6
K u n st der Nation
Der zinnerne Willkomm der Gubener Schlächterinnung.
Cottbuser Arbeit, 1663. Stadtmuscum Guben
Dramaturg zu sein — wo gäbe es eine ange-
nehmere Tätigkeit als diese? Als fünftes Rad
am Wagen rollte er mit, redigierte die Pro-
grammhefte, die keiner ernst nahm, veranstaltete
Vorträge und Morgenfeiern, die vor leerem Ge-
stühl ftattfanden, und verbrachte im übrigen die
Zeit mit der Lektüre von Stücken, die trotz seiner
Vorschläge nie aufgeführt wurden. Daneben
übernahm er die Abfertigung lästiger Besucher
und begleitete mit leicht angegrautem Witz die
Theaterereignisse.
Auf diesen Dramaturgen kann das Theater
heute verzichten. Nur eine Dramaturgie, von der
wesentliche Impulse ausgehen, die die künstle-
rische Arbeit speisen und Vorwärtstreiben kann,
hat Berechtigung. Nicht beratend und glossie-
rend neben der Bühnenwirklichkeit hergehen soll
der Dramaturg, sondern aktiv in sie eingreifen.
Er hat künstlerische Wege zu finden, auf denen
zu wahrem deutschen Volkstheater vorgestoßen
werden kann, hat zugleich die Arbeit freizuhalten
von Mißverständnissen, die gerade in Zeiten gei-
stigen Umbruchs leicht auftauchen und das orga-
nische Wachstum gefährden können. Daraus er-
gibt sich schon, daß das eigentliche Wirken des
Dramaturgen erst dort beginnt, wo es, von außen
gesehen, unsichtbar wird; es besteht nicht zuletzt
in einer unermüdlichen, leidenschaftlich der Sache
hingegebenen Kleinarbeit innerhalb des Be-
triebes.
Der Maler Hans Iacnisch
Vor Augen steht den künstlerisch Schaffenden
als Ziel ein Theater, das frei ist von falscher
Betriebsamkeit, das nicht von kurzlebigen Pa-
rolen hin und her gerissen wird, sondern auf
einer allen Zufälligkeiten entzogenen Grundlage
stetig an der großen Aufgabe arbeitet, Volk und
Theater auf das engste einander nahezubringen
und zugleich alle wesentlichen und bereichernden
Kräfte heutigen Schaffens dem Theater zuzu-
führen. Geschehen kann beides nur in einer
Atmosphäre, in der die Naivität des Publikums
und jene echte Theaterfreude erhalten bleibt, aus
der allein lebendig blühende Theaterkunst gehören
wird. Der Wille zu geistiger Durchdringung
und Erhöhung des Theaters braucht nicht als
düster dreinschauende Kulturentschlossenheit aufzu-
treten und darf es nicht, wenn nicht die mensch-
liche Urfreude am Spiel, als Voraussetzung un-
erläßlich, angetastet werden soll. Nichts wäre
damit getan, über die Köpfe der Zuschauer hin-
weg irgendwelchen Plänen nachzujagen, vielmehr
hängt alles davon ab, daß man sich durch naives
und kräftiges Theater immer wieder an sie her-
anspielt. Das ist, soweit es sich um die Auffüh-
rung der großen klassischen Werke und des ern-
sten modernen Stückes handelt, Sache des En-
sembleführers, der, ohne das ihm anvertraute
dichterische Gut im Kern zu verändern, doch stets
die Rechte des Theaters zu wahren hat. Was
aber in dieser Hinsicht den Spielplan als Ganzes
betrifft, liegt hier eine der entscheidendsten Auf-
gaben des Dramaturgen. Nicht vergessen werden
darf, daß das Theater nur dann die höchsten An-
forderungen erfüllen kann, wenn es zuvor das
Alltagsbedürfnis befriedigt, auf das es sich grün-
det. Erste Voraussetzung ist demnach ein durch-
dachter, ausgewogener Spielplan, der nicht das
Schwere wahllos häuft, sondern ans dem Wechsel
16 Kunst leunn niernunll töräarn als
clor NeistLv. Oönner köräLrn äen
Künstle, 6ns ist reellt unä xut;
aber ckuäurell ivirä niellt immer 6ie
Kunst Aetöräert. 6oetlre
von Ernstem und Heiterem, Klassischem und Ge-
genwärtigem, Vertieftem und Unbeschwertem ein
klar gefügtes, aber immer wieder aufgelockertes
Ganzes schafft.
