Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst der Nation — 2.1934

DOI article:
Hieber, Hermann: Schaffende Arbeit in der Kunst
DOI article:
Hocke, Gustav René: Wird Frankreich nationalsozialistisch?, [2]
DOI article:
Man, Helmut: Auquarell-Ausstellung im kölner Museum
DOI article:
Dargel, Felix Alexander: Vier Jahre Erich Heckel
DOI article:
Carls, Carl Dietrich: Die Wertung der Malerei
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0059

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Kunst der Nation

ü

weiter und uralt mit der „Teppichmauufaktur" das
früheste Jndustriebild. Im republikanischeu Hol-
land versetzt Rembrandt die „Heilige Familie" in
den Schmutz und Staub der Zimmermannswerk-
statt, und ein Adrian van Ostade radiert Flick-
schuster, Scherenschleifer und ähnliche Klein-
gewerbetreibende, während gleichzeitig der Bauer
nur als ein roher, besoffener Tölpel erscheint, nie-
mals bei der Arbeit. Umgekehrt macht die höfische
Kunst des achtzehnten Jahrhunderts Zierpuppen
und Tändelfiguren ans den Schäfern.
Bis dann schließlich, ein Jahr nach der Fe-
bruarrevolution, ein französischer Bauernsohn,
Francois Millet, den arbeitenden Landmann in
seine Rechte einsetzte, und, verhöhnt und an-
gefeindet von der bürgerlichen Gesellschaft, die sitt-
liche Größe der schaffenden Arbeit feierte. Nach
ihm hat ein deutscher Maler, Adolf Menzel, den
städtischen Industriearbeiter als malerischen Ge-
genstand entdeckt in seinem „Eisenwalzwerk" von
1875. Das war in der Zeit, als ein Feuerbach, ein

Wenn mail die vielen Ausstellungen übersieht,
die unter dem Thema „Deutsche Landschaft" im
verflossenen Jahr veranstaltet worden sind, kann
man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß viele
nicht, wie es doch eigentlich selbstverständlich ge-
wesen wäre, unsere Art, die Landschaft zu sehen
und zu gestalten, aufzeigten. Man zog und zieht
noch Bilder aus verstaubten Winkeln hervor, die
ganz den Geist jenes behaglichen und befriedeten
Bürgertums atmen, erst recht konventionell, wenn
jene Bilder erst in jüngster Zeit verstaubten oder
gar verstaubt zur Welt gekommen sind. Das,
was wir unter „Düsseldorferei" verstehen,
jene Kunst der Achenbach, Schreuer,
DÜcker und ihrer Epigonen, ist so recht
die Verkörperung der kraftlosen Lieblings-
träume und Privatideen der bürgerlichen Ge-
sellschaft, Lieblingsträume, die nie in den
auch damals tat- und wagemutfordernden All-
tag hineinreichten, sondern die, dem wirklichen
Leben fern, den Mußestunden angehörten, die
infolgedessen auch die Mußestunden behaglich
ausfüllen, Romantisch-Erdachtes im Bilde auf-
bauen und mit zarten Stimmungen füllen sollten.
Die späte Genre-Romantik und die Kunst der
späten Niederländer mischten sich zu neuen Bild-
idealen. Freilich das, was man jenen alten
Vlamen und Holländern des 17. Jahrhunderts
entnahm, war nicht ihre schicksalhafte Schwere,
nicht ihre kämpferische Erregung, sondern meist
nur das romantische oder genrehaft alltägliche
Motiv, zarte Stimmungswerte oder die unauf-
dringlich tonige Farbgebung. Losgelöst von dem
lebensernsten Gehalt jener Kunst werden diese
Elemente bald zur Schablone und Konvention.
Mit diesen Mitteln ließ sich keine neue bodenstän-
dige Landschaftskunst aufbauen. So ist es be-
zeichnend, daß der dem Boden verwachsenste Maler
jener Zeit, daß Wilhelm Leibl es gar nicht
wagte, landschaftlicher Gestaltung näherzutreten.
Wir können nur denken, daß das, was in seinen
Bauerngestaltcn lebt und was für die Landschaft
dieser Menschen charakteristischer ist als alle De-
fregger und Vautier, auch in seinen Land-
schaftsbildern lebendig geworden wäre, wenn ihm
die Mittel der neuen Generation schon zur Ver-
fügung gestanden hätten. So haben nur wenige
Maler jenes Jahrhunderts die Wesensart deut-
scher Landschaft mit den alten Mitteln einfangcn
können.
Diese deutsche Landschaft, die im Bilde unserer
Zeit entstehen sollte, konnte nicht phantastischer
Aufbau oder idyllische Stimmung sein, sondern

