Im Juni.
F. W. Levett.
ENGLISCHE LANDSCHAFTS-PHOTOGRAPHIE.
WÄHREND man in den wissenschaftlichen und gewerblichen Anwendungen der Photographie England
unter den europäischen Nationen nicht als hervorragend an der Spitze stehend bezeichnen kann,
so ist es doch England, wo der Theil der Photographie, den man als malerische oder künstlerische Photo-
graphie bezeichnet, die meiste Unterstützung erfahren und, wie es scheint, die meiste Gefolgschaft erlangt hat.
Der Grund dafür ist kaum in einer besonderen Begabung der Rasse, noch in besonders günstigen
Umständen für die Kunst zu suchen, sondern vielleicht eher in dem glücklichen Umstande, dass sich einige
starke, von Erfolg begleitete Führer gefunden haben, deren Arbeiten und Gedanken durch ihre Verbreitung
viele Schüler und Nachahmer angezogen haben. _
Da ich dieses für Leser schreibe, die nicht meiner eigenen Nation angehören, und es nicht so oft
in Berührung mit englischen Arbeitern kommen wird, die die Ausübung der künstlerischen Photographie
zu ihrem Lebenszweck gemacht haben, so ward es gut sein, in Kürze auszuführen, worin der Unterschied
besteht zwischen dem gewöhnlichen Photographiren von Landschaften, wie sie der Verkäufer von topo-
graphischen Ansichten für den Reisenden photographirt, und jenen Musterphotographien, bei denen „die
Landschaft“ das Thema ist, die aber nicht einen Augenblick ihren Werth oder ihr Interesse darauf stützen,
dass sie irgend eine schöne Oertlichkeit oder Ansicht darstellen, die das Publikum wiedererkennen soll.
Es ist der Unterschied zwischen dem Topographischen und dem Malerischen. Aber vielleicht wird
man fragen: Wie kann eine Photographie jemals etwas mehr sein, als ein mehr oder weniger überzeugendes
Faksimile irgend einer Naturszene, deren Interesse und Werth im Verhältniss steht zu der Bedeutung der
portraitirten Oertlichkeit? Gewiss, ja, die Photographie kann mehr leisten und leistet, wie ich glaube, in
der That mehr in den Händen einiger fähigen Arbeiter.
Die inneren Bewegungen und Ziele in der topographischen und malerischen Photographie sind
sehr verschieden, und wenn daher beide ein hohes Maass von Erfolg erreichen, so müssen auch die Er-
folge sehr weit von einander verschieden sein.
D. K. i. d. Ph. II. 6
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