6
Kunst der Nation
alle hundert Jahre blüht, langsam den Kelch zn
öffnen.
Der rosige Glanz ward zum zartlila Schleier,
um die gläsernen Wände war ein blaßblauer
Abendhimmel gebreitet.
Unbeweglich stand der Mensch vor der Blume,
Deutsche Kunst
im Ausland
Aus den Mitteilungsblättern der Gaukultnr-
abteilung der NSDAP, und der N. S.-Kultur-
gemeinde in der N. S.-Gemeinschaft „Kraft durch
Freude", Gau Essen. Oktober-Heft 1934.
Die Erziehung beginnt wahrhaftig z u -
e r st bei uns. (Wie begegnest du deinem Volksgenossen,
unterscheidest du in dir den Schein vom Sein?
Vorausgesetzt, wir halten, so betrachtet, der Kritik stand,
so könnten wir erst dann mit gutem Gewissen und not-
wendiger Sicherheit an die Hebung der allgemeinen Ge-
sittung gehen. Damit erst werden wir dem deutschen Kultur-
leben und in ihm der unsterblichen deutschen Kunst wahrhaft
helfen.
Also fürs erste: alle Arbeit beginnt bei uns, unser Bei-
spiel fruchtet mehr als gute Lehren. Dazu aber dürfen und
sollen Sie überzeugen, lehren, erziehen für die Erreichung
unseres Zieles:
„Hoch-Zeit der deutschen Kultur!"
W. Kelter
ohne Spannung, ohne Willen, nur geöffnet dem,
das da kommen sollte.
Immer weiter bogen sich die schimmernden
Blütenblätter auseinander, ein Strom opalisieren-
den Lichts schien aus der Tiefe des noch nicht ent-
schleierten Kelchs emporznqnellen, rosa, golden,
lila, blau und weiß. Duft erfüllte den Raum, wie
Im Salon Kleykamp in Haag in Holland
wurde eine Sonderausstellung der deutschen
Künstlerin Irma Goecke, Dortmund, im
September veranstaltet. Irma Goecke ist in
Deutschland nicht mehr unbekannt, ihre Aus-
stellungen im Frankfurter Kunftverein, der West-
front, in Dresden, Chemnitz, Stuttgart, Hamburg
und Berlin sind seit langem ein Begriff, ihr
Wandbehang in der Dortmunder Handelskammer
maßgebend für moderne dekorative Raum-
gestaltung des bildenden Künstlers zusammen mit
der Architektur. Als Lehrerin der Dortmunder
Kunstgcwerbeschnle hat sie Entscheidendes auf dem
Gebiet der künstlerischen Erziehung auf der
Grundlage sorgsamster handwerklicher Durch-
bildung erreicht, die Textilfachklasse der Schule
verdankt ihr mit Recht den Ruf, führend zu sein.
Wiederum ist diese immer auf der Seite der
Avantgarde zu findende Künstlerin bahnbrechend,
indem sie in Niederland mit ihrer Ausstellung
eine augenblicklich erstmalige Impression
modernen deutschen Kunstschaffens und -wollens
gibt, so daß sich wichtige Bindungen anknüpfen
können.
Wenn Kunst Mittel ist, differenzierte Dinge
im Bild klar und einfach zn sagen, im Einklang
des geistigen Gehalts und
der stilistischen Form,
ohne in das primitive
Pathos aufdringlicher
Tendenz zu verfallen, und
wenn aktuelle Kunst ist,
nicht im Sinne der Tages-
Presse, aber im mensch-
lichen Sinne, lebendig
und zeitgemäß zu sein, fo
tragen die Werke Irma
Goeckes sehr stark den
Charakter absoluter künst-
lerischer Gestaltung. Es
wäre falsch, ihre Arbeiten
als rein dekorative.
