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Kunst der Nation — 2.1934

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Schauer, G.K.: Joachim Lutz
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Carls, Carl Dietrich: Der Dramaturg von heute über Schiller
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Reuß, H.: Arbeiter sammeln Graphik
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Haftmann, Werner: Schuhmacher
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Kunst der Nation

Joachim Lutz
Zwei Fragen erheben sich, wenn man an die
Arbeiten jnnger Künstler herantritt, deren Lei-
stungen erst im kleineren Umkreis bekanntgewor-
den sind und deren Name noch nicht in das
Gedächtnis der Kenner und Beurteiler eingegan-
gen ist. Die erste Frage lautet: Hat der Dar-
steller sich den Lebensbereichen, zu denen ihn die
Umstände und seine Neigungen geführt haben,
wirklich aufgeschlossen und hingegeben? Und die
zweite: Zeigt sich in seiner Darstellungsart die
schöpferische, dichterische, künstlerische Krast, die
allein eine Ausdeutung und Klärung wertvoller
Anschauungsinhalte verbürgt? Wer die kürzlich in
den Räumen der Galerie Gurlitt, Berlin, aus-
gestellten Arbeiten von Joachim Lutz gesehen hat,
wird für diesen 1906 im Südwesten Deutschlands
geborenen und ausgewachsenen Künstler die beiden
Fragen mit einem vorbehaltlosen Ja beantwor-
ten. Akademien in Weimar und Stuttgart hal-
fen dem früh Beginnenden, mehr noch aber
brachten es Begabung und Fleiß mit sich, daß die
technischen Fertigkeiten zu einem erstaunlich
frühen Zeitpunkt außerhalb aller Problematik
standen. Die tiefe Neigung zu den Landschaften
des Bauernbrueghel und zu den Zeichnungen
der Romantiker leuchtet aus seinen ebenso ding-
freudigen wie empfindungsreichen Formungen
wie ein schönes Jugenderlebnis, ein Bildungs-
erlebnis, das wie jede gute Tradition die Er-
findung nicht lähmt, sondern fördert. Gleichsam
wie drei Jahresringe haben sich bis zu diesen:
Zeitpunkt nm den Begabungskern des jungen
Künstlers drei Lebensbereiche gelegt, die, inhalt-
lich sehr verschieden, ein Bild von der Schaulust,
der Reichweite, der Erlebnisfreudigkeit des Wer-
denden vermitteln. Joachim Lutz hatte das Glück,
die wissenschaftlichen Feldzüge des Afrikaforschers
Frobenius als Expeditionsmaler mitznmachen,
wobei ihm die Helle der zentralafrikanischen Land-
schaft und die großformige Plastik des dunkel-
häutigen Menschen aufging. Das Mittelmeer-
gebiet mit seiner zarten Linienklarheit, seinen
südlich heiteren und bizarren Landschafts-, Tier-
und Menschenformen bestimmte den zweiten
Abschnitt seines Arbeitens und liegt in einer
reifen Fülle von großen, vorwiegend rein linearen
oder ausgetuschten Zeichnungen vor. Das Wirken
im heimatlichen Bereich, zu dem im weitere::
Rahmen auch die holländischen und polnischen
Bildzhklen gehören, nimmt als eine dritte und
jüngste Schicht den breitesten Raum ein. Hier
zeigt sich wieder einmal, daß die Heimat am ehe-
sten auf dem Umweg über die Fremde gefunden
wird. Neckarlandschaften und Blätter voller
Blütenentdeckungen erstehen in köstlich Weichen,

rein hingetnpften Aquarellfarben, neben die
Putzig ausdrucksvollen südländischen Eselchen
treten die feinnervigen Rehe; den monumentalen,
fast Plastischen Afrikanerköpfen steht die lange
Reihe deutscher Antlitze gegenüber, in deren Ver-
geistigung und Charakteristik der bisher von dein

Künstler erreichte höchste Gipfel feines Könnens
zu erblicken ist. Die Aussonderung des Un-
wesentlichen, die offene und reine Hervorkehrung
des Seelengesetzes der Persönlichkeit, dafür hat
Joachim Lutz eine eigene Strich- und Pinsel-
führung gefunden, die bereits als meisterlich be-
zeichnet werden kann und manchen Kenner ver-
anlassen wird, mit Hoffnung und Spannung
seinen weiteren Weg zu verfolgen. 6. L. 8.

