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Kunst der Nation
Es breitete sich die anderthalb Jahrzehnte hin-
durch, in denen Milly Sieger wieder in Berlin
arbeitet, in reichster und reifster Fülle aus und
blieb nicht ohne Erfolg und ohne Ruhm. Auch
wer Superlativen abgeneigt ist, wird in ihr doch
die bedeutendste deutsche Bildhauern:, ja die be-
merkenswerteste ihrer ganzen Zeit erblicken, eine
Bewertung, die nicht nur für die bloße Art ihres
Schaffens, sondern auch für die Stärke ihrer Per-
sönlichkeit zeugt, die — was Rilke einmal von der
Paula Modersohn rühmt — auf dem Gebiet ihrer
nicht leichten Kunst mehr verwandelt hat, als
irgend eine Frau. Obgleich sie schließlich mit dem
sichersten, untrüglichsten Gefühl für die Gesetze,
die ihrem jeweiligen Arbeitsmaterial innewohnen,
innerhalb der Grenzen des ihr Gemäßen, Wesent-
lichen blieb. Das verleiht ihren Stukko-, Stein-
und Bronzewerken und den Holzskulpturen das
Klangreiche, jenen Hellen, sprießenden, beseelten
Stegerschen Zug, der auch dort, wo er sich einmal
zur Ekstase steigerte, immer noch etwas von der
Beschwingtheit des Musikalischen behielt, zunächst
noch mehr ausladend in den Bewegungen der
vielen Tänzerinnen, Kauernden, Klagenden, des
„singenden Zigeunermädchens", der „Herben" und
all der sonstigen mannigfaltigen nackten weiblichen
Gestalten und Gruppen (auch eine Reihe äußerst
charakteristischer Bildnisköpfe geistig bedeutender
Frauen begleitete diese Entwicklung), um in der
Folge bei aller bleibenden Lebendigkeit des Aus-
drucks immer verhaltener zu werden (die „Drei-
zehnjährige" und das „Ballhaltende Mädchen").
Es liegt oft ein unsagbarer Hauch von Wärme
und Glanz über diesen Figuren, in denen das
Gefühl der Schöpferin für das Gegenständliche in:
Kunstwerk restlos eingegangen zu sein scheint. Und
wenn man dann von dem Formenzusammenhang
zu den Einzelheiten übergeht, ist die Durchführung
auch hier noch mit einer Feinheit und Festigkeit
gegeben, die von sicherstem, höchstem Können zeugt.
Die Künstlerin hat gelegentlich einmal — wo-
für sie sicherlich hervorragendstes Beispiel ist, dem
nachzueifern allerdings nur wenig weibliche Be-
gabungen imstande waren — vom ausgesprochenen:
Hinneigen der Frau zu plastischem Gestalten, von
ihrer engeren Naturverbundenheit gesprochen, die
sie zu sinnlichem Erfassen und innerem Erleben
von Formen vorausbestimmt und dabei auch die
Aufgabe des Tastgefühls berührt, dem Augensinn
gegenüber das primäre Element. Sie ist ihm im
Laufe ihrer Entwicklung immer entschiedener ge-
recht geworden durch Zusammenfassung, Ge-
schlossenheit, Verzicht ans alles anßerplastische Bei-
werk, durch sparsam modellierte Formen, die ohne
Modellvorbereitung aus dem Block gemeißelt wer-
den, der auch noch in der endgültigen Gestaltung
ständig dnrchzuspüren ist.
Gewiß spiegelt sich in dieser konsequenten
Wandlung auch der Ablauf wider, den das zeit-
genössische Kunstempfinden und Kunststreben über-
haupt nahm und letzthin wird es immer wieder
darauf ankommen, welch Eigenes der einzelne
Künstler zu dem Ausdruckswillen seiner Epoche
beiträgt. Setzen wir den Fall, daß das Werk
Milly Siegers nicht existierte, dann würde der
deutschen Plastik ein harmonisch beschwingter,
seelenvoll verhaltener Klang fehlen, der in dieser
Eigentümlichkeit ihr wie kaum einem anderen ge-
geben ist. Er wird wirken, verwandte Sinne
finden und mit zur Steigerung des Daseins
helfen! Ist doch Kunst nach einen: Ausspruch aus
der Zeit der Romantik: „d a s mit Talent dar-
stellen, was sein könnt e". Tborvva 1 ck
Bon der
vorausschauenden Kraft der bildenden Kunst
Zur Ausstellung Neuere deutsche Graphik in: Frankfurter Kunstverein
Diese Ausstellung setzt dort ein, wo die in:
Mai des Jahres von: Frankfurter Kunstvereiu
veranstaltete Schau „Deutsche Zeichenkuust im
19. Jahrhundert" abgeschlossen hat, bei Max
Slevogt. Wieder wird eine wesentliche Epoche
deutscher Geschichte im Spiegel der Kunst sichtbar,
wieder zeigt es sich, daß die innere Entwicklung
eines Volks notwendig und großenteils in den
Formen der Kunst voransgeschaut und vorauser-
kannt wird, und daß es an uns ist, diese Formen
richtig zu sehen und zu deuten. So erscheinen in
der neuen Ausstellung des Kunstvereins die
Epochen der letzten Vorkriegszeit, des Weltkriegs
und der jüngsten Nachkriegszeit verklärt und ge-
läutert in einer Sammlung graphischer Blätter
von Slevogt bis in die Gegenwart, jene er- , , ,
schlitternden Dezennien, in denen an der Wende seiner Mit in seinen Grundvesten bedroht aeweJn
zweier Jahrhunderte :n Wahrheit eine Wetten- . ' "
wende sich vollzog.