Elemente betrachten zu
ivollen. Das sind sie nicht,
wollen es auch nicht sein,
sondern entspringen dem
Streben nach Wieder-
belebung der alten
Gobelinkultur. Die Go-
belinarbeit der alten Zeit
war seriöses künstlerisches
Gestalten erster Art,
kein Behelf. Künstler
von Rang lieferten die
Entwürfe oder führten
aus, es gab bestimmte
vollgewertete Schulen und
Stile, erst später riß
fälschlich die Meinung
von einem mehr zweit-
klassigen, rein schmücken-
den Gestaltungszweig ein.
Die Bildstickerei, die Go-
belinwirkerei suchten auf
ihre Weise dasselbe zu er-
reichen, wie die soge-
nante große Kunst, ledig-
lich die technischen Mittel
waren andere. Dies hat
Irma Goecke erkannt,
und versucht nun, nicht
fälschlich antikisierend,
sondern aufbauend im
Sinne der Moderne,
diesen alten Kunstzweig
zu neuen Zwecken zu be-
leben. Entsprechend ihrer
Sonderart in Einklang
mit der Architektur, rich-
tiger — trotz aller reinen
Bildhaftigkeit — die
Gobelins architektonisch
empfunden zu gestalten,
ist ihr Ziel. Denn diese
Dinge repräsentieren
einen eigenen Kunstzweig,
keine Bildimitation, wie
öfter aus Mißverständnis
versucht wurde.
Die Ausstellung zeigt
Irma Goecke, Handgewebter Wandbchang „Torrcro"
eine berauschende Melodie. Wie ein Silberdiadem
hing der Mond am schweigenden Himmel.
Gebannt stand der Schauende wie zwischen Le-
ben und Tod.
Mit einer von Traum umfangenen Bewegung
entschleierten die letzten verhüllenden Blätter den
nie enträtselnden Kelch. Er schimmerte in erden-
ferner Reinheit und Weiße, ans seinem Grunde
glänzte ein Stern. Er stand im Dunkel der her-
einbrechenden Nacht wie die jahrtausendalte er-
lösende Verheißung, oft verborgen und unver-
gänglich:
Kexinn Virginia. Ilse lönnies.
6Ü6K.18?/ M1.VQW58üNüi QÜQK.1897
8 / 1-13 Ktwv46^l1 133
61^551
k-IOKI k55kkr
OXUI..Kl.I^5O4 KOI.ee ^EK5
scbleiee - irek4e 5ibii^l5. io^ii.i.Od4
sehr interessant drei ver-
schiedene Entwicklungs-
Phasen der künstlerischen
Auffassung: zunächst eine rein dekorative Kost-
barkeit des Materials, exotisch anmutende Vor-
würfe, wie die auf Seide gestickten Masken, das
Liebespaar in der stilisierten Stellung einer alt-
persischen Miniatur. Darauf bricht sich schou eine
vertieftere Auffassung vom Wesen der Gobelin-
kunst durch, noch immer leicht dekorativ, aber schon
auf die reine Prachtwirkung verzichtend, einfaches
Material und einfachere, bildhaftere Themen, wie
der Dompteur, die turnenden Mädchen; der
Torrero in seiner statuarischen Ruhe vor dem
sonueflimmernden Rund einer weiten Arena ist
schon Überleitung zu der letzten Phase, die auf
das dekorative Element verzichtet, zugunsten einer
vertieften Bildhaftigkeit, die in ihrer architek-
tonischen Herbheit einen eigenen Stil findet, weder
kunstgewerblich dekorativ, noch spielerische Bild-
kopie, sondern tatsächlich moderne Gobelinkunst,
die allen Anforderungen genügt. — „Akt mit
Harmonikaspieler" stellt sehr interessant einen be-
kleideten Körper neben einen nackten, und löst das
Raumproblem mit herrlicher Leichtigkeit; „Mäd-
chen mit rotem Hut" baut groß einen Mord vor
sommerliche Landschaft; unglaublich lebendig, trotz
aller strengen Stilisierung sehr amüsant in der
Gliederung, sind die „Tauben"; der „Torso" kommt
über das Dekorative klassischer Elemente zu
eigener wirklicher Klassik. Diese vier letzten großen
