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Kunst der Nation — 2.1934

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Eckstein, Hans: Richard Wagner: Werk und Sezene
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Carls, Carl Dietrich: Eine Freundschaft vor hundert Jahren
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Anders, Wilhelm: Musizieren auf alten Instrumenten: in der staatlichen Musikhochschule in Berlin
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Kroll, B.: Hans Gött
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0122

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2

Kunst der Nation

wand perspekivisch dargestellten Architekturen und
Landschaften (in der Art der bemalteil Fenster-
rouleaux aus dem Ende des l9. Jahrhunderts), wo
der Schauspieler und Sänger zur bloßen Staffage-
figur wird, oder dem modernen „aktivierten" Büh-
nenraum, in dem Ton, Farbe und Form zu einem

ist in neuerer Zeit auf dem Wege der abstrakten
Symbolisierung und Transponierung oft sehr weit
gegangen. Die Bühnenbildnerei ist fast zu einem
nrk xour I'nrb lieben Musik und Schauspiel gewor-
den, nicht ohne in der radikalen Modernisierung
plump zu werden. Preetorius hat das Bühnenbild
dienend dem Werke

Emil Preetorius, Walküre, I. Akt: Hundinghütte, Bayreuth 1880


Wagners untergeordnet.
Er versteht sich auf
Mischung, die, mit Kunst
geübt, nicht ein Zeichen
von Unentschiedenheit,
sondern von Kultur lst.
So hat er in beispielhafter
Weise das „Zeitlose"
Wagners dem modern
„Zeitlichen" neu einge-
kleidet und doch zugleich
auch die — gewiß Proble-
matische — von Wagner
geforderte theaterhafte
Illusion mit einer Steige-
rung ins Symbolhafte ver-
wirklicht. Von zersetzender
Modernistik, die Preeto-
rins zum Vorwurf gemacht
wurde, kann keine Rede
sein: Wagners Werk die-
nend unter- und einge-
ordnet, haben Preetorius'
Szenenbilder Wagners
Werk neu vergegenwärtigt,
das manche alten Wagne-

Ganzheitserlebnis zu werdeu vermag und die Er-
innerung an die Guckkastenwirkung eines streifig
zerlegten Landschaftsgemäldes ausgelöscht ist. Mau

rianer, ohue es zu wollen,
zum wirkungslosen Museumsstück machen würden,
hätten sie über die Bühnengestaltung in Bayreuth
zu entscheiden. Hans Ilelc8t6in.

Eine Freundschaft vor hundert Zähren

Innerhalb der künstlerischen Kampfzeit des
jungen Wagner hat der Herbst 1834 besondere
Bedeutung dadurch, daß Wagner mit der Über-
nahme des Magdeburger Musikdirektoriats sich
zum erstenmal an praktischen Theateraufgaben
erprobte. In seinen Kunstauffassungcn und
Lebensansichtcn stand er damals unter dem Ein-
fluß von Heinrich Laube.
Der Verlauf der menschlichen Begegnungen ist
voransbestimmt durch die Art der inneren An-
triebe, mit denen zwei

schwebte, nicht ausreichend. Scholl regte sich in
ihm, der einem Ziel zustrebte, an dem Laube
seiner ganzen Art nach keinen Anteil haben konnte,
ein erstes Mißtrauen gegen dessen äußere Geschick-
lichkeit. Laube übersah die kleine Demütigung,
die ihm durch die Ablehnung zuteil wurde, ver-
zieh es aber Wagner im stillen nie ganz, daß er sich
selbst seine Texte schrieb. Noch zur Zeit des „Tann-
häuser" behauptete er, es sei Wagners Unglück,
daß er sich nicht von einem geschickten Theater-


