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Kunst der Nation — 2.1934

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Paul, F.: Hans Thoma: zum Gedächtnis : 1839 - Oktober 1924
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Rausch, Paul: Josef Hegenbarth-Dresden
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Tönnies, Ilse: Das Geheimnis
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Kunst der Nation

5




Hans Thoma

Zosef Hegenbarth-Dresden

Josef Hegenbarth-Dresden, Eislausbahn, Gemälde

Das Geheimnis

Nicht die zehn Jahre, die uns von Thomas
Todestag trennen, geben uns die notwendige
Distanz, sein Werk zu überschauen. Dies ist schon
zu seinen Lebzeiten geschehens nicht von
Enthusiasten wie Henry Thode — der seinem
Helden einen schlimmen Dienst erwies, da er ihn
1890 als den wiedererstandenen Dürer und
größten lebenden Deutschen entdeckte — und nicht
von zeitbefangenen Kritikern von der Art des
Karlsruher Kunstvereins, der sich seine Bilder ein
für allemal in seinen heiligen Hallen verbat
(1868!), noch auch von den Berliner Besserwissern
und witzelnden Impressionisten der 90er Jahre,
die sich über sein deutsches Gemüt totlachen
wollten. Aber bestimmt war schon 1922, als Justi
in der Nationalgalerie eine erlesene Schau seiner
wesentlichen Arbeiten veranstaltete, das Bild des

fügen lassen. In all diesen Bildern und
Zeichnungen gibt er etwas urgewaltig Deutsches,
den Ausdruck der Liebe Zur Natur, zu allem Ge-
schaffenen und den Menschen als seinen Mittel-
punkt. Landschaften, Figurenbilder, Stilleben
seiner schöpferischen Zeit haben die Echtheit des
Geschauten, das bis in die geringste Kleinigkeit
durchgefühlt ist als etwas Einmaliges und Not-
wendiges; und sie beleben das Geschaute mit einer
Größe und Inbrunst, die aus den Tiefen einer
deutschen Seele kommt. In diesen Werken wird
Thoma alles zur lebendigen Gestalt, und die Ge-
stalt nimmt eine Form an, deren Mächtigkeit und
Allgemeinbedeutung ans Erhabene streift, Q x^ul

ein gewiß nicht alltägliches Merkmal an sich, sie
hat Geist. ?uul Ruusek

Altmeisters aus Bernair bei den besten Kennern
unserer jüngeren Kunst festgesetzt, wie es heute
vor uns steht und vielleicht für absehbare Zeit be-
stehen bleiben wird.
Das, was Henry Thode und die unentwegten
Verehrer an ihm geschätzt haben, wird Wohl zu
den Eigenschaften gehören, die als Schlacken von
ihm abfallen und verworfen werden; und was die
Karlsruher Spießbürger von 1868 und sehr lange
später noch akademisch verbildete Augen an seinen
Bildern unerträglich fanden: dies mag uns als
das Wertvollste, als das Überzeitliche an ihm er-

fühlt" jetzt in Farben. Eine feine und ver-
geistigte Malkultur. Der Bildaufbau ist vortreff-
lich. Ein Paar Grundfarben (Lokalfarben) fügen
sich zu einem Akkord zusammen. Der Akkord wird
zum Stimmungsträger des Bildes. Die Einzel-
farbe erfüllt zwei Ausgaben: sie ist Stimme in
dem Orchester, eine biegsame, ausdrucksfähige und
nüancenreiche Stimme, und die dient der Auf-
klärung der gegenständlichen Form. Jeder Pinsel-
zug verbreitet Leben. In dem ganzen Organis-
mus des Bildes gibt es keine tote Stelle, alles
schwingt und klingt.
Hegenbarths Liebe gilt auch dem Tier. Seine
Tierbilder gehören zu seinen besten Leistungen.
Nicht umsonst hat er jahrelang das Charakte-
ristische der Bewegungen studiert und seine
Studien mit Vorliebe auch im Zoo getrieben.
Diese Tierbilder haben Erkenntniswert. Nicht im
Sinne einer wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern
weil sie uns das Wesen der Tiere ahnend erfassen
lassen. Sie bringen uns die fremde Welt der Tiere
zum Greifen nahe.
Eine solche Kunst ist nicht zu den Tages-
erscheinungen zu zählen. Sie ist eine Kunst des
beseelten Auges, die durch die schwingende Musi-
kalität die Sinne entzückt, und sie hat außerdem

