2
Kunst der Nation
werden (die Grundursache auch des materiellen
Mißstandes der Künstlerschaft).
So hatte selbst in jener Kunstgattung, deren
Konzeption sich ihrem ursprünglichen Wesen nach
in dem unmittelbaren Bereich einer sinnlich sicht-
baren Wirklichkeit vollzieht, in der bildenden
Kunst, die Absonderung des geistigen Ich bis zur
Vernichtung dieser Wirklichkeit durch die reine
geistgezeugte Form geführt. Es läßt sich Voraus-
sehen, daß ein Mensch, welcher am eigenen,
äußeren und inneren Leben, die unerbittliche
Strafe der entzweiten Natur erfuhr und darum
nach einer Einverleibung des Geistes, einer An-
gleichung seiner geistigen Bewußtseinsinhalte an
sein natürlich gegebenes, leiblich seelisches Grund-
gefühl strebte, daß dieser Mensch der bildenden
Kunst ihrem ursprünglichen Wesen nach zur Her-
stellung seiner Totalität bedarf. Schon einmal
befand sich ein Geschlecht in einer ähnlichen Lage
wie das unsrige: damals nämlich, als im Sturm
meru verschwinden, erst dann werden auch die
Ausstellungen zeitgenössischer Kunst Erfolg haben
(aus der vorjährigen Großen Leipziger Kunst-Aus-
stellung wurde ein Bild verkauft), erst dann wer-
den die Kunstvereine wieder aufblühen und die
große Mission erfüllen können, die sie sich vor
über hundert Jahren bei ihrer Gründung zum
Ziel gesetzt haben. Noch eines: nirgends ist die
allgemein geistige Entwicklung des deutschen
Volkes, sind seine charakteristischen nationalen Be-
sonderheiten sowie all seine vielfältigen reichen
Stammeseigentümlichkeiten so deutlich in sinnlich
sichtbaren Formen uns jederzeit gegenwärtig, wie
in den Werken der bildenden Kunst. Lust am
Sehen führt über die Einfühlung zu einem tiefen,
Wesenhasten Erkennen.
So ist das Erlebnis der bildenden Kunst für
den Ausbau des neuen, ganzheitlich totalen
Menschen unentbehrlich, nicht nur was den Ein-
zelnen betrifft, sondern auch in Hinsicht des
Ganzen. Denn nie wird ein solcher Mensch ein
ideell konstruiertes Humanitätsideal anerkennen
können, d. h. ein Humanitätsideal, das ein aus
der Emanzipation des Geistes geborener leerer
Begriff ist, der der Wirklichkeit des Lebens nicht
entspricht, unwahr ist, sondern er wird nur jenes
Humaniätsideal bejahen, welches die Wahrheit
und Wirklichkeit der völkischen Sonderart in sich
ausgenommen hat und wird so auch im Staate
den lebendigen Organismus erkennen, d. h. das
aus Teilen sinn- und zweckvoll aufgebaute Ganze,
dessen eigentlich organisches Zentrum, dessen tief-
ster Vegetationspunkt (aus dem wie bei einem
Naturgewächs die Gestalt des Ganzen sich ent-
faltet) das Volkstum ist. Zur Herbeiführung
dieses Staates, des Dritten Reiches in höchster
Gestalt, in dem alle lebendigen Kräfte des ewigen
Deutschland anfströmen werden, wird dem Erleb-
nis der bildenden Kunst eine entscheidende Bedeu-
tung zufallen.
der einst jenseits der Neuen Sezession stand und nun sich
in die Sezession einfand. Da ist Karl Zerbe, in dem Traum
und direkte Anschaulichkeit zu frischem, künstlerischem Werk
verbunden sind, da erscheinen die Reste der versprengten
Juryfreien und sammeln sich zu einer ernsten, von Beobach-
tung und Empfindung genährten Schönheit.