Das rätselhafte 19. Jahrhundert taucht in
seiner letzten Verfeinerung ans Licht, in einer im
Schwung der Linie c ' s, "
Romantik, besonders in jenen graphischen Phanta-
sien, die M a x S l e v o g t und neben ihm H a n s . , . . . ,
Meid zum letztenmal in der abendländischen. Künstler"), und die Freude am Leben, die er in:
Kunst zu träumen beschieden waren: das Märchen,
die Sage und die Tragödie werden von beiden mit
einer nervösen Reizbarkeit interpretiert; die Linie
zittert um das tragische Ereignis in Meids
„Othello-Zyklus", oder sie umschlingt graziös und
heiter die knabenhafte Jndianerromantik in
Slevogts Illustrationen zu Coopers „Leder-
strumpf". Aber schon bei dem älter werdenden
Slevogt beginnt die neue, ernste Zeit, beginnt der
wahre Geist des 20. Jahrhunderts, von dem wir
erst heute etwas zu ahnen beginnen, nachdem wir
sein erstes Drittel überschritten haben. Slevogts
Holzschnitte zu den „Nibelungen" sind Wohl
die größte Überraschung der Ausstellung. Hier ist
kein Funke mehr vom 19. Jahrhundert, keine Spur
von Romantik, hier ist kein Spiel von
Arabesken mehr um die schöne, lächelnde, heitere
Form, sondern hier trägt der monumentale Gehalt
des größten abendländischen Epos seit Homer sich
mit einer Wucht ohne gleichen vor. Diese sieben
Blätter sind sieben dröhnende Schläge des Schick-
sals, brutal uud hart, voll Leidenschaft und ohne
jede Anmut; der heiße Atem des Krieges schlägt
dem Betrachter wie eine Lohe ins Gesicht und das
Heldische des Kriegers unserer Zeit findet in der
aufrechten Gestalt des Hagen das seinem Ethos
würdige Sinnbild.
Slevogt rückt mit dieser Folge unmittelbar an
Lovis Corinth heran, der noch weit stärker
und weit visionärer den: Wandel des Zeitgeschehens
verhaftet, wenn nicht gar verfallen war. Manch-
mal scheint es, als ob Corinth von den Stürmen
wäre: so, mitten in der brennenden Gefahr der
Gegenwart, hat er sich radiert, am Tag der Re-
volution in: November 18, zutiefst erschüttert da-
von, daß der völlige Untergang seinem Vaterland
ausklingenden späten bevorstehen sollte. Wie jeder gute Krieger war er
. dem Tod auf eine sonderbar nahe Weise verwandt
(dies lehrt uns sein Selbstbildnis „Tod und
hellenischen Mythos oder bei seinem Vorbild
Rubens suchte, war die andere, hellere Seite seiner
Existenz, die auf jener dunklen und schmerzlichen
immer wieder freundlich leuchtende Reflexe her-
vorrief.
Der Tod und das Leben, der Schmerz und die
Freude, diese großen Kontraste des Irdischen, die
in Corinths Werk seit langem zum erstenmal wie-
der fest verdichtet in der deutschen Kunst anf-
tauchten, haben sie seitdem mit einer magischen
Kraft durchdrungen und beherrscht. Dunkler
wurden Wohl die Schatten auch in ihr zu der Zeit,
zu der das Schicksal der Deutschen selber in tiefstes
Dunkel gehüllt war, aber dennoch war auch dann
die Helle immer da, wenn auch verborgen als ein
fernes Licht. Und selbst der Krieg sogar — der
Tod im Niemandsland
Milly Sieger, Der Gesteinigte. 1934. Phot. Schuch
zur Nacht uud das Leben
der Blumen auf den:
Rand eines Granat-
trichters in sonnigem
Tag („Krieg", Zyklus
von Dix) — selbst der
Krieg sogar war ja dies
Eine, Ungeteilte von Le-
ben und von Tod, und
auch die Menschen dieser
harten Zeit trugen diese
Zuversicht, und diese
Zeichen in sich: sie
glaubten unerschütter-
lich, daß ebenso wie
Schmerz und Freude, so
auch Tod uud Leben
nichts anderes und nichts
Geringeres als Zustände
der Seele seien, die jeder
Sterbliche einmal erfah-
ren muß. Der Schmerz
dieser Kriegs- und Nach-
kriegszeit aber fand nir-
gends sonst eine mehr
erschütternde visionäre
Form als in den: Antlitz
von Beckmanns
„Weinender Fran" und
die Freude verdichtete
sich Wohl nirgends an-
derswo zu einer so er-
hebenden Gestalt, wie in
den tief beseelten Ge-
sichtern von Kokosch-
ka, in denen die Angen
wie Sterne stehen, als
Sterne einer großen Zu-
kunft am nächtlichen
Himmel der noch dump-
fen Zeit, einer Zukunft
aber, die in solcher Nähe sich selbst erschauend
nun gleichsam auch sich selbst in: Fernen zu ver-
künden wagen darf.
