Kunst der Nation
3
des 19. Jahrhunderts von ihren Atavismen be-
freit, ihre entwicklungsfähigen Bautypen vervoll-
kommnet. Einzig und allein dies ist echte „Tra-
dition" im heutigen Banen; alles andere ist bloßer
„Formalismus".
Es ist außerordentlich lehrreich, die Bauten der
Hochbauabteilung der Münchener Ober-
postdirektion auf ihr Verhältnis zur „Tradition"
hin anzuschauen. Die reifsten — und nicht zufällig auch
„modernsten" Schöpfungen mögen bei oberflächlicher Be-
trachtung als schlechthin „traditionslos" erscheinen. Die
öffentlichen Verwaltungsbauten des 10. Jahrhunderts sahen
allerdings — bis auf wenige Ausnahmen, deren wichtigste
schon erwähnt wurden — anders, pompöser aus, besonders
in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Den neuen bay-
rischen Postbauten fehlt alles aufdringliche „monumentale"
Pathos. Sie halten sich von jeder Nachahmung historischer
Stile, von dem äußerlich Repräsentativen frei. In den mit
romanischen, gotischen oder Nenaissanceformen prunkvoll auf-
geputzten Postschlössern standen Beamte und Kunden in
dumpfen, schlecht gelüfteten, schlecht belichteten Räumen, in
denen sich trotz aller spiegelglatten Marmorsäulen und üppig
verschnörkelten Schalterbauten kein Mensch wohlfühlen konnte.
Die modernen Posträume sind viel einfacher, schmuckloser, in
ihrer schlichten Klarheit und Lichtheit aber nicht nur prak-
tischer, sondern auch menschenwürdiger. Und wie die Räume
im Innern ist das Äußere: knapp, straff, klar in der Form,
sauber und ehrlich in der Gesamthaltung, nicht markt-
schreierisch repräsentativ, sondern im Verzicht auf falsche An-
sprüche — würdig.
Der Typus des modernen Postbaus, wie er heute vielfach
in München und Bayern verwirklicht ist, hat sich erst allmählich
entwickelt. Die erst 1921 neu errichtete eigene Postbauver-
waltung in Bayern war in den ersten Jahren bei ihrer
Bautätigkeit noch sehr stark von romantisch-heimatschütz-
lerischen Eedankengängen bestimmt. Man versuchte die Neu-
bauten in ihrer Eesamterscheinung wie in Einzelformen dem
Charakter vorhandener historischer Bauten anzugleichen, vor
allem auf dem Lande. Man wollte die „ortsübliche Bau-
weise" bcibehalten. In der Praxis tauchten aber bald in
diesem oder jenem Einzclfalle erhebliche Zweifel auf, welcher
der „landesüblichen Bauweisen" man den Vorzug geben
solle, ob die Angleichung an die Form des oberbayrischen
Bauernhauses (wie in Lenggries und Nottach am Tegern-
see), an den Spätbarock landstädtischer Bürgerhäuser oder
an die bürgerliche Gotik das Bessere wäre — ein für unsere
Situation, wo wir an Stelle einer festgefügten, sicheren
Tradition nur die völlige Wahlfreiheit unter den historischen
Stilen haben, sehr bezeichnender Zweifel. Derartige Zweifel
verstandene romantische Angleichung an „ortsübliche Bau-
weisen" (unter welcher Flagge auch die scheußlichsten Nach-
geburten des französischen Mansartdaches gehen!).
Wenn eine staatliche Baubehörde wie die
bayrische Postbauverwaltung an der Erneuerung
des baulichen Gesichts Münchens und so vieler
bayrischer Landstädte und Dörfer so hervorragen-
den Anteil haben konnte, so liegt das nicht nur an
der Zahl der Bauten, noch nur an der Qualität
einzelner Bauten, sondern daran, daß es hier
gelang, ein wirkliche Arbeitsgemeinschaft
zu schaffen, der Josef Popp mit Recht nachrühmt,
der Geist der alten Bauhütten sei hier in neuer
Form lebendig geworden; zwischen den Bauleuten
herrschte ein Verhältnis, wie ehedem zwischen
Meister, Gesellen und Lehrlingen, die alle gleich-
mäßig der Gedanke und Wille für das Werk er-
füllt. Solcher Gemeinschaften bedarf es, um an
die Stelle des Chaos der Formalismen eine neue,
wahrhafte Tradition zu begründen.
Einen Überblick über die Bautätigkeit der Münchner
Abteilung des Reichspostministeriums vermitteln die Abbil-
dungsbände „Neuere Postbauten in Bayern", deren erstes
Heft 1925, deren zweites Heft mit einer bemerkenswerten
Einführung von Josef Popp 1928 erschienen ist. Ein dritter
Band ist zur Zeit im Druck.
8inn686LnciruelL und Oe8tu1tuu^
LauskaNs clöir einzelnen Null gänrliok Zugunsten einer Ver-
selnnslLung mit dem Lunrwn seines xersönlieUen Vorstel-
iungssekutLös.
Daliir sprlekt sein Werk. Unter <Zen Krbsitsn seiner
lotsten Lebsnsjakre befindet, sieb weder ein Landsekakts-
Legends überflüssig wurde.