Damit sind Brücken zur Neuen Sezession hinüber
geschlagen, die in diesem Jahr ohne sonderliche Vermehrung
von auhen her blieb. Sie hat in München die großen Er-
eignisse in der französischen Kunst und den Nordländer Munch
aufgefangen, sie hat die Mittel vom Gegenstand entfesselt
und in ersten Zeiten den Mitteln um ihrer selbst willen ge-
dient. Auch diese Gruppe entschlossener und durch ein
Programm befreundeter Künstler legt in diesem Jahr ein im
Stillen gereiftes neues Bekenntnis ab. Sie hat den Im-
pressionismus, den „magischen Realismus" und andere, unter
neuem Stilkennwort verstandene Kunst gepflegt und hat einen
neuen Ausdruck geerntet. Sie hat experimentiert, war zeit-
weise in Experimenten vereinsamt, zeitweise auch wegen
ihrer Experimente umjubelt. Heute steht sie in den Mannes-
jahren und bringt ihre Habe an Form in den Gegenstand
ein, so daß der von Zufälligkeiten geschälte Schwerpunkt
klar anschaulich wird. Das gilt für den Impressionisten
und Drang gegen die Verstandes- und Vernunft-
kultur der Aufklärung das Gefühl für die un-
bewußten, sinnlichen Triebkräfte des Lebens über-
mächtig erwachte. Die Erziehung eines neuen
ganzen Menschen wurde auch damals als die
große Aufgabe der Zeit betrachtet und ein
Schiller entdeckte in seinen „Briefen über die
ästhetische Erziehung des Menschen" daß allein
die Kunst die Synthese zwischen Sinnlichem und
Geistigem oder wie er sagt: Stoff- und Form-
trieb vollbringen könne. Schiller selbst freilich
neigte zu sehr auf die Seite des Gedanklichen,
Croissant, Aquarell. Große Münchener Kunstausstellung 1834
um gerade der bildenden Kunst diese Ausgabe
zuzuweisen. Goethe jedoch, seinem ganzen Wesen
nach der Türmer Lyncens: „Zum Sehen ge-
boren, zum Schauen bestellt", der ursprünglich
nicht sicher war, zum Dichter oder bildenden
Künstler geboren zu sein und immer auf das
innigste mit dem Erlebnis der bildenden Kunst
--»-ch,-d'-
Bedeutung gerade der bildenden Kunst. Das
Goethe'sche Jtalienerlebnis findet seinen tieferen
Sinn darin, daß in ihm die abgeschlossene Inner-
lichkeit der Weimarer Jahre vermittels des Erleb-
nisses der bildenden Kunst nach außen in die
Sinnlichkeit tritt und alles Geistige seine Bin-
dung in einer sinnlich sichtbaren Gestalt sticht, so
daß auf diese Weise recht eigentlich eine neue
menschliche Ganzheit herbeigeführt wird. Und
eben dieses Jtalienerlebnis steht heute unserer
ganzen Nation bevor. Wenn man schon Analogien
herbeizieht, soll man nicht von einem Mittelalter
sprechen, dem wir entgegengehen, sondern eher
von einer neuert Klassik. Allein die bildende
Kunst, in der aller geistige Wesensgehalt unzer-
trennlich in eine sichtbare Siuueswahrnehmung
gebunden ist, wird uns, wie den voritalienischen
Goethe, von dem Fluch vereiusamter Bewußtheit
erlöseu, wird uns wieder zu unserer ursprüng-
lichen Naivität zurückführen und uns zu Men-
schen machen, die nicht irr abstraktem Denken sich
isolieren, sondern im Schauen stets den unmittel-
baren Weg zu ihrem sinnlich seelischen, gemein-
samen Lebensgrund finden. So ist das Erleb-
nis der bildenden Kunst für ein Geschlecht,
welches nicht nach Worten, nach Gedanken,
sondern nach Leben, nach Tat, nach Gestaltung
drängt.
Ist es nicht überaus bezeichnend, daß das
vergangene Zeitalter im Bildungsstoff der
Schulen Wohl den Geistesrichtungen des
Humanismus (Latein, Griechisch, Hebräisch) und
Materialismus (Physik, Chemie) gerecht wurde,
daß der Oberprimaner komplizierte astronomische
Berechnungen lösen mußte, die einzelnen Dichter
der zweiten schlesischen Schule mitsamt ihren
Werken zu kennen hatte, von den Werken aber
etwa eines Meister Francke, eines Konrad Witz,
ja eines Holbein, eines Dürer keine Vorstellung
hatte? Überall, wo man die Wirklichkeit durch
Zeichen ersetzen konnte, seien es Zahlen oder Be-
griffe, da war diese Bildung zur Hand. Sie
wollte nur jene Wirklichkeit erfassen, die begriffen,
gedacht, ausgesprochen werden kann. Uns aber
dürstet es heute nach dem Erlebnis der bilden-
den Kunst, weil wir in ihm an der Wirklichkeit
unmittelbar durch unseren Augensinn, nilseren
Tastsinn, unser Körpergcfühl sinnlich leiblichen
Anteil haben. So ist dieses Erlebnis zugleich für
Menschen, die es nach den Nrerlebnissen von leib-
lich seelischer Kraft und Freude drängt, sei es
nun im Sport, sei es im Kampf mit dem Boden,
sei es im letzten Einsatz für unser Vaterland. Die
Voraussetzung aber der seelischen Erneuerung von
Grund auf, welche die bildende Kunst an unserem
Volk zu vollziehen hat, ist ihre Ausnahme in den
Lehrplan der Schulen, wobei man sich aber hüten
möge, sie einem Unberufenen, etwa einem
Zeichen- oder Geschichtslehrer im Nebenfach zu
übertragen: welche aussichtsreiche, volkserziehe-
rische Tätigkeit steht hier nicht dem jungen, heute
meist brotlosen Berufs-Kunsthistoriker offen, auf
die er sich durch eine pädagogische Ergänzungs-
prüfung vorbereiten möge: Erst dann, wenn
bildende Kunst als Lehrfach in den Schulen aus-
genommen ist, wird auch der Kitsch aus den Zim-
Die große Münchner Kunstausstellung 1SZ4
Es genügt der Münchner Kunstausstellung
nicht, einfach Ausstellung München 1934 zu
heißen. Die am Fuß der Alpen ansgeübte Kunst,
die sich von einer nicht so sehr finanziell er-
sprießlichen als ideell erwärmenden Anteilnahme
der ganzen Bevölkerung getragen weiß, gibt froh-
lockend der Verlockung zu
barockem Pomp nach und
schreibt sich „Große
Münchner Kunstausstel-
lung 1934". Festlich wehen
die Fahnen des neuen
Reichs vor dem Gebäude
der Neuen Pinakothek
und die Fahne der Kunst
mit drei roten Wappen-
schilden ans Weißenr
Grnnd hängt lang über
die Mitte der Fassade.