Ein solches Bekenntnis, daß Schönheit zugleich
als Schönheit der Seele'zu gelten habe, das haben
die Griechen schon vor undenklichen Zeiten ab-
gelegt; und der Menschenleib galt ihnen ja nur
dann als wahrhaft schön, wenn er beseelt erschien.
Ein solches Griechentum spricht vollendet in
unserer Zeit als Mahnung und als Warnung vor
jeglicher Entäußerung aus Lehmbrucks traumhaft
Milly Sieger, Mein Ball. 1932
in der Tiefe des Gefühls sich regenden Gestalten
zu uns, in denen die wahrhaft zeitgemäße Form
des schönen Menschen, dessen Ideal wir erst heute
zu verwirklichen uns bemühen, schon vor zwei
Jahrzehnten als unvergängliches Standbild er-
richtet worden ist. Und neben ihnen, die sich er-
heben in begeisterndem Flug zur Freude empor,
oder in Angst mit gesenktem Haupt vor großem
Schmerz sich bergen, neben ihnen ruhen erdenfest
und erdensicher Ernst Barlachs fest ver-
wurzelte Gestalten, fern jeglicher Erregung in
bloßer Zeitlichkeit und größter Ruhe voll gegen-
über allem Geschehen, mag es das Leben selbst,
oder mag es der Tod sein. Hier schließt sich der
Ring, und von Barlachs „Totem Tag" schauen wir
zuruck zu Slevogts „Nibelungen": in der Kunst
dieser ganzen Spanne erkennen wir die Vorzeichen
zu unserer Gegenwart. Diese selbst aber wird der-
einst eine neue Kunst ihr eigen nennen, die in
gleicher Weise vielleicht einmal eine kommende
Zeit mit sichtbaren Zeichen verkünden wird. Auf
diese Zeichen mit Geduld und Ruhe zu warten ist
die Verpflichtung, die angesichts dieser Ausstellung
sich für jeden nachdenklichen Beschauer herausstellt.
Die Deutschen Dome zu
Speier, Worms u. Minz
Zu einer vor kurzem stattgefunde-
uen Ausstellung im Schloßmuseum
in Mannheim
Durch den Vertrag von Versailles ist Baden
zum Grenzland geworden nnd zu einem Bollwerk
deutscher Kultur, stärker denn je bewußt, die alten
ewiggültigen Werte der deutschen Kunst zu ver-
teidigen und dem Volke näherzubringen.
Das Schloßmuseum in Mannheim hat eine
Ausstellung veranstaltet, die den Besuchern in
klarer und anschaulicher Weise durch zahllose Licht-
bilder, alte Pläne und Zeichnungen, durch Stiche
uud Modelle und durch ausführlich erklärende
Texte eine Jahrtausend alte Welt heraufbeschwört:
die Dome von Speier, Worms und Mainz.
Eines der größten Kapitel der deutschen Ge-
schichte liegt hier vor uns aufgeschlagen, ein Ka-
pitel voll tiefsten Leids und sieghaften Durch-
dringens des deutschen Wesens in einer Land-
schaft, in welcher sich Naturmythen und Christen-
tum, Germanenblut und Römererbe, Wandertrieb
nnd Siedlungslust verschmolzen haben. Erst nach
dem Tode des II. Heinrich erstarkte hier an: Rhein
das deutsche Volkstum, und die Kaiserwürde er-
hielt durch Konrad II., den ersten salischen Kaiser,
einen neuen, gleichsam „völkischen" Glanz: Die
kaiserliche Macht erstarkte aufs neue an den Ufern
des Rheins. Lateinisches Kaisertum deutscher
Nation errichtete hier eine sakrale Wehrburg der
weltlichen Macht. Da begann der erste Franken-
kaiser um 1080 mit dem Bau des Speirer Doms,
des Kaiserdoms, der wie kein anderes Bau-
denkmal unseres Vaterlandes reich ist an histo-
rischen Erinnerungen.
Er ist das erste und größte Denkmal romani-
scher Baukunst am Rhein, der größte der mittel-
alterlichen Dome überhaupt, da der Kölner Don:
bis ins 19. Jahrhundert unvollendet blieb. Mit
den salischen Kaisern stiegen die Maße der Bauten
ins übermenschliche, ins Kolossale und Unfaßbare.