Ns ist in seinem Werks weder ein Vlotiv noob ein Lin-
kull naebLuwsisen, und swar weder in dem weiteren Kinns,
verstärkten sich durch die in
München bei einigen größeren
Bauaufgaben (Verwaltungs-
bau der Oberpostdirektion,
Paketzustellamt), wo ebenfalls
eine Anknüpfung an „tra-
ditionelle" Bauformen versucht
wurde, gemachten Erfahrun-
gen. Auch hatte sich für die
Postdiensträume mehr und
mehr ein fester, nach den je-
weiligen Bedürfnissen abwan-
delbarer Typus hcrausgebil-
det, dessen zweckgerechte, bis
ins kleinste Detail wohldurch-
dachte, aus den praktischen Er-
fordernissen notwendig erwach-
sene formale Durchgestaltung
mit der äußeren Form des
Gebäudes, die ganz andere,
auf Angleichung an Vorhan-
denes gerichtete Gesichtspunkte
mitbestimmten, in Mißver-
hältnis geriet.
In gewissenhafter Ausein-
andersetzung mit den Proble-
men, die das romantisch-hei-
matschützlerische Prinzip der
Angleichung und die neuzeit-
lichen betriebs- und bautech-
nichen Erfordernisse stellten,
Postamt Pressath. Hochbauabtcilung der Oberpostdirektion München
(Leitung: Oberpostbaurat Holzhammer)
wurden sich Ministerialrat Robert Poeverlein, mit
dem die neue Baubehörde eine ausgezeichnete Führung
erhalten hatte, und Robert Vorhoelzer, der als
Leiter der Münchner Hochbauabteilung dank seines her-
vorragenden Organisationstalentes und seiner starken
pädagogischen Begabung auf den gesamtbayrischen Post-
baubetrieb bedeutenden Einfluß gewonnen hatte, dar-
über klar, daß eine neue Lösung auch für die äußere
Gestaltung der Bauten gesunden werden mußte. Der
in der Gestaltung der Jnnenräume eingeschlagene Weg
mußte konsequent zu Ende gegangen werden, um die äußere
Erscheinung zum vollkommenen Widerspiel des Inneren zu
machen. Das bedeutete aber eine Absageandasbis-
herige Prinzip der Angleichung, so begei-
sterte Zustimmung auch die bisherigen Bauten — und wahr-
lich nicht mit Unrecht — in der Öffentlichkeit gefunden
hatten.
Auf dem Wege der schrittweisen Befreiung von den
ästhetischen Anschauungen der älteren Münchner Architekten-
schule (heute vor allem durch Vestelmeyer vertreten) liegt
bezeichnenderweise ein Bau, der bewußt an die Gärtnersche
Tradition, an die Bauten der Münchner Ludwigstraße, an-
knüpft, nicht nur im frontalen Massenaufbau, sondern auch
noch mit einzelnen klassizistischen Detailformen. Vorhoel-
zer und sein Mitarbeiter Walther Schmidt ent-
decken also die „Tradition" in jenen Bautypen des 19. Jahr-
hunderts, die in der Tat nicht nur entwicklungsfähig sind,
sondern unmittelbar in der Entwicklungslinie der modernen
Architektur liegen. Noch etwas früher liegt die Auseinander-
setzung mit einem vorzüglichen, in den Einzelformen goti-
sierten Staatsbau von Bürklein in dem noch Gaertnersche
Tradition steckt: Vorhoelzers Umbau des Münchner Post-
scheckamts. So überraschend es zunächst klingen mag, läßt
sich behaupten: Vorhoelzer habe mit und über die Anknüp-
fung an die Verwaltungsbauten Gartners nicht nur den An-
schluß an die Münchener „Tradition" (die ja keineswegs
Klenze ausschließlich repräsentiert!), sondern vor allem auch
den Anschluß an die moderne europäische Architektur voll-
zogen. Das letztere endgültig in dem Postdienstgebäude an
der Tegernseerlandstraße (s. Abb.). Es ist der erste, im
Sinne der neuen Baubewegung wirklich moderne Bau, den
München erhalten hat, und zugleich eine der vorzüglichsten
Leistungen der modernen Architektur überhaupt. Eine wüste
Vorstadtgcgend ist durch ihn zu einem grobformierten Platz
geworden. Vorhoelzer und Walther Schmidt erwiesen sich
als einsichtsvolle Städtebauer, indem sic den Bau noch hinter
die offizielle Baulinie zurücklegten, um die Kreuzung zweier
wichtiger Verkehrsstraßen zu einem geordneten Platz aus-
zugestalten. Im selben städtebaulichen Geiste ist das Mün-
chener Postamt „Am Harras" projektiert. Auch in anderen
bayerischen Städten begegnet der Vorhoelzersche Postbau-
typus, der im Rückblick auf die „sachlichen" Bauten vor hun-
dert Jahren, von Hübsch, Schinkel, Gärtner die reife, eine
entromantisierte, cnthistorisierte Entwicklungsstufe jener
„sachlichen" Baugesinnung repräsentiert, die städtebaulich in
München wie in anderen Städten mit der altstädtischcn Tra-
dition ebenso radikal brach wie die neuen Münchener Post-
bauten mit allem formalistischen Traditionalismus. Auf
dem Lande hat man beim Postbau die Versuche einer An-
gleichung an die „ortsübliche Bauweise" auch aufgegeben.