Daß die Verpflichtung gegen das ernste,
künstlerisch hochgreifende Schaffen voransteht, be-
darf keiner Erörterung. Aber keineswegs darf
die andere Seite des Theaters sich selbst über-
lassen bleiben. Nicht irr zwei Hälften, eine um
hohe künstlerische Werte bemühte und eine an-
dere der wahllosesten Unterhaltung überlassene,
darf das Theater zerfallen. Das Publikum Wil!
lachen und sich unterhalten — und es soll beides!
Aber nicht unwichtig ist, nicht unwichtig gerade
für seine Heranführung
an künstlerische Werte,
worüber und wie es lacht.
Die Säuberung und
Auffrischung des Unter-
Haltungsstückes, die Schaf-
fung eines neuen spiel-
freudigen Unterhaltungs-
theaters ist eine wesent-
liche Ausgabe. Beispiele
auf ganz verschiedener
Ebene, die in dieser Hin-
sicht die einzuschlagenden
Wege bezeichnen, sind
Schwenzen-Malinas Se-
gel fliegerstück „Am Him-
mel Europas", August
Hiurichs Bauernkomödien
und A. I. LiPPls (durch
das „Theater des Vol-
kes" zu unvergleichlichem Erfolg geführte)
„Pfingftorgel".
Reinhaltung, klare Grenzziehung ist Haupt-
gebot. Das echte Volksstück, in dem das Kräftige,
Gesunde, Naive zum Durchbruch kommt, muß
geschützt werden vor der Ueberflutung durch
Pseudo-Volkstümlichkeit, die nach nichts als Wir-
kung schielt und vor keiner Vergröberung zurück-
scheut. Abgegrenzt werden müssen auch die ehr-
lich um Zeitmotive sich bemühenden Bühnen-
werke gegen die unablässigen Versuche geschäf-
tiger Stückeschreiber, die Salonkomödie neu aus-
zupulvern und durch eingestreute Zeitbezogen-
heiten schmackhaft zu machen. Nichts ist mehr
abzulehnen als diese biedermännischen Produkte,
in denen die Verfasser zwischendurch mit bedeu-
tenden: Augenausschlag große Parolen verflachen
und verfälschen.
Wo wirklich Volksstückhafte Elemente bereit-
liegen, wo ein Stück heutigen Lebens gestaltet
ist, dort heißt es: zugreifen! Auch der Spaß,
der Ulk gehören auf die Bühne, aber sie sollen
rein, ungebrochen, unvermischt mit Neben-
elementen dargeboten werden.
Die Arbeit des Theaters nach diesen Gesichts-
punkten zu beeiuslussen uud sie in innerer Über-
einstimmung zu halten mit den wesentlichen und
bestimmenden Kräften des gegenwärtigen Schaf-
fens ist Angelpunkt dramaturgischer Tätigkeit.
Hervorzuheben ist in diesen: Zusammenhang die
Wicklungsepochen reden läßt, nahm, ist grundsätz-
lich der gleiche, den die gesamte Kunstentwicklung
selbst tat. Er setzt ein mit einer Vorstellungswelt,
die sich um Klee durchgesetzt hatte, wandelt aber
die Bildmittel ins Härtere und Klarere und
arbeitet mit der erworbenen Erfahrung, die in
seinen Traumblättern subtilste seelische Momente
ungeheuer treffend umreißt, nun in die Zone des
Realen hinein. Das gibt Visionen zwischen Dies-
seits und Traum. So ist die Leistung der Ab-
strakten doch gewesen, daß sie Form und Linie
mit psychischer Wirkung vollzuladen verstanden.
Nun rettet, und das ist entwicklungsmäßig allent-
halben zu sehen (und ist gut so), der Bereich des
Heranführung junger
Autoren an das Theater
als eine der dringendsten
Pflichten. Mehr als bis"
her wird bei der För-
derung des jungen dra-
matischen Schaffens der
Weg aktiver Drama-
turgie beschritten werden
müssen, wie sie beim
Rundfunk beispielsweise
— wenn auch unter an-
deren Voraussetzungen —
schon in weit aus-
gedehnterem Maße als
im Theater geübt wird.
Wer die Manuskript-
stöße durchzuarbeiten hat
die von den Bühnenver-
trieben über die Theater-
büros ausgeschüttet wer-
den, weiß zur Genüge, daß
ein beträchtlicher Teil der
dramatischen Produktion
unsicher dahintreibt, am
lebendigen Theater vor-
beigehl und bald irgend-
einer Schablone verfällt.