Lum Oeäüelrtuis
1839—Oktober 1924

und in seinen Graphiken in Massenauflagen und
seiner herzhaft schlichten Sprache ausschließlich
zum Volke wandte, dem er sich Bruder fühlte: so
empfinden wir auch als seine kostbarste Hinter-
lassenschaft die ganz einfachen und anspruchslosen
Schilderungen der Natur, wie er sie leibhaft vor
sich sah. Es sind nicht ausschließlich Bilder (und
Zeichnungen: diese sind ebenso herrlich und groß
gesehen wie seine Gemälde) aus den frühesten
Jahren, obwohl er in dieser Zeit die ihm be-
stimmte Vollkommenheit erreichte. Auch in
späteren Jahren, allerdings immer seltener mit
der Zeit, hat er einzelne Landschaften und Bild-
nisse geschaffen, die sich dem bleibenden Werk ein-

charakteristisch Wesentliche ersaßt, die Einheit der
Anschauung, in der es Form wird, die dramatische
Bewegtheit und das Leben in ihnen machen diese
in einer meisterhaften Kaltnadeltechnik aus-
geführten Radierungen zu selbständigen Kunst-
schöpsungen, bei deren Betrachtung man vergißt,
aus welchem Anlaß sie entstanden sind.
Hegenbarth schulte
sich in unermüdlichen
Studien nach der Wirk-
lichkeit. Er zeichnete nach
dem Leben, wo er es in
besonderer Vielfalt an- I
traf, auf den Straßen, in
Cafe und Kabarett, im .
Konzertsaal, ans Rum-
melplätzen und im Zirkus.
Das Ziel blieb die Ver-
anschaulichung seiner
Innenwelt. Allmählich
aber verlagert sich das
Interesse. Er geht dazu
über, die äußere Wirk-
lichkeit zu schildern, wo-
zu er nun die zeich-
nerischen Skizzen als
direkte Unterlagen ver-
wendet. Und jetzt wird
ihm auch die Farbe zum
Erlebnis. Zwar bleibt
seine Kunst noch linear,
die Arbeiten aus diesen , .
Jahren, Szenen aus dem
Gewimmel des Großstadt- - El
lebens, sind eine Art ge-
malter Zeichnung. Aber
die Farbe erfüllt nicht
einen Nebenzweck, son- M
dern sie ist ebenso wesent- v
liches Ausdrucksmittel wie 'ILs
die Linie. Beide sind
Abkömmlinge der un- Ä
mittelbaren Ursprünglich-
keit des Temperaments. W
Eines überaus sensiblen,
ten JllüstratwMn, die lewenMmstlicyen,
Themen dazu entnahm er der Literatur. Es ent- "" """..
standen Mappenwerke wie: das Nibelungenlied,
Münchhausens Abenteuer, Stimmen der Völker in
Liedern, Goethes Balladen und andere mehr.
Diese Radierungsfolgen, die ihm bald einen guten
Ruf verschafften, sind mehr Nachdichtungen
als Nachschriften. Hegenbarths außerordent-
liche Einfühlungskrast und seine Phantasie griffen
jeweils den Stoff nur auf, um sich an ihm zu
entzünden und ihn dann ohne Rücksicht auf wort-
getreue Anlehnung nach eigenen Bildideen umzu-
formen. Die visionäre Kraft, mit der das

Der Dresdner Josef Hegenbarth ist ein jugend-
licher Fünfziger.
Man kennt ihn schon seit 20 Jahren als
Zeichner und Radierer, erst verhältnismäßig spät
auch als Maler. Sein
künstlerischer Ausgangs-
punkt war die Welt seiner
Ideen, der er durch
ausgedehnte Streifzüge
in die Weltliteratur
ständig neue Provinzen
angliederte. Das Suchen
nach einer Passenden Aus-
drucksform führte ihn zu-
nächst zur Graphik, er
malte nur „ganz neben-
bei", bis endlich auch die
Farbe ihn anzuziehen be-
gann. Das ist um so merk-
würdiger, als er nach
kurzen Zwischenspielen bei
Bantzer und Zwintscher
an der Dresdner Akade-
mie mehrere Jahre im
Meisteratelier Kuehls zu-
brachte. Dieser war aus-
schließlich Maler, es gab
daher mit ihm fort-
währende Kämpfe, bis
schließlich der Lehrer den
seine eigenen Wege
Gehenden gewähren ließ
und ihn nur noch durch
Kritik förderte, soweit das
bei dem Gegensatz der
künstlerischen Auffassun-
gen möglich war. In
dieserBeharrlichkeitundin
diesem Gehorsam gegen-
über dem Gesetz der eigenen
Persönlichkeit offenbart
sich ein entscheidender
Charakterzug. Seine Ent-
wicklung verläuft in ein-
deutig gerader Linie.
Er begann mit radier-

musi-- WWWWM
kalisch rhythmischen Tem-
peraments. Zeigt sich
in diesen iuter
essanter Mischtechnik aus-
geführten Arbeiten der Zosef Hegenbarth-Dresden, Zeichnung, Tusche mit Pinsel
Maler dem Graphiker
ebenbürtig, so steht die
jüngste Schaffensperiode Hegenbarths vollends in
dem Zeichen der reinen Farbe. Die Liebe zur
Graphik dauert zwar weiterhin an, aber die Vor-
wärtsweisenden künstlerischen Entscheidungen
fallen nun im Bezirk der Malerei. Hegenbarth