Da Speier zu jener Zeit höchstens 5000 Ein-
wohner zählte, konnte der Dom nicht nur im Hin-
blick auf die Bedürfnisse des Volkes gebaut wor-
den sein. Es war der große Gedanke des Kaiser-
tums, der in diesem hochgespannten Monumental-
sinn zum Ausdruck kam, ein steinernes Denkmal
einer neuen Würde, und zugleich eine Antwort
auf die großen Pläne der Päpste Gregor und
Urban, die in Cluny um 1080 als Gegner des
deutschen Imperiums dem römischen Sacerdotium
zu neuer Macht und neuer Größe verhalfen.
Heroische Gemessenheit, kraftvolle Männlichkeit
und stolze Gradheit sind die Kennzeichen des
Salierbans, und ein Jahrhundert später haben die
Musischen Kaiser bei ihren Erneuerungsbauten
diesen Grundzug gewahrt. Der Dom zu Speier
ist nicht das Werk eines einzelnen Mannes, er ist
das Sinnbild des Kaisertums und zugleich die
Grabstätte von acht deutschen Kaisern und einiger
kaiserlichen Frauen. Schlicht und Prunklos liegt
in der Krypta ein Sarg neben dem andern, und
einfache Steinplatten künden heilig-nüchterne
Namen.
Majestätisch spannt sich das gewaltige Lang-
haus zwischen Vierungstürme und Querschiff.
Trotzig erhebt sich das festgefügte Quaderwerk in-
mitten des Tieflands und steuert wie' ein mäch-
tiges Kriegsschiff die östliche Apsis dem Rheine zu.
Der Feldherr Ludwigs XIV. hat 1689 den
Dom teilweise zerstört. Vieles ging damals ver-
loren, und spätere Jahrhunderte haben ihn schlecht
und akademisch wiederhergestellt. Aber trotz allem
bleibt noch genug vom alten Glanz, um an dieser
Stätte das Erwachen deutschen Geistes und deut-
scher Macht vor nahezu 1000 Jahren zu ver-
fpüren.
Kelten und Römer, Hunnen nnd Burgunder
zogen durch Worms nnd durchdrangen es mit
ihren Legenden, bis die christlichen Frankenkönige
in diesem reisen und blühenden Kulturland den
Dom erbauten. 1181 wurde er, noch unvollendet,
von Kaiser Friedrich I. geweiht. Er ist dem
Speirer Dom verwandt, doch zeitlich später und
deshalb malerischer und reicher im Detail. Auch
er dem Rheinstron: zngewandt, ihn stolz über-
ragend, wirkt er fast noch trutziger, drohender und
burghafter, zumal feine Dächer nicht mit dünnem
Schiefer, sondern mit schweren steinernen Platten
abgedeckt sind. Er ist eine wehrhafte Feste, doch
nicht zur Verteidigung, sondern zum Erobern.
Von hier ans durchdrang der Katholizismus bis
zu Luthers Zeiten die Gaue. Doch klingt die
fagenhafte germanische Vorzeit selbst in: Innern
des Domes noch nach. Ein Relief des XV. Jh. ist
das sogenannte Dreijnngfrauenbild. Es sind dies
die drei Frauen Ein-, War- und Wilbede, die
nordische Parallele zu den drei Parzen der Antike.
Zur christlichen Zeit wurden sie von dec Kirche
übernommen und mit der rheinischen Ursula-
legende verknüpft.
Nicht uninteressant ist hier ein Vergleich mit
der gleichzeitigen und nachbarlichen französischen
Kunst: Dort gab es eine höhere Formkultur, aber
die Deutschen besaßen stärkere Individuen. Rasse-
mäßig waren die Franzosen ein buntes Konglome-
rat und deshalb strebten sie nach geistiger Einheit.
Die Deutschen waren blutmäßig einheitlicher und
betonten darum die Sonderheiten ihrer Stämme
Milly Sieger. Photo
und Landschaften. In Frankreich herrschte eine
zentrale Schule, während in Deutschland alle
Gaue ihren eigenen Charakter zu wahren suchten.
Die französische Kunst ist klassisch, die deutsche
romantisch. Aus dieser romantifchen Gesinnung
kommt auch die Empfänglichkeit und Auf-
geschlossenheit für alles Fremde, das dem eigenen
Kunstgefühl eingeordnet und verschmolzen wird.
Uber das kaiserliche Speier und das geistliche
Worms triumphierte bald die dritte der ober-
rheinischen Frankenstädte: das goldene Mainz.
Es wurde die Stadt des geistlichen Primats, des
kaiserlichen Kanzlers, der Reichstage und Kur-
sürstenkollegien.