Andererseits stnd wert-
volle junge Kräfte ans an-
deren schriftstellerischen Gebieten tätig, die den
Versuch, fürs Theater zu schreiben, für aussichts-
los halten, obgleich ihnen die Voraussetzungen
vielleicht nicht fehlen; man denke etwa an
Autoren, die im Rundfunk auf Zwischeugebieten
tätig sind, Dialoge und Fuukszenen schreiben.
Zwar ist ein Hörspielmanuskript nicht auf die
Bühne zu übertrage::, oft, wie Beispiele gezeigt
haben, nicht einmal nach eingreifender Durch-
arbeitung. Dennoch halte man sich frei von der
vereinfachenden Ansicht, Hörspiel b e g a b n n g
und Theater b e g a b u n g seien völlig verschie-
denes.
Alles muß versucht werden, junge Schrift-
steller, die dramatische Begabung versprechen,
dem Theater zuzuführen. Zwar können nicht
Themen und Richtlinien ausgeteilt werden; Er-
tötung aller tieferen Produktivität in: Keim wäre
die Folge. Aber möglich ist eine Arbeitsgemein-
schaft zwischen dem Theater und dem Bühnen-
schriftsteller in der Form, daß dieser angeregt
wird, die ihm naheliegenden Stoffe namhaft zu
machen, und, falls das Theater in seinen Vor-
schlägen einen gangbaren Weg sieht, bei ihm
Urteil und praktischen Rat zu suchen. Manches
Abwegige, mancher Fehlgriff im Stoff wird ver-
mieden, zugleich wird eine größere Überein-
stimmung der dramatischen Form und der Büh-
nenwirklichkeit erreicht. Der junge Dramatiker,
der von vornherein immer wieder vor die Ge-
gebenheiten der praktischen Bühne gestellt wird,
steht unter dem heilsamen Zwang zu Präzisem
Einsatz und klarem Szenengefüge.
6 u r 1 D i e t r i e l: Ourls
kommen so als eine Art notwendiger Requisiten
aus einer umfassenden Form allgemeiner land-
schaftlicher Vorstellung als etwa typische Form,
wie etwa Gesichter oder Augen uns in ihrer
typischen Form die Vorstellung von Landschaften,
in denen sie leben, selbst geben.
Jaenisch glaubt heute seinen Weg gefaßt zu
haben, den ich knapp zu schreiben unternahm. Ob
das so ist, müssen wir Jaenisch überlassen. Er
fand jetzt auch äußerlich eine neue Bildform, nach
der er feine Bilder „Bildhänge" nennt: unge-
rahmte Bildflächen, die, vor Rohleinenbespannung
hängend, das Traditionelle der Bildrahmung
überwinden helfen sollen, roh gesagt eine Art
Mitte zwischen Gobelin und Rahmenbild. Wenn
sich daraus neue Formkonsequenzen ergeben, aber
auch nur danu, wird dieser neue Hinweis wichtig
sein.
Der Maler hat das Glück, vor sich jetzt ein
weites Feld der Arbeit zu haben, deren Ziel er
schon sieht. Seine Kunst wird dann reifer und
voller werden und alles überzeugend gewerbliche
verlieren durch seine straffe und überlegende Art
der Arbeit — denn wir feiern hier keine Helden,
sondern reden von arbeitenden Malern.
M. K.
Meres-Ungeheuer
Sin neuartiger Maßstab
Der 70jährige Maler Karl Leipold, den das
Kronprinzenpalais im vergangenen Winter durch
die Vorführung einer großen Eesamtausstellung
seiner Werke geehrt hat, hat im Auftrag der
Leitung der Großen Deutschen Funkausstellung
1934 ein großes Gemälde „Der Kosmos" ge-
schaffen.
Die in der Ausstellung verteilte Zeitung
„Funk und Bewegung" gibt ein Interview wie-
der, das ihr Vertreter mit dem Künstler über
Vorwurf und Technik des Werkes gehabt hat. Es
heißt daran anschließend:
„Deutschlands größtes Gemälde auf der
Funkausstellung 1934!"
Wie wir erfahren, ist das von Karl Leipold
für die Funkausstellung 1934 gemalte Bild „Der
Kosmos" das größte Gemälde, das Deutschland
jemals gesehen hat. Es hat eine Höhe von acht
Meter, eine Breite von 9 Meter, mithin eine
Fläche von 72 Quadratmeter!