Die Kunst des 19. Jahr-
hunderts wurde ans der
Neuen Pinakothek zu-
gunsten der Lebenden
ausqnartiert und mit ihr
die Prunktapeteil, ans
denen sich die Atelier-
malerei wohlfühlte.
Durch zwischengespannte
Leinwandplafonds wurde
die Deckenhöhe der
großen Säle auf eine
wohltuende moderne Pro-
portion gebracht und die angenehmen, freund-
lichen, lichten Töne, die an Stelle der alten satten
Wanddekoration eingezogen sind, liefern taug-
lichen Grund für die neuzeitliche Freilichtmalerei.
Die Neue Pinakothek bietet weniger Raum als
der seinerzeit unglück-
seligerweise verbrannte
diesmal nicht möglich,
auswärtige Gäste einzu-
laden. Die Münchener
Kunst ist nach Jahren ein-
mal iinvermischt unter
sich und mußte auch die
eigeueu Reihen unter dem
Gebot des Raummangels
streng durchmustern. Der
Katalog enthält 800 Num-
mern gegen die sonst ans
der Münchener Sommer-
ansstellung erreichten
2500. Vor dem Eingang
zur Ausstellung ist das
Modell des künftigen
Hauses der Deutschen
Kunst ausgestellt, das der
Führer der Kunst schenkt.
Übersichtlich wird die
diesjährige Ausstellung
getragen' von drei Z«be, Südliches Stillebcn.
Künstlergruppeu, der
M ü n ch 'n er K ü n st l e r g e n o s s e n s ch a f t,
der Sezession und der Neuen
Sezession. Vor der Revolution rankte sich
ein verwirrendes Grüppchengewächs um die rich-
tiluggebenden Stämme. Der gemeinsame Wille
wurde verflüchtigt. Im ersten Jahr der Revo-
lution ließ die lebhafte Erinnerung an das
Künstlergezänk der Vorzeit befürchten, daß aus
den Künstlergruppeu Künstlerparteien erwachsen
würden. Man deckte deshalb ihre Sonder-
einflüsse zu und führte die Gesamtheit durch eine
einzige Jury. Damit war ein Zuviel an Verein-
fachung erreicht. Heilte sieht man in den unter
neuer Leitung und mit neuem Impuls auftreten-
deu drei großen Künstlergruppeu Gemeinschaften,
die sich innerhalb der Welt der Kunst ähnlich von-
einander abheben und gegenseitig durchdringen wie
die Ständegemeinschaften in der Welt des Staates.
Die Künstlergruppen sind nicht mehr Parteien.
Sie sind es um so weniger, als sie fördernd Zu-
sammenarbeiten, wie die Tatsache belegt, daß die
meisten repräsentativen Mittelsäle der Ausstellung
von den drei Gruppen gemeinsam gehängt
wnrden.
An den Rändern vermischen sich die drei
Künstlergemeinschafteil freiwillig. Die innere
nährende Verbindnng der Gegensätze, die zwischen
ihnen besteht, wird so augenscheinlich. Im Kern
erhalten sie sich rein, wie das geschichtliche Her-
kommen mehrerer Jahrzehnte es mit sich bringt.
Trotzdem bedeutet das Jahr 1934 einen Entwick-
lungsrnck, den man getrost als Vermehrung des
Wesentlichen lesen darf.
Die Münchner Kün st lergenossen schäft ist
mit ihren 60 Jahren die älteste Münchner Künstlergruppe.
Sie bot die organisatorischen Vorteile des Zusammen-
schlusses, ohne sich um die abweichenden künstlerischen Mei-
nungen zu kümmern. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich in
ihrem Bezirk viel Spreu ansammelte. Aber sie hielt auch
immer die Tradition einer glänzenden, natürlichen, leicht
zugänglichen Malerei. Und von dieser durch keinerlei Prin-
zip festgelegten Malerei fühlten sich in den letzten Jahren
manche Künstler zum Eintritt in die „Genossenschaft" verlockt,
weil sie in den Programmen der anderen Gruppen Risse,
Sprünge des Alters und der überholenden Zeit erblickten.
So gesellten sich zu Altmeistern wie dem zügigen, gewichtigen,
über sonore Farben gebietenden Müller-Wischin oder dem
aufgelockerten, lichten und feinen Wilhelm Roegge eine Schar
versprechender Junger. Stützer besänftigt den heißen Farben-
drang und müht sich um den Aufbau der Landschaft.
Die Münchner Sezession hat sich um das Ge-
fühl für die künstlerischen Mittel gesammelt. Sie genießt
die Macht der Kunstmittel, aus denen sie den Gegenstand
erbaut. Ihr Fundament ist vorimpressionistisch, darum führt
sie auch heute noch Mitglieder, in denen die Münchner
Schule der Jahrhundertwende abklingt. Jutz und der mit
großen Räumen frei schaltende Eeigcnberger haben ihre An-
ziehung auf einen geschlossenen jungen Stoßtrupp ausgeübt,
Höklieli unterrielitet
Zwei Reihen junger Menschen, künftiger
Klärchen und Gretchen, Iphigenien und Pen-
thisileen, Carlos und Posas, Romeos und Ham-
lets, sitzen sich in einem kleinen Saal des Staat-
lichen Schauspielhauses gegenüber. Die Büsten
Jfflands und Matkowskys blicken auf sie herab.
