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Kunst der Nation — 2.1934

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Cenninis Handbüchlein der Kunst (um 1400)
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Hocke, Gustav René: Wird Frankreich nationalsozialistisch?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0052

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Kun st der Nation

Lennims Handbüchlein der
Kunst (um 1400)
Wie auf der Mauer in Fresko zu arbeiten und ein
jugendliches Gesicht zu malen oder zu „incarnieren" und
wie der Verlaus dieser Arbeit ist
Im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit will ich dich jetzt
in das Kolorieren einführen. Verlege dich anfangs besonders
auf die Wandmalerei. Ich werde dir jetzt Schritt für Schritt
den Weg zeigen, den man bei dieser Arbeit verfolgen soll.
Bekommst du Lust eine Wand zu bemalen, was die an-
regendste und schönste Arbeit ist, die es
g i b t, so verschaffe dir zuerst Kalk und Sand, beide gereinigt
und gut gesiebt. Ist der Kalk recht fett und frisch gelöscht,

so nimmt man auf zwei Teile Sand einen Teil
Kalk. Verarbeite sie gut mit Wasser und zwar bereite eine
solche Quantität, daß der Mörtel für fünfzehn bis zwanzig
Tage ausreicht. Last letzteren dann einige Tage ruhig stehen,
damit sein Feuer erlischt; denn ist er zu hitzig, so reibt sehr
leicht der Verputzt. Beginnst du nut dem Verputzen, so mußt du
zuerst die Wand gut abkehren; dann netze sie tüchtig an, man
kann sie nämlich nie genug Wasser schlucken lassen. Nimm
den Mörtel Kelle für Kelle und bewirf damit die Mauer in
ein oder zwei Schichten, bis du eine ganz ebene Oberfläche
gewonnen hast. Bevor du aber zu arbeiten anfängst, achte
darauf, daß dieser Verputz gut flach gerieben, jedoch etwas
körnig sei. Ist der Bewurf trocken, so zeichne und entwirf
darauf mit Kohle den Gegenstand oder die Figur, die du
malen willst. Bestimme deine Maße, indem du mittelst einer
Schlagschnur deine Felder einteilst, den Mittelpunkt angibst


Paolo Uccello, Noah. Ausschnitt aus dem Sintflut-Fresko in S. Maria Novella, Florenz