Es ist in dem größten Atelier der Welt, näm-
lich der Halle VIII der Fnnkausstellung gemalt,
die eine Länge von 140 Meter, eine Breite von
32 Meter und eine Höhe von 12 Meter hat.
Der Himmel dieses „Kosmos" ist mit sieben
Farbtönen übereinandergemalt, mit einem Pinsel,
der wenig mehr als Daumenbreite hat. Ein
Mathematiker hat ausgerechnet, daß zur Füllung
dieser Fläche mit den verschiedenen Farbtönen
Pinselstriche in einer Länge ausgeführt werden
mußten, daß der Maler inzwischen die Gesamt-
linie des Äquators von 40 000 Kilometer hätte
anstreichen können.
Das Gemälde wurde vor zwei Monaten be-
gonnen, und es wird Tag und Nacht daran ge-
arbeitet, um es zur Funkausstellung fertigzu-
stellen. Das Gemälde von Leipold wird voraus-
sichtlich auch eiue Rekordzahl von Beschauern er-
reichen, da die Ausstellungsleitung mit 40 000
Menschen pro Tag rechnet."
Das sind wahrhaft amerikanische Maßstäbe,
die für die zukünftige Bewertung von Kunst-
werken ungeahnte Perspektiven eröffnen!
Berichtigung.
Durch ein drucktechnisches Versehen erhielten die beiden
Abbildungen in Nr. 17 unserer Zeitung, zu dem Aufsatz „Der
stilbildcnde Körper" eine unrichtige und einmal eine unvoll-
ständige Unterschrift. Unter das Bild — Grabstein Cinna
v. Vargula — gehört noch die Unterschrift des nebenstehenden
Bildes — Erfurt Varfüßerkirchc (1370). Zu diesem Bild fehlt
die Unterschrift, sie muß heißen: — Ulm (begonnen 1377).
VÖIVI^l-
OÜS8el.O0k^ XOdllCS^I-l.^ 34,'
6kQK.18?7 Kil.v61k55kire> O8QK.18??
l^i-1M8IK^58ü 8 / i43 133
6!b557
k-IOKI
^irLI<5
51^7^15 -7U^II.I.Od4 U.ä.
5 l-ÜTi^i.!77(I - V^c"8äl4 55cl-i^l.2U l4Q
Hans Jaenisch, Wintcrlandschast
Der Maler Hans Zaenisch
Eine innerlich bedeutsame moderne Romantik hat
nicht mehr das Recht, unsere großen Romantiker wie
Friedrich oder Runge leicht und schnell zu beerben,
weil sie die Pflicht hat, aus unserer zeitlichen
Lage unsere deutsche romantische Haltung gut und
für uns verbindlich neu zu schaffen. Die moderne
romantische Bewußtheit, die von Marc über
Kokoschka und Klee bis zu Nolde hin reicht, hat
sich auch innerlich auf eine neue Vorstellungszone
gestellt, sie liegt nicht mehr auf dem Gebiet des
Gefühls, sondern auf den: der Phantasie, die selbst
Bezirke des Traums und unwirklicher Vorstellung
auf die knappe Präzision der Form zu hringen
vermag.
Der Weg, den Hans Jaenisch in der ganz
krassen Bewußtheit einer nachträglichen Folge-
richtigkeit, die ihn von eigenen künstlerischen Ent-
Optischen oder zumindestens dessen Erinnerungs-
bild das Bild vor der völligen, ich möchte sagen
unexistenten Abstraktion, die ihren Sinn nur noch
im Ornament hätte. Plötzlich wird nun wieder
der Gegenstand der Träger der inneren Vor-
stellung; Gegenstand und reine Form identifizieren
sich unter dieser Absicht da völlig. Und hier setzt
der Bereich des Romantischen in seiner neuen
Prägung voll ein. Die romantische Absicht Fried-
richs und Runges (man lese dessen herrlichen Brief
an Goethe über die Psychische Wirkung der Farbe)
erfährt so ihre heutige und richtige Umsetzung.
Für Jaenisch formt sich das Bild nicht ideelich,
höchstens manchmal inhaltlich, als kleines Mär-
chen. Sein Vorstellungsbereich kommt aus „Stim-
mung und Landschaft". Die Gegenstände seiner
Phantasie, Möven, Tiere, Schisse und Menschen,
Hans Jaenisch, Möwen
Herausgeber und Schriftleiter: A. William König, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation G. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstraße 118. — Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst der Nation zu richten. Anzeigen-
annahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht
übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung abgclehnt. Druck H. S. Hermann G. m. b. H. Berlin SW 19.
