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Kunst der Nation — 2.1934

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Nemitz, Fritz: Lili Gräf
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Wietzner, G.: Der stilbildende Körper, [2]: eine Stilkritik der Korsage
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Hieber, Hermann: Unausgeführte Kunstwerke
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Carls, Carl Dietrich: Der Dramaturg greift zu
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Kunst der Nation

5

Lili Gräf, Vildniskopf


monumentalen Bauwer-
kes, aber auch einer Mv-
numentalplastik! Mit
diesen Opfern an Zeit
und Geld geht aber das
Risiko Hand in Hand, daß
die Geduld des Auftrag-
gebers ermattet und dem
Künstler die Möglichkeir,
sein Werk in der ur-
sprünglich geplanten
Form zu vollenden, ge-
nommen wird.
Es ist kein Zufall, daß
diese Künftlertragödien
in der Neuzeit viel häu-
figer find als im Mittel-
alter. Vor der kollektiven
Kraft der Tradition in
den gotischen Bauhütten
mußte die individuelle
Leistung zurücktreten: für
den Werkgenossen, der
ausschied, trat, ohne daß
es nach außen sichtbar
wurde, ein anderer ein.
Aber seit der Re-
naissance ist die Kunst
„Persönlich" geworden:
mit dem Manne, der das
Werk geplant hat, steht
und fällt es. Das ist die
Schattenseite der „großen
Persönlichkeiten", und
selbst dort, wo man eine
lebendige Überlieferung
am ehesten erwarten
sollte, in Italien, wird
sie schmerzhaft fühlbar.
Alles, was Lio nardo
in monumentalem Maß-
stab geplant hatte:
sein Reiterdenkmal des
Francesco Sforza für
Mailand, sein Wand-

kanut zu sehen, so gleichberechtigt, so wirklich
neben dem, was war. Dieses Erlebnis war so
merkwürdig und so stark, daß man begreift,
wenn es auf einmal Dinge gab, die um
seinetwillen gemacht waren. Denn vielleicht
waren die frühesten Götterbilder Anwendungen
dieser Erfahrung, Versuche, aus Mensch-
lichem und Tierischem, das man sah, ein
Nichtmitsterbendes zu formen, ein Dauerndes, ein
Nächsthöheres, ein Ding. Ein Ding, darin man
das wiedererkannte, was man liebte, und das, was
man fürchtete, und das Unbegreifliche in alledem."
Was Rilke hier mit Worten ausdrückt, spürt
man nicht Ähnliches vor diesem Mädchen aus Holz,
oder vor der hockenden Figur? Dinge sind es,
plastische Dinge, und zugleich Träger eines Lebens,
das rührt.
Das Lieblingsmaterial dieser Bildhauerin ist
das harte, spröde Holz. Ihrer Natur entspricht
nicht das ausladende Pathos, nicht die bewegte
Gestalt, sondern das Statuarische, die in sich ge-
schlossene plastische Form. Die Arbeiten Lili
Gräfs haben eine eigene Mischung von Ursprüng-
lichkeit und Ableitung. Die Figur in Holz läßt
an Barlach denken, aber die rührende Kurve dieser
Mädchengestalt ist eigen. In dem sitzenden
Mädchen bedient sie sich ägyptischer Vorstellungen,
aber die Belebung der

gemälde der Schlacht von Aughiari für das
Florentiner Rathaus, endlich das Abendmahl in
Santa Maria delle Grazie in Mailand sind un-
ausgeführt geblieben oder vernichtet worden.
Nicht besser erging es Michelangelo : sein
großartiger Entwurf für St. Peter, eine fein-
fühlige und behutsame Verbesserung des Bramante-
schen, wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts von
Carlo Maderna, der das griechische Kreuz des
Grundrisses in ein lateinisches verwandelte und
damit die Zentralkuppel sinnlos machte, für
immer verpfuscht. Die Fassade von San Lorenzo,
die er für Papst Leo X. ausführen sollte, kostete
ihn drei Jahre vergeblicher Arbeit. Aber auch
von seinem berühmtesten plastischen Werk, den
Medicigräbern, besitzen wir nur ein Bruchstück
dessen, was dem Meister ursprünglich vorgeschwebt
hatte, denn als er 1534 nach Leos X. Tode plötzlich
nach Rom zurückkehvte, fehlten nicht weniger als
12 Statuen. Aber alles das bedeutet wenig gegen
die „Tragödie seines Lebens", das Juliusgrab.
Der Entwurf von 1513 sah einen riesigen Aufbau
vor, den sechs Gruppen, zwölf Sklavenfiguren und
neben dem Papst Julius II. zehn Patriarchen
und Propheten zieren sollten. Eine einzige Gruppe,
„der Sieg", hat sich ins Florentiner National-
museum gerettet, vier unvollendete nur eben aus

