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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 11.1830

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https://doi.org/10.11588/diglit.13628#0098
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86

I.

Längst hat inan aufgehört, den Ursprung der Tvdten-
tänze in dem Zeitalter der Reformation oder im vorher-
gehenden fünfzehenten Jahrhundert zu suchen, wie dieje-
nigen gethan hatten, welche das Gemälde im Kirchhofe
des Predigerklosters der Stadt Basel für ein Werk des
jüngeren Holbein ausgabcn und diesem die erste Bearbei-
tung des nachmals, so vielfach behandelten Kunstgegenstan-
des znschrieben; oder wie Füßli in seiner Geschichte der
besten Künstler in der Schweiz (Zürich 1760 I. Band)
und im Allgemeinen Künstlerlericon (Zürich 1779, I. Theil,
S. 594) geäußert hatte, der den im Dominicanerkloster
zu Bern befindlichen und von Niclaus Manuel in den
Jahren 1515 — 1520 gemalten Todtentanz für das äl-
teste Bild dieser Gattung hielt. ' Denn für's Erste ist die
Zeit der Baseler Kirchenversammlnng für die Entstehung
des bekannten Baseler Todtentanzes nunmehr ausgemit-
telt, so daß er von einem unbekannten Maler um's Jahr
1441 gefertigt worden sepn muß. Sofort sind ältere Tvd-
tentanzgemälde bekannt geworden, wie Peignet in einem
genauen Katalog der Todtentänze gezeigt hat. Dahin ge-
hören einer zu Minden in Westphalen, der vom Jahre
1585 seyn soll, die Danse Makabre im Charnier des In-
nocens zn Paris vom Jahre 1424, und ein Todtentanz
zu Dijon vom Jahre 1456. Den ältesten Todtentanz,
den man bis jezt anfgefunden hat, kennt Peignvt noch
nicht einmal. Dieser ist von Hegner beschrieben. Er be-
findet sich in schwachen Resten noch an einer Mauer im
sogenannten Klingenthal in der Vorstadt Klein-Base! und
datirt sich vom Jahr 1512. Außerdem reichen verwandte
Miniaturgemälde in alten Gebetbüchern, wo sie gewöhn-
lich die vigiliae mortuorum umgeben, bis in das fünf-
zehnte Jahrhundert hinauf. Auch beginnen die ältesten
Ausgaben von geschnittenen Todtentänzen mit dem Jahre
i486. Auf ein beinahe noch höheres Alter gehen ähnliche
Darstellungen zurück, wie z. B. die Gruppe mit den drei
Tobten und drei Lebendigen, die Peignvt in drei Manu-
scripten des dreizehenten Jahrhunderts vorfand, und die
Johann, Herzog von Berry, Ol>eim Carls VI. von Frank-
reich, über der großen südlichen Pforte der Kirche des In-
nocens zu Paris aushauen ließ. ■

Die nächste äußere Veranlassung zu der Entstehung
der einzelnen Kunstwerke, welche den Todtentanz darstel-
len, wird gemeiniglich in den ansteckenden Krankheiten,
besonders der Pest, gefunden, die in den Zeiten des Mit-
telalters bald über größere Länderstriche verbreitet, bald
auf einzelne Städte oder Provinzen beschränkt waren. In
der Mitte des vierzehenten Jahrhunderts zog die soge-
nannte schwarze Pest von Asien herüber nach Europa.
Ihre schauderhaften Verheerungen sind in der Schilderung
des Boccaz Heute uoch dem Leser gegenwärtig. Sie soll ;

den fünften Theil der damals lebenden Menschheit dahin-
gerafft und unter anderen die Stadt Straßburg um
60,000 ihrer Einwohner gebracht haben. Wie sollte nicht
eine solche Herrschaft des Todes alle Gedanken und Sinne
der Menschen erschüttert und einen so tiefen Eindruck
des Schreckens hervorgebracht haben, daß lange Zeit hin-
durch in Wort und Bild daö unvergeßliche Geschick sich
wiederholte? Gar wohl mag daher noch in spätern Jah-
ren das Andenken an die schwarze Pest in der Seele der
Besteller, wie des Malers mitgewirkt haben zn dem Ent-
schlüsse, den Tod darzustellcn, wie er unerbittlich Jeden
abruft, kein Alter, kein Geschlecht, keinen Rang und
Stand, keine Kunst und Wissenschaft scheut, jeden Trotz
überwindet und jede Flucht einholt. Bei mehreren Tod-
tentänzen wird jedoch eine unmittelbar vorhergegangene
Seuche berichtet. Namentlich weiß man, daß während
der großen Kirchenversammlung zu Basel daselbst die Pest
gewüthet habe, daß mehrere Cardinäle und Prälaten der
Kirche ein Opfer derselben geworden seyen und daß mit
nächster Rücksicht auf dieses kaum vorübergegangene Er-
eigniß der Todtentanz an der Kirchhofsmaner des dortigen
Predigerklosters gemalt worden sey. Eben so wird beige-
bracht, baß'bic Danse Macabro zu Paris im Jahre 1424
entstanden. Mehrere französische Geschichtschreiber sind
zwar der Meinung, die sie aber durch keinen Quellenbeweis
zu erhärten vermocht haben, daß dieser Tanz in einer Prv-
cession zu Ehren Philipps des Guten von Burgund be-
standen habe, wobei man den Tod als. Hauptperson gesehen.
Peignvt hat hingegen aus einer Chronik nachgewiesen, daß
unter der Danse Macabro nicht sowohl oder nicht allein
eine Procession und dramatisch-mimische Darstellung, als
ein Gemälde auf dem Kirchhof des Innecens zu verstehen
fey. Wie dies nun sich verhalten möge, Villeneuve-
Bargemont sagt ausdrücklich in seiner Geschichte des
Rene' von Anjou, dieser Tanz sey vorgestellt worden mit-
ten in der Stadt, welche kaum die verzehrende Hungers-
noth der vorangegangcnen-Zeit zu vergessen angefangen
hätte. Ueberhaupt läßt es sich wohl denken, daß während
des furchtbaren Kampfes zwischen den Engländern und
Carl VII. von Frankreich unermeßliches Blut geflossen sey
und Mangel, Elend, Krankheit und Hnngersnvth allent-
halben um sich gegriffen habe. Und so wäre die berühmte
Danse Macabre, deren Namen und Ursprung in so großes
Dunkel gehüllt ist, gleichfalls in Folge großer Sterblich-
keit zum Vorschein gekommen. Auch beruft sich Hegner
bei seiner Nachricht über den Baseler Todtentanz vom
Jahre 1512 auf Wursteisens Chronik, nach welcher in die-
selbe Zeit ungefähr eine Epidemie zu Basel fiel.

-Daß die Todtentänze nicht einen reinästhetischen Zweck,
den deö Vergnügens der schönen Idee und ihrer Darstel-
lung, hatten, liegt in dem Gegenstände selbst zn Tage.

' Denn wobei es Jedem, auch dem Rohesten, nicht ohne ein
Register
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