Unter ihren Angen versuchen sie die ersten Schritte
in ihrem zweiten Dasein, dem des Schauspielers.
Von neuem lernen sie gehen und sprechens denn
was man im Alltag so nennt, ist aus der Bühne
bestenfalls ein Stolpern und Stottern. An ihrem
Tisch sitzt Lucie Höflich und unterrichtet. Sorg-
Große Münchener Kunstausstellung 1934
lich lenkt nnd hegt die große Menschendarstellerin
die zaghasten Anfänge. Der innere Reichtum,
aus dem sie schöpft, macht die Lehrstunde zum
Erlebnis.
„Klärchen ist nicht sentimental"
Ein junges Mädchen, ängstliche Erwartung auf dem
Gesicht, tritt in die Mitte des Saales. Jemand gibt das
sachlichen llnold, den dokumentarischen Porträtisten Franz
Doll und den feinnervigen Julius Heß.
Insgesamt sind die drei Künstlerbünde sich
heute nähergerückt, man könnte etwa in den Pein-
lich horizontal geschichteten, der kleinen Form
frohen und das weite Feld durch Addition er-
spürenden Landschaften von Leithäuser (Münch-
ner Künstlergenossenschaft), Wilhelm Rose (Se-
zession) und Achmann (Neue Sezession) eine ge-
meinsame Achse sehen; aber, indem drei Grund-
haltungen künstlerischer Gemeinschaft geschieden
sind, werden die möglichen Prozesse des Schaffens
rein vor Augen gehalten und das erleichtert die
große überwältigende Tat, in der die Zeit zur
Einheit fügt, was die Nation ihr an Bausteinen
liefert. Die neue Ausstellung Münchens ist voll
redlicher Bereitschaft und das ist alles, was man
verlangen kann.
lernst Xnnirnarer
Stichwort: ,,. . . die Leibwache der Regentin!" Sie spricht
das Klärchen, legt alles hinein, was sie vermag. Aber es
ist noch nicht genug. „Du mußt wärmer sein", unterbricht
Lucie Höflich, „bist zu kalt, zu unbeteiligt! Nicht immer
im selben Ton! So sprichst du auch nicht im Leben." Klär-
chen fährt fort. „Glücklich wärst du mit ihm gewesen", sagt
die Mutter und meint Brackenburg. „Wäre versorgt und
hätte ein ruhiges Leben, antwortet sie in leise wegwerfen-
dem Ton. Lucie Höflich wünscht das Klärchen energischer,
selbständiger: „Du mußt das Ganze stärker anfassen! Klär-
chen ist nicht sentimental!"
Wer zuhört, wie hier jedem Wort nachgetastet, wie um
seelische Vertiefung und innere Auflockerung gerungen wird,
lernt begreifen, daß es bei der Erziehung -es Schauspieler-
nachwuchses um weit mehr als Sprech- und Bewegungstechnik
geht: Das Innere muß in Fluß gebracht, die natürliche Trag-
herr des Menschen mug uverwunoen werden, um Kraryeir und
Steigerung des Ausdrucks zu ermöglichen. Erziehungsarbeit
am ganzen Menschen ist erforderlich, nicht nur die Übermitt-
lung technischer Fertigkeiten. Hingabe an die Phantasie,
Fähigkeit zu seelischer Konzentration und die tiefe innere
Bereitschaft, Gefäß für das Wort des Dichters zu sein, gilt
es in den jungen Menschen zu wecken.
Manchmal gelingt der Durchbruch an unerwarteter Stelle.
„Sieht man euch morgen? Ich will mich ein wenig an-
ziehen. Der Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich
aus", verabschiedet Klärchen den Brackenburg. „Wenn man
einen Menschen fortschickt", wirft Lucie Höflich ein, „tut man
es sehr nett. Klärchen ist von Natur lieb und freundlich.
Sie will Brackenburg, der dauernd in sie hineinschaut wie
in eine goldene Kette, nicht länger um sich haben. Aber
sie möchte ihm auch nicht wehtun. Um ihn loszuwerden,
bedient sie sich einer kleinen bewußten Lüge." Die Schülerin-
nen lächeln. Sie haben Verständnis für Klärchens kleine
Notlüge. Sie ist ihnen sichtlich nähcrgerückt. Fortan wer-
den sie sich erinnern, daß es sich an dieser Stelle darum
handelt, besonders freundlich zu sein, um Vrackenburg auf
gute Art loszuwcrdcn.
Eine mißlungene Umarmung
Ein junger Carlos, der stolz den Kopf dreht und wendet,
und ein Posa mit noch etwas naivem Tonfall treten auf.
Lucie Höflich hört ihnen eine Weile zu. Dann unterbricht
sie sic: „Kinder, seid nicht so verkrampft! Trotz seines Lei-
dens muß der Carlos etwas Offenes haben. Auch auf das
Tempo müßt ihr achten, sonst entschlummert das Publikum
euch sanft. Und dann nicht immer einen Schritt rechts,
einen links, Carlos! Du hast das Bestreben: Hacken zu-
sammen. Das ergibt aber eine schlechte Balance. Und vor
allem nicht immer diese entsetzliche Erapscherei, wenn du den
Posa umarmst!" Sie karikiert die mißlungene Umarmung
Vincent van Gogh, Zeichnung
Erziehung des Schauspielernachwuchses
Von
Carl Dietrich Carls
Kunst der Nation
werden (die Grundursache auch des materiellen
Mißstandes der Künstlerschaft).