Form ist ursprünglich.
Man spürt die lange
und angestrengte Arbeit;
doch hat sie der Frische
und Unbefangenheit des
ersten Eindrucks nicht ge-
schadet.
Die gleiche Verdich-
tung und Sammlung der
ausdruckgebenden Ele-
mente erstrebt Lili Gräf
im Bildnis. Mit gro-
ßer Einfühlung trifft
sie die lebenden Punkte
eines Kopfes. Die
Form ist groß gesehen
und hat oft jenen
leisen Zug zur Kari-
katur, der die Güte
eines Porträts nicht
nur nicht beeinträchtigt,


sondern steigert.

Idealcntwurf für einen Platz vor dem Berliner Schloh.
Nach Schlüter (?) von I. B. Vroebes (etwa 17V5)

Domsassade, den der Wiener Lukas von Hilde-
brandt, Neumanns Nebenbuhler am Residenzbau,
eingereicht hat, auf dem Papier geblieben ist. In
dieser Gestalt wäre sie uns unbedingt sympathischer
gewesen als in der restaurierten, angeblich
romanischen, des 19. Jahrhunderts.
Immerhin ließ es sich auch für die Künstler
unter dem Krummstab noch erträglich leben, und
die Fürstbischöfe aus dem Hause Schönborn haben
zweifellos große Verdienste — schon deswegen,

ist, ohnehin sinnlos. Knobelsdorfs hat sich bekannt-
lich deswegen mit dem König überworfen, weil er
sich weigerte, Potsdamer Kleinbürgerhäuser als
italienische Palastfassaden zu maskieren.
Die großen Staatsmänner und Feldherren auf
dem Throne sind nicht immer gleichzeitig große
Kunstförderer gewesen. Umgekehrt haben sich mit
Regententugenden weniger gesegnete Monarchen
bisweilen als bedeutende Mäzene erwiesen.

weil sie deutsche Architekten den Ausländern vor-
zogen. Anders lagen die Verhältnisse in Nord-
deutschland. Der Geist, der den „Preußischen Stil"
geschaffen hat, ließ den Musen nicht allzuviel
Spielraum. Uber seine politische Notwendigkeit
ist nicht zu streiten; aber auch darüber nicht, daß
er für die Künstler schwere Daseinbedingungen
geschaffen hat. Und dabei führte ein günstiges
Schicksal drei große Architekten den preußischen
Königen zu, die zu den allerbesten gehören, die
die deutsche Kunst aufzuweisen hat: Andreas
Schlüter, Wenzelaus von Knobelsdorfs
und Friedrich Schinkel. Von Bildhauern außer
Schlüter, der mit Michelangelo die Begabung für
beide Künste teilte, Gottfried Schadow und —
in einigem Abstand freilich — Ehr. Daniel
Rauch. Und doch läßt sich nicht behaupten, daß
diese fünf Künstler der preußischen Hauptstadt so
nachhaltig ihren Stempel aufgedrückt haben wie
etwa die zwei Baumeister Fischer von Erlach und
Lukas von Hildebrandt der österreichischen.
Die Schuld lag wahrhaftig nicht an ihnen. Sie
lag an den „verpaßten Gelegenheiten". Um die-
selbe Zeit, da Schlüter mit dem „Großen Kur-
fürsten" das großartigste deutsche Reiterdenkmal
schuf, begann er, im Jahre 1699, mit dem Umbau
des Schlosses. Er durfte, gleichzeitig mit der
Innenausstattung beauftragt, nur die östliche
Hälfte vollenden, und selbst die nur zum Teil.
Eine Schaumünze aus dem Jahre 1704 zeigt uns,
wie das Schloß geworden wäre: ein symmetrischer
Bau, dessen Flügel sich um den inneren, den
„Schlüterhof", gruppiert hätten mit je einem be-
herrschenden Portal an der Nord- und Südseite
und einem Turm nach der Spree hinaus. Die
Abrundung der Ecke an der Ostseite sollte sich
westlich wiederholen. Das wäre, nach Verschwin-
den aller älteren Reste, ein schön proportionierter
Bau aus einem Guß geworden. Aber 1706 er-
eignete sich das Mißgeschick mit dem Münzturm,
für dessen Einsturz statt des tückischen sumpfigen
Untergrundes (man denke an die Schwierigkeiten
beim Bau der Museumsinsel!) mißgünstige
Kollegen den Architekten verantwortlich machten,
der prompt seines Baumeisteramtes enthoben
wurde. Der Münzturm, der die Behälter für die
Wasserkünste des Lustgartens enthalten sollte, war
als Teil einer ungemein großzügigen städtebau-
lichen Anlage gedacht. Aus einer Zeichnung des
französischen Architekten Broebes geht hervor, daß
er, ungefähr an der Stelle des heutigen Kaiser-
Wilhelm-Denkmals, einen Nebenplatz abschließen
sollte, weithin sichtbar wie ein Kampanile, und


