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Ludwig- David. Winterlandschaft.
ZUR GESCHICHTE DER KÜNSTLERISCHEN BESTREBUNGEN
IM WIENER CAMERA-CLUB.
Die Geschichte der künstlerischen Bestrebungen auf dem Gebiete der Photographie ist die
Geschichte der Photographie selbst.
Schon auf dem alten Daguerreotype finden wir die Anläufe dazu, dem rein Mechanischen der
neuen Kunst auszuweichen und eine gewisse Empfindung in die Darstellung zu legen. Die Mutter, die
auf ihr Töchterchen hinabblickt, das wiederum zärtlich zu ihr hinaufschaut, der Jüngling, der, graziös auf
zwei Finger gestützt, schwermüthig sinnend vor sich hinträumt — sie mögen unserem heutigen Geschmacke
nicht mehr entsprechen, aber sie sind nichtsdestoweniger künstlerisch erfasst im Sinne der damaligen
sentimentalen Zeit, wo jede Empfindung erst durch das Taufwasser salziger Thränen geheiligt werden musste.
Als dann die bildende Kunst in ihrer Darstellungsweise aus dem Empfindungs-Dusel in den
„Schönheits“-Dusel umschlug und die glatte süssliche Seelenlosigkeit ihre Triumphe feierte, machte die
Photographie diese Schwenkung mit, wobei ihr die neue Erfindung der Negative-Retouche entscheidend
zu Hilfe kam, denn damit war ein Mittel gegeben, den Tyrannen noch zu Übertyrannen, eine Glätte
zu erzielen, gegen die der Pinsel des Malers entsprechend seiner Herkunft als borstig erscheinen musste,
ein Mittel, um zu Gunsten der sogenannten Schönheit den letzten Rest von Individualität aus einem
Bildnisse gründlichst auszugleichen und zwar ohne „Ansehung der Person“, hinter dem schwarzen Tuche
des Retouchirpultes.
Und — merkwürdig genug — auf diesem Standpunkte ist die Photographie in ihrer Allgemeinheit
stehen geblieben und zu Eis erstarrt, so tritt sie uns ohne wesentlichen Fortschritt nach drei Jahrzehnten
noch heute entgegen. Das Wiederaufleben der Renaissance, die tiefere Auffassung der Lenbach, Bonnat,
Herkomer mit ihrer breiteren Pinselführung sind spurlos an ihr vorübergegangen, die Daubigny und
Corot, die in der Landschaft begannen, das Detail zu Gunsten der Gesammtstimmung zu vernachlässigen,
haben für sie umsonst gelebt; der alte Blättchenzähler hat Recht behalten!
Mit der Erwähnung dieser Thatsache soll nicht etwa der Unterschied der Berufsphotographie
gegenüber dem Amateurwesen gekennzeichnet werden. Bei der Legion von Amateuren, die die Strassen
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Ludwig- David. Winterlandschaft.
ZUR GESCHICHTE DER KÜNSTLERISCHEN BESTREBUNGEN
IM WIENER CAMERA-CLUB.
Die Geschichte der künstlerischen Bestrebungen auf dem Gebiete der Photographie ist die
Geschichte der Photographie selbst.
Schon auf dem alten Daguerreotype finden wir die Anläufe dazu, dem rein Mechanischen der
neuen Kunst auszuweichen und eine gewisse Empfindung in die Darstellung zu legen. Die Mutter, die
auf ihr Töchterchen hinabblickt, das wiederum zärtlich zu ihr hinaufschaut, der Jüngling, der, graziös auf
zwei Finger gestützt, schwermüthig sinnend vor sich hinträumt — sie mögen unserem heutigen Geschmacke
nicht mehr entsprechen, aber sie sind nichtsdestoweniger künstlerisch erfasst im Sinne der damaligen
sentimentalen Zeit, wo jede Empfindung erst durch das Taufwasser salziger Thränen geheiligt werden musste.
Als dann die bildende Kunst in ihrer Darstellungsweise aus dem Empfindungs-Dusel in den
„Schönheits“-Dusel umschlug und die glatte süssliche Seelenlosigkeit ihre Triumphe feierte, machte die
Photographie diese Schwenkung mit, wobei ihr die neue Erfindung der Negative-Retouche entscheidend
zu Hilfe kam, denn damit war ein Mittel gegeben, den Tyrannen noch zu Übertyrannen, eine Glätte
zu erzielen, gegen die der Pinsel des Malers entsprechend seiner Herkunft als borstig erscheinen musste,
ein Mittel, um zu Gunsten der sogenannten Schönheit den letzten Rest von Individualität aus einem
Bildnisse gründlichst auszugleichen und zwar ohne „Ansehung der Person“, hinter dem schwarzen Tuche
des Retouchirpultes.
Und — merkwürdig genug — auf diesem Standpunkte ist die Photographie in ihrer Allgemeinheit
stehen geblieben und zu Eis erstarrt, so tritt sie uns ohne wesentlichen Fortschritt nach drei Jahrzehnten
noch heute entgegen. Das Wiederaufleben der Renaissance, die tiefere Auffassung der Lenbach, Bonnat,
Herkomer mit ihrer breiteren Pinselführung sind spurlos an ihr vorübergegangen, die Daubigny und
Corot, die in der Landschaft begannen, das Detail zu Gunsten der Gesammtstimmung zu vernachlässigen,
haben für sie umsonst gelebt; der alte Blättchenzähler hat Recht behalten!
Mit der Erwähnung dieser Thatsache soll nicht etwa der Unterschied der Berufsphotographie
gegenüber dem Amateurwesen gekennzeichnet werden. Bei der Legion von Amateuren, die die Strassen