Es wird an einem schlichten Haustypus mit Steildach im all-
gemeinen festgehalten. Aber jede Art einer Angleichung an
historische Bauten, sei es durch abgetreppte Giebel, An-
knüpfung an barocke Formen oder an das Bauernhaus, ist
aufgegeben. Zweifellos zum Vorteil eines würdigen Ge-
sichts unserer Postämter wie der Landschaft, der ja noch nie
durch ein gutes modernes Haus, sei's auch mit Flachdach,
Schaden zugefügt wurde, sondern immer nur durch eine miß-
stsiien näkrt, wo er immer ging und stand, kaum eins Ln-
terbreekung erlitten trat. Keine Aufmerksamkeit war be-
ständig auf dis ibn umgebenden Vings gsriebtet und es
niebt vsrbindsrten ails Lrsekeinung im ^.ugs 2U bedsiten.
Vas beobaebtends Kebauen war bei ikm niebt eins beson-
ders, aut gewisse Ktundsn des Lages desebränkts, auk ge-
ssin Leben. — ,,8sben lernen ist ^.iies," pkisgte er 2u
sagen. — vskbaib war ibm aueb der ^uksntkait In Italien,
dessen Klars ^.tmospkärs Lum Köken errüebt und dessen Ls-
woknsr einen natüriiekeren Verkeim mit Kult und Liebt
pflegen als wir Hyperboreer, 2um unabweislieben Ledürk-
niü geworden. —
Lersöniiek sebeint Llaröss krakt seines auk eins gs-
sebiosssns Lebenstbätigkeit geriekteten Willens den ^ntbeil
der Lmpkindung an den Lssiekts-Lindrüeken so stark rm-
rüekgedrängt ru baden, daü sieb, namentiieb in seinen
Istrien labren, dis Ktundsn seiner Linke, was sbenso viel
keiüsn will wis dis Stunden beobaektendvn vmsiebsebauens,
?u einer gewissen tZlsiekwsrtbigksit niebt abgestumpft, son-
dern erboden und abgeklärt batten. Indem er so einrm-
büksn seinen, was Vielen als der einzige tjusii künstis-
risebsn vebakrens gelten mag, das emotionelle künstlerisebe
Lriebnik, gewann er, was nur den Orökten vergönnt ist,
dl« selbständige, von aller Zufälligkeit kreis vsstaltungs-
krakt. Ls lag seinem künstleriseben Lrnst kerne, den
Vugenbliek und die vslsgenbeit aus^ubeuten. Was ibm die
Dunst der Umstände an Lindrüeksn bot, verwertbete er
mit bedaebtem Kinns 2U jenem Kebatre künstlsriseber Lr-
kabrungen bintsriegte, aus weiebsm sieb sebiieklieb glor-
rsieb das Ideal erbebt.
(,,^us der Werkstatt eines Künstlers" 1890 als
Llanuseript gedruekt von der Lokbuobdruekersi
V. Rüek, Luxemburg.)
Aktuelle Rembrandt-Anekdoten
Man muß ohne Unterlaß malen
Als Rembrandt und Lievens von Constantin Huygens
gefragt wurden, warum sie nicht nach Italien gingen, er-
widerten sie, dazu hätten sie in der Blüte ihrer Jahre
keine Zeit.
Huygens läßt zwar den Grund nicht gelten, aber er muß
gestehen, daß er selten soviel Fleiß und Ausdauer wie bei
diesen beiden Malern gesehen habe; „sie gönnen sich nicht
einmal die unschuldigen Vergnügungen ihres Alters."
Die Ansicht des Hofmalers.
Ein heute so gut wie vergessener Hofmaler namens
Gerard de Lairesse, der nach Rembrandts Tod einer ge-
leckten, akademischen Richtung zum Siege verhalf, warnte
seine Schüler vor Rembrandts Kunst:
„Ihr sollt nicht wie er malen, daß der Farbsaft wie
Dreck von der Leinwand heruntertrieft, sondern gleichmäßig
und schmelzend, daß Euere Gegenstände nur durch die Kunst
rund und erhaben erscheinen und nicht durch Kleckserei."
Postamt München-Harras. Pros. N. Vorhoelzer
Die Reichweite
Die Erkenntnis der rassischen Bedingheit jeder
Kunst wird sicherlich am entschiedensten von den
jungen Künstlern bejaht, weil bei ihnen gerade
ihrer Jugend wegen die Empfindung für die im
eigenen Blut wirksamen rassischen Merkmale noch
nicht verbildet worden ist. Während nämlich ein
größerer Teil der älteren Generation einer lang-
jährigen Einwirkung des öffentlichen und Privaten
Lebens ausgesetzt war und sich heute vielfach aus
intellektuellem Wege zu einem betont völkischen
Bewußtsein zurücktasten muß, läßt sich die Jugend
mehr von ihrem unverdorbenen Instinkt treiben
und erkennt dadurch auch auf künstlerischem Ge-
biet die Inhalte und Ausdrucksformen nordischer
Gestaltungskräfte leichter und richtiger. So kann
es noch geschehen, daß sich die Altersklassen, im
Prinzip zwar einig, in den Folgerungen jedoch
auseinandergehend gegenüberstehen.
Dieser Gegensatz wird durch das Leben und die
Zeit überbrückt, genauer gesagt, korrigiert. Tiefer
als er wurzelt ein anderer, der Gegensatz
der Temperamente, welcher nicht durch
weltanschauliche, sondern durch menschliche und
charakterliche Unterschiede erzeugt wird. Die Ver-
schiedenheit menschlicher Anlagen führt dazu, daß
zahlreiche, um nicht zu sagen, die meisten Men-
schen strikte äußere, technische und motivische
Forderungen an künstlerische Erzeugnisse stellen, zu
deren Erfüllung sehr viele Künstler ihre Per-
sönliche Anschauung und Sehweise
ausgeben müßten. Die Beobachtung dieses
Zwiespalts mit der Öffentlichkeit wächst sich für
den Künstler sogar zu Persönlicher Tragik und un-
fruchtbarer Resignation aus.
