Nr. 22 Zweiter Jahrgang
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Zweite November-Nr., 1 §34
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Karl Hofer
in der Galerie Niercndorf in Berlin,
Schöneberger Ufer
Man kann vor den neuen Werken Hofers das
durch keine Erschütterungen von Zeit und persön-
lichem Erlebnis geminderte Spiel seiner Kräfte
wiederfinden und sich dieser, durchaus nicht von
vornherein sichergeftellten, Tatsache von ganzem
Herzen freuen. Nicht in allen Bildern, versteht sich;
eine so große Überschau aus uur den letzten Jahren
zeigt mit Notwendigkeit hier und da ein Nachlassen
seiner Spannkraft. Das Wesentliche aber bleibt
bestehen: die Vereinigung mannigfaltiger Vorzüge
einer großen europäischen Tradition guter Malerei
mit denen deutscher Innerlichkeit und idealistischer
Bildkraft. Auch hier wieder entzückt die reife
malerische Kultur, die er in jahrzehntelangem
Ringen in Paris, Rom und Berlin sich erworben
hat, die Feinheit zugleich und Kraft seiner Ge-
staltung. Vielleicht legt er auf diese Mittel
malerischer Form heute mehr Gewicht als etwa
vor zehn Jahren, sie sind es, die ihm den hohen
Rang unter den ersten Künstlern Europas sichern.
Ein Ekstatiker ist er ohnedies nur in seltenen
Augenblicken gewesen: im „Trommler" und
„Dichter", in dem „Selbstbildnis mit Dämonen"
und einigen ähnlichen. Seine Visionen liegen fast
immer im Bereich der Wirklichkeit; man sieht
Akte, Liebespaare, symbolhafte Gestalten, Still-
leben, Landschaften aus dem Tessin. Aber diesen
Dingen verleiht er das unverkennbare Gepräge
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ewigem Wechsel unterworfene Wesen solcher
Themen von Jahrtausenden weiß er in die Form
des unanzweifelbar in sich Bestehenden zu gießen.
Sie werden unter seinen Händen zu Offen-
barungen eines tief Persönlichen, durch Kata-
strophen geläuterten Er-
lebens und wirken darum
in allen Fassungen wie-
der neu und bezwingend.
Wie wenig es bei Hofer
meist auf das Gegen-
ständliche, wie stark auf
die Formulierung aü-
kommt, sieht man bei der
Gegenüberstellung von
ruhigen, oft schon durch-
komponierten Dingen, wie
den Halbakten, Liebes-
paaren und den Land-
schaften auf der einen —
und den erregten Schil-
derungen menschlicher Si-
tuationen auf der ande-
ren Seite. Aus seinen
letzten Jahren treten von
solchen nur zwei hervor:
„Die Wächter" und
„Alarm". In beiden fin-
det sich eine gewollte Dis-
sonanz: bei den zwei
Wächtern ist sie räum-
licher Art, die dekorativen
Hintergrundflächen gehen
nicht mit der landschaft-
lich nächtlichen Situation,
dem Monde usw., zu-
sammen. Im „Alarm"
kommt sie aus der Ge-
staltnng: herrlich ist der
über Unentrinnbarem
brütende Mann, eine
ganz innerliche Gestalt —
und er soll nun anfge-
schreckt werden durch deu
trompetentragenden an-
dern mit seinem düster-
roten Hintergrund. Das Problem ist nicht rein
bildmäßig gelöst, Gedankenhaftes überwuchert:
es wäre angesichts der Größe des vom
Schicksal Geschlagenen nicht nötig gewesen, ihn mit
der Not des Augenblicks zu behelligen. Hier
scheint der Zwang, sich von persönlichsten Ein-
drücken zu befreien, unüberwindlich gewesen
zu sein.
In den Liebespaaren, am besten in den beiden
sich umschlungen haltenden Akten, in den drei
Jünglingen im Walde und in den wundervollen
Halbakten sehr junger Mädchen spricht sich Hofers
Anschauung vom Dasein ganz rein und in zartester
Empfindung aus. Es sind die am besten gemalten
Bilder; aber das wäre noch nicht das Ganze, noch
nicht Vollendung bei einem so innerlichen
Künstler. In diesen Zustandsbildern aber ist das
Gefühl der Einsamkeit und die Melancholie der
Kreatur so stark ausgedrückt wie kaum in der
dramatischsten Erfindung. Das Geistigste seiner
Art lebt in der Verlassenheit solcher Geschöpfe;
sie sind der wahre und rührende Ausdruck innerer
Bedrängnisse und darum so glücklich und nobel ge-
raten und mit stärkerer Sinnlichkeit ausgestattet.
