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Die Kunst in der Photographie — 3.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.41390#0040
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und auf der Gegenseite wieder hinauf züngeln, alle diese einfachsten Dinge von der Welt, in einem
einfachen Naturausschnitt wiedergegeben, bringen doch auf uns die tiefste psychische Wirkung hervor,
wie die Werke eines Daubigvy, entsprechend dem psychischen Eindruck, den jene hatten, als sie gerade
diese Motive wählten. Das ist so einfach, werden viele mit Recht denken, und so einfach nachzuahmen,
werden sie vielleicht auch meinen: sie mögen es versuchen.
Alexandre, ein Fachphotograph, ist weiter gegangen. Er ist nicht nur neben Hannon der grösste
Meister des landschaftlichen Stimmungsbildes in Belgien, auch im Figurenbild ist er unübertroffen. Schon
auf der Ausstellung von 1896 erschienen seine Soldatenbilder „im Bivouak“ und „im Hohlwege“, dann
auch die vielfachen Widerspruch herausfordernden „vorgeschichtlichen Menschen“, doch fast unübertrefflich
in Zusammenstimmung von Landschaft und Staffage. Von der diesjährigen Ausstellung gehören hierher
dann vor allem aber „der Fischer“, ein Meisterwerk in Hinsicht auf die

etwa das Bild

„im Gehölz“,

Silhouette und auf das Verhältniss von Figur und Landschaft, ein Gegenstück zu der bekannten „Karren-
wäsche“ des Engländers Dresser. Auch auf allen möglichen anderen Gebieten hat sich Alexandre versucht:
im Thierbild („Nero“, 1896), im Innenbild („die Schmiede“, 1899), im Portrait („junges Mädchen von
der Insel De Marken“ und „weibliches Bildniss“, beide 1899; das letztere in Bezug auf vornehme
Abgeklärtheit ganz hervorragend, ein Beweis gleichsam, wie, allerdings nur für gewisse Charaktere, die
Photographie doch eine Art von Abstraktion bieten kann), im Akt endlich („weibliche Studie“, Pariser
Salon 1894, „das Modell“, Berlin 1896). Die letzteren Bilder sind vereinzelte Erscheinungen in der künst-
lerischen Photographie Belgiens, wenigstens so weit sie auf Ausstellungen erschienen ist. Fs ist dies ein
prinzipieller Unterschied zwischen ihrer Art und der ihrer westlichen Nachbarn. Diese ästhetische An-
schauung hat der Kunstkenner Baron de Haulleville in einer Generalversammlung der Association zum
Ausdruck gebracht. Seine Ausführungen, deren Zusammenhang mit der künstlerischen Photographie
übrigens nur ein sehr lockerer ist, die aber nicht ohne Wirkung geblieben zu sein scheinen, haben als
Wichtigstes neben der Verdammung der Renaissance die Verdammung des Nackten in der Kunst -— in
der Heimath eines Rubens und eines.Felicien Rops!
Alexandre ist ein ruhiger Arbeiter von grösstem Talent. Dem gegenüber erscheint Hannon, der
sich in allen möglichen Künsten versucht, als der unruhige Kopf, stets mit neuen Problemen beschäftigt.
Seine „letzten schönen Tage“ und seine „Coppelia“ mit ihrem fragend, forschenden Gesichtsausdruck in
den noch unreifen Zügen gehörten zu den besten Werken der Ausstellung von 1896. Sein Hauptwerk
aber war dasmals das Bild „nach dem Gewitter“, viel umstritten und viel bewundert. Die hellen Baum-
stämme, die sich in geisterhafter Beleuchtung von dem dunkleren Grunde abheben, scheinen fast ein letztes
Wort für ein Motiv, das ja immer wieder die belgischen Künstlerphotographen beschäftigt hat. Hier ist
Hannon weit hinausgegangen über das gewöhnliche psychische Element der belgischen Stimmungslandschaft.
Die diesjährige Ausstellung bot wohl ebenfalls neue interessante Experimente, besonders in dem Studien-
kopf, der eine impressionistische Wirkung anstrebte aber nicht ganz erreichte, und im japanisirenden Stillleben.
Belgien ist heute das Land der allermodernsten Kunst. Namen wie Constantin Meunier, wie
Henri van de Velde, ebenso wie der eines Maeterlinck bezeugen uns, wie reich an kulturellen Kräften,
wie stark an produktiven Ideen die Heimath des gesunden Volkes der Vlamen ist. Dem gegenüber muss
man bei der künstlerischen Photographie Belgiens sagen, dass sie ein wenig vieux jeu treibt. In Wien
waren die Grössen des Cameraklubs bei ihrem Auftreten der Kunst ihres Landes voraus, in Hamburg
standen sie zum mindesten auf der Höhe derselben, in Belgien ist es etwa die Kunst von gestern.
Von Hannon konnte man, nach jener Arbeit von 1896, wohl erwarten, dass er im Stande wäre,
sobald sein Geist sich auf dieses Ziel konzentrirt, der Führer kühner Neuerer zu werden. 1896 trugen
die Belgier bei uns mit Recht die ersten Preise davon; 1899 waren ihre Arbeiten nicht weniger gut, aber
sie enttäuschten. Der Massstab ist eben inzwischen ein anderer geworden.

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