und mit Hilfe einer zweiten Schnur die horizontale Linie
suchst. Jene Schnur, welche die ganze Fläche in die Hälfte
teilt und die Horizontale bestimmen soll, mutz an ihrem
unteren Ende niit einem Blei beschwert sein. Nimm einen
großen Zirkel zur Hand, sehe dessen Spitze auf die Schnur
und beschreibe einen Halbkreis nach unten. Dann setze die
Zirkelspitze auf das Kreuzchen, welches durch Schnur und
Halbkreis entstanden ist, und ziehe einen zweiten Halb-
kreis nach oben; du wirst sehen, daß sich die beiden Halb-
kreise zu deiner Rechten begegnen und daß wieder ein
kleines Kreuzchen entsteht. Bestimmst du dir nun genau
denselben Punkt auf der linken Seite und ziehst dann deine
Schnur durch diese beiden Punkte, so hast du die ganz ge-
rade horizontale Linie. Komponiere alsdann, wie schon ge-
sagt, mit Kohle deine Darstellungen und Figuren und halte
dich dabei an die Felder, die du dir genau eingeteilt hast.
Nimm darauf einen kleinen spitzigen Borstenpinsel und ein
wenig Ocker, flüssig wie Wasser, ohne Bindemittel, skizziere
und zeichne jene Figuren und schattiere sie ein wenig, wie
du es mit Aquarell getan, als ich dir das Zeichnen beibrachte.
Ist dies geschehen, so fege mit einem Federwisch die Kohlen-
linien gut weg. Dann nimm ein wenig Sinopia ohne Binde-
mittel und fahre mit einem dünnen spitzigen Pinsel die Nasen,
Augen, Haare, sämtliche Nmrißpartien und Umrisse der
Figuren nach und verstärke sie. Sorge aber dafür, daß die
Figuren ganz richtig in den Verhältnissen seien, denn sie
zeigen dir ja im voraus, wie die Figuren, die du zu malen
hast, aussehen sollen und wo sie hinkommen?.
Beginne mit den Friesen oder was du sonst als Um-
rahmung wählen willst. Den Mörtel, von dem wir früher ge-
sprochen, mußt du aber zuerst mit der Hacke oder der Kelle so
lange umrühren, bis er wie Salbe wird, überlege dir dann,
wie groß die Fläche sein soll, die du an einem Tag bemalen
kannst, denn das Mauerstück, das du mit Mörtel bewirfst, muß
auch fertig werden. Allerdings erhält sich bisweilen im
Winter, bei feuchter Witterung, auf Hausteinmauern der Ver-
putz noch einen zweiten Tag frisch. Aber wenn du kannst,
verlaß dich nicht darauf, denn was du an einem Tag in
Fresko malst, ist am stärksten gebunden; bloß einen Tag lang
an einem Stück arbeiten gibt die angenehmste und beste
Arbeit?. Bewirf also ein Stück Mauer, nachdem du den
ersten Verputz ordentlich angeneht hast, und mache einen
recht ebenen, dünnen, doch nicht allzu dünnen zweiten Ver-
putz. Dann tauche deinen großen Borstenpinsel in klares
Wasser und besprenge damit den neuen Bewurf. Reibe ihn
darauf mit einem Brettchen von der Größe einer Handfläche
ab, indem du damit auf dem Verputz herumfährst und so
den Mörtel, dort wo zuviel aufgctragcn ist, wcgnimmst und
dort, wo etwas fehlt, aufträgst und so das Ganze gleich-
mäßig werde. Sollte es nötig sein, so netze noch einmal
den Verputz mit dem Pinsel und glätte ihn mit der
Spitze deiner Kelley die aber rein und glatt sein muß. Dann
übertrage die Maße vom unteren Verputz, indem dn mit der
Schnur die Linien dementsprechend schlägst. Sehen wir nun
den Fall, du hättest an einem Tag bloß den Kopf eines
Heiligen oder einer Heiligen, etwa den der heiligsten Jung-
frau zu malen. Wenn du also den Mörtel deines Bewurfes
geglättet hast, so nimm ein kleines glasiertes Gefäß. Alle
deine Gefäße sollen glasiert und wie Gläser oder Trinkbecher
geformt sein, mit breitem und schwerem Fuß, damit sie fest
stehen und die Farben nicht verschüttet werden. Nimm nun
eine Bohne dunklen Ocker, denn es gibt nämlich zwei Sorten:
Hellen und dunklen Ocker; hättest du aber keinen dunklen, so
i Es ist bei mir niemals vorgekommen, daß der Verputz
Risse bekam, wenn ich genau ein Teil Kalk auf zwei Teile
Sand nahm, auch wenn der Mörtel ganz frisch war.
? Da Giotto und dessen Nachfolger selten Kartons zu
ihren Fresken machten, mußten sie die Komposition erst auf
den llntenverputz zeichnen, um dann Stück für Stück die Wand
zu bewerfen und definitiv zu bemalen. Jnwieferne diese
provisorische Skizze nachher ausgenützt wurde, ist aus dem
Folgenden nicht klar zu ersehen.
Je sri;cyer der Verputz beim Maten ist, um so leuchten-
der und dunkler trocknet die Farbe auf. Es empfiehlt sich
daher, Stück für Stück, soweit als möglich, auf einmal durch-
zubilden. Farben, die viel Bindemittel brauchen, wie Blau,
Schwarz und Englisch Rot, sollte man zuerst malen.
Die Maurer haben eigene Instrumente dazu, sogenannte
Glättketten, die von Stahl sein sollen, weil beim Glätten
Eisen den Verputz schwarz macht.