Es ist eine wichtige kulturelle Aufgabe, diese
um sich greifende Resignation der jungen Künstler-
schaft zu bekämpfen und durch Eröffnung neuer
künstlerischer Pflichten und Hoffnungen in den
Willen zu einmütigem Aufbruch umzuwandeln.
Der junge Künstler empfindet es bitter, daß das
Volk, das ihm im Politischen Leben als allge-
meinster und erster Wertmesser gilt, sich im Pri-
vaten Leben verständnislos von seinen innersten
Bestrebungen, seinen Werken, abwendet.
Es fragt sich nun, wie weit diese künstlerische
Isoliertheit, wenn sie schon nicht aus der Welt zu
schaffen ist, teilweise ausgehoben werden kann. Die
gewohnten Kunstausstellungen wenden sich vor-
wiegend an eine kleine, noch im alten Sinn
„bürgerliche" oder gar „gebildete" Schicht. Von
den Philistern sagt Brentano, sie verständen nur
das Viereckige, und auch dieses sei ihnen noch zu
rund. Diese kleine Gruppe gewohnheitsmäßiger
Ausstellungsbesucher, die ein allgemeines Bil-
dungsverlangen, oder aber schlimmer, Vorliebe für
Frack, .Moden und interessante Gesellschaft, nicht
aber eine wirkliche geistige Sehnsucht nach der
Kunst zu den vornehmen Ausstellungseröffnungen
zieht, kann schwerlich als „Volk" bezeichnet wer-
den, ihr Urteil sollte daher auch keinen Künstler
interessieren. Erst wenn die geistige
Sehnsucht nach der Kunst bei allen
jenen geweckt worden ist, bei denen
sie geweckt werden kann, er st dann
kann der Künstler eine Resonanz er-
warten, die im ganzen vielleicht
immer noch gering ist, die aber für
ihn die Resonanz des Volkes be-
deutet.
Denn, mathematisch genommen, gibt es keine
„Volkskünstler". Will man aber Künstler mit
relativ breiter Wirkungsmöglichkeit als „Volks-
künstler" bezeichnen, so ist doch festzustellen, daß der
Volkskünstler nicht das einzige Ideal dar-
stellt. Einerseits besitzt nur ein Bruchteil aller
Künstler die für große Wirkungsweite notwendige
seelische Organisation. Andererseits ist es ein
ebenso wichtiges Ideal, auf Menschen einer hohen
Entwicklungsstufe, also auf einen quantitativ be-
grenzteren Kreis, eine wesentliche Einwirkung aus-
zuüben. Stellt man sich die Wirkungsmöglichkeiten
verschiedener Künstler als einzelne Kreise vor,
so entspricht es den Tatsachen, daß diese Kreise
nicht konzentrisch sind. Wer das erkennt,
wird in der Ablehnung oder Tolerierung einer
künstlerischen Persönlichkeit zurückhaltend und ver-
antwortungsbewußt sein. Denn wären sie kon-
zentrisch, könnte auch leicht ihre Quantität als
Wertmesser gelten. Da sie nicht konzentrisch sind,
ist es einleuchtend, daß manchmal ein geringer
Wirkungsumfang wichtiger ist als ein großer.
Die propagandistische und künstlerische Auf-
gabe jedes Künstlers ist daher, seinen Werken die-
jenige Reichweite zu verschaffen, die sie ihrer Na-
tur nach zu erlangen vermögen. Jedenfalls ist
ein Grund zur Resignation solange nicht vor-
handen, als der Künstler mit seinen Bestrebungen
überhaupt noch nicht dahin dringen konnte, wo
voraussichtlich sein Wirkungskreis gesucht werden
muß: im Volk.
Wege dazu existieren, um beschritten zu wer-
den. Keine Kunstausstellung dieses Jahres hat
Wohl soviel Besucher (aus geistiger Sehnsucht), so-
viel Interesse und (bei entsprechenden Preisen) so-
viel Käufer anfzuweisen, wie die Graphik-
ausstellungen des Kulturamtes der Deutschen Ar-
beitsfront in den Fabriken, deren erste Reichs-
leiter Rosenberg mit einer Kampfansage an das
Kunftmonopol der „gebildeten Bürger" eröffnete.
Hier, in den Siemenswerken, bei Osram und in
der AEG wartet ein Volksteil auf feine Ent-
deckung für die Kunst. In der Bauernschaft
wartet ein zweiter, in der Handwerkerschaft wartet
ein dritter. In der Gelehrtenschaft ein vierter.
Das sind noch nicht alle. Wenn man sich fragt,
an wen sich die Kunst überhaupt bisher gewaudt
hat, erkennt man, daß die Methoden der Kunst-
ubermittlung und Kunstwerbung völlig veraltet
sind.
Die Depression, die den jungen Künstler be-
fällt, wenn er den beschämend kleinen Wirkungs-
radius der Kunstbetätigung mit dem gewaltigen
Wirkungsradius der Politik vergleicht, ist unange-
bracht. Da wir die menschliche Möglichkeit zum
künstlerischen Schaffen haben, haben wir die
Postamt München, Tegernseerlandstraße. Schalterhalle. Prof. Vorhoelzer u. Reg.-Baumstr. W. Schmidt
3
des 19. Jahrhunderts von ihren Atavismen be-
freit, ihre entwicklungsfähigen Bautypen vervoll-
kommnet. Einzig und allein dies ist echte „Tra-
dition" im heutigen Banen; alles andere ist bloßer
„Formalismus".