Arbeiten sind von einer seltenen Mäßigung und
Irma Goecke, Handgewebter Wandbehang „Torso"
Stille sowohl in der Komposition wie vor allem
auch in der Farbe; sie bezwingen, weil es eine
Ruhe nicht aus Müdigkeit, sondern aus einem sehr
intensiven, subtilen künstlerischen Bewußtsein ist,
das sein eigenes phantasievolles Temperament dem
Werk zuliebe bändigt und gestaltet. Es ist
Spannung in diesen vier letzten Arbeiten, die
Körper stehen frei im Raum vor braunem oder
grauem Hintergrund, der die Weite einer Land-
schaft ahnen läßt; es ist nichts Verspieltes mehr
vorhanden, jede Linie, jede Farbe, jedes Kompo-
sitionselement ist Notwendigkeit, ist bedingt im
Rahmen des Ganzen, und das Ganze wiederum ist
von einer unerhört architektonischen Bildhaftigkeit,
wie man sie nur auf alten Arbeiten findet. Dabei
ein feiner seelischer Ausdruck, der jedoch nicht mit
sich selbst kokettiert und das Formale unvorteilhaft
verdrängt, sondern ein schönes, fast klassisches Aus-
balanciertsein, wie es nicht oft in der deutschen
Kunst zu finden ist, ein Gleichklang von Form und
Inhalt, den zu erreichen nur großer Kunst
möglich ist.
Altirisch ist die Technik der Decke „Paris", die
landschaftliche Eindrücke in wundervoller Auf-
teilung bringt, und als moderne Bilddecke einen
ganz neuen entscheidenden Weg auf dem Gebiete
der Stickerei sucht. Auch hier ein eigener künst-
lerischer Ausdruck, nicht die zum Grauen jeder
guten Stube gewordene übliche Handarbeit. Eine
andere Decke zeigt Eindrücke von einer Schweizer-
reise, dann Entwürfe für eine Decke, die das
Leben auf einem großen westfälischen Bauernhof
schildert, und damit illustrative Möglichkeiten der
Stickerei andeutet, die unbegrenzt scheinen, in Art
und Stilgebung typisch deutsch anmuteu. Eine
mühevolle Seidenstickerei „Die Einsame" beweist
die absolute Bildwirkung, die eine sehr gute
Stickerei haben kann, sie zeigt eine künstlerische
Intensität, die erstaunlich ist, zeigt auch wieder die
unzähligen Möglichkeiten auf diesem Gebiet, wenn
von jedem kitschig-kunstgewerblichen Sichgeheu-
lassen Abstand genommen wird. Freilich sind
Arbeiten wie die von Irma Goecke nur möglich
auf der Basis einer äußerst strengen künstlerischen
Selbstdisziplin im Geistigen und Formalen, und
eines ernsthaften technischen Könnens, das jede
Pfuscherei und jeden Bluff verschmäht. Als
frühere Graphikerin zeigt sie auch sehr schöue Holz-
schnitte.
Eine starke deutsche Künstlerpersönlichkeit, in
ihren Eigentümlichkeiten typisch deutsch, technische
Tradition bewußt aufgreifend und mit dem Geist
der heutigen Zeit erfüllend, sehr weiblich, sehr
künstlerisch. Sie gibt dem Ausland einen Begriff
von dem ehrlichen geistig-künstlerischen Wollen des
heutigen Deutschland. Jenseits jeder Pfuscherei
im Technischen, jeder billigen Stimmungsmacherei
im Geistigen lebt hier eine weltzugewandte, be-
jahende, sormsichere Kunst, die ihre eigenwillige
klare Sprache zu finden weiß, der Zeit und dem
gegenwärtigen Leben verstrickt. Sie zeigt den
immensen Reichtum und die Kühnheit modernen
deutschen Künstlerschaffens, zeigt eine beglückende
Kompromißlosigkeit und Absolutheit der Ge-
staltung, jenseits von Snobismus oder Eigen-
brötelei. Diese Ausstellung ist wichtig als Bahn-
brecherin für ein vertieftes Verständnis gegenüber
dem jungen deutschen Künstler.