K u n st der Nation
Der zinnerne Willkomm der Gubener Schlächterinnung.
Cottbuser Arbeit, 1663. Stadtmuscum Guben
Dramaturg zu sein — wo gäbe es eine ange-
nehmere Tätigkeit als diese? Als fünftes Rad
am Wagen rollte er mit, redigierte die Pro-
grammhefte, die keiner ernst nahm, veranstaltete
Vorträge und Morgenfeiern, die vor leerem Ge-
stühl ftattfanden, und verbrachte im übrigen die
Zeit mit der Lektüre von Stücken, die trotz seiner
Vorschläge nie aufgeführt wurden. Daneben
übernahm er die Abfertigung lästiger Besucher
und begleitete mit leicht angegrautem Witz die
Theaterereignisse.
Auf diesen Dramaturgen kann das Theater
heute verzichten. Nur eine Dramaturgie, von der
wesentliche Impulse ausgehen, die die künstle-
rische Arbeit speisen und Vorwärtstreiben kann,
hat Berechtigung. Nicht beratend und glossie-
rend neben der Bühnenwirklichkeit hergehen soll
der Dramaturg, sondern aktiv in sie eingreifen.
Er hat künstlerische Wege zu finden, auf denen
zu wahrem deutschen Volkstheater vorgestoßen
werden kann, hat zugleich die Arbeit freizuhalten
von Mißverständnissen, die gerade in Zeiten gei-
stigen Umbruchs leicht auftauchen und das orga-
nische Wachstum gefährden können. Daraus er-
gibt sich schon, daß das eigentliche Wirken des
Dramaturgen erst dort beginnt, wo es, von außen
gesehen, unsichtbar wird; es besteht nicht zuletzt
in einer unermüdlichen, leidenschaftlich der Sache
hingegebenen Kleinarbeit innerhalb des Be-
triebes.
Der Maler Hans Iacnisch
Vor Augen steht den künstlerisch Schaffenden
als Ziel ein Theater, das frei ist von falscher
Betriebsamkeit, das nicht von kurzlebigen Pa-
rolen hin und her gerissen wird, sondern auf
einer allen Zufälligkeiten entzogenen Grundlage
stetig an der großen Aufgabe arbeitet, Volk und
Theater auf das engste einander nahezubringen
und zugleich alle wesentlichen und bereichernden
Kräfte heutigen Schaffens dem Theater zuzu-
führen. Geschehen kann beides nur in einer
Atmosphäre, in der die Naivität des Publikums
und jene echte Theaterfreude erhalten bleibt, aus
der allein lebendig blühende Theaterkunst gehören
wird. Der Wille zu geistiger Durchdringung
und Erhöhung des Theaters braucht nicht als
düster dreinschauende Kulturentschlossenheit aufzu-
treten und darf es nicht, wenn nicht die mensch-
liche Urfreude am Spiel, als Voraussetzung un-
erläßlich, angetastet werden soll. Nichts wäre
damit getan, über die Köpfe der Zuschauer hin-
weg irgendwelchen Plänen nachzujagen, vielmehr
hängt alles davon ab, daß man sich durch naives
und kräftiges Theater immer wieder an sie her-
anspielt. Das ist, soweit es sich um die Auffüh-
rung der großen klassischen Werke und des ern-
sten modernen Stückes handelt, Sache des En-
sembleführers, der, ohne das ihm anvertraute
dichterische Gut im Kern zu verändern, doch stets
die Rechte des Theaters zu wahren hat. Was
aber in dieser Hinsicht den Spielplan als Ganzes
betrifft, liegt hier eine der entscheidendsten Auf-
gaben des Dramaturgen. Nicht vergessen werden
darf, daß das Theater nur dann die höchsten An-
forderungen erfüllen kann, wenn es zuvor das
Alltagsbedürfnis befriedigt, auf das es sich grün-
det. Erste Voraussetzung ist demnach ein durch-
dachter, ausgewogener Spielplan, der nicht das
Schwere wahllos häuft, sondern ans dem Wechsel
16 Kunst leunn niernunll töräarn als
clor NeistLv. Oönner köräLrn äen
Künstle, 6ns ist reellt unä xut;
aber ckuäurell ivirä niellt immer 6ie
Kunst Aetöräert. 6oetlre
von Ernstem und Heiterem, Klassischem und Ge-
genwärtigem, Vertieftem und Unbeschwertem ein
klar gefügtes, aber immer wieder aufgelockertes
Ganzes schafft.