Es ist außerordentlich lehrreich, die Bauten der
Hochbauabteilung der Münchener Ober-
postdirektion auf ihr Verhältnis zur „Tradition"
hin anzuschauen. Die reifsten — und nicht zufällig auch
„modernsten" Schöpfungen mögen bei oberflächlicher Be-
trachtung als schlechthin „traditionslos" erscheinen. Die
öffentlichen Verwaltungsbauten des 10. Jahrhunderts sahen
allerdings — bis auf wenige Ausnahmen, deren wichtigste
schon erwähnt wurden — anders, pompöser aus, besonders
in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Den neuen bay-
rischen Postbauten fehlt alles aufdringliche „monumentale"
Pathos. Sie halten sich von jeder Nachahmung historischer
Stile, von dem äußerlich Repräsentativen frei. In den mit
romanischen, gotischen oder Nenaissanceformen prunkvoll auf-
geputzten Postschlössern standen Beamte und Kunden in
dumpfen, schlecht gelüfteten, schlecht belichteten Räumen, in
denen sich trotz aller spiegelglatten Marmorsäulen und üppig
verschnörkelten Schalterbauten kein Mensch wohlfühlen konnte.
Die modernen Posträume sind viel einfacher, schmuckloser, in
ihrer schlichten Klarheit und Lichtheit aber nicht nur prak-
tischer, sondern auch menschenwürdiger. Und wie die Räume
im Innern ist das Äußere: knapp, straff, klar in der Form,
sauber und ehrlich in der Gesamthaltung, nicht markt-
schreierisch repräsentativ, sondern im Verzicht auf falsche An-
sprüche — würdig.
Der Typus des modernen Postbaus, wie er heute vielfach
in München und Bayern verwirklicht ist, hat sich erst allmählich
entwickelt. Die erst 1921 neu errichtete eigene Postbauver-
waltung in Bayern war in den ersten Jahren bei ihrer
Bautätigkeit noch sehr stark von romantisch-heimatschütz-
lerischen Eedankengängen bestimmt. Man versuchte die Neu-
bauten in ihrer Eesamterscheinung wie in Einzelformen dem
Charakter vorhandener historischer Bauten anzugleichen, vor
allem auf dem Lande. Man wollte die „ortsübliche Bau-
weise" bcibehalten. In der Praxis tauchten aber bald in
diesem oder jenem Einzclfalle erhebliche Zweifel auf, welcher
der „landesüblichen Bauweisen" man den Vorzug geben
solle, ob die Angleichung an die Form des oberbayrischen
Bauernhauses (wie in Lenggries und Nottach am Tegern-
see), an den Spätbarock landstädtischer Bürgerhäuser oder
an die bürgerliche Gotik das Bessere wäre — ein für unsere
Situation, wo wir an Stelle einer festgefügten, sicheren
Tradition nur die völlige Wahlfreiheit unter den historischen
Stilen haben, sehr bezeichnender Zweifel. Derartige Zweifel
verstandene romantische Angleichung an „ortsübliche Bau-
weisen" (unter welcher Flagge auch die scheußlichsten Nach-
geburten des französischen Mansartdaches gehen!).
Wenn eine staatliche Baubehörde wie die
bayrische Postbauverwaltung an der Erneuerung
des baulichen Gesichts Münchens und so vieler
bayrischer Landstädte und Dörfer so hervorragen-
den Anteil haben konnte, so liegt das nicht nur an
der Zahl der Bauten, noch nur an der Qualität
einzelner Bauten, sondern daran, daß es hier
gelang, ein wirkliche Arbeitsgemeinschaft
zu schaffen, der Josef Popp mit Recht nachrühmt,
der Geist der alten Bauhütten sei hier in neuer
Form lebendig geworden; zwischen den Bauleuten
herrschte ein Verhältnis, wie ehedem zwischen
Meister, Gesellen und Lehrlingen, die alle gleich-
mäßig der Gedanke und Wille für das Werk er-
füllt. Solcher Gemeinschaften bedarf es, um an
die Stelle des Chaos der Formalismen eine neue,
wahrhafte Tradition zu begründen.
Einen Überblick über die Bautätigkeit der Münchner
Abteilung des Reichspostministeriums vermitteln die Abbil-
dungsbände „Neuere Postbauten in Bayern", deren erstes
Heft 1925, deren zweites Heft mit einer bemerkenswerten
Einführung von Josef Popp 1928 erschienen ist. Ein dritter
Band ist zur Zeit im Druck.
8inn686LnciruelL und Oe8tu1tuu^
LauskaNs clöir einzelnen Null gänrliok Zugunsten einer Ver-
selnnslLung mit dem Lunrwn seines xersönlieUen Vorstel-
iungssekutLös.
Daliir sprlekt sein Werk. Unter <Zen Krbsitsn seiner
lotsten Lebsnsjakre befindet, sieb weder ein Landsekakts-
Legends überflüssig wurde.
