythmen. Nicht stabile Aktmodelle,
labile Tänzer geben dem neuen Künstler die Vor-
bilder.
Und ans Menschen muß der Mensch heraus-
gelöst werden, aus Individuen der Typus: Wie
für den Gläubigen des Mittelalters Jesus, Maria,
jeder Jünger und jeder Heilige in allen Kirchen
seine Grundgestalt hatte, so müssen wieder Grund-
gestalten unserer Existenz gefunden werden. Das
Volksempfinden muß helfen dabei; intellektuell im
Atelier lassen sie sich nicht schaffen. Die Leiter der
Arbeitsgemeinschaften der Volkshochschulen werden
dem Künstler verraten können, welche Typen dem
Volk heute schon eingeheu.
Aus der Basis solchen gemeinsamen Bewußt-
seins wird dann das Besondere als Beglückung
wiederum gefunden werden, freilich nur von Be-
sonderen. Die Allgemeinheit braucht die starke
Einheitlichkeit.
So stehe denn das Monumcutalgemälde im
Festraum als eine Zusammenfassung aller im Bau
wirksamen Kräfte, sowohl der im Werk objekti-
vierten des Baumeisters, als auch der vielseitigen,
die die Besucher als Einzelmenscheu herbcibriugen.
Das Bild löst das Abstrakte der

Architektur ins Sinnliche auf:
in melodischer Beseeltheit, aus logischer Naum-
koustruktion erwachsen: es ist wie die Farbe, die
vom Leben des Menschen und von seiner Ge-
sundheit erzählt. Das Bild ist die Achse,
in der sich die Geistigkeit des
naiven Publikums und des kon-
struktiven Architekten begegnet.
Und so hat es schließlich die Aufgabe, den Zu-
sammenklang zu symbolisieren vom Melos der
Maste und Ethos des Führers.
Für die malerische Form ergibt sich immer nur
eiue Forderung: geistig tiefe Schlichtheit, Wille,
auch jeuseits der Kämpfe des Tages noch zu be-
stehen. Was aus dem Tage heraus geboren ist
und über die Wirkung hinaus nach Wert verlangt,
mnß immer in die Tiefe gehen.
Formal bleibt dabei die Forderung: Anpassung
an die Architektur, die das Bild im Raum er-
scheinen läßt. Große Formen, auf einfaches
Schauen und weite Sichtbarkeit berechnet. Höchste
Vollkommenheit des Typus, aber alles durchpulst
von lebendigem Rhythmus, iu dem sich, wie in
einem Gemeinschaftslied, die bewegte Menge im
Raum findet, steigert, erhebt und, aufgewühlt aus
der Beschaulichkeit des Alltags, in einer neuen
Lebensform festlich beruhigt.

Akademischer Frühling

I.
Es mag dahingestellt bleiben, ob die soeben
eröffnete Frühjahrsausstellung der Preußischen
Akademie der Künste ein ungefähres Bild der
heutigen deutschen Kunstbestrebungeu vermittelt.
Es ist zweifellos leichter, zu behaupten: diese
konventionellen Werke können den Wesensgehalt
der heutigen Kunst nicht erschöpfen, als viel-
mehr zu beweisen, warum es auf die wenigen
Ausnahmen ankommt, die hier die Regel der fest-
gefahrenen Konvention durchbrechen. Aber
immerhin: diese Ausstellung muß als symptoma-
tisch gewertet werden. Die meisten Werke stellen
nichts anderes als Fluchtversuche iu die Idylle
dar. Das handwerkliche Können ist überall sehr
groß, so groß, daß es nicht selten die Knnst
all a.b8urcknrn führt. Es kommt in keiner Weise
darauf au, iu welcher Zeit ein Werk bewältigt
wurde, und es ist ein Unrecht, den Malern, die
mit breitem Pinsel ein Bild schneller herunter-
malen als die mit dem Haarpinsel, einen Vorwurf
aus ihrer Arbeitsweise zu machen. Solche nicht
sonderlich tiefsinnigen Überlegungen befallen den
Besucher dieser Ausstellung. Unwillkürlich fragt
man nach dem Sinn derartiger Massenveranstal-
tungen, der sich nirgendwo zu erkennen gibt,
wenn nicht als Leerlauf eiues nichtssagenden,
keinen Künstler und Betrachter verpflichtenden
Traditionsbegrifses. Die Reaktion ans die
Experimentiersucht der letzten Jahre macht sich
bemerkbar, weniger in der Plastik als in der
Malerei^ Den Ausgleich zwischen Be.ns und
Berufung muß mit aller Gewalt das Handwerk-
liche schassen, das sich um jeden Preis bloßstellen
möchte. Ein neuer Standort ist nur von denen
gefunden worden, die so stark waren, die Experi-
mente nicht zu verleugnen und sich durch sie zu
einer gültigen Form durchzuarbeiten. Zu ihnen
gehören sowohl Künstler der jungen als auch der
alteren Generation. Das ist erfreulich und be-

deutsam. Diese Tatsache allein erlaubt uns, von
einer Stabilisierung der Kunst im besten Sinne zu
sprechen. Nicht das Alter, sondern die Kunst ver-
pflichtet. Das bezieht sich jedoch nur auf die Aus-
nahmen. Im übrigen scheint man sich auf zwei
Stichworte geeinigt zu haben: Handwerk und
Landschaft. Die meisten Aussteller sind nicht
mehr als Motivjäger, Briefmarkensammler als
Maler; die Landschaft ist Trumpf. Die Folge
ist eine unübersehbare und nicht zu beschreibende
Fülle von gemalter Geographie und Landwirt-
schaft. Hat man die Forderung einer landschaft-
lilichen Besinnung in einem solchen flachen Sinne
mißverstanden, daß man über einigen Bauern-
höfen und blühenden Bäumen die Kunst vergaß,
die Verwandlung und Formgebung? Die Form
ist die Moral der Kunst. Seit dem Kubismus
haben wir uns fast ausschließlich um die Form
gekümmert — und wir haben sie gefunden. Nun
aber, wo die ans neuem Erleben gewonnenen In-
halte der Landschaft versinnbildlicht werden sollen,
erinnert man sich nicht mehr der voraufgegange-
nen Erkenntnisse. Anstatt nun endlich zu einer
Synthese von Inhalt und Form zu gelangen, be-
ruft mau sich auf Schlagworte, die immer irre-
führend sind. Der Gesamteindruck dieser Aus-
stellung ist entmutigend, weil er nur die nackte
Summe der ausgereihteu Werke angibt, wo man
nicht gerade Lebendiges zu erwarten hoffte, aber
doch wünschte, nnd wenn auch nur Ansätze, sogar
ganz primitive, kindliche Ansätze. Die mit allen
möglichen Mittelchen hervorgezauberte Dar-
stellungsweise steht in einem seltsamen Gegensatz
zu dem Wunsche, nun einmal echte, allen ver-
ständliche Knnst zu schaffen. Was hat nicht schon
die falsche Vorstellung einer „Volkskunst" an üblem
und Schiefem angerichtet! Niemand wird mit der
Vermutung in diese Ausstellung gehen, nun nur
Genies sehen zu können, aber jeder hegt die stille
Hoffnung, ein Niveau zu finden, das sich für die
Zukunft als tragfähig erweist. Das ist nicht der


Ausschnitt aus dem „Triumph des Todes" im Palazzo Sclasani in Palermo. l5. Jahrhundert
 
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