Goebbels, daß der Nationalsozialismus Europa er-
obern wird, in der Tatsache zu finden, die Wohl
zukunfthaltig ist: Hitlers Volkstumbegriff, seine
Ablehnung aller imperialistischen Abenteuer, weil
ihm die Volkstümer heilig sind, seine Verbindung
voll Volksgeist und bodenständigen Sozialismus
in ständestaatlicher Ordnung, die organische syn-
thetische Lehre des Nationalsozialismus beginnt im
Herzen der französischen Jugend Wurzel zu fassen.
Der Brief eines jungeil französischen Journalisten,
in dem er dem deutschen Führer seine Bewunde-
rung ausspricht, ist nur ein blasses Symptom;
Herves und Taittingers Versuche, in Frankreich
eine faschistische Kampftruppe zu gründen, gehen
schon weiter. Wichtiger und bedeuten-
der ist, daß von Tag zu Tag das
Lebensgefühl der französischen Ju-
gend das Geschehe ll in Deutsch-
land empfänglich und begierig als
eine eigelle Möglichkeit erkennt.
Das Gleichgewicht der gleichberechtigten, staat-
lich stark zusammengefaßten Volkstümer mit so-
zialem Gerechtigkeitssinn beginnt die Idee des
Jahrhunderts zu werden.
Für Frankreich, für das wahre und echte
Frankreich ist die Idee so etwas wie der Wunsch-
traum einer eigenen langen Sehnsucht. Zwei
junge Menschen sind es, die bei aller nationalen
Verschiedenheit die gleichen Sehnsüchte, das gleiche
Wollen, das gleiche Lebensgefühl hatten, unter-
halb jeder natürlichen Formverschiedenheit:
Möller van den Bruck und Henry
de Montherlant. Ein Deutscher
und ein Franzose.
Der Anstoß aber zur Verwirklichung, die echt
germanische Einheit von Wort lind Tat ist durch
das Beispiel von Deutschland gegeben worden.
Eingeengt und eiugezwängt zwischen zwei Ge-
fahren: die eigene den Forderungen der Zeit ent-
fremdete Regierung und der wachsendell deutschen
Emigrantenschar, die begreiflicherweise das Bild
des neuen Deutschland verfälscht, steht die französi-
sche Jugend vor ihrer eigenen Möglichkeit.
Wenn ill Frankreich die Jugend siegt — wird
Frankreich nationalsozialistisch.

Böcklin, eill Maraes sich aus ihrer „prosaischen"
Umwelt in südliche und vergangene Welten flüch-
teten. Von da ab bedarf es keiner Vorwände und
keiner Entschuldigungen mehr für die Darstellung
des schassenden Zeitgenossen. In Hans Thoma und
Wilhelm Leibl erstanden der deutschen Kunst die
Gestalten echten Bauerntums im Gegensatz zu deu
kleinbürgerlich-verlogenen Familienblattillustra-
toren Vautier und Defregger. Und während der
Belgier Constantin Meunier den Bergwerks-
arbeiter zur Mouumentalfigur erhob, nahmen sich
die Fritz von Uhde und Graf Kalckreuth der bisher
Verachteten und Übersehenen an, „deren Leben
Mühe und Arbeit gewesen ist".
Niemand wagt es heute mehr, den Künstler,
der den arbeitenden Menschen verherrlicht, einen
'„Elendsmaler" zu schimpfen. Denn endlich
haben wir entdeckt, was uns echter erscheint und
fruchtbarer als der mittelalterliche Heiligenschein:
den Adel der schaffenden Arbeit.