nimm gut geriebenen Hellen. Mische ihn in einem Töpfchen
mit einer Linse Schwarz, einer Drittel Bohne Sankt-Johannes-
Weiß und einer Messerspitze Cinabresc und verdünne diese
Mischung, ohne Bindemittel beizugeben, mit klarem Wasser,
so daß die Farbe gut (vom Pinsel) fließt. Verfertige dir
einen spitzigen, weichen Borstenpinsel, in der Stärke eines
Gänsekieles, und lege damit den zu malenden Kopf an, in-
dem du dich dabei erinnerst, daß das Gesicht sich in drei Teile
gliedert: Stirne, Nase und Mund mit dem Kinn. Mit f a st

Di6 Nediokren 6>S8 kaelies
Von
vor kleid närnliell ist die Leele lies überall
Florierenden, slillselrwei^end und ebne Verab-
redung Lusarnrnenkonnnenden Lundes aller
NitztzelrnäLigen gegen den einzelnen ^usgerieieb-
neten, in jeder vattung. Rinen soleben will
keiner in seinein V/irkungskreis wissen, in
seinem löereieb dulden: sondern „si czuelq'un
exeelle parnii nous, esu'il aille exeeller ailleurs"
ist die Losung der lVlihtelniäLigkeit überall. !6ur
Leitenbeit des VortretsFlieben und rmr Lebwierig-
keit, die es Findet, verstanden und erkannt 2U
werden, konnnt also noell jenes übereinstirn-
rnende KVirken des Kleides vnsäbliger, es 2u
unterdrücken, ja, -wo rnöglieb, es gan? ?u er-
sticken. (Oegen Verdienste gibt es 2wei Ver-
baltungsrveisen: entweder belebe 2U baben oder
keine gelten ?u lassen. Vie letztere wird, >vegen
größerer Leczuenilicbkeit, meistens vorge-
2ogen.)
Lobald daber, in irgend einem Raelle, ein
eminentes latent sieb spüren lällt, sind alle
Nediokren des Raelles einbellig bernübt, es 2U-
riudecken, ibin die Oelegenbeit 2u benebrnen
und aut alle KVeise ?u Verbindern, dal) es be-
kannt werde, sieb ^eige und an den lag komme,
— niebt anders, als wäre es ein voebverrat,
begangen an ibrer vntäbigkeit, vlattbeit und
Ltümperbattigkeit. lVleistens bat ibr Llnter-
drüekungss^stem guten vrtolg, weil das
Oenie, über den vmptang betreten, vielleicbt
an seiner Laebe ?u Zweiteln antängt, dadurcb
aber an sieb selber irre werden kann.
Klan sebe, wie der kleid, ein lVlensebenalter
bindureb, sieb gesträubt bat, das Verdienst des
grolZen Rossini armuerkennen. ^.ber, allem
kleid 2um lrot^e, baben Rossinis wundervolle
Nelodien sieb über den ganzen Rrdball ver-
breitet und jedes Herr; erquickt, wie damals, so
noeb beute und in seeula seeulorum.

trockenem Pinsel laß das Gesicht in jener Farbe,
die man in Florenz „Verdaccio"? und in Siena „Vazzeo"
nennt, nach und nach hervortreten. Hast du die Form deines
Kopfes angegeben, und scheint er dir aber in den Verhält-
nissen oder auf irgend eine Weise nicht zu entsprechen, so
kannst du ihn mit einem größeren nassen Borstenpinsel weg-
waschen, um ihn dann zu verbessern. Nimm darauf ein
Töpfchen mit recht wäßrigergrünerErde und be-
ginne mit einem gestutzten Borstenpinsel, den du
zwischen Daumen und Zeigefinger der
linken Hand auogedrückt hast, »n
und zwar unter dem Kinn und an jenen Teilen des Gesichtes,
die dunkler sein müssen: unter der Unterlippe, in den Mund-
winkeln, unter der Nase, unter den Augenbrauen stark gegen
die Nase zu, ein wenig am Augenwinkel dem Ohre zu und so
gehe mit Empfindung alle Teile des Gesichtes und der Hände
? Man möge sich den Namen dieser Mischung merken.
Er kommt immer wieder vor!

