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Die Kunst in der Photographie — 1.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.41388#0023
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Joli. Otto Treue, Berlin.

Motiv aus Klein-Machnow.

DIE OPTISCHEN TÄUSCHUNGEN M DIENSTE DER
BILDENDEN KUNST.

er auch immer, sei er Zeichner, Maler oder Photograph, sich mit der künstlerischen Wiedergabe
von Gegenständen unserer Umgebung beschäftigt und sich gewöhnt hat, mit kritischem Auge zu sehen,
der wird es an sich erfahren haben, wie oft die Versuchung einer optischen Sinnestäuschung an uns
herantritt. Selbst der geübteste Künstler wird in vielen Fällen ein Opfer solcher Täuschungen, ohne
sich ihrer überhaupt erst bewusst zu werden. Namentlich für den, der sich mit der künstlerischen
Aufnahme von Bauwerken beschäftigt, gilt diese Gefahr; unser Auge ist gar zu leicht geneigt, bei der
Anschauung solcher Gegenstände, deren einzelne Flächen von graden Linien, Winkeln und Bögen begrenzt
sind, sich allerlei Irrungen hinzugeben, in deren Folge die Auswahl des Standpunktes für die Aufnahme
nicht immer die glücklichste ist, während bei rechtzeitiger Erkenntniss solcher Irrungen oft der künstlerische
Werth des Bildes in der vortheilhaftesten Weise beeinflusst werden kann.
Doch auch bei der Wiedergabe von Landschaftsstimmungen, Portraitgenres u. dergl. können
zuweilen, hier namentlich durch die Zusammenwirkung von Form und Farbe hervorgerufen, dergleichen
unliebsame Augentäuschungen auftreten, dere i Vermeidung für das Kunstwerk von Werth ist.
Es wird darum, namentlich für den j debhaberphotographen, der der Aufgabe lebt, das natürliche
Bild in seiner günstigsten Erscheinung wiederzi ■jeben, von Interesse sein, mit mir die optischen Täuschungen
und ihre Bedeutung für die Anschauung körperlicher Gebilde etwas näher zu betrachten.
Die optischen Täuschungen*) sind eine besondere Gruppe der sogenannten „Sinnestäuschungen“
’m Allgemeinen, d. h. derjenigen Vorgänge in unserem Sinnesleben, bei denen wir Wahrnehmungen
haben, als deren veranlassende Ursache wir den Eindruck äusserer Objekte auf unsere Sinne voraussetzen,
ohne dass solche in der der Wahrnehmung ntsprechenden Gestalt wirklich vorhanden wären. —
Also in einem Trugschluss unseres denkenden Gehirns beruht eine jede Sinnestäuschung, und
v°n allen Sinnesorganen neigt unser Auge • 1 leichtesten dazu hin, solche Trugschlüsse des Gehirns zu
veranlassen. Der Künstler hat mit dieser menschlichen Schwäche nicht allein bei der Anschauung zu
rechnen, sondern auch bei der Gestaltung seines Kunstwerks selbst. Wie werden sehen, wie vor Allen

*) Vergl. Prof. Hügenien „Ueber Sinnestäuschungen“, Helmholtz’ „Physiologische Optik“.
 
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