mußte gleichsam ein revolutionäres Erobern des
Bodens bedeuten, mußte unseren Kampf um
unsere große Gegenspielerin, die weite und viel-
gesichtige Natur, aufzeichnen. Nur mit neuen
Mitteln, mit einer neuen Formenspache von Farbe
und Linie, die der Impressionismus und Neo-
impressionismus uns eroberten, konnte man am
Ende des Jahrhunderts an diese schwierige
Aufgabe herantreten. Schon Cezanne, van
Gogh und Munch haben ihren Bildern
die Kraft und Lebendigkeit, die wir heute
in der Landschaft empfinden, die neue Bin-
dung von Mensch und Landschaft gegeben,
die uns, „wenn wir sie durchwandern oder
in ihr rasten, zur Lebenslandschaft wird".
Seit der Zeit, seit Jahrzehnten, da die Zu-
sammenpferchung der Menschen in den steinernen,
unromantischen Städten begann, seitdem die Luft
stickiger, die Erde buchstäblich unseren Füßen ent-
zogen und das Lebenstempo gehetzt wurde, seit-
dem wir zwangsmäßig in diesen Gewaltmarsch
durch das Leben eingeordnet sind, empfinden wir,
was die Landschaft dem Leben des Volkes wie

unserem bedeutet. Der Dichter Wilhelm von
Scholz sagt einmal: „Es ist das Schicksal alles
höheren Kulturlebens, des Geistigen in einer Zeit,
daß seine Daseinsbedingungen immer übertra-
gener, mittelbarer, verwickelter werden, daß es
wie Antäos vorn zeugenden und nährenden Boden
der mütterlichen Erde abgedrängt wird in eine
zuletzt unfruchtbare Höhe. Will es nicht zer-
gehen und zerflattern, muß es immer wieder die
kräftigende Berührung mit dem Boden suchen."
Man hat sich gegen das Abdrängen vom Boden
aufgelehnt von der Jugendbewegung bis zu der
nationalsozialistischen hin, und nirgendwo ist der
Kampf um die Natur klarer und eindeutiger aus-
gezeichnet worden als in den Bildern neuer Land-
schaft. Wie man nicht mehr spazierengehen wollte,
sondern wandern, um den beruhigenden Atem der
Natur, ihre kraftspendende Nähe und Heimatlich-
keit zu finden, so wollte man keine Erinnerungs-
bilder mehr malen, sondern die Landschaft zum
Symbol für das ewige Lebensgesetz werden lassen.
Sie sollte das Symbol unserer sehnsuchtsvollsten
oder revolutionärsten Lebensideale, unserer Le-
bensnöte und unseres Freiheitsdranges sein.
Pantheistisches Allumfassen, unheimliche Ein-
samkeit oder prometheisches Aufbäumen und Ge-
staltenwollen der zwangsläufigen Wirklichkeit fan-
den ihre stärksten, erhabensten, oft auch tragischsten
Verkörperungen in den Bildern der Nolde,
Schmidt-Rottluff und Heckel.
Aber das ist nicht das erste Mal, daß ein
solcher Wille und eine solche kämpferische
Geisteshaltung in der deutschen Kunst lebt,
ein Wille, der deshalb wahrhaft heroisch ist,
weil er zu Kapmf und wahrhafter Ausein-
andersetzung drängt. Ein Caspar David
Friedrich ist uns doch deshalb heute so ver-

Brbitto ^.NAvboto von
Z r o 6 6 i- tzualität
von
I,. (?o^rntk
/'auka Mocke^sokn-Lecken
Macke
^.NAoboto mit I'botoK unter Nr. 4547 UN cken
VorlaZ Lunst clor Nation O. rn. b. H., Berlin
IV 62, Nurkür8ten8tra6e 118.