0. cke Haun
Schöpfung
und Nachahmung
Aus der Flut der Bücher, die in die germa-
nische Vorgeschichte einführen, heben wir die Arbeit
von Wolfgang Schultz heraus „Alt germa-
nische Kultur in Wort und Bild", er-
schienen München 1934, im Verlage von I. F.
Lehmann; Preis geh. 6,— RM. Wolfgang Schultz
gibt einen Überblick über drei Jahrtausende ger-
manischen Kulturgestaltens, über die Bronzezeit
(1800—800 v. Chr.), die frühere Eisenzeit (800
v. Chr.—200 n. Chr.) und das 3. Jahrtausend, die
spätere Eisenzeit (200—1200 n. Ehr.). Ein un-
geheuer reicher Stoff, streng wissenschaftlich er-
arbeitet, wird vor uns ausgebreitet. Es
wird kaum ein zweites Buch geben, das
die wissenschaftlichen Ergebnisse vorgeschicht-
licher Forschung so sinnvoll an ein größeres
Publikum heranbringt. Ein herrliches Bildmate-
rial läßt uns staunend die Werkkunst unserer Vor-
fahren in tausendjähriger Vorvergangenheit be-
wundern und zeigt uns, wie schon damals Künst-
lerhand schwierige Formprobleme auf Helm,
Steigbügel, Schild, Vasen und Urnen meisterte.
Da schwindet jede voreingenommene Meinung und
Vorstellung naiver Kunst, nur die Sehnsucht wird
wach, diesen Reichtum auf uns wirken zu lassen,
abgebrochene Fäden wieder anzuknüpfen und
Brücken zu schlagen in unsere Gegenwart. Päda-
gogisch klingt das Buch aus und wendet sich gegen
Germanentümelei, die von keiner Kenntnis ge-
trübt ist: „Es schickt sich nie, aus ganz Eigenem
und immer nur durch Aufgreifen und Steigern
schon vorhandener Ansätze und Vorstufen. Und
in diesem Sinne wäre es kaum zu verwerfen, sich
bei Schmuck aller Art von germanischer Zierkunst
anregen zu lassen und die Bildkunst dazu passend
zu gestalten. Es ginge nicht darum, Nachbildung
germanischer Schmuckstücke, die alles, auch die
Schäden und die Patina treulich wiedergeben, zu
tragen, sondern darum, Neues im Geiste des Alten
zu schassen und für geeignete Gelegenheiten und
so, daß keine germanentümelnde Mode daraus
wird. Erst dabei würde man auch allmählich ler-
nen, was man an dem Erhaltenden hat und welche
Anregungen in ihm schlummern." Or.
Der Deutsche Werkbund ist jetzt unmittelbares
Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste.
Die Geschäftsstelle befindet sich jetzt im Verwal-
tungsgebäude der R. d. b. K. in Berlin, Blumes-
hof 5/6, im ersten Stock.
Dort befindet sich auch der Lesesaal der vom
Bunde vor etwa einem halben Jahre eingerichtet
wurde. Es liegen dort mehr als 100 Kunst-
zeitschriften, auch ausländische, zur kostenfreien
Benutzung für jedermann aus. Geöffnet ist der
Lesesaal von 10 bis 17 Uhr. Eine Verlängerung
der Lesestunden ist in Aussicht genommen, was vor
allem von den Berliner Angestellten sehr begrüßt
würde, seit die staatliche Kunstbibliothek nicht mehr
in vollem Umfang zur Benutzung steht.
Herausgeber und Schriftleiter: A. WilliamKönig, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation E. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstraße 118. — Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst der Nation zu richten. Anzeigen-
annahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht
übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung abgelehnt. D.-A. III.V. 5333. Druck von H. S. Hermann - Büxenstein G. m. b. H., Berlin 8XV 19
Kunst der Nation
alle hundert Jahre blüht, langsam den Kelch zn
öffnen.