Daß die Verpflichtung gegen das ernste,
künstlerisch hochgreifende Schaffen voransteht, be-
darf keiner Erörterung. Aber keineswegs darf
die andere Seite des Theaters sich selbst über-
lassen bleiben. Nicht irr zwei Hälften, eine um
hohe künstlerische Werte bemühte und eine an-
dere der wahllosesten Unterhaltung überlassene,
darf das Theater zerfallen. Das Publikum Wil!
lachen und sich unterhalten — und es soll beides!
Aber nicht unwichtig ist, nicht unwichtig gerade
für seine Heranführung
an künstlerische Werte,
worüber und wie es lacht.
Die Säuberung und
Auffrischung des Unter-
Haltungsstückes, die Schaf-
fung eines neuen spiel-
freudigen Unterhaltungs-
theaters ist eine wesent-
liche Ausgabe. Beispiele
auf ganz verschiedener
Ebene, die in dieser Hin-
sicht die einzuschlagenden
Wege bezeichnen, sind
Schwenzen-Malinas Se-
gel fliegerstück „Am Him-
mel Europas", August
Hiurichs Bauernkomödien
und A. I. LiPPls (durch
das „Theater des Vol-
kes" zu unvergleichlichem Erfolg geführte)
„Pfingftorgel".
Reinhaltung, klare Grenzziehung ist Haupt-
gebot. Das echte Volksstück, in dem das Kräftige,
Gesunde, Naive zum Durchbruch kommt, muß
geschützt werden vor der Ueberflutung durch
Pseudo-Volkstümlichkeit, die nach nichts als Wir-
kung schielt und vor keiner Vergröberung zurück-
scheut. Abgegrenzt werden müssen auch die ehr-
lich um Zeitmotive sich bemühenden Bühnen-
werke gegen die unablässigen Versuche geschäf-
tiger Stückeschreiber, die Salonkomödie neu aus-
zupulvern und durch eingestreute Zeitbezogen-
heiten schmackhaft zu machen. Nichts ist mehr
abzulehnen als diese biedermännischen Produkte,
in denen die Verfasser zwischendurch mit bedeu-
tenden: Augenausschlag große Parolen verflachen
und verfälschen.
Wo wirklich Volksstückhafte Elemente bereit-
liegen, wo ein Stück heutigen Lebens gestaltet
ist, dort heißt es: zugreifen! Auch der Spaß,
der Ulk gehören auf die Bühne, aber sie sollen
rein, ungebrochen, unvermischt mit Neben-
elementen dargeboten werden.
Die Arbeit des Theaters nach diesen Gesichts-
punkten zu beeiuslussen uud sie in innerer Über-
einstimmung zu halten mit den wesentlichen und
bestimmenden Kräften des gegenwärtigen Schaf-
fens ist Angelpunkt dramaturgischer Tätigkeit.
Hervorzuheben ist in diesen: Zusammenhang die
Wicklungsepochen reden läßt, nahm, ist grundsätz-
lich der gleiche, den die gesamte Kunstentwicklung
selbst tat. Er setzt ein mit einer Vorstellungswelt,
die sich um Klee durchgesetzt hatte, wandelt aber
die Bildmittel ins Härtere und Klarere und
arbeitet mit der erworbenen Erfahrung, die in
seinen Traumblättern subtilste seelische Momente
ungeheuer treffend umreißt, nun in die Zone des
Realen hinein. Das gibt Visionen zwischen Dies-
seits und Traum. So ist die Leistung der Ab-
strakten doch gewesen, daß sie Form und Linie
mit psychischer Wirkung vollzuladen verstanden.
Nun rettet, und das ist entwicklungsmäßig allent-
halben zu sehen (und ist gut so), der Bereich des
Heranführung junger
Autoren an das Theater
als eine der dringendsten
Pflichten. Mehr als bis"
her wird bei der För-
derung des jungen dra-
matischen Schaffens der
Weg aktiver Drama-
turgie beschritten werden
müssen, wie sie beim
Rundfunk beispielsweise
— wenn auch unter an-
deren Voraussetzungen —
schon in weit aus-
gedehnterem Maße als
im Theater geübt wird.
Wer die Manuskript-
stöße durchzuarbeiten hat
die von den Bühnenver-
trieben über die Theater-
büros ausgeschüttet wer-
den, weiß zur Genüge, daß
ein beträchtlicher Teil der
dramatischen Produktion
unsicher dahintreibt, am
lebendigen Theater vor-
beigehl und bald irgend-
einer Schablone verfällt.