Der Dom ist der Gründung nach der älteste
der drei großen romanischen Dome am Mittel-
rhein. Doch im Jahre 1081 wurde der frühere
Bau durch Feuer vernichtet. Erst die Erneuerung
durch Heinrich IV. aus dem Anfang des 12. Jahr-
hunderts ist uns erhalten. Spätere Zutaten der
Gotik und die barocke Erneuerung der Turm-
bekrönungen geben diese malerische Silhouette, die
Kunst der Nation
Es breitete sich die anderthalb Jahrzehnte hin-
durch, in denen Milly Sieger wieder in Berlin
arbeitet, in reichster und reifster Fülle aus und
blieb nicht ohne Erfolg und ohne Ruhm. Auch
wer Superlativen abgeneigt ist, wird in ihr doch
die bedeutendste deutsche Bildhauern:, ja die be-
merkenswerteste ihrer ganzen Zeit erblicken, eine
Bewertung, die nicht nur für die bloße Art ihres
Schaffens, sondern auch für die Stärke ihrer Per-
sönlichkeit zeugt, die — was Rilke einmal von der
Paula Modersohn rühmt — auf dem Gebiet ihrer
nicht leichten Kunst mehr verwandelt hat, als
irgend eine Frau. Obgleich sie schließlich mit dem
sichersten, untrüglichsten Gefühl für die Gesetze,
die ihrem jeweiligen Arbeitsmaterial innewohnen,
innerhalb der Grenzen des ihr Gemäßen, Wesent-
lichen blieb. Das verleiht ihren Stukko-, Stein-
und Bronzewerken und den Holzskulpturen das
Klangreiche, jenen Hellen, sprießenden, beseelten
Stegerschen Zug, der auch dort, wo er sich einmal
zur Ekstase steigerte, immer noch etwas von der
Beschwingtheit des Musikalischen behielt, zunächst
noch mehr ausladend in den Bewegungen der
vielen Tänzerinnen, Kauernden, Klagenden, des
„singenden Zigeunermädchens", der „Herben" und
all der sonstigen mannigfaltigen nackten weiblichen
Gestalten und Gruppen (auch eine Reihe äußerst
charakteristischer Bildnisköpfe geistig bedeutender
Frauen begleitete diese Entwicklung), um in der
Folge bei aller bleibenden Lebendigkeit des Aus-
drucks immer verhaltener zu werden (die „Drei-
zehnjährige" und das „Ballhaltende Mädchen").
Es liegt oft ein unsagbarer Hauch von Wärme
und Glanz über diesen Figuren, in denen das
Gefühl der Schöpferin für das Gegenständliche in:
Kunstwerk restlos eingegangen zu sein scheint. Und
wenn man dann von dem Formenzusammenhang
zu den Einzelheiten übergeht, ist die Durchführung
auch hier noch mit einer Feinheit und Festigkeit
gegeben, die von sicherstem, höchstem Können zeugt.
Die Künstlerin hat gelegentlich einmal — wo-
für sie sicherlich hervorragendstes Beispiel ist, dem
nachzueifern allerdings nur wenig weibliche Be-
gabungen imstande waren — vom ausgesprochenen:
Hinneigen der Frau zu plastischem Gestalten, von
ihrer engeren Naturverbundenheit gesprochen, die
sie zu sinnlichem Erfassen und innerem Erleben
von Formen vorausbestimmt und dabei auch die
Aufgabe des Tastgefühls berührt, dem Augensinn
gegenüber das primäre Element. Sie ist ihm im
Laufe ihrer Entwicklung immer entschiedener ge-
recht geworden durch Zusammenfassung, Ge-
schlossenheit, Verzicht ans alles anßerplastische Bei-
werk, durch sparsam modellierte Formen, die ohne
Modellvorbereitung aus dem Block gemeißelt wer-
den, der auch noch in der endgültigen Gestaltung
ständig dnrchzuspüren ist.
Gewiß spiegelt sich in dieser konsequenten
Wandlung auch der Ablauf wider, den das zeit-
genössische Kunstempfinden und Kunststreben über-
haupt nahm und letzthin wird es immer wieder
darauf ankommen, welch Eigenes der einzelne
Künstler zu dem Ausdruckswillen seiner Epoche
beiträgt. Setzen wir den Fall, daß das Werk
Milly Siegers nicht existierte, dann würde der
deutschen Plastik ein harmonisch beschwingter,
seelenvoll verhaltener Klang fehlen, der in dieser
Eigentümlichkeit ihr wie kaum einem anderen ge-
geben ist. Er wird wirken, verwandte Sinne
finden und mit zur Steigerung des Daseins
helfen! Ist doch Kunst nach einen: Ausspruch aus
der Zeit der Romantik: „d a s mit Talent dar-
stellen, was sein könnt e". Tborvva 1 ck
Bon der
vorausschauenden Kraft der bildenden Kunst
Zur Ausstellung Neuere deutsche Graphik in: Frankfurter Kunstverein
Diese Ausstellung setzt dort ein, wo die in:
Mai des Jahres von: Frankfurter Kunstvereiu
veranstaltete Schau „Deutsche Zeichenkuust im
19. Jahrhundert" abgeschlossen hat, bei Max
Slevogt. Wieder wird eine wesentliche Epoche
deutscher Geschichte im Spiegel der Kunst sichtbar,
wieder zeigt es sich, daß die innere Entwicklung
eines Volks notwendig und großenteils in den
Formen der Kunst voransgeschaut und vorauser-
kannt wird, und daß es an uns ist, diese Formen
richtig zu sehen und zu deuten. So erscheinen in
der neuen Ausstellung des Kunstvereins die
Epochen der letzten Vorkriegszeit, des Weltkriegs
und der jüngsten Nachkriegszeit verklärt und ge-
läutert in einer Sammlung graphischer Blätter
von Slevogt bis in die Gegenwart, jene er- , , ,
schlitternden Dezennien, in denen an der Wende seiner Mit in seinen Grundvesten bedroht aeweJn
zweier Jahrhunderte :n Wahrheit eine Wetten- . ' "
wende sich vollzog.