Der rosige Glanz ward zum zartlila Schleier,
um die gläsernen Wände war ein blaßblauer
Abendhimmel gebreitet.
Unbeweglich stand der Mensch vor der Blume,
Deutsche Kunst
im Ausland
Aus den Mitteilungsblättern der Gaukultnr-
abteilung der NSDAP, und der N. S.-Kultur-
gemeinde in der N. S.-Gemeinschaft „Kraft durch
Freude", Gau Essen. Oktober-Heft 1934.
Die Erziehung beginnt wahrhaftig z u -
e r st bei uns. (Wie begegnest du deinem Volksgenossen,
unterscheidest du in dir den Schein vom Sein?
Vorausgesetzt, wir halten, so betrachtet, der Kritik stand,
so könnten wir erst dann mit gutem Gewissen und not-
wendiger Sicherheit an die Hebung der allgemeinen Ge-
sittung gehen. Damit erst werden wir dem deutschen Kultur-
leben und in ihm der unsterblichen deutschen Kunst wahrhaft
helfen.
Also fürs erste: alle Arbeit beginnt bei uns, unser Bei-
spiel fruchtet mehr als gute Lehren. Dazu aber dürfen und
sollen Sie überzeugen, lehren, erziehen für die Erreichung
unseres Zieles:
„Hoch-Zeit der deutschen Kultur!"
W. Kelter
ohne Spannung, ohne Willen, nur geöffnet dem,
das da kommen sollte.
Immer weiter bogen sich die schimmernden
Blütenblätter auseinander, ein Strom opalisieren-
den Lichts schien aus der Tiefe des noch nicht ent-
schleierten Kelchs emporznqnellen, rosa, golden,
lila, blau und weiß. Duft erfüllte den Raum, wie
Im Salon Kleykamp in Haag in Holland
wurde eine Sonderausstellung der deutschen
Künstlerin Irma Goecke, Dortmund, im
September veranstaltet. Irma Goecke ist in
Deutschland nicht mehr unbekannt, ihre Aus-
stellungen im Frankfurter Kunftverein, der West-
front, in Dresden, Chemnitz, Stuttgart, Hamburg
und Berlin sind seit langem ein Begriff, ihr
Wandbehang in der Dortmunder Handelskammer
maßgebend für moderne dekorative Raum-
gestaltung des bildenden Künstlers zusammen mit
der Architektur. Als Lehrerin der Dortmunder
Kunstgcwerbeschnle hat sie Entscheidendes auf dem
Gebiet der künstlerischen Erziehung auf der
Grundlage sorgsamster handwerklicher Durch-
bildung erreicht, die Textilfachklasse der Schule
verdankt ihr mit Recht den Ruf, führend zu sein.
Wiederum ist diese immer auf der Seite der
Avantgarde zu findende Künstlerin bahnbrechend,
indem sie in Niederland mit ihrer Ausstellung
eine augenblicklich erstmalige Impression
modernen deutschen Kunstschaffens und -wollens
gibt, so daß sich wichtige Bindungen anknüpfen
können.
Wenn Kunst Mittel ist, differenzierte Dinge
im Bild klar und einfach zn sagen, im Einklang
des geistigen Gehalts und
der stilistischen Form,
ohne in das primitive
Pathos aufdringlicher
Tendenz zu verfallen, und
wenn aktuelle Kunst ist,
nicht im Sinne der Tages-
Presse, aber im mensch-
lichen Sinne, lebendig
und zeitgemäß zu sein, fo
tragen die Werke Irma
Goeckes sehr stark den
Charakter absoluter künst-
lerischer Gestaltung. Es
wäre falsch, ihre Arbeiten
als rein dekorative.