So hatte selbst in jener Kunstgattung, deren
Konzeption sich ihrem ursprünglichen Wesen nach
in dem unmittelbaren Bereich einer sinnlich sicht-
baren Wirklichkeit vollzieht, in der bildenden
Kunst, die Absonderung des geistigen Ich bis zur
Vernichtung dieser Wirklichkeit durch die reine
geistgezeugte Form geführt. Es läßt sich Voraus-
sehen, daß ein Mensch, welcher am eigenen,
äußeren und inneren Leben, die unerbittliche
Strafe der entzweiten Natur erfuhr und darum
nach einer Einverleibung des Geistes, einer An-
gleichung seiner geistigen Bewußtseinsinhalte an
sein natürlich gegebenes, leiblich seelisches Grund-
gefühl strebte, daß dieser Mensch der bildenden
Kunst ihrem ursprünglichen Wesen nach zur Her-
stellung seiner Totalität bedarf. Schon einmal
befand sich ein Geschlecht in einer ähnlichen Lage
wie das unsrige: damals nämlich, als im Sturm
meru verschwinden, erst dann werden auch die
Ausstellungen zeitgenössischer Kunst Erfolg haben
(aus der vorjährigen Großen Leipziger Kunst-Aus-
stellung wurde ein Bild verkauft), erst dann wer-
den die Kunstvereine wieder aufblühen und die
große Mission erfüllen können, die sie sich vor
über hundert Jahren bei ihrer Gründung zum
Ziel gesetzt haben. Noch eines: nirgends ist die
allgemein geistige Entwicklung des deutschen
Volkes, sind seine charakteristischen nationalen Be-
sonderheiten sowie all seine vielfältigen reichen
Stammeseigentümlichkeiten so deutlich in sinnlich
sichtbaren Formen uns jederzeit gegenwärtig, wie
in den Werken der bildenden Kunst. Lust am
Sehen führt über die Einfühlung zu einem tiefen,
Wesenhasten Erkennen.
So ist das Erlebnis der bildenden Kunst für
den Ausbau des neuen, ganzheitlich totalen
Menschen unentbehrlich, nicht nur was den Ein-
zelnen betrifft, sondern auch in Hinsicht des
Ganzen. Denn nie wird ein solcher Mensch ein
ideell konstruiertes Humanitätsideal anerkennen
können, d. h. ein Humanitätsideal, das ein aus
der Emanzipation des Geistes geborener leerer
Begriff ist, der der Wirklichkeit des Lebens nicht
entspricht, unwahr ist, sondern er wird nur jenes
Humaniätsideal bejahen, welches die Wahrheit
und Wirklichkeit der völkischen Sonderart in sich
ausgenommen hat und wird so auch im Staate
den lebendigen Organismus erkennen, d. h. das
aus Teilen sinn- und zweckvoll aufgebaute Ganze,
dessen eigentlich organisches Zentrum, dessen tief-
ster Vegetationspunkt (aus dem wie bei einem
Naturgewächs die Gestalt des Ganzen sich ent-
faltet) das Volkstum ist. Zur Herbeiführung
dieses Staates, des Dritten Reiches in höchster
Gestalt, in dem alle lebendigen Kräfte des ewigen
Deutschland anfströmen werden, wird dem Erleb-
nis der bildenden Kunst eine entscheidende Bedeu-
tung zufallen.
der einst jenseits der Neuen Sezession stand und nun sich
in die Sezession einfand. Da ist Karl Zerbe, in dem Traum
und direkte Anschaulichkeit zu frischem, künstlerischem Werk
verbunden sind, da erscheinen die Reste der versprengten
Juryfreien und sammeln sich zu einer ernsten, von Beobach-
tung und Empfindung genährten Schönheit.