greifen. Er deutete die Geschichte, aber er tat es
von der höchsten menschlichen Warte aus. Welche
tiefe Achtung er als Dramatiker vor den Tatsachen
der Geschichte besaß, geht hervor aus seinem Auf-
satz über Goethes „Egmont", iu den: er Goethe
alle Abweichuugeu von der historischen Wahrheit,
die seiner Meinung nach
ohne Zwang vorgenom-
men waren, vorrechnet.
Eine Umdeutung der Ge-
schichte, wie sie vorliegt,
wenn beispielsweise in
einen: Widukind-Drama
der Sachsenherzog als
ideale Armin-Figur uud
Karl der Große als Böse-
wicht dargestellt wird,
hätte Schiller nie unter-
laufen können.
Schillers Deutung der
Geschichte setzt ans höh»
rer Ebene ein. Uber
die in der Geschichte
widerstreitenden Mächte
läßt er die moralische
Größe, das moralische
Gesetz triumphieren. So
legt er, indem er immer
wieder die edlen Kräfte
in: Menschen anrnft, das
Große in: Leben und Ge-
schichte hinein und sucht
es uicht darin. Er um-
spannt die weiten Räume
der Geschichte ebenso wie
die inneren Bezirke tiefer
Menschlichkeit. „Schiller
hat mich zu einen: bes-
seren, freieren Men-
schen gemacht", bekannte
der jüngere Voß voi:
seinen: persönlichen Ver-
kehr mit dem Dichter,
und viele ähnliche Zeug-
nisse ans den letzten
Lebensjahren Schillers
gibt es. Von dieser
erhebenden Kraft eines
heroischen Menschen-
herzens, das selbst an
der Welt litt und dennoch nicht nur nicht ver-
zweifelte, sondern den Weg zu einer höheren Frei-
heit fand und ihn anderen wies, verspüren wir
uns mit stärkerer Gewalt denn je erfaßt. Bon ihr
geht der starke innere Anruf ans, den der Theater-
besucher heute von der Bühne erwartet. Darum
tritt notwendig Schiller in den Spielplänen immer
stärker in den Vordergrund.
Bekenntnis zu Schiller, heute abgelegt, um-
schließt für das Theater die Bereitschaft zu ueueni
Einsatz und die Verpflichtung, sich selbst zu prüfen.
Schiller setzt den Mut zum Theatralischen voraus,
die Entschlossenheit zur großen, ungebrochenen Be-
wegung und Sprechweise. Andererseits ist uns
heute nichts unleidlicher als verdicktes Pathos und
ausgehöhlte Bewegung. Die stählernen Bogen zu
bauen, aus denen der Geist dieser Dichtungen voll
nnd feurig ausschwingeu kann, ohue daß jene Ge-
fahren gestreift werden, ist wichtigste Aufgabe der
Schiller-Regie. Zugleich erhebt sich die Frage der
Schiller-Bearbeitungen. Die Bühne einer jeden
Zeit ist an bestimmte dramaturgische Voraus-
setzungen gebunden; immer von neuem muß die
Übereinstimmung zwischen der Dichtung und den
Realitäten der Bühne, der Beschaffenheit der Dar-
steller und des Publikums wie auch der allge-
meinen Willensrichtung der Zeit hergestellt wer-
den. Schiller selbst hat über Bühnenbearbeitnngen
außerordentlich freizügig gedacht; es gibt von ihm
unter anderem eine recht drastische Bearbeitung
des „Egmont". In der Frage der Schiller-
Bearbeitungen engherzig zu sein besteht also kein
Grund. Wenn aber übereifrige Regisseure heute
glauben, den „Tell" dadurch zeitnah machen zu
müssen, daß sie ihn mit textlichen Einfügungen
und einer Schlnßapotheose versehen, so ist zweifel-
los ein Irrweg beschritten. Schiller ist uns in:
Geist heute so nah, daß derartige Experimente
nicht nur überflüssig, sondern verfehlt sind. Jin
Gegenteil sollte das Theater gerade durch das
tiefere Eindringen in sein Werk zu einer neuen
Verantwortung auch gegen die dichterische Form
gelangen. Carl O 1 6 trieü 6 a nI K
Arbeiter
sammeln Graphik