scheinen. Drolligerweise nannte mall diese verhaßte
Malweise „sozialdemokratisch"; die Überführung
ästhetischer Abneigung aufs politische Ausdrucks-
gebiet war Wohl bei keiuem weniger angebracht als
bei Thoma.
Was als so aufrührerisch an ihm empfunden
wurde, war die bisher nicht erlebte Treue gegen-
über der Natur und die schlichte Größe, in der sie
zur Form wurde. Es sind die Bilder Thomas aus
dem Jahrzehnt um 1870, die seinen Ruhm aus-
macheu und für alle Zeiten stabilisieren. Die Quel-
len dieser wegen ihrer Schlichtheit und wahren Ge-
mütstiefe so urdeutschen Kunst lagen in frühem
nachdrncksvollem N<A^rerlebeu des Bernauer
Bauernbuben, der die Ziegen seines Schwarz-
wälder Dorfes gehütet hat und sein Leben lang
stolz geblieben ist auf seine bäuerliche Ab-
stammung; und zum zweiten in dem großen Vor-
bilde Conrbets, dessen monumentale Wirklichkeits-
malerei Thoma mit seinem Freunde Scholderer
1868 in Paris gesehen hat. Vielleicht hätte auch
der Deutsche Leibl in gleichem Sinne formfestigend
auf ihu wirken können; und nicht mit Unrecht
mag man ihn rind einen großen Teil seiner Kunst
zum Leibl-Kreise zählen. Wir empfinden es als
eine Bereicherung des alemannischen Bauernsohnes
Thoma, daß er von Courbet sich die Bestätigung
seines Wesens geholt und die Qualität seiner
Malerei gehoben hat. Die Einflüsse großer
deutscher Zeitgenossen sind durchaus nicht von
gleichem Vorteil für ihn gewesen; was er von
Marees und insbesondere von Böcklin empfangen
hat, gehört nicht ans die Aktivseite seines Werkes.
Leider haben viele, von Thode angeführt, in den
mythologischen Phantasieschöpfungen und religiösen
Bildern des späten Böcklinhaften Thoma sein
eigentliches Deutschtum erblickt. So ost es aber
auch schon von kompetenter Seite geschehen ist, es
kann nicht nachdrücklich genug wiederholt werden,
daß nicht der Maler und Zeichner der Fabelwesen,
Wagnergestaltcn und Christnslegenden der wahre
deutsche Thoma ist, sondern der der stillschönen
Landschaften, Stilleben und heimatlichen Gestalten
aus den 60er und 70er Jahren. Für jene Phan-
tasmagorien brachte der Schwarzwälder nicht das
notwendige geistige Rüstzeug und die aus Eigenem
schöpfende Phantasie mit; diese Dinge blieben ihm
intellektuelle Schemen, von denen wir unsere
liebende Seele und unser Auge am bestell ab-
wenden.
So wie Thoma sich sein Leben lang und mit
stärkster Betonung im Greisenalter zu seinem
Banernblut lind alemannischen Volkstum bekannte


Josef Hegenbarth-Dresden, Gemälde

VÖK/^l-
M 34,'

Wie eine Ehrengarde standen die hohen grünen
Pflanzen im Licht der Sonne um die schöne
Blume, die so selten blüht. Unwirklich in ihrer
Schönheit war sie und traumhaft verschlossen. Nur
wenn ein frischer Strom von Neugierigen durch
den Glasgang des Treibhauses kam, spürte man
ein fröstelndes Vibrieren, eine kaum merkbare Be-
wegung, wie in Abwehr: was treibt euch in meine
Nähe?
In der Lichtbahn der Sonnenstrahlen tanzte
ein Schmetterling, goldgelb mit blauschimmernden
Flügelrändern. Als er mit zärtlichem Flügelschlag
das schimmernde Haupt der Viktoria regia be-
rührte, öffneten sich die Blätter leise — einen
Atemzug lang. Die begierig herandrängende
Menge sah nur einen festverschlossenen Kelch.
So blieb es lange.
Langsam senkte sich der Tag.
Die Sonne warf glutrote Brände durch die
hohen Scheiben des Glashauses: In dem pur-
purnen Licht wiegte sich die Königin der Blumen
mit wenigen sanften Bewegungen wie nach einer
verschwebenden zarten Melodie. Ihr Kelch blieb
verschlossen.
Die Menge strömte ein und aus, enttäuscht
musterten sie die schlafende Blume, um derent-
willen sie gekommen waren und die sich ihren
stumpfen Blicken nun so fest verschloß. Langsam
tropfte der Strom der Besucher ab und verlor sich
in den schon Verschwimmenden Konturen des
Parks.
Die Sonne sank tiefer, die Blume duftete süßer
in dem menschenstillen Raum. Längst war der
Schmetterling betäubt zu ihren Füßen eingeschla-
scn. Da öffnete sich die Glastür zum letztenmal,
zögernde Schritte gingen durch den Raum. Rosen-
farbe lag auf den grünen Büschen und um das
Haupt der Königin. Die gläserne Hülle ringsum
war erfüllt von der atemberaubenden Stille eines
großen Geheimnisses. Stumm stand der späte Be-
sucher und schaute, seine Augen tranken und sein
Gesicht war Anbetung ohne Wunsch.
Da begann die Königin der Blumen, die nur
 
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