daß dieser Nebenplatz abzweigte von einem Bau-
block, den eine Dreikuppelkirche beherrschte. Hier,
südwestlich des Schlosses, sollte der Ersatz für die
mittelalterliche Dominikanerkirche errichtet wer-
den, die einen weiträumigen Hauptplatz, die
heutige Schloßfreiheit, höchst wirkungsvoll ab-
schloß und auf die ebenfalls breit und königlich
geplante Lange Brücke mündete, ein unendlich viel
günstigerer Aufstellungsort für das Kurfürsten-
denkmal als die an das Marstallgebäude heran-
geschobene. Zugleich hätten die Berliner ein groß-
artig gestaltetes Spreeufer bekommen.
Die königliche Ungnade hat einen jungen, aber
sehr befähigten Architekten, Friedrich Grael,
aus Berlin verjagt. Wir verdanken ihm die Türme
der Potsdamer Heiligeu-

Lili Eriif, Junges Mädchen

Friedrich Wilhelm II. hat Schadow entdeckt und
die Frage eines würdigen Friedrichs-
denkmals in Fluß gebracht. Und nacheinander
kamen Friedrich Gilly, der zu früh verstorbene
Lehrer Schinkels, der Erbauer des Brandenburger
Tores, Langhans, im Verein mit Schadow,
und Schinkel selbst mit sehr bedeutenden,
manchmal sogar zu bedeutenden Denkmals-
entwürfen heraus. Vor dem schließlich von
Rauch ausgeführten haben sie das voraus, daß
sie an eine architektonische Lösung denken, an
einen Tempel oder ein Mausoleum. Die Freifigur

Geist-Kirche und der
Sophienkirche in Berlin.
Friedrich Wilhelm I. war
ein ungeduldiger Bau-
herr: er wollte hohe
Kirchtürme haben, aber
sie sollten sehr schnell
fertig werden. Außerdem
mußte an Material ge-
spart werden. So kam es,
daß der schöne Petri-
kirchturm — ebenio wie
die erste Potsdamer
Garnisonkirche und der
obere Teil des Turmes der
Jerusalemer Kirche —
vor seiner Vollendung ein-
stürzte. Grael, der wegen


Unausgeführte Kunstwerke
Die Schwierigkeiten und Hindernisse des Ma-
terials, mit denen die Bildhauer, aber mehr noch
die Architekten zu rechnen haben, sind oft eine
Quelle tragischen Mißgeschicks geworden. Beim
Maler ist der Weg vom Entwurf seines Werkes bis
zur Ausführung viel kürzer — vom Dichter und
Musiker erst gar nicht zu reden. Wie zeitraubend
und kostspielig ist dagegen die Ausgestaltung eines


