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Kunst der Nation — 2.1934

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Schahl, Adolf: Bildende Kunst und völkische Erziehung
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Schmidt, Robert: Arno Lehmann: Der Stier
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0067

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2. Juni-Nr. H. Ihg., Nr.12

Verlag Kunst der Nation G. m. b. L>., Berlin W 62, Kurfürstenstr. l 18. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz- und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W50, Tauenhienstrasze 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.

Einzelpreis 30 Pfennige

Bildende Kunst und
völkische Erziehung
Von
Adolf Schahl
Es kann keinen Zweifel geben, daß mit uns
ein neuer Mensch in das geschichtliche Dasein
tritt. Was wir so oft als die Ursache des künst-
lerischen Stilwandels in der Vergangenheit er-
blicken, das erleben wir heute als gegenwärtiges
Geschehen: den allmählichen Durchbruch eines
neuen Menschentums. Und um diesen Menschen
gleich vorweg aus der einzigen Quelle zu be-
stimmen, die in solch einem Falle exakt sein kann,
nämlich dein Gefühl und Wissen unseres eigenen
Selbst: er wird im tiefsten Sinne ein ganzer
Mensch sein, d. h. ein Mensch, dessen Humanitäts-
ideal nicht einer ideologischen Konstruktion ent-
springt, welche auf die Postulierung eines, allen
Bedingungen natürlichen, leiblich seelischen Da-
seins enthobenen, rein geistigen, verständigen und
vernünftigen Ich hinausläuft, sondern dieses Ich
nur als die Form kennt, deren eigentlich tragen-
der, gestaltgebender Gehalt aus den bewußt noch
nicht geklärten, nicht als Ich empfundenen Tiefen
des psychophysischen Lebens quillt; dieser Mensch
wird sein Menschentum nicht aus einer indivi-
dualistischen Abstraktion folgern, sondern zutiefst
erleben aus seiner Bindung in die blutmäßig be-
dingte Sonderart seines Volkstums. Überall in
der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts
heit des Lebendigen durch jenes unsichtbare, aber
in allem wirksame absolute Ich wahr. Im wirt-
schaftlichen Leben stand der individualistische Kapi-
talismus des Arbeitgebers gegen den indivi-
dualistischen Sozialismus des Arbeitnehmers: der
Sinn der Arbeitsteilung, einen gegliederten Or-
ganismus hcrbeizusühreu, in welchem jede ein-
zelne Tätigkeit auf eine andere angewiesen ist,
um selbst sein zu können, war aufgehoben, der
wirtschaftliche Lebenssinn und -zweck des Staates
untergraben. Das wissenschaftliche Leben, welches
an sich einen: rein Verstandes- und vernunft-
mäßigen, erkennenden Verhältnis des Ich zur
Welt seine Entstehung verdankt, erfuhr bezeich-
nenderweise einen hohen Aufschwung, führte aber
dem Natürlichen gegenüber allzu leicht zu eiuer
saft scholastisch konstruktiven Intellektualisierung
und Mechanisierung. Wie hätte in dieser Lage
die bildende Kunst, in welcher sich das Ich nicht
als Verstandes- und Vernunstvermögen, sondern
als sinnlich produktive Vorstellungskraft erlebt,
wie hätte in dieser Lage die bildende Kunst uns
von den: Fluch bildender Geistigkeit erlösen und
zur organischen Ganzheit unseres Wesens zurück-
führen können! Allein, wie hätte sie der Ein-
heit des geistcsgeschichtlichen Ablaufs entrinne::
können: auch sie unterlag einer weitgehenden
Entsinnlichuug. Bereits der Klassizismus
forderte an Stelle der Wirklichkeit die Wahr-
heit des Ideals, die Romantik verabsolutierte
dieses Ideal zu einer reinen Idee: die Geschichte
von Natur und Mensch wurde ausgesaßt als die
Selbstentsaltuug eines aus sich und für sich seien-
den Geistes, der in der Kunst sich selbst in einem
reinen, selbsterschassenden Leib auzuschauen sucht,
eine Richtung, die von den Nazarenern ins
Religiöse gewendet wurde (nach Overbeck ist nur
diejenige Kunst wahr, „die ganz ihrem inner-
sten Wesen nach aus der Religion hervorgeht
und sich ihren entsprechenden äußeren Leib aus
sich selbst heraus gestaltet", wie „der Christ selber
ein geistlicher Mensch und nicht ein fleischlicher
sein soll"). Kein Wunder, daß in der Folge
Kunst zur Illustration wurde, d. h. zur Verbild-
lichung eines auch gedanklich in Worten ausdrück-
baren geistigen Gehaltes (nach I. Schnorr von
Carolsseld ist Kunst „bildliches Denken"). Auch
eine neue, der Natur zugcwandte Richtung ging
in erster Linie von der Erkenntnis aus, daß diese
uns nur durch unsere subjektive Wahrnehmung
zugänglich sei: der Impressionismus spricht
zuerst den Zweifel an der Wirklichkeit ans, er
will nur die „Impression", die Erscheinung an
sich erfassen (ins Physiologische gewendet ganz im
Sinne jener Geistesrichtung, die Kant einge-
schlagen hatte, obgleich er noch die Vorstellung
eines „Dinges an sich" kannte, die aber bereits
Fichte aufhob und so zu einer völligen Sub-
jektivisierung gelangte, die schließlich zu dem
Panlogismus eiues Hegel führte), bis schließlich
der Expressionismus jede siuulich stoffliche Wirk-
lichkeit durch die transzendenten Gebilde eiuer
reinen Form vernichtete. Kunst wird zur un-
gebundenen Selbstäußerung des künstlerischen Ich,
legt keinen Wert darauf, allgemein verstanden zu