Emil Preetorius, Götterdämmerung, I. Akt: Eibichungenhallc, Bayreuth 1880

Naturen voreinander hin-
treten. Die Zwangs-
läufigkeit, die Wagner
und Nietzsche nach starker
Anziehung wieder von-
einander entfernte, wal-
tete in anderer Beziehung
auch über dem Verhältnis
Wagners zu Laube.
Heinrich Laube, der
damals in Leipzig als
Kritiker und Förderer
junger Talente bereits
A.tsthen genoß, widmete
Anfang des Jahres 1833
in seiner „Zeitung für
die elegante Welt", dem
führenden Organ des
Jungen Deutschland,
Wagners im Gewandhaus
aufgeführter 6-vur-Sym-
Phonie folgende be-
geisterteZeilen: „Ich habe
im Laufe des Winters
eine Symphonie, im
Beethovenschen Genre
empfangcnnnd gearbeitet,
von einem jungen Komponisten, Richard Wagner,
gehört, der mir das beste Vorurteil für die Ar-
beiten des auftretenden Musikers erregt. Es ist
eine kecke, dreiste Energie der Gedanken, die sich
in der Symphonie die Hände reichen, es ist ein
stürmischer, kühner Schritt, der von einem Ende
zum anderen schreitet, und doch so eine jungfräu-
liche Naivität in der Empfängnis der Grund-
motive, daß ich große Hoffnungen auf das musi-
kalische Talent des Verfassers gesetzt habe."
Der junge Wagner, zu dieser Zeit empfänglich
für jedes aufmuuterude Wort, schloß sich dem um
sieben Jahre älteren Laube eng an. Aber nicht
lange dauerte es, bis Waguer gegen ihn eine erste

innere Abgrenzung vollzog. Er lehnte es ab,
einen Operntext Laubes, den dieser ihm aus
Freundschaft anbot, zu komponieren, obgleich es
fich nm einen durchaus zeitgemäßen Stoff
handelte, einen Vorgang aus den polnischen Frei-
heitskämpfen, dessen Behandlung auf der Opern-
bühne gerade in Leipzig, bei der dort herrschenden
starken Sympathie für die Polen, zweifellos ein
Treffer hätte werden müssen. Aber Wagner fand
diesen Stoff für einen Operntext, wie er ihm Vor-

stückschreiber einen ordentlichen Operntext für
seine Musik schreiben ließe.
Das von vornherein Trennende hinderte aber
nicht, daß im Sommer 1834, nach Wagners Rück-
kehr aus Würzburg, der Umgang zwischen ihnen
immer freundschaftlicher wurde und Laube ent-
scheidenden Einfluß aus Wagners Anschauungen
gewann. Laube stand auf der Höhe seines Ruhms.
Sein Briefroman „Das junge Europa", obgleich
im Gruude nur eine Vergröberung des weit
natürlicheren und naiveren „Ardinghello" von
Heinse, rief mit seiner Verherrlichung der frei
entbundenen Sinnlichkeit eine starke Bewegung
unter der geistigen Jugend hervor. Eine merk-
würdige Mischung aus tat-
freudigem, jugendlichem
Ungestüm und hemmungs-
loser, genußsüchtiger
Lebensfreude bemächtigte
sich der jungen Geister.
Dieser Stimmung über-
ließ sich auch Wagner,
der sich eng dem jung-
deutschen Kreise anschloß,
welcher in den Leipziger
Kaffeehäusern Streitge-
spräche führte über Hegel-
sche Philosophie und
Straußsche Walzer, die
Welt verbesserte, die
literarische Orthodoxie
bekämpfte, gegen die
Romantik zu Felde zog
und auch Goethe uud
Schiller nicht eben schonte.
Man wollte die litera-
rischen „Zöpfe" be-
seitigen und den Weg frei
machen für neues Schaf-
fen. Der Irrtum war
vorherrschend,daß mitdem
Einsturz des Alten das
Neue ohne weiteres aufblühen werde.
Wagner, zum Bersten angefüllt mit Drang
zum Wirken, stürzte sich in die Auseinander-
setzungen in der Hoffnung, fiir sich selbst Klarheit
zu gewinnen. Eine auffallende Wendung seiner
Kunstauffassungen und seiner Lebensansichten
vollzog sich. Ihn in eine vorläufige Entscheidung
hineingestoßen zu haben, war Laubes Werk.
Trotzige Freudigkeit trat an die Stelle des
grübelnden Ernstes, der ihn bisher beherrscht