Mrd Frankreich nationalsozialistisch?
Von
Gustav R. Hocke

Als auf dem Sozialistenkongreß irr Frankreich
bewußt die Konsequenzen aus dem Zusammen-
bruch der II. Internationale in Deutschland ge-
zogen wurde, klang der Zuruf eines Deputierten
innerhalb seiner Rede: „Nationaler Sozialismus!"
nur deswegen überraschend neu, weil er der be-
grifflichen Formulierung ähnlich war, die die neue
Volksbewegung in Deutschland gesunden hat. In
Wahrheit ist die Idee eines nationalen Sozialis-
mus in Frankreich keineswegs neu. Überall trat
sie dort auf, wo Frankreich jenseits aller Humani-
tären Romantik sich aus sich selbst besinnen mußte.
Ein orthodoxer Marxismus hat in Frank-
reich nie festen Boden fassen können. Die Ab-
straktheit dieser rein spekulativen, rein logistischen
Lehre, die den Hegelianismus zu ihrem restlosen
Verständnis voraussetzt — ist doch der Marxismus
keine autonom schöpferische Lehre, sondern in „di-
alektischer Verkehrung" der Hegelschen Philosophie
entstanden — ist in Frankreich niemals, auch nur
im Ansatz zur „Weltanschauung" geworden. Mit
den schärfsten Tönen hat noch vor einigen Jahren
Romain Rolland den einzigen ernst zu nehmenden
Dogmatiker dieser Richtung zurechtgewiesen und
seine Lehre als lebensfeindlich und lebenver-
fälschend zurückgewiesen. Dabei bediente sich
Rolland einer Argumentation, die ihn in mancher
Hinsicht seelisch dem neuen Deutschland verwandt
erscheinen läßt. Um so erstaunlicher sind seine
letzten Angriffe gegen das neue Deutschland, die
nur auf einem tiefen Mißverständnis
beruhen können. Eine radikale Klärung tut not.
Alle bisherigen autochton französischen Sozia-
lismen waren Romantik. Ihre Wurzeln liegen
in den Lehren von Saint-Simon (1760—1825), der
einem der ältesten Adelsgeschlechter Frankreichs
angehörte und von Fourier (1722—1837), der selbst
aus dem Kaufmannsstande stammte.
Saint-Simon ist Wohl der erste Begründer
dieser sehr französischen Jdeenromantik. Er wollte
einen Sozialismus des Gefühls begründen, aus
ihm sollte ein neues „Christentum" entstehen, das
losgelöst von Dogmen und Kultformen, eine Re-
ligion der Nächstenliebe und der Arbeit sein sollte.
Fourier war ein Gegner des Liberalismus und
stellte planwirtschaftliche Utopien auf, die an
Phantastik der Phantasiearbeit eines Jules Verne
gleichkommen. Bei ihm wird man gleichfalls das
Vorwiegen einer romantischen Fabulierlust
in Begriffen und Ideen finden. Er hielt

