Die Kunst in der Photographie (2.1898)

Alfred Stieglitz.

Am Strom.

DIE PHOTOGRAPHIE IN AMERIKA

ES ist für uns in Europa eine Schwierigkeit, uns ein klares Bild von dem zu machen, was drüben auf
dem Gebiet der künstlerischen Photographie vorgeht. Man möge diesem Umstande Rechnung tragen
und mild beurtheilen, was wir zur Charakteristik der von Herrn Alfred Stieglitz für dieses Werk zu-
sammengestellten amerikanischen Bilder sagen. Wir sind dabei auf ein nicht übermässig reiches Material
angewiesen, welches aus dem besteht, was auf Ausstellungen zu sehen war und was in Abbildungs-
werken vorliegt.
Am längsten uns bekannt als Künstlerphotograph ist R. Eickemeyer. Auf der Hamburger Aus-
stellung 1893 nahm er innerhalb der amerikanischen Gruppe wohl die erste Stelle ein, und er wurde
damals bereits von Alfred Lichtwark in seinem Werke über die „Bedeutung der Amateur-Photographie“
so charakterisirt: „Eine Spezialität hat sich Eickemeyer geschaffen in dem Bildniss schöner junger Frauen.
Er putzt sie nicht auf als Gretchen, Prinzess Lamballe, Theodora oder irgend eine andere Dame, die uns
als Typus für ein historisches Kostüm gilt, sondern er lässt sie in den hellen, faltigen unverschneiderten
und unvernähten modernen Toiletten, wie sie Engländerinnen und Amerikanerinnen sehr zu ihrem Vortheil
und in gewissem Gegensatz zu der Pariser Toilette kultiviren. Und er sucht sie in stimmungsvolle
Umgebung zu bringen . . — Die Ecke eines getäfelten Zimmers, in dem die Scene zwischen einer Mutter
und ihren Töchterchen auf dem von uns reproducirten Bilde vor sich geht, ist ein solcher stimmungs-
voller Hintergrund, und auch sonst passt auf dieses Bild heute noch, was Lichtwark damals charakteri-
sirend sagte.
Eickemeyer repräsentirt die alte Schule gegenüber der modernen Schule, die durch Alfred Stieglitz
vertreten wird. Er ist von- allen Jenen, die nach der Darstellung von gestellten Genre-Szenen streben,

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