Bewegungen und Stellungen bei ihnen mehr bedeuten sollen, als
den graziösen Ausdruck einer inneren natürlichen Anmuth.
Frankreich ist berühmt für seine Modelle, nicht nur was die
rein äusserliche Schönheit, sondern auch was die Intelligenz, das
Eingehen auf die künstlerische Intention betrifft. Dank diesem
Umstande und dank dem fortwährenden Bemühen, dem Problem,
das sich die Beiden gestellt haben, eine neue Seite abzugewinnen,
sind sie zu einigen recht gelungenen Bildern gelangt, besonders
solchen, in denen sie eine Bewegung schildern. Die Italienerin
ist die Meisterin der malerischen Pose, die Französin die der
graziösen Bewegung. Uebrigens muss ich hier einschalten, dass
eine Amerikanerin, Mrs. Farnsworth, nach derselben Richtung
hin, wie jene beiden Franzosen, in ebenso tüchtiger Weise
thätig war.
Zwei Vorkämpfer des Gummidrucks sind Bremard und
Demachy, mit denen ich diese Betrachtung abschliessen möchte.
Der Letztere hatte bereits auf der Berliner Ausstellung i8q6 als
Erster Gummidrucke eingesandt, und auf der diesjährigen Ausstellung waren fast alle Arbeiten der Beiden
in dieser Technik hergestellt. Auch Puyo ist literarisch für das neue Verfahren eingetreten, er selbst
hat es aber bisher nur seltener angewandt.
Puyo liebt eine vornehme, gleichmässige Beleuchtung, mit einem feinen Abwägen aller Tonwerthe
zu einander; und wo er mit Helldunkelwirkungen operirt (er hat sich für diesen Zweck ein eigenes Ver-
fahren ersonnen), da ist das eine, ich möchte sagen, akademische Helldunkelwirkung, bei der sich das
Ueberlegte zu sehr bemerkbar macht. Ich führe sein Bild „Rache“ als Beispiel an. Ich halte diese Bilder
nicht für die glücklichsten Puyos.
Für Bremard und Demachy, die in ihrer Arbeitsart sehr verwandt sind, wenn auch der Letztere
der weit Fruchtbarere ist und auch auf dem Gebiet der Landschaft hervorragende Leistungen aufzuweisen
hat, sind Licht und Schatten in energischerer Gegenüberstellung Hauptfaktoren zur Erreichung ihrer
künstlerischen Zwecke. Und so ergiebt es sich von selbst, wie willkommen ihnen gerade das Gummi-
verfahren sein musste. In der Regel geben uns Beide Brustbilder, und man kann sagen, dass zum grossen
Theil ihre Kunst sich um das Motiv dreht, die Anmuth zu schildern, die sich in der Bewegung und
Haltung von Kopf und Oberkörper ausspricht. Das kann höchst manierirt sein, ebenso wie die Be-
leuchtung, die sie bevorzugen — man denke an die sogenannte Rembrandtbeleuchtung in der Fach-
photographie —; aber da bei ihnen die künstlerischen Mittel vollkommen dem einen Zwecke untergeordnet
sind, den Wohlklang weiblicher Grazie erkennen zu lassen, so wissen sie selbst auf dem beschränkten
Gebiete, das sie sich gewählt haben, fortwährend etwas Neues zu bieten. Die Leistungen der Beiden ge-
hörten wohl zu dem Besten, was auf der Berliner Ausstellung zu sehen war.
„Was gemeiniglich verlangt wird, sind im Figurenbild schöne Gesichter, weibliche vor Allem, in
der. Landschaftsmalerei schöne Gegenden .... Es ist immer ein Zeichen grossen Ernstes und grosser
Ehrlichkeit, wenn diese Art von Naturschönheit aus der Kunst verschwindet“, sagte v. Tschudi in seiner
bekannten Rede „Kunst und Publikum“. Auch die Künstlerphotographen mögen sich das gesagt sein
lassen, die oft genug auf der Höhe ihrer Kunst angekommen zu sein glauben, wenn sie sich ein Modell
mit hübschem Gesichtchen und schönem Körper verschafft haben. Die Kritiker umgekehrt mögen von Fall
zu Fall urtheilen. Das „objektiv schöne“ Modell genügt nicht zur künstlerisch werthvollen Aufnahme,
aber es verhindert sie auch nicht in jedem Falle.