Das rätselhafte 19. Jahrhundert taucht in
seiner letzten Verfeinerung ans Licht, in einer im
Schwung der Linie c ' s, "
Romantik, besonders in jenen graphischen Phanta-
sien, die M a x S l e v o g t und neben ihm H a n s . , . . . ,
Meid zum letztenmal in der abendländischen. Künstler"), und die Freude am Leben, die er in:
Kunst zu träumen beschieden waren: das Märchen,
die Sage und die Tragödie werden von beiden mit
einer nervösen Reizbarkeit interpretiert; die Linie
zittert um das tragische Ereignis in Meids
„Othello-Zyklus", oder sie umschlingt graziös und
heiter die knabenhafte Jndianerromantik in
Slevogts Illustrationen zu Coopers „Leder-
strumpf". Aber schon bei dem älter werdenden
Slevogt beginnt die neue, ernste Zeit, beginnt der
wahre Geist des 20. Jahrhunderts, von dem wir
erst heute etwas zu ahnen beginnen, nachdem wir
sein erstes Drittel überschritten haben. Slevogts
Holzschnitte zu den „Nibelungen" sind Wohl
die größte Überraschung der Ausstellung. Hier ist
kein Funke mehr vom 19. Jahrhundert, keine Spur
von Romantik, hier ist kein Spiel von
Arabesken mehr um die schöne, lächelnde, heitere
Form, sondern hier trägt der monumentale Gehalt
des größten abendländischen Epos seit Homer sich
mit einer Wucht ohne gleichen vor. Diese sieben
Blätter sind sieben dröhnende Schläge des Schick-
sals, brutal uud hart, voll Leidenschaft und ohne
jede Anmut; der heiße Atem des Krieges schlägt
dem Betrachter wie eine Lohe ins Gesicht und das
Heldische des Kriegers unserer Zeit findet in der
aufrechten Gestalt des Hagen das seinem Ethos
würdige Sinnbild.
Slevogt rückt mit dieser Folge unmittelbar an
Lovis Corinth heran, der noch weit stärker
und weit visionärer den: Wandel des Zeitgeschehens
verhaftet, wenn nicht gar verfallen war. Manch-
mal scheint es, als ob Corinth von den Stürmen
wäre: so, mitten in der brennenden Gefahr der
Gegenwart, hat er sich radiert, am Tag der Re-
volution in: November 18, zutiefst erschüttert da-
von, daß der völlige Untergang seinem Vaterland
ausklingenden späten bevorstehen sollte. Wie jeder gute Krieger war er
. dem Tod auf eine sonderbar nahe Weise verwandt
(dies lehrt uns sein Selbstbildnis „Tod und
hellenischen Mythos oder bei seinem Vorbild
Rubens suchte, war die andere, hellere Seite seiner
Existenz, die auf jener dunklen und schmerzlichen
immer wieder freundlich leuchtende Reflexe her-
vorrief.
Der Tod und das Leben, der Schmerz und die
Freude, diese großen Kontraste des Irdischen, die
in Corinths Werk seit langem zum erstenmal wie-
der fest verdichtet in der deutschen Kunst anf-
tauchten, haben sie seitdem mit einer magischen
Kraft durchdrungen und beherrscht. Dunkler
wurden Wohl die Schatten auch in ihr zu der Zeit,
zu der das Schicksal der Deutschen selber in tiefstes
Dunkel gehüllt war, aber dennoch war auch dann
die Helle immer da, wenn auch verborgen als ein
fernes Licht. Und selbst der Krieg sogar — der
Tod im Niemandsland
Milly Sieger, Der Gesteinigte. 1934. Phot. Schuch
zur Nacht uud das Leben
der Blumen auf den:
Rand eines Granat-
trichters in sonnigem
Tag („Krieg", Zyklus
von Dix) — selbst der
Krieg sogar war ja dies
Eine, Ungeteilte von Le-
ben und von Tod, und
auch die Menschen dieser
harten Zeit trugen diese
Zuversicht, und diese
Zeichen in sich: sie
glaubten unerschütter-
lich, daß ebenso wie
Schmerz und Freude, so
auch Tod uud Leben
nichts anderes und nichts
Geringeres als Zustände
der Seele seien, die jeder
Sterbliche einmal erfah-
ren muß. Der Schmerz
dieser Kriegs- und Nach-
kriegszeit aber fand nir-
gends sonst eine mehr
erschütternde visionäre
Form als in den: Antlitz
von Beckmanns
„Weinender Fran" und
die Freude verdichtete
sich Wohl nirgends an-
derswo zu einer so er-
hebenden Gestalt, wie in
den tief beseelten Ge-
sichtern von Kokosch-
ka, in denen die Angen
wie Sterne stehen, als
Sterne einer großen Zu-
kunft am nächtlichen
Himmel der noch dump-
fen Zeit, einer Zukunft
aber, die in solcher Nähe sich selbst erschauend
nun gleichsam auch sich selbst in: Fernen zu ver-
künden wagen darf.