In ihnen findet sich auch kaum mehr das Ent-
stellen seiner Gestalten ins Asketisch-Schmächtige,
obwohl sie immer noch einen starken Gegensatz zu
der Lebensfülle seiner frühesten Bilder darstellen
und in der Schlankheit ihrer Formen die rechten
Träger von Lebensangst und stiller Schwer-
mut sind.
Die Tessiner Landschaften spiegeln die Be-
sänftigung der Seele vor der Natnr in aller-
schönster Form; in dem tiefen Blau und Violett
der Berge, in der flächenhaften Anmut der Weißen
Dörfer und Gebäude. Die Sanftmut und edle
Einfachheit der Natnr in den Südalpen strömt auf
den Künstler über, und er dankt ihr mit vollen
Händen und in überschwänglicher Reihung immer
neuer Abbilder seines Landschastsglückes.
Zuletzt, und mit gesammelter Freude des
Wiedererkennens, wendet man sich zu den
Zeichnungen. Der Zauber seiner leisen Verwand-
lung der Wirklichkeit liegt in ihrem Kontur, in
der Kraft der Physiognomien und Faltenlagen be-
schlossen; der Umriß schon sagt alles und mit aus-
drucksvollster Natürlichkeit. Die Intensität, mit
der die Deutschen seit je der Natur ihre tiefsten
Ein bekannter Kunstkritiker der Zeit, Karl
Scheffler, hat in einem Aufsatz des Insel-
Almanachs 1916 Goethe und Schiller als typische,
innerhalb der ganzen Kunst des 19. Jahrhunderts
wiederkehrende Offenbarungen des deutschen
Geistes gegenübergestellt. Dem Schiller-
Typus entsprächen die Nazarener und Deutsch-
Römer; „denn sie gingen alle von Vollkommen-
heitsideen ans und suchten rückwärts für ihre
spekulativen Ideen die Körper". Dem Goethe-
Typus entsprächen dagegen „Wirklichkeitsmaler,
wie Leibl und Trübner, Menzel und Liebermann,
weil sie alle streng von der Anschauung ausgingen
und weil in ihrer richtigen Intuition alles und
weit vollständiger lag als in der Spekulation der
Idealisten". Dem Schiller-Deutschen gehöre in
der bildenden Kunst fast unumschränkt die
erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, während die
Goethe-Deutschen in der zweiten Hälfte das Über-
gewicht hätten. Im gewissen Sinne bewege sich
der ganze Impressionismus im Geiste Goethes;
denn er suche stets das Wirkliche zum Idealen zu
steigern, nie aber suche er von einer Jdealvor-
Geheimnisse nur durch die Linie entlockt haben,
beflügelt auch die herrlichen Blätter, in denen
Hofer fast nur Akte und junge Mädchen dargestellt
hat; Erfindungen oder Umbildungen seiner
Phantasie, die alles adelt und zu seinem vor-
bestimmten geistigen Gehalt erhebt, was er mit
dem Stift berührt. ? au 1
stellung herab in zweiter Linie erst das Wirkliche.
In der letzten Zeit mache sich dagegen wieder ein
Rückschlag bemerkbar, ein Denken von der speku-
Photo: Schuch, Berlin
lativen Idee ans und infolgedessen eine starke Be-
tonung des „Stils". Es scheine, als ob dieser,
Schiller verwandten Geistesrichtung die nächsten
Jahrzehnte gehören sollten. Innerhalb der
heutigen Dichtung vertrete Richard Dehmel den
Schiller-Typus. — Beide Typen ständen sich bei
uns schroff gegenüber, während Dichter wie
Tolstoi, Dostojewski und Ibsen eine glückliche
Mischung von Anschauung und Idee offenbarten.
Der französischen Kunst sei ein Idealismus
Schillers fast ganz fremd. — In der Politik be-
zeichne Bismarck den Goethe-Typus, denn er
leite das Gesetz des Handelns in erster Linie aus
der Erfahrung, aus der Anschauung ab, gelte
daher mit Recht als Realpolitiker. Eine Partei
wie die Sozialdemokratie gehe im wesent-
lichen von einer Idee der Entwicklung aus und
suche die politischen Tatsachen dieser abstrakten
Idee anzupassen. Die Denkweise Bismarcks neige
zur Skepsis, die der Sozialdemokratie zur Utopie.