Emil Preetorius, Meistersinger Sachs-Stube, Bayreuth 1889

hatte. Er lernte die Materie lieben, die Schön-
heit des Stoffes, den Witz und Geist. Die Hin-
wendung zur italienischen und französischen Oper,
notwendiger Durchgang in seiner Entwicklung, ist
zu einem wesentlichen Teil auf Laubes Einfluß
zurückzuführen.
Wagners gutes Geschick wollte es, daß er dem
Einfluß des jungdeutschen Kreises und Laubes
nicht völlig überlassen blieb, sondern durch sein
Engagement nach Magdeburg im Oktober 1834
vor die Notwendigkeit gestellt wurde, sich an kon-
kreten Aufgaben zu erproben. Dieser heilsame
Zwang, zu dem nach seinen ersten Begegnungen
mit Minna Planer, seiner späteren Frau, die Er-
fahrung trat, daß im Menschlichen „Jung-
Europa", „Ardinghello" und „Liebesverbot" nicht
spielen ließen, führte ihn dazu, seiner jungdeutschen
Gesinnung Zügel anzulegen und sich mancher ihm
angeflogenen Verworrenheit zu entledigen.
Die Fäden zwischen Wagner und Laube sind
nie ganz abgerissen; auch der Burgtheaterdirektor
Laube setzte sich in Wien noch für ihn ein. Aber
Wagner, unter dessen menschlichen Eigenschaften

heißen. Der von dem Erzmusikanten Hindemith
auf dem Zink gar lieblich falsch geblasene „Gutz-
gauch" (Kuckuck) erzwang unter großer Heiterkeit
eine Wiederholung, während das Lied aus dem
Jahre 1561 „Wach auf, Du teutsches Land, hast
lang genug geschlafen" mehr nachdenklich stimmte.
Ein erfreulicher Geist trug die ganze Veranstal-
tung und übertrug sich aus die Hörer. Mehr
davon! 1/VUüelin ^nckers.

Wenn Bach musiziert, geht Gott in die Messe

,IunA6 Mtnelmer Naler:
Hans Gott
Götts Bilder sind nach der Breite und Tiefe
von einer wohltuenden Begrenztheit. Sie sind
sachlich? Kein Karl Haider, keinHansThoma,
hat ehrfurchtsvoller um die Dinge in der Natur

Emil Preetorius, Walküre, I. Akt: Hundinghüttc, Berlin 1934


Dankbarkeit nicht zu den vorherrschenden gehörte,
entfremdete sich Laube innerlich immer mehr.
Deutlich empfand er die innere Leere der drama-
tischen Bemühungen Laubes, die sich darin er-
schöpften, durch Verwendung tagespolitischer
Schlagworte das Zeitinteresse zu befriedigen. Nur
im ersten jugendlichen Aufbruch konnte Wagner
zu Laube jenes enge Verhältnis finden, das den
Leipziger Sommer 1834 beherrschte. Als er Laube,
dessen wirkliche Produktivität der seinen weit
unterlegen war, hinter sich gelassen hatte, mußten
die Lebenskurven dieser beiden Menschen not-
wendig auseinander streben.
Ourl Oiekrieü (üurls
Musizieren auf alten Instrumenten
in der staatlichen Musikhochschule in Berlin.
Die erste Musikstunde der Staatlichen Jnstru-
menlensammlung unter Leitung von Professor
Schünemann hatte ein so zahlreiches Publikum an-
gelockt, daß sie aus dem
Theatersaal in den großen
Saal verlegt werden
mußte. Beweis geuug, daß
hier ein Bedürfnis vor-
liegt. Was geboten wurde,
war Gottseidank! —alles
andere als musikhistori-
scher Unterricht: der
Initiative des Professors
Schünemann entsprang
ein Gemeiuschaftsmusizie-
ren von ungemein reiz-
voller Art. Man sah die
Lehrer der Hochschule fern
von aller Professoren-
würde in dem kleinen
Kammerorchester auf den
höchst ungewohnten und
merkwürdigen Instru-
menten des 16.—17. Jahr-
hunderts musizieren. Es
war sicher keine kleine
Mühe, die unbeholfenen
und schwer ansprechenden
Blasinstrumente zu er-
lernen!) Sie bringen uns