sich für einen Messias und dichtete gleichsam in
SoziaUsmus. Nichts an ihm voll der so sprich-
wörtlich gewordenen französischen Clarte. Der
moderne Sozialist Sorel, der Schüler Bergsons
und der geistlge Vater des Faschismus (nach einem
Bekenntnis von Mussolim) nennt einmal neun
Zehntel seiner Landsleute „unvollständige und un-
logische Fourieristen". Proudhon (1809—65) end-
lich, aus dem Proletariat stammend, kann man als
extremen Liberalisten kennzeichnen, der sich dem
Bakuninschen Nihilismus nähert, weil er jede
starke Staatsgewalt ablehnte und in der Rückkehr
zur Kleinarbeit in Handel, Industrie und Land-
wirtschaft das ökonomische Heil sah ohne gemein-
schaftsbewußte Bindung.
Ganz anders Georges Sorel, der in seinem
epochenlachenden Buch: „Maite de la violenee"
den Klassenkampfgedanken zu überwinden versuchte
und als Erfüller des Sozialismus eine macht-
willige Elite forderte, die gewissermaßen von
„oben" den Anarchismus der liberalistischen Wirt-
schaftsführung durch eine volksverbundene Minder-
heit von Führern neu ordnen sollte.
Mit Ausnahme der Lehre von Sorel, die durch
ihren Einfluß auf Mussolini welthistorische Be-
deutung gewann, zeigt dieser kurze Überblick ein
Doppeltes. Diese sozialistischen Lehren Frank-
reichs sind einerseits verschwommen Humanitär,
romantisch und internationalistisch, messianisch und
prophetisch-utopisch oder andererseits zersetzend
intellektualistisch und nihilistisch.
Zum Verständnis der weiteren Ausführungen
ist es wichtig zu wissen, daß diese Lehren in ihrer
einseitigen Verstandes- oder Gefühlsverlorenheit
immer von den wahren schöpferischen Geistern
Frankreichs abgelehnt worden sind.
Das Frankreich der „w estlerischen
Ideen" ist mehr ein Produkt ein-
gewanderter Fremder als ein Aus-
druck der französischen Wesensart
s e l b st.
Man ist gewohnt, das Zeitalter der Auf-
klärung als typisch französisch zu bezeichnen.
Und in der Tat ist das 18. Jahrhundert in seiner
repräsentativ gewordenen Gestalt von Voltaire
für eine solche Annahme sehr verlockend — aber
doch nur dem oberflächlichen Betrachter. Voltaire
selbst war im Grunde ein tiefer Pessimist, der
jeden „Fortschritt" und Atheismus nur sehr vor-
sichtig in seiner Praktischen Anwendungsmöglichkeit

beurteilte und in religiöser Hinsicht konservativer
war (wenn aucy nur aus pragmatischen Gründen),
als wir Wohl heute durch die allgemeine schablonen-
hafte Beurteilung wissen. Eine Geisteshaltung,
die er im übrigen durchaus mit Friedrich dein
Großen teilte.
Die meisten sogenannten Fort-
schrittsideen sind, wie neuerdings
zweifelfrei nach gewiesen wurde,
angloamerikanischer Import. Das
pathetische Menschenrecht in seiner nie überwind-
baren, heuchlerischen Doppeldeutigkeit angesichts
der Naturwidrigkeit seiner Voraussetzungen ist in
Amerika zur Zeit der Unabhängigkeitskriege ent-
standen und während des 18. Jahrhunderts nach
Frankreich hinübergeführt worden. Der Ma-
terialismus selbst in seiner krassen Einseitig-
keit ist nie eine wahre Ausdrucksart des französi-
schen Geistes gewesen. Seine bedeutendsten Ver-
treter im 18. Jahrhundert sind keine Franzosen,
wie schon die Namen Baron Holbach und Helvetius
zeigen. Echte Franzosen hingegen
wie Diderot und Robinet haben
jede einseitige mechanistische Welt-
deutung von jeher abgelehnt. Der
gallisch - germanische Untergrund
des Arier tums in Frankreich hat
sie immer als Fremdkörper empfun-
den. Der Begründer der Rasselehre
irr Frankreich, Graf Gobineau,
konnte die französische Revolution
erklären als Auf st and des ent-
arteten, durch fremde Irrlehren
verführten Pöbels gegen die frän-
kische Herrenschicht, ans der, in ihrer aus-
geprägten französischen Form, die besten geschichts-
bildenden Kräfte Frankreichs hervorgegangen sind.
Nie wäre der Erfolg Napoleons in Frankreich
möglich gewesen, wenn seine Erneuerung des ir-
rationalen Gefolgschaftswillens nicht den unter-
gründigen Instinkten des französischen Volkes ent-
sprochen hätte. Die Erklärung Gobineaus ist frei-
lich den historischen Tatsachen entsprechend mit
Vorsicht aufzunehmen, denn die aristokratische
Herrenschicht in Frankreich zur Zeit der Revolu-
tion war völlig degeneriert durch die maßlose
Selbstliebe eines absolutistischen Königstums, das
aus den Adligen nur noch Höflinge zu machen
verstand.
Es fehlte dieser Herrenschicht die Berechtigung
zum Führertum, die, wie Hitler sie sieht, nur
führungsberechtigt ist, wenn sie in dem Willen zu
dienen, dem Ganzen des Volkes zu dienen, sich
ständig erneuert.
Verfolgen wir aber weiter den Werdegang des
Liberalismus in Frankreich mit seiner demo-
kratischen Regierungsform und seinen immer wie-
der wie ein Strom unter diesen offiziellen Staats-