Elemente betrachten zu
ivollen. Das sind sie nicht,
wollen es auch nicht sein,
sondern entspringen dem
Streben nach Wieder-
belebung der alten
Gobelinkultur. Die Go-
belinarbeit der alten Zeit
war seriöses künstlerisches
Gestalten erster Art,
kein Behelf. Künstler
von Rang lieferten die
Entwürfe oder führten
aus, es gab bestimmte
vollgewertete Schulen und
Stile, erst später riß
fälschlich die Meinung
von einem mehr zweit-
klassigen, rein schmücken-
den Gestaltungszweig ein.
Die Bildstickerei, die Go-
belinwirkerei suchten auf
ihre Weise dasselbe zu er-
reichen, wie die soge-
nante große Kunst, ledig-
lich die technischen Mittel
waren andere. Dies hat
Irma Goecke erkannt,
und versucht nun, nicht
fälschlich antikisierend,
sondern aufbauend im
Sinne der Moderne,
diesen alten Kunstzweig
zu neuen Zwecken zu be-
leben. Entsprechend ihrer
Sonderart in Einklang
mit der Architektur, rich-
tiger — trotz aller reinen
Bildhaftigkeit — die
Gobelins architektonisch
empfunden zu gestalten,
ist ihr Ziel. Denn diese
Dinge repräsentieren
einen eigenen Kunstzweig,
keine Bildimitation, wie
öfter aus Mißverständnis
versucht wurde.
Die Ausstellung zeigt
Irma Goecke, Handgewebter Wandbchang „Torrcro"
eine berauschende Melodie. Wie ein Silberdiadem
hing der Mond am schweigenden Himmel.
Gebannt stand der Schauende wie zwischen Le-
ben und Tod.
Mit einer von Traum umfangenen Bewegung
entschleierten die letzten verhüllenden Blätter den
nie enträtselnden Kelch. Er schimmerte in erden-
ferner Reinheit und Weiße, ans seinem Grunde
glänzte ein Stern. Er stand im Dunkel der her-
einbrechenden Nacht wie die jahrtausendalte er-
lösende Verheißung, oft verborgen und unver-
gänglich:
Kexinn Virginia. Ilse lönnies.
6Ü6K.18?/ M1.VQW58üNüi QÜQK.1897
8 / 1-13 Ktwv46^l1 133
61^551
k-IOKI k55kkr
OXUI..Kl.I^5O4 KOI.ee ^EK5
scbleiee - irek4e 5ibii^l5. io^ii.i.Od4
sehr interessant drei ver-
schiedene Entwicklungs-
Phasen der künstlerischen
Auffassung: zunächst eine rein dekorative Kost-
barkeit des Materials, exotisch anmutende Vor-
würfe, wie die auf Seide gestickten Masken, das
Liebespaar in der stilisierten Stellung einer alt-
persischen Miniatur. Darauf bricht sich schou eine
vertieftere Auffassung vom Wesen der Gobelin-
kunst durch, noch immer leicht dekorativ, aber schon
auf die reine Prachtwirkung verzichtend, einfaches
Material und einfachere, bildhaftere Themen, wie
der Dompteur, die turnenden Mädchen; der
Torrero in seiner statuarischen Ruhe vor dem
sonueflimmernden Rund einer weiten Arena ist
schon Überleitung zu der letzten Phase, die auf
das dekorative Element verzichtet, zugunsten einer
vertieften Bildhaftigkeit, die in ihrer architek-
tonischen Herbheit einen eigenen Stil findet, weder
kunstgewerblich dekorativ, noch spielerische Bild-
kopie, sondern tatsächlich moderne Gobelinkunst,
die allen Anforderungen genügt. — „Akt mit
Harmonikaspieler" stellt sehr interessant einen be-
kleideten Körper neben einen nackten, und löst das
Raumproblem mit herrlicher Leichtigkeit; „Mäd-
chen mit rotem Hut" baut groß einen Mord vor
sommerliche Landschaft; unglaublich lebendig, trotz
aller strengen Stilisierung sehr amüsant in der
Gliederung, sind die „Tauben"; der „Torso" kommt
über das Dekorative klassischer Elemente zu
eigener wirklicher Klassik. Diese vier letzten großen