Wandt, weil er seine Bilder zu Symbolen dieser
wesentlich deutschen Geisteshaltung steigert. Wenn
ein Mönch einsam unter dem dunkelbewegten Him-
mel am aufgischenden Meer steht, ist das keine Er-
zählung oder Gruselballade mehr, sondern das
Bild ist zum Symbol für die dämonisch unheim-
liche Einsamkeit und Hilflosigkeit des Menschen
dem Naturgeschehen gegenüber geworden. Und
wenn eine andere Gestalt allein in eine lichte
Landschaft von zauberhafter Ferne und lieblicher
Nähe unter den weitfassenden Regenbogen gestellt
ist, mag das die Allverbundenheit von Mensch und
Natur bezeichnen. Das alles ist gar nichts anderes,
als wenn Emil Nolde in einem Meerbild die
unheimlich drohende Kraft und Übermacht jener
Natur gestaltet oder wenn Heinrich N a u e n in
die weithingestreckte niederrheinische Ebene unter
den regenschweren herüberhängenden Himmel
blockhaft einen einzigen Menschen so hineinstellt,
daß man das durch Erbgut und Arbeit gewordene
Verbundensein von Mensch und Natur heraus-
spürt.
Eine Ausstellung „Deutsche Landschaft im Bilde
unserer Zeit" muß deshalb bei diesen Malern
von 1910 beginnen, die das Fundament für die
Tradition bilden, die sich schon in unsere engere
Gegenwart hinein entwickelt hat. Junge Künstler,
auch weniger bekannte, reihen sich zu einem Ge-
samtbild zusammen, das dem entspricht, was wir
als das unserer Zeit zugehörige charakterisiert
haben. Wir empfinden die Tradition, die von
Nolde zu Winkler, von Munch zu Kluth, von
Heckel zu Kaus führt, aber wir spüren
auch die fruchtbare Wandlung, die
schöpferische Kraft der Kommenden.
Nicht Ekstatik oder Dämonie bestimmen das Bild
der Ausstellung, sondern ruhige Kraft, stille Größe
und charaktervolle Jdyllik.
Vier Jahre Erich Heckel
„Wir sind nichts; was wir suchen ist alles." —
Niemand kennt die Wahrheit dieses Wortes
Friedrich Hölderlins besser als der Künstler. Eben
dies unterscheidet den Schöpferischen vom Emsigen
und Fleißigen, daß er nie fertig, nie völlig zu
fassen, daß er immer gleichsam auf dem Wege ist.
Schmerzlich liest der Künstler zumeist, was der
urteilend Schreibende über ihn aussagt. Zwischen
Feind und Freund bleibt er in schwebender Mitte.
Niemand weiß besser als er selbst, wo Grenzen ihn
bannen, sein bester Freund ist die innere Gewiß-