So ständen sich auch in der Politik Ideologie und
materialistische Zweckmäßigkeitsbetrachtung gegen-
über. — Beide Typen hätten eigentümliche Ge-
fahren im Gefolge. Der Schiller-
Deutsche suche „die Realitäten einer mehr oder
weniger fernen Zukunft vorwegzunehmen und
gerate dadurch leicht in Konflikt mit den Forde-
rungen der Gegenwart; der G o e t h e - D e u t s ch e
dagegen suche alles im Sinnlich-Gegenwärtigen
aus und verliere leicht den Weitblick für die Fülle
der Möglichkeiten. Der Goethe-Deutsche neige
zum Naiven, der Schiller-Deutsche zum Sentimen-
talen. Fehle der hohe menschliche Grad, so sänke
Schillers mächtiger Idealismus gleich zum
Redensartlichen herab, so gerate Goethes phan-
tcllwvoller Realismus gleich ins Gemeine. Alles
lumme voraus an, vaß gcy bewe Typen „aus
halbem Wege begegnen" (wie sich die beiden
Dichter begegneten und einen für beide frucht-
baren Freundschaftsbund schlossen), indem der
Schiller-Deutsche „mit keuschem und treuem Sinn"
die Erfahrung suche und der Goethe-Deutsche mit
selbsttätiger freier Denkkraft das Gesetz. Solche
Vereinigung sei eine nationale Aufgabe, wie
Schiller und Goethe einander ergänzende Re-
präsentanten des nationalen deutschen Klassizismus.
Goethe und Schiller! In diesem
Freundes- und Dichterpaar verehrt das deutsche
Volk die größten Schöpfer seiner Literatur. Das
„und", welches beide Namen verbindet, ist mehr
als eine bloße äußere Wortbindung. Es deutet
auch im Sinne des Inhaltes auf Ergänzung und
damit auch auf Verschiedenheiten. Man Pflegt dem
„Realisten" Goethe den „Idealisten" Schiller
gegenüberzustellen. Dies ist an sich eine grobe,
schematische Betrachtungsweise, aber sie entbehrt
nicht ganz der Unterlage. Bei aller Gemeinsam-
keit ihrer ans Veredelung des Menschentums, auf
Humauität gerichteten Ziele waren beide Männer
in der ursprünglichen Geistes- und Körperanlage
ebenso verschieden wie in den Wegen und Mitteln
zur Erreichung ihrer Ziele, verschieden auch in
dem äußeren Gang ihres Lebens.
Schauen wir beide Gestalten mit Plastischem
Auge, so sehen wir Goethe vor uns als den ab-
geklärten Mann, mit ruhiger Gebärde und weit
geöffnetem Weltauge, Schiller als den begeisterten
Priester, der mit funkelndem Blick für seine hohe
Sache wirbt; Goethe den allzeit „Spielenden",
Schiller, den Ernsten, der das Wort prägte: „Nur
dem Ernst, den keine Mühe bleichet, Rauscht der
Wahrheit tief versteckter Born". (Ein charakte-
ristisches Wort des 60jährigen Goethe lautet: „Nur
nichts als Prosession betreiben! Das ist mir zu-
wider . . . Ich will alles, was ich kann,
spielend treiben und solange die Lust daran
währt. So hab ich mit meiner Jugend gespielt,
unbewußt; so will ich's bewußt fortsetzen durch
mein übriges Leben". — Daß auch Schiller trotz
eines ihm von Natur stärker als Goethe inne-
wohnendes Hanges zum Ernste und Schweren den
„Spieltrieb" (im höheren Wortsinne) zu würdigen
wußte, das beweisen seine Ausführungen im
15. Briefe über die Erziehung des Menschen, be-
sonders sein berühmter Ausspruch: „Der Mensch
spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes
Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch,
wo er spielt". Goethe ist freundlich mit
vollem Vertrauen der Sinnenwelt zugewandt,
Schiller bestrebt, sie durch Ideen, durch Geistiges
umzuformen; auch Goethe ist erfüllt von dem
Drange die naturgegebene Wirklichkeit zu ver-
edeln, aber ohne sie — im Unterschiede von
Schiller — in ihrer Eigenart zu stören, mehr dar-
auf gerichtet, den verborgenen Jdealgehalt aus
jeder Natur ans Licht zu fördern, als diese Natur
einer von außen an sie herangetragenen Idee zu
unterwerfen; Goethe infolgedessen von größerer
Duldung gegenüber dem Individuellen, das
Schiller in Übereinstimmung mit einem diesem
an sich fremden Allgemeinen bringen möchte, wes-
halb er „moralisierender" eingestellt ist; Goethe
Karl Hofer, Zwei Frauen am Meer
Schiller und Goethe
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I. M. Verwehen, Bonn