Der Dramaturg von heute
über Schiller

Wisse, ein erhabner Sinn
Legt das Große in das Leben,
Und er s u ch t es nicht darin.
(Ans Schillers „Die Huldigung
der Künste")
Es gibt in der Geschichte des Theaters jene
geheimnisvollen Fernwirkungen, durch die ein
Genius über die Zeiten hinweg hestimmend in die
Entwicklung eingreift. Der Eintritt Shakespeares
in das Bewußtsein der deutschen Nation im acht-
zehnten Jahrhundert, durch den das ganze deutsche
Theater erneuert wurde und zu sich selbst fand, ist
dafür das große unvergleichliche Beispiel. In ver-
schiedener Stusung wiederholen sich in^ der
Theatergeschichte ähnliche Erscheinungen. Heute
scheint eine solche verstärkte Fernwirkung von
Schiller auszngehen. Seine Dramen, längst un-
verlierbarer Besitz der ganzen Nation, sind immer
gespielt und verstanden worden. Aber vielleicht
war die Stunde nie so günstig wie heute, um die
Ganzheit der geistigen Erscheinung Schillers im
Theater durchzusetzen. Daß für fein Werk wie
selten zuvor der Boden bereitet ist, haben die ersten
Spielmonate dieses Theaterjahres, hat nicht zuletzt
auch der Erfolg der Schiller-Feiern und -Fest-
spiele in diesen Wochen gezeigt. Überall gehören
augenblicklich Ausführungen der „Räuber", des
„Tell" und des „Don Carlos" zu den größten und
mitreißendsten Theatererfolgen. So fiel die

175. Wiederkehr von Schillers Geburtstag zu-
sammen mit einem Anwachsen seines Einflusses
auf die Willensrichtung des deutschen Theaters.
Die eigentliche Ursache der tiefen Auf-
geschlossenheit für Werk und Wort Schillers liegt
in dem Verlangen des deutschen Menschen, das
Große wieder anzuschauen, ungebrochen und unan-
getastet. Von der richtungslosen Psychologischen
Zerfaserung hat sich eine weitreichende Abkehr
vollzogen; das tiefere Interesse wendet sich Be-
zirken zu, in denen der Mensch, unter höhere
Gesetze gestellt, handelt und zur Erfüllung seiner
selbst strebt. Es kommt hinzu der verstärkte Sinn
für das Historisch-Politische, der unserer Zeit
eignet; auch er findet tiefe Erfüllung im Erlebnis
der Welt Schillers. Denn Schillers Drama ist
Politisch, ist es in dem umfassenden Sinn, den
man sich denken kann. Schiller, dem die Ver-
senkung in die Offenbarungen des menschlichen
Geistes in Geschichte und Philosophie als Mittel-
punkt allen Denkens galt, mußte in sein Drama
notwendig auch die menschlichen Ordnungen der
Welt aufnehmen. Der Staatsgedanke war ihn:
Hauptelement der dramatischen Wirklichkeit, inner-
halb derer er den Menschen handeln und sich ent-
scheiden ließ. Ausgangspunkt war für ihn nicht
diese oder jene konkrete Politische Wirklichkeit der
Gegenwart oder Vergangenheit, sondern er ver-
suchte jenseits aller naturalistischen Tendenzen der
Geschichte Spiel und Widerspiel in ihr zu um-