Arbeiten sind von einer seltenen Mäßigung und
Irma Goecke, Handgewebter Wandbehang „Torso"
Stille sowohl in der Komposition wie vor allem
auch in der Farbe; sie bezwingen, weil es eine
Ruhe nicht aus Müdigkeit, sondern aus einem sehr
intensiven, subtilen künstlerischen Bewußtsein ist,
das sein eigenes phantasievolles Temperament dem
Werk zuliebe bändigt und gestaltet. Es ist
Spannung in diesen vier letzten Arbeiten, die
Körper stehen frei im Raum vor braunem oder
grauem Hintergrund, der die Weite einer Land-
schaft ahnen läßt; es ist nichts Verspieltes mehr
vorhanden, jede Linie, jede Farbe, jedes Kompo-
sitionselement ist Notwendigkeit, ist bedingt im
Rahmen des Ganzen, und das Ganze wiederum ist
von einer unerhört architektonischen Bildhaftigkeit,
wie man sie nur auf alten Arbeiten findet. Dabei
ein feiner seelischer Ausdruck, der jedoch nicht mit
sich selbst kokettiert und das Formale unvorteilhaft
verdrängt, sondern ein schönes, fast klassisches Aus-
balanciertsein, wie es nicht oft in der deutschen
Kunst zu finden ist, ein Gleichklang von Form und
Inhalt, den zu erreichen nur großer Kunst
möglich ist.
Altirisch ist die Technik der Decke „Paris", die
landschaftliche Eindrücke in wundervoller Auf-
teilung bringt, und als moderne Bilddecke einen
ganz neuen entscheidenden Weg auf dem Gebiete
der Stickerei sucht. Auch hier ein eigener künst-
lerischer Ausdruck, nicht die zum Grauen jeder
guten Stube gewordene übliche Handarbeit. Eine
andere Decke zeigt Eindrücke von einer Schweizer-
reise, dann Entwürfe für eine Decke, die das
Leben auf einem großen westfälischen Bauernhof
schildert, und damit illustrative Möglichkeiten der
Stickerei andeutet, die unbegrenzt scheinen, in Art
und Stilgebung typisch deutsch anmuteu. Eine
mühevolle Seidenstickerei „Die Einsame" beweist
die absolute Bildwirkung, die eine sehr gute
Stickerei haben kann, sie zeigt eine künstlerische
Intensität, die erstaunlich ist, zeigt auch wieder die
unzähligen Möglichkeiten auf diesem Gebiet, wenn
von jedem kitschig-kunstgewerblichen Sichgeheu-
lassen Abstand genommen wird. Freilich sind
Arbeiten wie die von Irma Goecke nur möglich
auf der Basis einer äußerst strengen künstlerischen
Selbstdisziplin im Geistigen und Formalen, und
eines ernsthaften technischen Könnens, das jede
Pfuscherei und jeden Bluff verschmäht. Als
frühere Graphikerin zeigt sie auch sehr schöue Holz-
schnitte.
Eine starke deutsche Künstlerpersönlichkeit, in
ihren Eigentümlichkeiten typisch deutsch, technische
Tradition bewußt aufgreifend und mit dem Geist
der heutigen Zeit erfüllend, sehr weiblich, sehr
künstlerisch. Sie gibt dem Ausland einen Begriff
von dem ehrlichen geistig-künstlerischen Wollen des
heutigen Deutschland. Jenseits jeder Pfuscherei
im Technischen, jeder billigen Stimmungsmacherei
im Geistigen lebt hier eine weltzugewandte, be-
jahende, sormsichere Kunst, die ihre eigenwillige
klare Sprache zu finden weiß, der Zeit und dem
gegenwärtigen Leben verstrickt. Sie zeigt den
immensen Reichtum und die Kühnheit modernen
deutschen Künstlerschaffens, zeigt eine beglückende
Kompromißlosigkeit und Absolutheit der Ge-
staltung, jenseits von Snobismus oder Eigen-
brötelei. Diese Ausstellung ist wichtig als Bahn-
brecherin für ein vertieftes Verständnis gegenüber
dem jungen deutschen Künstler.