Andererseits stnd wert-
volle junge Kräfte ans an-
deren schriftstellerischen Gebieten tätig, die den
Versuch, fürs Theater zu schreiben, für aussichts-
los halten, obgleich ihnen die Voraussetzungen
vielleicht nicht fehlen; man denke etwa an
Autoren, die im Rundfunk auf Zwischeugebieten
tätig sind, Dialoge und Fuukszenen schreiben.
Zwar ist ein Hörspielmanuskript nicht auf die
Bühne zu übertrage::, oft, wie Beispiele gezeigt
haben, nicht einmal nach eingreifender Durch-
arbeitung. Dennoch halte man sich frei von der
vereinfachenden Ansicht, Hörspiel b e g a b n n g
und Theater b e g a b u n g seien völlig verschie-
denes.
Alles muß versucht werden, junge Schrift-
steller, die dramatische Begabung versprechen,
dem Theater zuzuführen. Zwar können nicht
Themen und Richtlinien ausgeteilt werden; Er-
tötung aller tieferen Produktivität in: Keim wäre
die Folge. Aber möglich ist eine Arbeitsgemein-
schaft zwischen dem Theater und dem Bühnen-
schriftsteller in der Form, daß dieser angeregt
wird, die ihm naheliegenden Stoffe namhaft zu
machen, und, falls das Theater in seinen Vor-
schlägen einen gangbaren Weg sieht, bei ihm
Urteil und praktischen Rat zu suchen. Manches
Abwegige, mancher Fehlgriff im Stoff wird ver-
mieden, zugleich wird eine größere Überein-
stimmung der dramatischen Form und der Büh-
nenwirklichkeit erreicht. Der junge Dramatiker,
der von vornherein immer wieder vor die Ge-
gebenheiten der praktischen Bühne gestellt wird,
steht unter dem heilsamen Zwang zu Präzisem
Einsatz und klarem Szenengefüge.
6 u r 1 D i e t r i e l: Ourls
kommen so als eine Art notwendiger Requisiten
aus einer umfassenden Form allgemeiner land-
schaftlicher Vorstellung als etwa typische Form,
wie etwa Gesichter oder Augen uns in ihrer
typischen Form die Vorstellung von Landschaften,
in denen sie leben, selbst geben.
Jaenisch glaubt heute seinen Weg gefaßt zu
haben, den ich knapp zu schreiben unternahm. Ob
das so ist, müssen wir Jaenisch überlassen. Er
fand jetzt auch äußerlich eine neue Bildform, nach
der er feine Bilder „Bildhänge" nennt: unge-
rahmte Bildflächen, die, vor Rohleinenbespannung
hängend, das Traditionelle der Bildrahmung
überwinden helfen sollen, roh gesagt eine Art
Mitte zwischen Gobelin und Rahmenbild. Wenn
sich daraus neue Formkonsequenzen ergeben, aber
auch nur danu, wird dieser neue Hinweis wichtig
sein.
Der Maler hat das Glück, vor sich jetzt ein
weites Feld der Arbeit zu haben, deren Ziel er
schon sieht. Seine Kunst wird dann reifer und
voller werden und alles überzeugend gewerbliche
verlieren durch seine straffe und überlegende Art
der Arbeit — denn wir feiern hier keine Helden,
sondern reden von arbeitenden Malern.
M. K.
Meres-Ungeheuer
Sin neuartiger Maßstab
Der 70jährige Maler Karl Leipold, den das
Kronprinzenpalais im vergangenen Winter durch
die Vorführung einer großen Eesamtausstellung
seiner Werke geehrt hat, hat im Auftrag der
Leitung der Großen Deutschen Funkausstellung
1934 ein großes Gemälde „Der Kosmos" ge-
schaffen.
Die in der Ausstellung verteilte Zeitung
„Funk und Bewegung" gibt ein Interview wie-
der, das ihr Vertreter mit dem Künstler über
Vorwurf und Technik des Werkes gehabt hat. Es
heißt daran anschließend:
„Deutschlands größtes Gemälde auf der
Funkausstellung 1934!"
Wie wir erfahren, ist das von Karl Leipold
für die Funkausstellung 1934 gemalte Bild „Der
Kosmos" das größte Gemälde, das Deutschland
jemals gesehen hat. Es hat eine Höhe von acht
Meter, eine Breite von 9 Meter, mithin eine
Fläche von 72 Quadratmeter!