Paula Modersohn, Selbstbildnis I!lÜ4/Vö


Luz, Amsterdam. Federzeichnung

Alfred Lichtwarks Kuusterziehung wirkt in
Hamburg uoch heute, das zeigt die Arbeit, die der
Volksschullehrer Johanues Böse in seiner
„G r i f f e l k u n st v e r e i n i g u n g" geleistet hat,
in einem Kreis einfacher Arbeiter der Vorstadt-
siedlung Langenhorn.
Vorträge werden hier nicht gehalten, auch sonst
wird nicht viel geredet oder an den Leuten herum-
erzogen, hier faßt man das Problem Praktisch an,
indem echte Kunst wirklich unters Volk gebracbt
wird. Für einen Monatsbeitrag von 1,20 M.
kann sich jedes Mitglied alle Vierteljahr unter
sechs Originalgraphiken eine nach eigener Wahl
anssuchen. In diesen: selbständigen Wählen liegt
gerade das Geheimnis des Erfolges, denn natürlich
möchte jeder für sein erspartes Geld auch das beste
Blatt haben. Daß diese Einschaltung des gesunden
Egoismus zu kritischer Beobachtung, zu gründ-
lichem Vergleichen und so zum Sehen und all-
mählichen Verständnis führt, sah man in einer
sehr übersichtlich geordneten Archiv-Ausstellung,
Blätter, die in zehnjährigem Bestehen verteilt
wurden. Auf jedem Blatt ist die Zahl vermerkt,
wie häufig es gewählt wurde. Und da zeigt sich
deutlich, daß alles, was äußerliches Experiment
ist, dünn oder leer, abgelehnt wird. Dagegen sind
die Blätter von wirklich künstlerischem Gehalt —
auch wenn sie schwerer zugänglich waren — mit
erstaunlich sicheren: Gefühl, das von Mal zu Mal
wächst, am häufigsten gewählt. Aber nicht nur
die Mitglieder werden gefördert, die auf diese

Weise echte Kunstwerke ins Haus bekommen und
so im steten vertrauten Umgang Geschmack und
Urteil bilden, sondern auch die Künstler. Ideell,
indem sie nichts ins Blaue hinein schaffen, sondern
Aufgaben für einen aufnahmebereiten Kreis ans
dem Volke erhalten, wirtschaftlich, indem diese
Vereinigung von einfachen Arbeitern und kleinen
Angestellten in den zehn Jahren etwa 45 000 M
an Künstler ansbezahlt hat. Und diese Einnahmen
kamen ihnen restlos zugute, da alle Verwaltungs-
arbeit ehrenamtlich geleistet wird. U. Uauk

.fiiiiAe Lertiner Liläkauer:
Schuhmacher
Die Entwicklung unserer neuen Bildhauerei
ist eine doppelte gewesen, zweifaches Denken und
zweifache Voraussetzung ließen das persönliche
Schaffen isolierter werden, als es unserer Vor-
stellung von Zeit und Generationseinheit eigent-
lich zusagte. Aber heute siud wir ja so weit,
uusere Vorstellung über die künstlerische Bildung
nicht mehr fordernd zum ästhetischen Gesetz aus-
zuformen. Aus der Forderung ist die Deutung
geworden. Die Kunst diktiert unsere Vorstellung,
nicht unsere Vorstellung die Kunst. So gesehen
verliert die Vielfalt der heutigen Bildmöglich-
keiten das Bedrückende, sie wird als Reichtun:
bewußt, weil wir sie nicht mehr mit der Formel
der Einheitlichkeit messen.
Es ist kein Zufall uud zeigt diese innere Dop-
pelheit, daß als Maillol in Deutschland wirksam
zu werden begann, Lehmbruck seine innerlich zu-
tiefst gegensätzliche Form erarbeitete. Und heute
ist die Lage ganz genau so, da ist Scharff, aber


Schuhmacher, Holzplastik

auch Gieß, da ist Albiker, aber auch Barlach, uud
in der Malerei ist es nicht anders, neben Hofer
steht Nolde. Es ist leicht zu erkennen, wo die
innere Scheidung liegt. Sie liegt in der Inter-
pretation des Begriffs Kunst, die sich eimnal nach
feiten der Form entscheidet, das anderemal nach
Seiten des Gehalts. Form und Inhalt, das be-
deutet auch Klassik und Expression, sind die beiden
wesentlichen Begriffe, um die sich die einzelnen
Kunstbekenntnisse sammeln. Die Entscheidung
kann nicht vom Künstler denkend gefällt werden,
sie liegt bereits in seiner persönlichen Disposition.
Der Bildhalter Schuhmacher entschied sich zu
Seiten der Expression. Seine bildhauerische Arbeit
ist kein Erfahren, sondern ein Ausdrücken, sie
kommt nicht von der Natur her, sondern von:
Sinn, der notwendig zu sagen für ihn ist. Diese
Unterscheidung ist höchst wichtig, denn sie berührt
Grundsätzliches der Kunst. Die Gestaltungsmög-
lichkeit, die von der Natur ausgeht und äußere
Formen durch einen besonderen Vorstellungsakt
iu küustlerische Formen umsetzt, schaltet hier aus.
Die Form schafft sich von innen, sie wird Ver-
körperung seelisch bedeutsamer Momente, nicht
 
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