Damit sind Brücken zur Neuen Sezession hinüber
geschlagen, die in diesem Jahr ohne sonderliche Vermehrung
von auhen her blieb. Sie hat in München die großen Er-
eignisse in der französischen Kunst und den Nordländer Munch
aufgefangen, sie hat die Mittel vom Gegenstand entfesselt
und in ersten Zeiten den Mitteln um ihrer selbst willen ge-
dient. Auch diese Gruppe entschlossener und durch ein
Programm befreundeter Künstler legt in diesem Jahr ein im
Stillen gereiftes neues Bekenntnis ab. Sie hat den Im-
pressionismus, den „magischen Realismus" und andere, unter
neuem Stilkennwort verstandene Kunst gepflegt und hat einen
neuen Ausdruck geerntet. Sie hat experimentiert, war zeit-
weise in Experimenten vereinsamt, zeitweise auch wegen
ihrer Experimente umjubelt. Heute steht sie in den Mannes-
jahren und bringt ihre Habe an Form in den Gegenstand
ein, so daß der von Zufälligkeiten geschälte Schwerpunkt
klar anschaulich wird. Das gilt für den Impressionisten
und Drang gegen die Verstandes- und Vernunft-
kultur der Aufklärung das Gefühl für die un-
bewußten, sinnlichen Triebkräfte des Lebens über-
mächtig erwachte. Die Erziehung eines neuen
ganzen Menschen wurde auch damals als die
große Aufgabe der Zeit betrachtet und ein
Schiller entdeckte in seinen „Briefen über die
ästhetische Erziehung des Menschen" daß allein
die Kunst die Synthese zwischen Sinnlichem und
Geistigem oder wie er sagt: Stoff- und Form-
trieb vollbringen könne. Schiller selbst freilich
neigte zu sehr auf die Seite des Gedanklichen,
Croissant, Aquarell. Große Münchener Kunstausstellung 1834
um gerade der bildenden Kunst diese Ausgabe
zuzuweisen. Goethe jedoch, seinem ganzen Wesen
nach der Türmer Lyncens: „Zum Sehen ge-
boren, zum Schauen bestellt", der ursprünglich
nicht sicher war, zum Dichter oder bildenden
Künstler geboren zu sein und immer auf das
innigste mit dem Erlebnis der bildenden Kunst
--»-ch,-d'-
Bedeutung gerade der bildenden Kunst. Das
Goethe'sche Jtalienerlebnis findet seinen tieferen
Sinn darin, daß in ihm die abgeschlossene Inner-
lichkeit der Weimarer Jahre vermittels des Erleb-
nisses der bildenden Kunst nach außen in die
Sinnlichkeit tritt und alles Geistige seine Bin-
dung in einer sinnlich sichtbaren Gestalt sticht, so
daß auf diese Weise recht eigentlich eine neue
menschliche Ganzheit herbeigeführt wird. Und
eben dieses Jtalienerlebnis steht heute unserer
ganzen Nation bevor. Wenn man schon Analogien
herbeizieht, soll man nicht von einem Mittelalter
sprechen, dem wir entgegengehen, sondern eher
von einer neuert Klassik. Allein die bildende
Kunst, in der aller geistige Wesensgehalt unzer-
trennlich in eine sichtbare Siuueswahrnehmung
gebunden ist, wird uns, wie den voritalienischen
Goethe, von dem Fluch vereiusamter Bewußtheit
erlöseu, wird uns wieder zu unserer ursprüng-
lichen Naivität zurückführen und uns zu Men-
schen machen, die nicht irr abstraktem Denken sich
isolieren, sondern im Schauen stets den unmittel-
baren Weg zu ihrem sinnlich seelischen, gemein-
samen Lebensgrund finden. So ist das Erleb-
nis der bildenden Kunst für ein Geschlecht,
welches nicht nach Worten, nach Gedanken,
sondern nach Leben, nach Tat, nach Gestaltung
drängt.
Ist es nicht überaus bezeichnend, daß das
vergangene Zeitalter im Bildungsstoff der
Schulen Wohl den Geistesrichtungen des
Humanismus (Latein, Griechisch, Hebräisch) und
Materialismus (Physik, Chemie) gerecht wurde,
daß der Oberprimaner komplizierte astronomische
Berechnungen lösen mußte, die einzelnen Dichter
der zweiten schlesischen Schule mitsamt ihren
Werken zu kennen hatte, von den Werken aber
etwa eines Meister Francke, eines Konrad Witz,
ja eines Holbein, eines Dürer keine Vorstellung
hatte? Überall, wo man die Wirklichkeit durch
Zeichen ersetzen konnte, seien es Zahlen oder Be-
griffe, da war diese Bildung zur Hand. Sie
wollte nur jene Wirklichkeit erfassen, die begriffen,
gedacht, ausgesprochen werden kann. Uns aber
dürstet es heute nach dem Erlebnis der bilden-
den Kunst, weil wir in ihm an der Wirklichkeit
unmittelbar durch unseren Augensinn, nilseren
Tastsinn, unser Körpergcfühl sinnlich leiblichen
Anteil haben. So ist dieses Erlebnis zugleich für
Menschen, die es nach den Nrerlebnissen von leib-
lich seelischer Kraft und Freude drängt, sei es
nun im Sport, sei es im Kampf mit dem Boden,
sei es im letzten Einsatz für unser Vaterland. Die
Voraussetzung aber der seelischen Erneuerung von
Grund auf, welche die bildende Kunst an unserem
Volk zu vollziehen hat, ist ihre Ausnahme in den
Lehrplan der Schulen, wobei man sich aber hüten
möge, sie einem Unberufenen, etwa einem
Zeichen- oder Geschichtslehrer im Nebenfach zu
übertragen: welche aussichtsreiche, volkserziehe-
rische Tätigkeit steht hier nicht dem jungen, heute
meist brotlosen Berufs-Kunsthistoriker offen, auf
die er sich durch eine pädagogische Ergänzungs-
prüfung vorbereiten möge: Erst dann, wenn
bildende Kunst als Lehrfach in den Schulen aus-
genommen ist, wird auch der Kitsch aus den Zim-
Die große Münchner Kunstausstellung 1SZ4
Es genügt der Münchner Kunstausstellung
nicht, einfach Ausstellung München 1934 zu
heißen. Die am Fuß der Alpen ansgeübte Kunst,
die sich von einer nicht so sehr finanziell er-
sprießlichen als ideell erwärmenden Anteilnahme
der ganzen Bevölkerung getragen weiß, gibt froh-
lockend der Verlockung zu
barockem Pomp nach und
schreibt sich „Große
Münchner Kunstausstel-
lung 1934". Festlich wehen
die Fahnen des neuen
Reichs vor dem Gebäude
der Neuen Pinakothek
und die Fahne der Kunst
mit drei roten Wappen-
schilden ans Weißenr
Grnnd hängt lang über
die Mitte der Fassade.