Es ist in dem größten Atelier der Welt, näm-
lich der Halle VIII der Fnnkausstellung gemalt,
die eine Länge von 140 Meter, eine Breite von
32 Meter und eine Höhe von 12 Meter hat.
Der Himmel dieses „Kosmos" ist mit sieben
Farbtönen übereinandergemalt, mit einem Pinsel,
der wenig mehr als Daumenbreite hat. Ein
Mathematiker hat ausgerechnet, daß zur Füllung
dieser Fläche mit den verschiedenen Farbtönen
Pinselstriche in einer Länge ausgeführt werden
mußten, daß der Maler inzwischen die Gesamt-
linie des Äquators von 40 000 Kilometer hätte
anstreichen können.
Das Gemälde wurde vor zwei Monaten be-
gonnen, und es wird Tag und Nacht daran ge-
arbeitet, um es zur Funkausstellung fertigzu-
stellen. Das Gemälde von Leipold wird voraus-
sichtlich auch eiue Rekordzahl von Beschauern er-
reichen, da die Ausstellungsleitung mit 40 000
Menschen pro Tag rechnet."
Das sind wahrhaft amerikanische Maßstäbe,
die für die zukünftige Bewertung von Kunst-
werken ungeahnte Perspektiven eröffnen!
Berichtigung.
Durch ein drucktechnisches Versehen erhielten die beiden
Abbildungen in Nr. 17 unserer Zeitung, zu dem Aufsatz „Der
stilbildcnde Körper" eine unrichtige und einmal eine unvoll-
ständige Unterschrift. Unter das Bild — Grabstein Cinna
v. Vargula — gehört noch die Unterschrift des nebenstehenden
Bildes — Erfurt Varfüßerkirchc (1370). Zu diesem Bild fehlt
die Unterschrift, sie muß heißen: — Ulm (begonnen 1377).
VÖIVI^l-
OÜS8el.O0k^ XOdllCS^I-l.^ 34,'
6kQK.18?7 Kil.v61k55kire> O8QK.18??
l^i-1M8IK^58ü 8 / i43 133
6!b557
k-IOKI
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51^7^15 -7U^II.I.Od4 U.ä.
5 l-ÜTi^i.!77(I - V^c"8äl4 55cl-i^l.2U l4Q
Hans Jaenisch, Wintcrlandschast
Der Maler Hans Zaenisch
Eine innerlich bedeutsame moderne Romantik hat
nicht mehr das Recht, unsere großen Romantiker wie
Friedrich oder Runge leicht und schnell zu beerben,
weil sie die Pflicht hat, aus unserer zeitlichen
Lage unsere deutsche romantische Haltung gut und
für uns verbindlich neu zu schaffen. Die moderne
romantische Bewußtheit, die von Marc über
Kokoschka und Klee bis zu Nolde hin reicht, hat
sich auch innerlich auf eine neue Vorstellungszone
gestellt, sie liegt nicht mehr auf dem Gebiet des
Gefühls, sondern auf den: der Phantasie, die selbst
Bezirke des Traums und unwirklicher Vorstellung
auf die knappe Präzision der Form zu hringen
vermag.
Der Weg, den Hans Jaenisch in der ganz
krassen Bewußtheit einer nachträglichen Folge-
richtigkeit, die ihn von eigenen künstlerischen Ent-
Optischen oder zumindestens dessen Erinnerungs-
bild das Bild vor der völligen, ich möchte sagen
unexistenten Abstraktion, die ihren Sinn nur noch
im Ornament hätte. Plötzlich wird nun wieder
der Gegenstand der Träger der inneren Vor-
stellung; Gegenstand und reine Form identifizieren
sich unter dieser Absicht da völlig. Und hier setzt
der Bereich des Romantischen in seiner neuen
Prägung voll ein. Die romantische Absicht Fried-
richs und Runges (man lese dessen herrlichen Brief
an Goethe über die Psychische Wirkung der Farbe)
erfährt so ihre heutige und richtige Umsetzung.
Für Jaenisch formt sich das Bild nicht ideelich,
höchstens manchmal inhaltlich, als kleines Mär-
chen. Sein Vorstellungsbereich kommt aus „Stim-
mung und Landschaft". Die Gegenstände seiner
Phantasie, Möven, Tiere, Schisse und Menschen,
Hans Jaenisch, Möwen
Herausgeber und Schriftleiter: A. William König, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation G. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstraße 118. — Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst der Nation zu richten. Anzeigen-
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