heit seiner Berufung. Nur aus ihm selbst kann
das Gesetz gefunden werden, der Maßstab, mit dem
zu messen ist. Das hat weder mit einem Rückfall
in ein liberalistisches l'art gour l'art etwas zu
tun, noch mit einem neuen Geniekult. Das ist im
Grunde eine sehr einfache Sache. Man braucht
nur durch einen Wald oder einen Garten zu
gehen, und man hat den Sinn in der Hand. Nie-
mand wird von einer Eiche verlangen, daß sie wie
eine Buche wächst, oder von einer Pappel, daß sie
wie eine Linde ausschaut. Aber stehen zwei Kie-
fern dicht bei einander, so kann man immerhin
entscheiden, in welcher von beiden sich das Gesetz
der Kiefer am klarsten erfüllt hat.
Erich Heckel ist eine Birke. Damit sei kein
flinkes Schlagwort gebildet, nur ein einmaliges
Beispiel zur Verdeutlichung. Weiß und leicht und
keineswegs ohne Modellierung seiner Silhouette
hebt sich der ranke Stamm. Lichtgrün überhängt
ihn das Laub wie ein beim leisesten Winde
wehender Schleier. Aber die Birke ist zäh und
empfindlich zugleich. Sie wagt sich, dies lehrt die
Geographie, bis in den hohen Norden, ihr Holz ist
empfindlich, wir sagten es schon, aber was ein
guter Tischler mit ihr anfiug, hat immerhin schon
ehliche Jahrzehnte überdauert. Manchmal, am
Rande der Stadt, ist sie in der Tat sehr zart und
zerbrechlich, aber man ist zuweilen auch überrascht,
wie weit und stolz sie emporstrebt. Wacker hält sie
sich an Hommerschen Landstraßen, wenn hier und
da ihre Silberrinde auch rissig und grau ward.
Kurzum, auch die Birke erweist sich energisch,
stemmt sich auch dem herben Wetter entgegen.
Erich Heckel ist eine Birke. Er ist im letzten
Jahre seines Schaffens, seines Wachstums, eben
eine solche Birke, die sich dem Wetter tapfer ent-
gegenbeugt. Eine Birke, die ihr inneres Gesetz
mit keinem Ästchen verleugnet, die aber eben
jetzt auch den Zweifler belehrt, welch nord-
hafter Zähigkeit sie fähig ist. Vier Jahre
umfaßt die Ausstellung der Galerie Möller in
Berlin. Das letzte davon, das Jahr 33, brachte
den Sturm und die Bestätigung. Die Farben
werden voller und satter, in den Landschaften
schieben sich Wiesen und Acker zu festen Gruppen
zusammen, Schienenstränge, Flüsse, Wege queren
kühn und energisch den Bildraum, kantiger als
vordem sind die Ränder der Berge, und ihre Kon-
turen künden Härte und Trotz. Die Begriffe
„Birke" und „Lied" sind so nah verwandt wie
„Drama" und'„Eiche". Aber wie die Wurzeln der
Birke tiefer in die Erde Packen, so hat das Lied
einen Marschtakt bekommen, und kriegerischer
strömt es aus seinen Strophen. „Straße in der

Aquarell-Ausstellung im Kölner Museum
Von
Helmut May


Schild einer Hufschmiede. Süddeutsch, um 150». Aus: Brandt, Schaffende Arbeit. Verlag Kröner, Leipzig

Der Monat November. Chartres, Kathedrale
Aus: Brandt, Schaffende Arbeit. Verlag Kröner, Leipzig