Ein solches Bekenntnis, daß Schönheit zugleich
als Schönheit der Seele'zu gelten habe, das haben
die Griechen schon vor undenklichen Zeiten ab-
gelegt; und der Menschenleib galt ihnen ja nur
dann als wahrhaft schön, wenn er beseelt erschien.
Ein solches Griechentum spricht vollendet in
unserer Zeit als Mahnung und als Warnung vor
jeglicher Entäußerung aus Lehmbrucks traumhaft
Milly Sieger, Mein Ball. 1932
in der Tiefe des Gefühls sich regenden Gestalten
zu uns, in denen die wahrhaft zeitgemäße Form
des schönen Menschen, dessen Ideal wir erst heute
zu verwirklichen uns bemühen, schon vor zwei
Jahrzehnten als unvergängliches Standbild er-
richtet worden ist. Und neben ihnen, die sich er-
heben in begeisterndem Flug zur Freude empor,
oder in Angst mit gesenktem Haupt vor großem
Schmerz sich bergen, neben ihnen ruhen erdenfest
und erdensicher Ernst Barlachs fest ver-
wurzelte Gestalten, fern jeglicher Erregung in
bloßer Zeitlichkeit und größter Ruhe voll gegen-
über allem Geschehen, mag es das Leben selbst,
oder mag es der Tod sein. Hier schließt sich der
Ring, und von Barlachs „Totem Tag" schauen wir
zuruck zu Slevogts „Nibelungen": in der Kunst
dieser ganzen Spanne erkennen wir die Vorzeichen
zu unserer Gegenwart. Diese selbst aber wird der-
einst eine neue Kunst ihr eigen nennen, die in
gleicher Weise vielleicht einmal eine kommende
Zeit mit sichtbaren Zeichen verkünden wird. Auf
diese Zeichen mit Geduld und Ruhe zu warten ist
die Verpflichtung, die angesichts dieser Ausstellung
sich für jeden nachdenklichen Beschauer herausstellt.
Die Deutschen Dome zu
Speier, Worms u. Minz
Zu einer vor kurzem stattgefunde-
uen Ausstellung im Schloßmuseum
in Mannheim
Durch den Vertrag von Versailles ist Baden
zum Grenzland geworden nnd zu einem Bollwerk
deutscher Kultur, stärker denn je bewußt, die alten
ewiggültigen Werte der deutschen Kunst zu ver-
teidigen und dem Volke näherzubringen.
Das Schloßmuseum in Mannheim hat eine
Ausstellung veranstaltet, die den Besuchern in
klarer und anschaulicher Weise durch zahllose Licht-
bilder, alte Pläne und Zeichnungen, durch Stiche
uud Modelle und durch ausführlich erklärende
Texte eine Jahrtausend alte Welt heraufbeschwört:
die Dome von Speier, Worms und Mainz.
Eines der größten Kapitel der deutschen Ge-
schichte liegt hier vor uns aufgeschlagen, ein Ka-
pitel voll tiefsten Leids und sieghaften Durch-
dringens des deutschen Wesens in einer Land-
schaft, in welcher sich Naturmythen und Christen-
tum, Germanenblut und Römererbe, Wandertrieb
nnd Siedlungslust verschmolzen haben. Erst nach
dem Tode des II. Heinrich erstarkte hier an: Rhein
das deutsche Volkstum, und die Kaiserwürde er-
hielt durch Konrad II., den ersten salischen Kaiser,
einen neuen, gleichsam „völkischen" Glanz: Die
kaiserliche Macht erstarkte aufs neue an den Ufern
des Rheins. Lateinisches Kaisertum deutscher
Nation errichtete hier eine sakrale Wehrburg der
weltlichen Macht. Da begann der erste Franken-
kaiser um 1080 mit dem Bau des Speirer Doms,
des Kaiserdoms, der wie kein anderes Bau-
denkmal unseres Vaterlandes reich ist an histo-
rischen Erinnerungen.
Er ist das erste und größte Denkmal romani-
scher Baukunst am Rhein, der größte der mittel-
alterlichen Dome überhaupt, da der Kölner Don:
bis ins 19. Jahrhundert unvollendet blieb. Mit
den salischen Kaisern stiegen die Maße der Bauten
ins übermenschliche, ins Kolossale und Unfaßbare.
