Charles H. L. Emanuel.
Motiv aus Le Tréport.
DIE ENGLISCHE SCHULE DER KÜNSTLERISCHEN
PHOTOGRAPHIE.
THEILS auf Ansuchen, theils aus eigenem Antriebe möchte ich an dieser Stelle einige Bemerkungen über
die malerische Photographie, wie sie sich in der englischen Schule entwickelt hat, machen. Wer in
der Photographie selbst dort, wo sie vollkommen schöpferisch und zielbewusst auftritt, nicht ein un-
bedingt künstlerisches Verfahren erkennen will, kann eigentlich als Beweis für diese seine geringe Meinung
über den Werth der Photographie als künstlerisches Ausdrucksmittel auf die blosse Thatsache hinweisen,
dass gerade die Künstler-Photographen Englands es waren, die an Zahl und Erfolg bei Weitem die der
anderen Länder übertroffen haben.
In der Bildhauerkunst, in der Malerei, in der Zeichenkunst und selbst in dem mechanischen Ver-
fahren des Lichtdruckes und anderen photographischen Verfahren kann man kaum sagen, dass das englische
Volk einen hervorragenden Platz einnimmt, höchstens kann man für einige Kunstgewerbe zugestehen,
dass die Engländer das Ausland überflügelt haben; in der Photographie aber als Mittel des künstlerischen
Ausdrucks, (wenn man so sagen darf — ich thue dies hier mehr der Kürze halber, als aus unbedingter
Ueberzeugung —) waren die Landsleute eines Turner, Constable und Gainsborough in unseren Tagen die
Bahnbrecher für ihre talentvollen Nachfolger in Deutschland, Frankreich, Oesterreich und anderen Ländern.
Während die Photographie als ein mechanisches Verfahren auf dem europäischen Festlande und
in Amerika auf eine Stufe höchster Vollendung gebracht worden war, hat man in England dagegen die
erste entschiedene Anstrengung gemacht, die herkömmlichen Vorschriften zu übertreten, die vorgeschriebenen
Regeln ausser Acht zu lassen und die Photographie zu verwenden, um, wenn auch unvollkommen, die
Empfindungen des Künstlers selbst und das, was er Andere empfinden lassen wollte, auszudrUcken, statt
dessen, w7as er mit einem vollendeten Material und nie versagenden Werkzeugen hervorzubringen in
der Lage war.
Ja, vielleicht gerade durch die Verwendung und Ausnutzung einiger Fehler und Mängel der
Photographie (oder vielmehr, was man bis dahin als solche angesehen hatte) hat die künstlerische Richtung
ihre grössten Erfolge erzielt.
Ich will mich deutlicher ausdrücken. — Es gab eine Zeit, wo der „Meister“ in der Photographie
uns glauben machen wollte, dass das anzustrebende Ideal ein Bild wäre, das mit all seinen Schattirungen
und Tönen eine vollständige Stufenfolge vom reinen Weiss bis zum tiefsten Schwarz zeigen sollte. Es
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