und Lebensformen fließenden sozialistischen
„Menschheitsideen", die meistens von entwurzelten
kleinbürgerlichen Literaten mit viel kurzsichtigem
Pathos verkündet wurden, so wird man im Be-
wußtsein der schöpferischen Geister, die diesen Vor-
gang betrachten, während des ganzen 18. Jahr-
hunderts nur Ekel und Empörung finden.
Die Romantiker, die eine Rückkehr zu den natür-
lichen Werten eines Volkes herbeisehnten,
lehnen schon — ähnlich wie in Deutschland der
unvergleichliche Novalis, Eichendorfs
u. a. — die aufklärerischen Tendenzen der Zeit
ab, weil sie die Welt entzaubern. Diese Haltung
ist keineswegs eine ästhetische. Sie entspringt dem
Willen, zu den reinen unverdorbenen Quellen des
Menschentums zurückzukehren und von hier aus
eine unkonstruierte natürlich gewachsene Wert-
ordnung der Gemeinschaft zu finden. So der tiefe
Schmerz Mussets und Vignys im Zeitalter der
industriellen Hybris, so Chateaubriands
Sehnsucht nach neuer Ursprünglichkeit und einem
neuen echten Christentum gegen die Göttin Ver-
nunft der Revolution. Balzac hingegen, der
geniale Romanschriftsteller, legt ohne polemisches
Wollen in der ganzen Naivität des jeden: Pro-
gramm Abholder: die sittlichen Mängel der Zeit
des sogenannten Bürgerkönigtums dar, diese
staatspolitische gesichtslose Mischung aus Restau-
ration und Liberalismus. In dem berühmten
Roman „Reau de ella^rin" spiegelt sich die ganze
Verzweiflung der wahren französischen Jugend
wider, der in einem zweifelhaften liberalistischen,
trügerischen und heuchelnden Gesellschaftsleben
die höchsten Lebensideale verloren gingen.
Der berüchtigte Nihilismus der
französischen Geistigkeit, der in
greisenhafter Skepsis und elegan-
tem, aber oft leerem Formenspiel
des Geistes, z. B. bei Anatole France
ausartet, nimmt hier seinen Aus -
gang. Er ist wie bei den: Riesen
Balzac nicht Ausdruck eines Wesens-
grundes, er ist Auflehnung gegen
eine verlogene Staatsform, gegen
ein Pharisäertum der nur noch für
Geldwerte interessierten „Gesell-
schaft" in ihrer rein händlerischen
Orientierung. Die echte französische Gesell-
schaft hingegen, dort, wo sie noch mit den natio-
nalen Werten verwurzelt ist, sondert sich chinesen-
haft ab. (Ein wundervolles Bild ihres Glanzes
und ihres Elends gibt Marcel Proust in seinen:
großen Romanwerk.)
Wo aber die Auflehnung gegen die interesse-
gebundenen Sturheiten der herrschenden, rein
anonymen Institutionen zerschellt, schlägt sie in
nihilistische Verzweiflung um.
Fortsetzung folgt
 
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