Ns ist in seinem Werks weder ein Vlotiv noob ein Lin-
kull naebLuwsisen, und swar weder in dem weiteren Kinns,
verstärkten sich durch die in
München bei einigen größeren
Bauaufgaben (Verwaltungs-
bau der Oberpostdirektion,
Paketzustellamt), wo ebenfalls
eine Anknüpfung an „tra-
ditionelle" Bauformen versucht
wurde, gemachten Erfahrun-
gen. Auch hatte sich für die
Postdiensträume mehr und
mehr ein fester, nach den je-
weiligen Bedürfnissen abwan-
delbarer Typus hcrausgebil-
det, dessen zweckgerechte, bis
ins kleinste Detail wohldurch-
dachte, aus den praktischen Er-
fordernissen notwendig erwach-
sene formale Durchgestaltung
mit der äußeren Form des
Gebäudes, die ganz andere,
auf Angleichung an Vorhan-
denes gerichtete Gesichtspunkte
mitbestimmten, in Mißver-
hältnis geriet.
In gewissenhafter Ausein-
andersetzung mit den Proble-
men, die das romantisch-hei-
matschützlerische Prinzip der
Angleichung und die neuzeit-
lichen betriebs- und bautech-
nichen Erfordernisse stellten,
Postamt Pressath. Hochbauabtcilung der Oberpostdirektion München
(Leitung: Oberpostbaurat Holzhammer)
wurden sich Ministerialrat Robert Poeverlein, mit
dem die neue Baubehörde eine ausgezeichnete Führung
erhalten hatte, und Robert Vorhoelzer, der als
Leiter der Münchner Hochbauabteilung dank seines her-
vorragenden Organisationstalentes und seiner starken
pädagogischen Begabung auf den gesamtbayrischen Post-
baubetrieb bedeutenden Einfluß gewonnen hatte, dar-
über klar, daß eine neue Lösung auch für die äußere
Gestaltung der Bauten gesunden werden mußte. Der
in der Gestaltung der Jnnenräume eingeschlagene Weg
mußte konsequent zu Ende gegangen werden, um die äußere
Erscheinung zum vollkommenen Widerspiel des Inneren zu
machen. Das bedeutete aber eine Absageandasbis-
herige Prinzip der Angleichung, so begei-
sterte Zustimmung auch die bisherigen Bauten — und wahr-
lich nicht mit Unrecht — in der Öffentlichkeit gefunden
hatten.
Auf dem Wege der schrittweisen Befreiung von den
ästhetischen Anschauungen der älteren Münchner Architekten-
schule (heute vor allem durch Vestelmeyer vertreten) liegt
bezeichnenderweise ein Bau, der bewußt an die Gärtnersche
Tradition, an die Bauten der Münchner Ludwigstraße, an-
knüpft, nicht nur im frontalen Massenaufbau, sondern auch
noch mit einzelnen klassizistischen Detailformen. Vorhoel-
zer und sein Mitarbeiter Walther Schmidt ent-
decken also die „Tradition" in jenen Bautypen des 19. Jahr-
hunderts, die in der Tat nicht nur entwicklungsfähig sind,
sondern unmittelbar in der Entwicklungslinie der modernen
Architektur liegen. Noch etwas früher liegt die Auseinander-
setzung mit einem vorzüglichen, in den Einzelformen goti-
sierten Staatsbau von Bürklein in dem noch Gaertnersche
Tradition steckt: Vorhoelzers Umbau des Münchner Post-
scheckamts. So überraschend es zunächst klingen mag, läßt
sich behaupten: Vorhoelzer habe mit und über die Anknüp-
fung an die Verwaltungsbauten Gartners nicht nur den An-
schluß an die Münchener „Tradition" (die ja keineswegs
Klenze ausschließlich repräsentiert!), sondern vor allem auch
den Anschluß an die moderne europäische Architektur voll-
zogen. Das letztere endgültig in dem Postdienstgebäude an
der Tegernseerlandstraße (s. Abb.). Es ist der erste, im
Sinne der neuen Baubewegung wirklich moderne Bau, den
München erhalten hat, und zugleich eine der vorzüglichsten
Leistungen der modernen Architektur überhaupt. Eine wüste
Vorstadtgcgend ist durch ihn zu einem grobformierten Platz
geworden. Vorhoelzer und Walther Schmidt erwiesen sich
als einsichtsvolle Städtebauer, indem sic den Bau noch hinter
die offizielle Baulinie zurücklegten, um die Kreuzung zweier
wichtiger Verkehrsstraßen zu einem geordneten Platz aus-
zugestalten. Im selben städtebaulichen Geiste ist das Mün-
chener Postamt „Am Harras" projektiert. Auch in anderen
bayerischen Städten begegnet der Vorhoelzersche Postbau-
typus, der im Rückblick auf die „sachlichen" Bauten vor hun-
dert Jahren, von Hübsch, Schinkel, Gärtner die reife, eine
entromantisierte, cnthistorisierte Entwicklungsstufe jener
„sachlichen" Baugesinnung repräsentiert, die städtebaulich in
München wie in anderen Städten mit der altstädtischcn Tra-
dition ebenso radikal brach wie die neuen Münchener Post-
bauten mit allem formalistischen Traditionalismus. Auf
dem Lande hat man beim Postbau die Versuche einer An-
gleichung an die „ortsübliche Bauweise" auch aufgegeben.