Phot. H. Heise

K VK s LehWsnnr Der Stier
In der soeben eröffneten großen Ausstellung „Sechs Jahrtausende Töpferkunst" in der Akademie der Künste hat die
oben abgebildete Tierplastik alle wachen, für das Wesentliche keramischen Schaffens empfindlichen Augen auf sich
gezogen. Der Künstler oder — wie er sich selbst voller Bescheidenheit (oder in stolzem Selbstbewußtsein) nennt — der
Töpfer ist ein junger, bisher fast unbekannter Berliner, Arno Lehmann, von dem noch eine Anzahl anderer Tierplastiken,
kleiner feiner Figürchen, und überraschend gute keramische Schmuckketten ausgestellt sind. Der „Stier" ist in seiner Art
ein Meisterwerk. Naturnähe und Stilisierung reichen sich die Hand. Vom Zebu hat er die schwere, feste Konstitution,
den wulstigen Buckel. Die majestätischen, gebogenen Hörner aber sind freie Zutat des Künstlers. Er brauchte sie in dieser,
der Natur widersprechenden Größe, um den Inbegriff dieses ihm vorschwebenden Stiertypus zu schaffen. Wundervoll
getroffen ist die Ruhestellung des Tieres; nichts Erregtes, nichts Aggressives, nur das fast erstarrte, animalisch versunkene
Schauen der Augen in eine unendliche Ferne, das irgendwie an den Sehnsuchtsblick des Böcklinschen Tritonen erinnert.
Die wagerecht stehenden Ohren wie zum Ornament geworden. Und das Ganze eine bewußt keramische Schöpfung.
Wie der Leib des Stieres aus dem stützenden Tonsockel herauswächst, oder vielmehr, wie er damit verbunden bleibt, das
zeigt das klare Gefühl für den stofflichen Charakter des roten gebrannten Tons, aus dem das Kunstwerk geschaffen ist.
u 0 b 6 rt 8 eüini 6 t , Direktor äes ZebloBrnuseuins, Berlin
 
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