Da Speier zu jener Zeit höchstens 5000 Ein-
wohner zählte, konnte der Dom nicht nur im Hin-
blick auf die Bedürfnisse des Volkes gebaut wor-
den sein. Es war der große Gedanke des Kaiser-
tums, der in diesem hochgespannten Monumental-
sinn zum Ausdruck kam, ein steinernes Denkmal
einer neuen Würde, und zugleich eine Antwort
auf die großen Pläne der Päpste Gregor und
Urban, die in Cluny um 1080 als Gegner des
deutschen Imperiums dem römischen Sacerdotium
zu neuer Macht und neuer Größe verhalfen.
Heroische Gemessenheit, kraftvolle Männlichkeit
und stolze Gradheit sind die Kennzeichen des
Salierbans, und ein Jahrhundert später haben die
Musischen Kaiser bei ihren Erneuerungsbauten
diesen Grundzug gewahrt. Der Dom zu Speier
ist nicht das Werk eines einzelnen Mannes, er ist
das Sinnbild des Kaisertums und zugleich die
Grabstätte von acht deutschen Kaisern und einiger
kaiserlichen Frauen. Schlicht und Prunklos liegt
in der Krypta ein Sarg neben dem andern, und
einfache Steinplatten künden heilig-nüchterne
Namen.
Majestätisch spannt sich das gewaltige Lang-
haus zwischen Vierungstürme und Querschiff.
Trotzig erhebt sich das festgefügte Quaderwerk in-
mitten des Tieflands und steuert wie' ein mäch-
tiges Kriegsschiff die östliche Apsis dem Rheine zu.
Der Feldherr Ludwigs XIV. hat 1689 den
Dom teilweise zerstört. Vieles ging damals ver-
loren, und spätere Jahrhunderte haben ihn schlecht
und akademisch wiederhergestellt. Aber trotz allem
bleibt noch genug vom alten Glanz, um an dieser
Stätte das Erwachen deutschen Geistes und deut-
scher Macht vor nahezu 1000 Jahren zu ver-
fpüren.
Kelten und Römer, Hunnen nnd Burgunder
zogen durch Worms nnd durchdrangen es mit
ihren Legenden, bis die christlichen Frankenkönige
in diesem reisen und blühenden Kulturland den
Dom erbauten. 1181 wurde er, noch unvollendet,
von Kaiser Friedrich I. geweiht. Er ist dem
Speirer Dom verwandt, doch zeitlich später und
deshalb malerischer und reicher im Detail. Auch
er dem Rheinstron: zngewandt, ihn stolz über-
ragend, wirkt er fast noch trutziger, drohender und
burghafter, zumal feine Dächer nicht mit dünnem
Schiefer, sondern mit schweren steinernen Platten
abgedeckt sind. Er ist eine wehrhafte Feste, doch
nicht zur Verteidigung, sondern zum Erobern.
Von hier ans durchdrang der Katholizismus bis
zu Luthers Zeiten die Gaue. Doch klingt die
fagenhafte germanische Vorzeit selbst in: Innern
des Domes noch nach. Ein Relief des XV. Jh. ist
das sogenannte Dreijnngfrauenbild. Es sind dies
die drei Frauen Ein-, War- und Wilbede, die
nordische Parallele zu den drei Parzen der Antike.
Zur christlichen Zeit wurden sie von dec Kirche
übernommen und mit der rheinischen Ursula-
legende verknüpft.
Nicht uninteressant ist hier ein Vergleich mit
der gleichzeitigen und nachbarlichen französischen
Kunst: Dort gab es eine höhere Formkultur, aber
die Deutschen besaßen stärkere Individuen. Rasse-
mäßig waren die Franzosen ein buntes Konglome-
rat und deshalb strebten sie nach geistiger Einheit.
Die Deutschen waren blutmäßig einheitlicher und
betonten darum die Sonderheiten ihrer Stämme
Milly Sieger. Photo
und Landschaften. In Frankreich herrschte eine
zentrale Schule, während in Deutschland alle
Gaue ihren eigenen Charakter zu wahren suchten.
Die französische Kunst ist klassisch, die deutsche
romantisch. Aus dieser romantifchen Gesinnung
kommt auch die Empfänglichkeit und Auf-
geschlossenheit für alles Fremde, das dem eigenen
Kunstgefühl eingeordnet und verschmolzen wird.
Uber das kaiserliche Speier und das geistliche
Worms triumphierte bald die dritte der ober-
rheinischen Frankenstädte: das goldene Mainz.
Es wurde die Stadt des geistlichen Primats, des
kaiserlichen Kanzlers, der Reichstage und Kur-
sürstenkollegien.
Der Dom ist der Gründung nach der älteste
der drei großen romanischen Dome am Mittel-
rhein. Doch im Jahre 1081 wurde der frühere
Bau durch Feuer vernichtet. Erst die Erneuerung
durch Heinrich IV. aus dem Anfang des 12. Jahr-
hunderts ist uns erhalten. Spätere Zutaten der
Gotik und die barocke Erneuerung der Turm-
bekrönungen geben diese malerische Silhouette, die