Es wird an einem schlichten Haustypus mit Steildach im all-
gemeinen festgehalten. Aber jede Art einer Angleichung an
historische Bauten, sei es durch abgetreppte Giebel, An-
knüpfung an barocke Formen oder an das Bauernhaus, ist
aufgegeben. Zweifellos zum Vorteil eines würdigen Ge-
sichts unserer Postämter wie der Landschaft, der ja noch nie
durch ein gutes modernes Haus, sei's auch mit Flachdach,
Schaden zugefügt wurde, sondern immer nur durch eine miß-
stsiien näkrt, wo er immer ging und stand, kaum eins Ln-
terbreekung erlitten trat. Keine Aufmerksamkeit war be-
ständig auf dis ibn umgebenden Vings gsriebtet und es
niebt vsrbindsrten ails Lrsekeinung im ^.ugs 2U bedsiten.
Vas beobaebtends Kebauen war bei ikm niebt eins beson-
ders, aut gewisse Ktundsn des Lages desebränkts, auk ge-
ssin Leben. — ,,8sben lernen ist ^.iies," pkisgte er 2u
sagen. — vskbaib war ibm aueb der ^uksntkait In Italien,
dessen Klars ^.tmospkärs Lum Köken errüebt und dessen Ls-
woknsr einen natüriiekeren Verkeim mit Kult und Liebt
pflegen als wir Hyperboreer, 2um unabweislieben Ledürk-
niü geworden. —
Lersöniiek sebeint Llaröss krakt seines auk eins gs-
sebiosssns Lebenstbätigkeit geriekteten Willens den ^ntbeil
der Lmpkindung an den Lssiekts-Lindrüeken so stark rm-
rüekgedrängt ru baden, daü sieb, namentiieb in seinen
Istrien labren, dis Ktundsn seiner Linke, was sbenso viel
keiüsn will wis dis Stunden beobaektendvn vmsiebsebauens,
?u einer gewissen tZlsiekwsrtbigksit niebt abgestumpft, son-
dern erboden und abgeklärt batten. Indem er so einrm-
büksn seinen, was Vielen als der einzige tjusii künstis-
risebsn vebakrens gelten mag, das emotionelle künstlerisebe
Lriebnik, gewann er, was nur den Orökten vergönnt ist,
dl« selbständige, von aller Zufälligkeit kreis vsstaltungs-
krakt. Ls lag seinem künstleriseben Lrnst kerne, den
Vugenbliek und die vslsgenbeit aus^ubeuten. Was ibm die
Dunst der Umstände an Lindrüeksn bot, verwertbete er
mit bedaebtem Kinns 2U jenem Kebatre künstlsriseber Lr-
kabrungen bintsriegte, aus weiebsm sieb sebiieklieb glor-
rsieb das Ideal erbebt.
(,,^us der Werkstatt eines Künstlers" 1890 als
Llanuseript gedruekt von der Lokbuobdruekersi
V. Rüek, Luxemburg.)
Aktuelle Rembrandt-Anekdoten
Man muß ohne Unterlaß malen
Als Rembrandt und Lievens von Constantin Huygens
gefragt wurden, warum sie nicht nach Italien gingen, er-
widerten sie, dazu hätten sie in der Blüte ihrer Jahre
keine Zeit.
Huygens läßt zwar den Grund nicht gelten, aber er muß
gestehen, daß er selten soviel Fleiß und Ausdauer wie bei
diesen beiden Malern gesehen habe; „sie gönnen sich nicht
einmal die unschuldigen Vergnügungen ihres Alters."
Die Ansicht des Hofmalers.
Ein heute so gut wie vergessener Hofmaler namens
Gerard de Lairesse, der nach Rembrandts Tod einer ge-
leckten, akademischen Richtung zum Siege verhalf, warnte
seine Schüler vor Rembrandts Kunst:
„Ihr sollt nicht wie er malen, daß der Farbsaft wie
Dreck von der Leinwand heruntertrieft, sondern gleichmäßig
und schmelzend, daß Euere Gegenstände nur durch die Kunst
rund und erhaben erscheinen und nicht durch Kleckserei."
Postamt München-Harras. Pros. N. Vorhoelzer
Die Reichweite
Die Erkenntnis der rassischen Bedingheit jeder
Kunst wird sicherlich am entschiedensten von den
jungen Künstlern bejaht, weil bei ihnen gerade
ihrer Jugend wegen die Empfindung für die im
eigenen Blut wirksamen rassischen Merkmale noch
nicht verbildet worden ist. Während nämlich ein
größerer Teil der älteren Generation einer lang-
jährigen Einwirkung des öffentlichen und Privaten
Lebens ausgesetzt war und sich heute vielfach aus
intellektuellem Wege zu einem betont völkischen
Bewußtsein zurücktasten muß, läßt sich die Jugend
mehr von ihrem unverdorbenen Instinkt treiben
und erkennt dadurch auch auf künstlerischem Ge-
biet die Inhalte und Ausdrucksformen nordischer
Gestaltungskräfte leichter und richtiger. So kann
es noch geschehen, daß sich die Altersklassen, im
Prinzip zwar einig, in den Folgerungen jedoch
auseinandergehend gegenüberstehen.
Dieser Gegensatz wird durch das Leben und die
Zeit überbrückt, genauer gesagt, korrigiert. Tiefer
als er wurzelt ein anderer, der Gegensatz
der Temperamente, welcher nicht durch
weltanschauliche, sondern durch menschliche und
charakterliche Unterschiede erzeugt wird. Die Ver-
schiedenheit menschlicher Anlagen führt dazu, daß
zahlreiche, um nicht zu sagen, die meisten Men-
schen strikte äußere, technische und motivische
Forderungen an künstlerische Erzeugnisse stellen, zu
deren Erfüllung sehr viele Künstler ihre Per-
sönliche Anschauung und Sehweise
ausgeben müßten. Die Beobachtung dieses
Zwiespalts mit der Öffentlichkeit wächst sich für
den Künstler sogar zu Persönlicher Tragik und un-
fruchtbarer Resignation aus.