geworben. Er hatte immer
den Mut zum Schönen
und Stimmungsvollen.
Wohl sind es, was er
malend gestaltet, nur
Dinge deA Alt- und Werk-
tages, Dinge, wie er sie
im trauten Familienkreise
erlebte und draußen in
der Sommerfrische der
oberbayerischen Gebirgs-
welt. Sein Blick schweift
nicht in die Ferne. Auch
nicht in das Reich der
Poesie, der Sage, des
Märchens, in die Gefilde
desPhantastischen, wenig-
stens nicht in seiner
Malerei. Das Schöne
scheint Gött überall ein-
gewachsen in die Ordnung
des sinnlichen Daseins.
Vor seinen Bildern steigen Erinnerungen herauf,
wie sie die melancholische Schönheit eines Riemen-
schneider oder die Hesperiden des Hans von Ma-
rees beschwören. Denn auch Götts Werke stehen
an der Grenze zum Klassischen. In ihnen klingt
jene unstillbare Sehnsucht auf nach dem Süden,
die machtvoll immer wieder gerade bei süddeutschen
Künstlern hervorbricht, die Sehnsucht, deutsche
Gemüts- und Seelentiefe in die klare Formvoll-
kommenheit des Südens zu fassen. Aus innerem
Trieb, blutmäßig, vom Vater her, dem Altphilo-
logen und der Mutter, die einen großen Teil ihres
Lebens in Florenz verbrachte, ist diese Sehnsucht
auch in Gött lebendig. Deshalb sind die Werke
frei von aller selbstherrlichen Programmatik. Von
den glutvoll leuchtenden Farben geht ein ein-
schmeichelnder Zauber aus. Und die Kultur im
malerischen Vortrag, das feine Empfinden für die
zeichnerischen und Plastischen Werte bei aller male-
rischen Breitung und Fülle vertiefen ihn. Wir!
lich: die Fähigkeit bei malerischer Abstraktion sich


einen „Auszug guter Emil Preetorius, Götterdämmerung, I. Akt: Gibichungenhalle, Berlin 1934
alter und newer teut-

scher Liedlein und Tänze,
einer rechten teutschen Art, aufs allerlei) Instru-
menten zu brauchen". Hier hörten wir die Quellen
des deutschen Liedes rauschen: wie wundervoll klar
klingt der durch keinerlei Füllstimmen verdickte
oder verweichlichte Satz des „Innsbruck, ich muß
Dich lassen" oder das ergreifende „Ach Elslein,
liebes Elslein mein". Dazu die unendlich reichen
Klangfarben der alten Instrumente, der Schal-
meien, Krummhörner, Zinken und wie sie alle

so mit der Natur in allen ihren Formen und
Stimmungsreizen zu identifizieren, fasziniert.
Dabei entgeht der Künstler der Gefahr des Deko-
rativen. Die Spannung von Natur und Bild, von
Bildfläche und Bildraum bleibt gewahrt. Und nur
insoweit kommt das bildhaft Dekorative zu seinem
Recht, als die Freude am sinnlichen Reiz die Lust
zur Ergründung nicht verdrängt. Sie haben Wohl-
klang und Ausdruck in einem — diese Bilder. Sind
dabei wenig belastet
und getrübt von rück-

Emil Preetorius, Meistersinger Sachs-Stube, Bayreuth 1934


blickenden Erinnerungen
und von beglückender
Einheit in den künst-
lerischen Mitteln. Unter
den jungen Münchner
Künstlern ist er der
Aristokrat: die oft sehr
grausamen Realitäten der
Zeit berühren ihn nicht
— wenigstens nicht in
der Kunst.
Und dennoch: selten hat
mich ein erster Persön-
licher Anblick mehr ent-
täuscht. Ein solch in sich
verschlossener Mensch, in
dessen Gesicht Sorgen
und innere Kämpfe tiefe
Zeichen gegraben, dessen
ganzer Erscheinung etwas
Eingekapseltes, Abwehren-
des anzuhaften schien,
war also der Schöpfer
 
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