Das Berliner Schloß in der von Schlüter geplanten Form.
Medaille, 1704

Hedwigskirche in Berlin (Aufnahme von 1881)

dem Block gehauene Sklaven sind in Florenz zu
sehen, zwei Gefährten sind nach Paris verschlagen
worden, und der Moses ist als einzige Statue
dorthin gekommen, wo er hingehörte, an das
Grabmal in S. Pietro in Vincoli. Von den sechs
Figuren, die schließlich nach vierzig Jahren auf-
reibender Kämpfe gegen äußere Widerstände in
dieser Kirche aufgestellt werden konnten, sind nur
drei, eben der Moses und zwei weibliche, von
Michelangelo selbst: die Hauptfiguren sind schwache
Schülerarbeiten.
Wenn so etwas in dem Mutterlande der bil-
denden Künste möglich war, wo schon die Material-
verhältnisse soviel gün-
stiger sind als in nordi-
schen Ländern — Ww kJ
groß mußten dann erst f
die Schwierigkeiten sein,
die sich unfern deutschen
Künstlern entgegenstemm-
ten! Es ist für die
Architektur zunächst der
Konkurrenzen zu ge-
denken, die im Zeitalter
des Barocks Mode wur-
den. Fürstliche Bauherren
forderten von bekann-
ten Architekten Entwürfe an und behielten sich die
Auswahl vor. Diese Entscheidung war nicht
immer glücklich: wir kennen von Balthasar Neu-
mann Pläne für die Schlösser in Stuttgart und
Karlsruhe, die man heute unbedingt dem vor-
ziehen würde, was dann später wirklich errichtet
worden ist. Zu bedauern ist auch, daß der Entwurf
für eine barocke Verkleidung der Würzburger

zu langsamen Bauens
schon vorher entlassen
worden war, wurde ganz
grundlos eingesperrt und des Landes verwiesen.
Daß Knobelsdorfs von Friedrich dem Großen ent-
lassen wurde, war viel einschneidender. Wer
Rheinsberg kennt mit seiner vorbildlichen Zu-
sammenfassung des Schlosses mit dem Städtchen,
wird von dem städtebaulichen Talent seines Er-
bauers überzeugt sein. Aber wie wenig ist es der
Hauptstadt zugute gekommen! In Potsdam durfte
er noch die wundervolle Breite Straße anlegen,
aber schon das Berliner Friedrichsforum, das er

dem Opernhaus und der Hedwigskirche zuliebe
mit niedrigen Gebäuden umstellt haben wollte,
wurde von seinem Bauherrn durch die Einfügung
des Bibliothekbaues, der „Komode", empfindlich
in seiner Wirkung beeinträchtigt. Diese Nach-
ahmung des Fischerschen Entwurfs für die Wiener
Hofburg ist an dieser Stelle, wo sie keine Straße
aufzufangen hat und für die Platzwand zu kurz

Rauchs muß ihre erträgliche Vorderansicht mit
einer um so unglücklicheren Rückenansicht be-
zahlen. Auch hier wieder bedauert man, daß
„nicht alle Blütenträume reiften". Aber auch für
Rauch selber bedeutete diese Ausführung nur ein
Kompromiß, und gewiß ein schmerzhaftes, denn
es war ihm unendlich viel dreingeredet und drein-
gepfuscht worden. Um mit Schinkel zu schließen,
dem Friedrich Wilhelm III. seinen Entwurf zur
Potsdamer Nikolaikirche verdorben hat: er hat
für die Stelle, wo jetzt die Staatsbibliothek des
Geheimrats Ihne steht, ein zweistöckiges Waren-
haus geplant. Ein ganz und gar unromantisches,
modernes, vernünftiges Warenhaus. Selbstver-
ständlich abgelehnt . . .
Hermann nieder
Der Dramaturg greift zu
In der Praktischen Theaterarbeit gilt Theo-
retisieren wenig, den Ausschlag gibt immer wieder
der lebendige Zugriff, der die realen Gegegeben-
heiten mit den verfolgten Absichten zu vereinigen
und auszusöhnen versteht. Das heißt jedoch nicht,
daß es richtig oder auch nur möglich sei, sich in
der Theaterarbeit ohne einen festen Standpunkt
dem Augenblick zu überlassen. Gerade heute, da
es sich darum handelt, den intensiven Erneue-
rungswillen, der das deutsche Theater erfaßt hat,
ausreifen zu lassen, hat jeder im Theater Tätige
sich Rechenschaft abzulegen über die Ziele und die
zu ihrer Erreichung einzuschlagenden Wege.


Schinkels Entwurf zu einem Kaufhaus an Stelle der heutigen neuen Bibliothek in Berlin
 
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