Es ist eine wichtige kulturelle Aufgabe, diese
um sich greifende Resignation der jungen Künstler-
schaft zu bekämpfen und durch Eröffnung neuer
künstlerischer Pflichten und Hoffnungen in den
Willen zu einmütigem Aufbruch umzuwandeln.
Der junge Künstler empfindet es bitter, daß das
Volk, das ihm im Politischen Leben als allge-
meinster und erster Wertmesser gilt, sich im Pri-
vaten Leben verständnislos von seinen innersten
Bestrebungen, seinen Werken, abwendet.
Es fragt sich nun, wie weit diese künstlerische
Isoliertheit, wenn sie schon nicht aus der Welt zu
schaffen ist, teilweise ausgehoben werden kann. Die
gewohnten Kunstausstellungen wenden sich vor-
wiegend an eine kleine, noch im alten Sinn
„bürgerliche" oder gar „gebildete" Schicht. Von
den Philistern sagt Brentano, sie verständen nur
das Viereckige, und auch dieses sei ihnen noch zu
rund. Diese kleine Gruppe gewohnheitsmäßiger
Ausstellungsbesucher, die ein allgemeines Bil-
dungsverlangen, oder aber schlimmer, Vorliebe für
Frack, .Moden und interessante Gesellschaft, nicht
aber eine wirkliche geistige Sehnsucht nach der
Kunst zu den vornehmen Ausstellungseröffnungen
zieht, kann schwerlich als „Volk" bezeichnet wer-
den, ihr Urteil sollte daher auch keinen Künstler
interessieren. Erst wenn die geistige
Sehnsucht nach der Kunst bei allen
jenen geweckt worden ist, bei denen
sie geweckt werden kann, er st dann
kann der Künstler eine Resonanz er-
warten, die im ganzen vielleicht
immer noch gering ist, die aber für
ihn die Resonanz des Volkes be-
deutet.
Denn, mathematisch genommen, gibt es keine
„Volkskünstler". Will man aber Künstler mit
relativ breiter Wirkungsmöglichkeit als „Volks-
künstler" bezeichnen, so ist doch festzustellen, daß der
Volkskünstler nicht das einzige Ideal dar-
stellt. Einerseits besitzt nur ein Bruchteil aller
Künstler die für große Wirkungsweite notwendige
seelische Organisation. Andererseits ist es ein
ebenso wichtiges Ideal, auf Menschen einer hohen
Entwicklungsstufe, also auf einen quantitativ be-
grenzteren Kreis, eine wesentliche Einwirkung aus-
zuüben. Stellt man sich die Wirkungsmöglichkeiten
verschiedener Künstler als einzelne Kreise vor,
so entspricht es den Tatsachen, daß diese Kreise
nicht konzentrisch sind. Wer das erkennt,
wird in der Ablehnung oder Tolerierung einer
künstlerischen Persönlichkeit zurückhaltend und ver-
antwortungsbewußt sein. Denn wären sie kon-
zentrisch, könnte auch leicht ihre Quantität als
Wertmesser gelten. Da sie nicht konzentrisch sind,
ist es einleuchtend, daß manchmal ein geringer
Wirkungsumfang wichtiger ist als ein großer.
Die propagandistische und künstlerische Auf-
gabe jedes Künstlers ist daher, seinen Werken die-
jenige Reichweite zu verschaffen, die sie ihrer Na-
tur nach zu erlangen vermögen. Jedenfalls ist
ein Grund zur Resignation solange nicht vor-
handen, als der Künstler mit seinen Bestrebungen
überhaupt noch nicht dahin dringen konnte, wo
voraussichtlich sein Wirkungskreis gesucht werden
muß: im Volk.
Wege dazu existieren, um beschritten zu wer-
den. Keine Kunstausstellung dieses Jahres hat
Wohl soviel Besucher (aus geistiger Sehnsucht), so-
viel Interesse und (bei entsprechenden Preisen) so-
viel Käufer anfzuweisen, wie die Graphik-
ausstellungen des Kulturamtes der Deutschen Ar-
beitsfront in den Fabriken, deren erste Reichs-
leiter Rosenberg mit einer Kampfansage an das
Kunftmonopol der „gebildeten Bürger" eröffnete.
Hier, in den Siemenswerken, bei Osram und in
der AEG wartet ein Volksteil auf feine Ent-
deckung für die Kunst. In der Bauernschaft
wartet ein zweiter, in der Handwerkerschaft wartet
ein dritter. In der Gelehrtenschaft ein vierter.
Das sind noch nicht alle. Wenn man sich fragt,
an wen sich die Kunst überhaupt bisher gewaudt
hat, erkennt man, daß die Methoden der Kunst-
ubermittlung und Kunstwerbung völlig veraltet
sind.
Die Depression, die den jungen Künstler be-
fällt, wenn er den beschämend kleinen Wirkungs-
radius der Kunstbetätigung mit dem gewaltigen
Wirkungsradius der Politik vergleicht, ist unange-
bracht. Da wir die menschliche Möglichkeit zum
künstlerischen Schaffen haben, haben wir die
Postamt München, Tegernseerlandstraße. Schalterhalle. Prof. Vorhoelzer u. Reg.-Baumstr. W. Schmidt