Landschaft", so wie wir dieses Gemälde Erich
Heckels etwa aus deu rund fünfzig dargebotenen
Arbeiten herausgreifen, so verspüren wir deutlich,
wie neue Kraft das Ganze durchdringt und das
innere Gesetz, die Birke, der Mensch und Maler
Erich Heckel sind eben hier mit schöner Reife
erfüllt.
Erich Heckel wurde im vorigen Sommer ein
Fünfziger. Auch der Erfolg, der ihm nach zäher
Mühe ja nicht fehlte, verführte ihn nicht zur Scha-
blone. Wenn man gleichwohl einen „Heckel" immer
wieder erkennt, so beruht dies auf der inneren
Struktur, der inneren Gesetzlichkeit. Wie ein be-
stimmtes Mineral immer wieder in der gleichen
mathematischen Form kristallisiert, wie man aus
dem Bruchstück eines Schneckenhauses das ganze
Gebäude rekonstruieren kann, so enthält ein Qua-
dratdezimeter eines Heckelschen Bildes gleichfalls
das Gesetz, die Struktur des Ganzen. Das hat zu-
nächst mit dem Motiv, mit dem Inhalt des Bildes
gar nichts zu tun, das ist das gleiche, wie etwa ein
beliebiges Stückchen Holz den Baum, dem es ent-
nommen ist, im Teile enthält und ausdrückt. Das
ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit und bei
jedem alten wie neuen Meister ablesbar und be-
weisbar. Aber w i e reich, w i e deutlich, w i e klar
auch ein Teilchen den Meister wiederzugeben und
zu repräsentieren vermag, eben dies entscheidet
seinen künstlerischen Rang.
So klingt es hoffentlich jetzt nicht mehr so ver-
wunderlich, wenn wir eingangs Erich Heckel einer
Birke verglichen. Wir wollten damit nichts an-
deres, als das Besondere und doch Organische
seines Wesens wortbildlich umschreiben und ein-
laden, nunmehr selbst den Hain seiner Bilder
offeneren Herzens zu durchwandeln. Man wird
anmutige und heitere Birken finden und trotzige
und herbrissiae, aber immer Birken. Fünfzig Ge-
mälde und Aquarelle, Holzschnitte und Litho-
graphien und immer — Erich Heckel.
ll'. vurxel
Die Wertung der Mlerei
In seinen Betrachtungen zur modernen Kunst
betont Ortega y Gasset den Satz, daß der Gegen-
stand der Kunst nur künstlerisch sei in dem Maße,
wie er nicht wirklich ist. Die Feststellung, daß das
Dargestellte und die Darstellung zwei völlig ver-
schiedene Dinge sind, sagt zwar eigentlich nichts
Neues. Sie führt aber mitten in die Wesens-
bestimmung der neuen Kunst hinein, die dem
formalen Element vor dem gegenständlichen
wieder Vorrang gewährt hat. In der modernen
Kunst muß der Blick mehr denn je auf die durch-
sichtigen, formalen Schichtungen gerichtet werden,
bevor er zum Gegenständlichen hindurchdringt.
Der schöne und bedeutende Gegenstand spielt
in der Malerei nicht mehr die Rolle, die ihm einst
zufiel. Der Begriff einer idealen Schönheit hat
sich verflüchtigt. Wenig interessiert uns das so-
genannte „schöne Bild", das in sich ausgeglichene
und sorgfältig durchgearbeitete Einzelwerk, wenn
nicht der volle Einsatz eines Menschen in ihm
spürbar ist.
Wir fassen bei der Bewertung heute gewöhn-
lich nicht die Einzelbilder, sondern das Gesamt-
wert eines Malers ins Auge. Wir erwarten, daß
seine Bilder Dokumente einer inneren Entwick-
lung sind, einer Auseinandersetzung mit der Welt,
soweit sie durch Linie und Farbe zu erfassen ist.
Wir wollen in einem Bilde die Handschrift eines
Geistes spüren, der sich in die Erscheinungen ver-
tieft hat und sie nach seinem eigenen Bilde um-
formt und neu gestaltet. Das Werk des Malers
soll Ausdruck einer geistigen Persönlichkeit sein.
Nicht mehr die Übereinstimmung mit der
Wirklichkeit, wie sie der Mensch täglich wahr-
nimmt, ist wichtigstes Gebot. Die gemalten
Gegenstände können von denen draußen wesent-
lich abweichen. Die Wirklichkeit wird umgeformt,
verwandelt, entwirklicht. Der Betrachter muß
lernen, den Blick von der Natur weg ganz auf
das Bild zu richten und den Antrieb mitzufühlen,
aus dem heraus hier etwas aufgebaut wird, was
nicht mehr nur Abbild des Natürlichen, aber sinn-
voll nach eigenen Normen ist.
Die Kunst verzichtet auf den Wettlauf mit der
Wirklichkeit. Von der Darstellung der Dinge geht
man zur Darstellung der Ideen über. Der Künst-
ler wendet den Blick nach innen und versucht auf
 
Annotationen