Die Kunst des 19. Jahr-
hunderts wurde ans der
Neuen Pinakothek zu-
gunsten der Lebenden
ausqnartiert und mit ihr
die Prunktapeteil, ans
denen sich die Atelier-
malerei wohlfühlte.
Durch zwischengespannte
Leinwandplafonds wurde
die Deckenhöhe der
großen Säle auf eine
wohltuende moderne Pro-
portion gebracht und die angenehmen, freund-
lichen, lichten Töne, die an Stelle der alten satten
Wanddekoration eingezogen sind, liefern taug-
lichen Grund für die neuzeitliche Freilichtmalerei.
Die Neue Pinakothek bietet weniger Raum als
der seinerzeit unglück-
seligerweise verbrannte
diesmal nicht möglich,
auswärtige Gäste einzu-
laden. Die Münchener
Kunst ist nach Jahren ein-
mal iinvermischt unter
sich und mußte auch die
eigeueu Reihen unter dem
Gebot des Raummangels
streng durchmustern. Der
Katalog enthält 800 Num-
mern gegen die sonst ans
der Münchener Sommer-
ansstellung erreichten
2500. Vor dem Eingang
zur Ausstellung ist das
Modell des künftigen
Hauses der Deutschen
Kunst ausgestellt, das der
Führer der Kunst schenkt.
Übersichtlich wird die
diesjährige Ausstellung
getragen' von drei Z«be, Südliches Stillebcn.
Künstlergruppeu, der
M ü n ch 'n er K ü n st l e r g e n o s s e n s ch a f t,
der Sezession und der Neuen
Sezession. Vor der Revolution rankte sich
ein verwirrendes Grüppchengewächs um die rich-
tiluggebenden Stämme. Der gemeinsame Wille
wurde verflüchtigt. Im ersten Jahr der Revo-
lution ließ die lebhafte Erinnerung an das
Künstlergezänk der Vorzeit befürchten, daß aus
den Künstlergruppeu Künstlerparteien erwachsen
würden. Man deckte deshalb ihre Sonder-
einflüsse zu und führte die Gesamtheit durch eine
einzige Jury. Damit war ein Zuviel an Verein-
fachung erreicht. Heilte sieht man in den unter
neuer Leitung und mit neuem Impuls auftreten-
deu drei großen Künstlergruppeu Gemeinschaften,
die sich innerhalb der Welt der Kunst ähnlich von-
einander abheben und gegenseitig durchdringen wie
die Ständegemeinschaften in der Welt des Staates.
Die Künstlergruppen sind nicht mehr Parteien.
Sie sind es um so weniger, als sie fördernd Zu-
sammenarbeiten, wie die Tatsache belegt, daß die
meisten repräsentativen Mittelsäle der Ausstellung
von den drei Gruppen gemeinsam gehängt
wnrden.
An den Rändern vermischen sich die drei
Künstlergemeinschafteil freiwillig. Die innere
nährende Verbindnng der Gegensätze, die zwischen
ihnen besteht, wird so augenscheinlich. Im Kern
erhalten sie sich rein, wie das geschichtliche Her-
kommen mehrerer Jahrzehnte es mit sich bringt.
Trotzdem bedeutet das Jahr 1934 einen Entwick-
lungsrnck, den man getrost als Vermehrung des
Wesentlichen lesen darf.
Die Münchner Kün st lergenossen schäft ist
mit ihren 60 Jahren die älteste Münchner Künstlergruppe.
Sie bot die organisatorischen Vorteile des Zusammen-
schlusses, ohne sich um die abweichenden künstlerischen Mei-
nungen zu kümmern. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich in
ihrem Bezirk viel Spreu ansammelte. Aber sie hielt auch
immer die Tradition einer glänzenden, natürlichen, leicht
zugänglichen Malerei. Und von dieser durch keinerlei Prin-
zip festgelegten Malerei fühlten sich in den letzten Jahren
manche Künstler zum Eintritt in die „Genossenschaft" verlockt,
weil sie in den Programmen der anderen Gruppen Risse,
Sprünge des Alters und der überholenden Zeit erblickten.
So gesellten sich zu Altmeistern wie dem zügigen, gewichtigen,
über sonore Farben gebietenden Müller-Wischin oder dem
aufgelockerten, lichten und feinen Wilhelm Roegge eine Schar
versprechender Junger. Stützer besänftigt den heißen Farben-
drang und müht sich um den Aufbau der Landschaft.
Die Münchner Sezession hat sich um das Ge-
fühl für die künstlerischen Mittel gesammelt. Sie genießt
die Macht der Kunstmittel, aus denen sie den Gegenstand
erbaut. Ihr Fundament ist vorimpressionistisch, darum führt
sie auch heute noch Mitglieder, in denen die Münchner
Schule der Jahrhundertwende abklingt. Jutz und der mit
großen Räumen frei schaltende Eeigcnberger haben ihre An-
ziehung auf einen geschlossenen jungen Stoßtrupp ausgeübt,
Höklieli unterrielitet
Zwei Reihen junger Menschen, künftiger
Klärchen und Gretchen, Iphigenien und Pen-
thisileen, Carlos und Posas, Romeos und Ham-
lets, sitzen sich in einem kleinen Saal des Staat-
lichen Schauspielhauses gegenüber. Die Büsten
Jfflands und Matkowskys blicken auf sie herab.