0. cke Haun
Schöpfung
und Nachahmung
Aus der Flut der Bücher, die in die germa-
nische Vorgeschichte einführen, heben wir die Arbeit
von Wolfgang Schultz heraus „Alt germa-
nische Kultur in Wort und Bild", er-
schienen München 1934, im Verlage von I. F.
Lehmann; Preis geh. 6,— RM. Wolfgang Schultz
gibt einen Überblick über drei Jahrtausende ger-
manischen Kulturgestaltens, über die Bronzezeit
(1800—800 v. Chr.), die frühere Eisenzeit (800
v. Chr.—200 n. Chr.) und das 3. Jahrtausend, die
spätere Eisenzeit (200—1200 n. Ehr.). Ein un-
geheuer reicher Stoff, streng wissenschaftlich er-
arbeitet, wird vor uns ausgebreitet. Es
wird kaum ein zweites Buch geben, das
die wissenschaftlichen Ergebnisse vorgeschicht-
licher Forschung so sinnvoll an ein größeres
Publikum heranbringt. Ein herrliches Bildmate-
rial läßt uns staunend die Werkkunst unserer Vor-
fahren in tausendjähriger Vorvergangenheit be-
wundern und zeigt uns, wie schon damals Künst-
lerhand schwierige Formprobleme auf Helm,
Steigbügel, Schild, Vasen und Urnen meisterte.
Da schwindet jede voreingenommene Meinung und
Vorstellung naiver Kunst, nur die Sehnsucht wird
wach, diesen Reichtum auf uns wirken zu lassen,
abgebrochene Fäden wieder anzuknüpfen und
Brücken zu schlagen in unsere Gegenwart. Päda-
gogisch klingt das Buch aus und wendet sich gegen
Germanentümelei, die von keiner Kenntnis ge-
trübt ist: „Es schickt sich nie, aus ganz Eigenem
und immer nur durch Aufgreifen und Steigern
schon vorhandener Ansätze und Vorstufen. Und
in diesem Sinne wäre es kaum zu verwerfen, sich
bei Schmuck aller Art von germanischer Zierkunst
anregen zu lassen und die Bildkunst dazu passend
zu gestalten. Es ginge nicht darum, Nachbildung
germanischer Schmuckstücke, die alles, auch die
Schäden und die Patina treulich wiedergeben, zu
tragen, sondern darum, Neues im Geiste des Alten
zu schassen und für geeignete Gelegenheiten und
so, daß keine germanentümelnde Mode daraus
wird. Erst dabei würde man auch allmählich ler-
nen, was man an dem Erhaltenden hat und welche
Anregungen in ihm schlummern." Or.
Der Deutsche Werkbund ist jetzt unmittelbares
Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste.
Die Geschäftsstelle befindet sich jetzt im Verwal-
tungsgebäude der R. d. b. K. in Berlin, Blumes-
hof 5/6, im ersten Stock.
Dort befindet sich auch der Lesesaal der vom
Bunde vor etwa einem halben Jahre eingerichtet
wurde. Es liegen dort mehr als 100 Kunst-
zeitschriften, auch ausländische, zur kostenfreien
Benutzung für jedermann aus. Geöffnet ist der
Lesesaal von 10 bis 17 Uhr. Eine Verlängerung
der Lesestunden ist in Aussicht genommen, was vor
allem von den Berliner Angestellten sehr begrüßt
würde, seit die staatliche Kunstbibliothek nicht mehr
in vollem Umfang zur Benutzung steht.
Herausgeber und Schriftleiter: A. WilliamKönig, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation E. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstraße 118. — Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst der Nation zu richten. Anzeigen-
annahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht
übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung abgelehnt. D.-A. III.V. 5333. Druck von H. S. Hermann - Büxenstein G. m. b. H., Berlin 8XV 19