Unter ihren Angen versuchen sie die ersten Schritte
in ihrem zweiten Dasein, dem des Schauspielers.
Von neuem lernen sie gehen und sprechens denn
was man im Alltag so nennt, ist aus der Bühne
bestenfalls ein Stolpern und Stottern. An ihrem
Tisch sitzt Lucie Höflich und unterrichtet. Sorg-
Große Münchener Kunstausstellung 1934
lich lenkt nnd hegt die große Menschendarstellerin
die zaghasten Anfänge. Der innere Reichtum,
aus dem sie schöpft, macht die Lehrstunde zum
Erlebnis.
„Klärchen ist nicht sentimental"
Ein junges Mädchen, ängstliche Erwartung auf dem
Gesicht, tritt in die Mitte des Saales. Jemand gibt das
sachlichen llnold, den dokumentarischen Porträtisten Franz
Doll und den feinnervigen Julius Heß.
Insgesamt sind die drei Künstlerbünde sich
heute nähergerückt, man könnte etwa in den Pein-
lich horizontal geschichteten, der kleinen Form
frohen und das weite Feld durch Addition er-
spürenden Landschaften von Leithäuser (Münch-
ner Künstlergenossenschaft), Wilhelm Rose (Se-
zession) und Achmann (Neue Sezession) eine ge-
meinsame Achse sehen; aber, indem drei Grund-
haltungen künstlerischer Gemeinschaft geschieden
sind, werden die möglichen Prozesse des Schaffens
rein vor Augen gehalten und das erleichtert die
große überwältigende Tat, in der die Zeit zur
Einheit fügt, was die Nation ihr an Bausteinen
liefert. Die neue Ausstellung Münchens ist voll
redlicher Bereitschaft und das ist alles, was man
verlangen kann.
lernst Xnnirnarer
Stichwort: ,,. . . die Leibwache der Regentin!" Sie spricht
das Klärchen, legt alles hinein, was sie vermag. Aber es
ist noch nicht genug. „Du mußt wärmer sein", unterbricht
Lucie Höflich, „bist zu kalt, zu unbeteiligt! Nicht immer
im selben Ton! So sprichst du auch nicht im Leben." Klär-
chen fährt fort. „Glücklich wärst du mit ihm gewesen", sagt
die Mutter und meint Brackenburg. „Wäre versorgt und
hätte ein ruhiges Leben, antwortet sie in leise wegwerfen-
dem Ton. Lucie Höflich wünscht das Klärchen energischer,
selbständiger: „Du mußt das Ganze stärker anfassen! Klär-
chen ist nicht sentimental!"
Wer zuhört, wie hier jedem Wort nachgetastet, wie um
seelische Vertiefung und innere Auflockerung gerungen wird,
lernt begreifen, daß es bei der Erziehung -es Schauspieler-
nachwuchses um weit mehr als Sprech- und Bewegungstechnik
geht: Das Innere muß in Fluß gebracht, die natürliche Trag-
herr des Menschen mug uverwunoen werden, um Kraryeir und
Steigerung des Ausdrucks zu ermöglichen. Erziehungsarbeit
am ganzen Menschen ist erforderlich, nicht nur die Übermitt-
lung technischer Fertigkeiten. Hingabe an die Phantasie,
Fähigkeit zu seelischer Konzentration und die tiefe innere
Bereitschaft, Gefäß für das Wort des Dichters zu sein, gilt
es in den jungen Menschen zu wecken.
Manchmal gelingt der Durchbruch an unerwarteter Stelle.
„Sieht man euch morgen? Ich will mich ein wenig an-
ziehen. Der Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich
aus", verabschiedet Klärchen den Brackenburg. „Wenn man
einen Menschen fortschickt", wirft Lucie Höflich ein, „tut man
es sehr nett. Klärchen ist von Natur lieb und freundlich.
Sie will Brackenburg, der dauernd in sie hineinschaut wie
in eine goldene Kette, nicht länger um sich haben. Aber
sie möchte ihm auch nicht wehtun. Um ihn loszuwerden,
bedient sie sich einer kleinen bewußten Lüge." Die Schülerin-
nen lächeln. Sie haben Verständnis für Klärchens kleine
Notlüge. Sie ist ihnen sichtlich nähcrgerückt. Fortan wer-
den sie sich erinnern, daß es sich an dieser Stelle darum
handelt, besonders freundlich zu sein, um Vrackenburg auf
gute Art loszuwcrdcn.
Eine mißlungene Umarmung
Ein junger Carlos, der stolz den Kopf dreht und wendet,
und ein Posa mit noch etwas naivem Tonfall treten auf.
Lucie Höflich hört ihnen eine Weile zu. Dann unterbricht
sie sic: „Kinder, seid nicht so verkrampft! Trotz seines Lei-
dens muß der Carlos etwas Offenes haben. Auch auf das
Tempo müßt ihr achten, sonst entschlummert das Publikum
euch sanft. Und dann nicht immer einen Schritt rechts,
einen links, Carlos! Du hast das Bestreben: Hacken zu-
sammen. Das ergibt aber eine schlechte Balance. Und vor
allem nicht immer diese entsetzliche Erapscherei, wenn du den
Posa umarmst!" Sie karikiert die mißlungene Umarmung
Vincent van Gogh, Zeichnung
Erziehung des Schauspielernachwuchses
Von
Carl Dietrich Carls