78.
2V
Kunst-Platt.
Donnerstag, Hen 27. September 1838.
Altdeutsche Dankunst.
(Beschluß.)
2) Denkmale der Baukunst des Mittelalters in
Sachsen. Bearbeitet und herausgegebcn von
vr. L. Puttrich und G. W. Geyser dem
Jüngern. Dritte Lieferung. Leipzig, 1858. Fol.
Diese Lieferung führt auch den besvndern Titel: die
goldene Pforte zu Freyberg. Eines der schönsten
und räthsclhaftesten Werke deutscher Kunst, das wir zum
erstenmale hier bekannt gemacht finden. Zusammengestellt
mit der in den zwei früheren Heften dieser Abtheilung ent-
haltenen Kirche von Wechselburg, eröffnet sie Vermuihun-
gcn über die Entwickelung der deutschen Sculptur, welche
bis jezt kaum gewagt werden konnten.
Leider fehlt es gänzlich an urkundlichen Nachrichten
über dieses Werk. Möller sagt in seinen Freybergischen
Annalen: die Frauenkirche zu Freybcrg sey bald nach
Anlegung der Stadt erbaut, aber im Jahr 1484 durch
Feuer verwüstet worden, worauf Herzog Albrecht von
Sachsen und Landgraf von Thüringen den jetzigen Dom
zu bauen angcfangen. Die HH. Stieglitz und Pultrich,
von welchen die Erläuterungen zu dem vorliegenden Hefte
geschrieben sind, suchen wahrscheinlich zu machen, diese
Frauenkirche sey eben der jetzige Dom gewesen, und von
Otto dem Reichen, Markgrasen von Wettin, gegründet,
der im Jahr 1175 den durch seinen Bergbau blühenden
Ort Frepberg zur Stadt erhob. Eie betrachten die gol-
dene Pforte, d. h. den prachtvollen, rundbogigen, mit
reichen Sculpturen verzierten Eingang der von seiner
ehemaligen Vergoldung den Namen erhielt, als den ein-
zigen Ueberrest, der nebst einigem Mauerwerk von dem
alten Bau stehen geblieben und dem neuen einverleibt
worden sey.
Ein Capitell, welches man an dem erwähnten Mauer-
theile über der Tribüne oder Mittel-Empore findet, zeigt
vollkommen den Styl der übrigen deutschen Bauwerke
aus dem Ende des 12. Jahrhunderts. Die Ausschmückung
der goldenen Pforte aber ist von so eigenthümlicher An-
lage, so reicher und fremdartiger Schönheit, daß sie in
Hinsicht auf Zeit der Entstehung, wie auf Nationalität
des Styles zu einem Problem für den Kunstsorscher wird,
das nicht so leicht zu lösen seyn dürfte. Die figurirten
Sculpturen stellen sich denen von Wechsclburg zur Seite;
dieselbe Schönheit des Stvls, und wie es scheint, noch
größere Freiheit und Lebendigkeit der Vollendung. Auch
hier eine bemerkbare Verschiedenheit, indem die größeren
in den untern Nischen befindlichen Gestalten mehr aus
deutschem, die im Thürsturz und den Zwischenräumen
der Bogenkrümmung, mehr aus italienischem Naturell
entsprungen scheinen. Sodann aber in der Architektur
eine völlig auf der römischen Antike süßende, höchst phan-
tasievvlle Ausschmückung byzantinischer Formen, wie sie
in der deutschen Architektur vom io. bis 13. Jahrhundert
unsers Wissens sonst nirgends Vorkommen! zierliche Ni-
schen, in welchen die Figuren aus dünnen Säulchen stehen,
Akanthuscapitelle von reicher, üppiger, säst ganz antiker
Gestaltung, gerade und gewunden kannelirte Säulenschäfte,
wie sie an den spätrömischen Badwerken Vorkommen, reich
mit Laubwerk geschmücktes Gesims. Ständen diese Dinge
nicht zwischen den unläugbaren Formen der rundbogigen
Architektur des 12. Jahrhunderts, z. B. an deren rauten-
förmig verzierten Säulenschäften, den attischen Säulen-
füßen mit dem abwärts liegenden Blatt, und wäre nicht
die ganze Anlage so völlig dem Rundbogenstyl entsprechend,
so möchte man sich eher versucht halten, dem Geiste, der
dies schöne Werk entworfen, jene genauere Bekanntschaft
mit der römischen Antike, die in Italien seit der Mitte
des 15. Jahrhunderts begonnen hatte, zuzuschreibcn, als
ihn an den Ausgang des 12. zu versetzen.
Die Herausgeber widerrufen in der Einleitung ihre
in der Beschreibung von Wechselburg geäußerte Meinung
daß die dortigen Bildwerke durch italienische 'Künstler
entstanden sepen. Sie bringen die Bildwerke von Frepberg
2V
Kunst-Platt.
Donnerstag, Hen 27. September 1838.
Altdeutsche Dankunst.
(Beschluß.)
2) Denkmale der Baukunst des Mittelalters in
Sachsen. Bearbeitet und herausgegebcn von
vr. L. Puttrich und G. W. Geyser dem
Jüngern. Dritte Lieferung. Leipzig, 1858. Fol.
Diese Lieferung führt auch den besvndern Titel: die
goldene Pforte zu Freyberg. Eines der schönsten
und räthsclhaftesten Werke deutscher Kunst, das wir zum
erstenmale hier bekannt gemacht finden. Zusammengestellt
mit der in den zwei früheren Heften dieser Abtheilung ent-
haltenen Kirche von Wechselburg, eröffnet sie Vermuihun-
gcn über die Entwickelung der deutschen Sculptur, welche
bis jezt kaum gewagt werden konnten.
Leider fehlt es gänzlich an urkundlichen Nachrichten
über dieses Werk. Möller sagt in seinen Freybergischen
Annalen: die Frauenkirche zu Freybcrg sey bald nach
Anlegung der Stadt erbaut, aber im Jahr 1484 durch
Feuer verwüstet worden, worauf Herzog Albrecht von
Sachsen und Landgraf von Thüringen den jetzigen Dom
zu bauen angcfangen. Die HH. Stieglitz und Pultrich,
von welchen die Erläuterungen zu dem vorliegenden Hefte
geschrieben sind, suchen wahrscheinlich zu machen, diese
Frauenkirche sey eben der jetzige Dom gewesen, und von
Otto dem Reichen, Markgrasen von Wettin, gegründet,
der im Jahr 1175 den durch seinen Bergbau blühenden
Ort Frepberg zur Stadt erhob. Eie betrachten die gol-
dene Pforte, d. h. den prachtvollen, rundbogigen, mit
reichen Sculpturen verzierten Eingang der von seiner
ehemaligen Vergoldung den Namen erhielt, als den ein-
zigen Ueberrest, der nebst einigem Mauerwerk von dem
alten Bau stehen geblieben und dem neuen einverleibt
worden sey.
Ein Capitell, welches man an dem erwähnten Mauer-
theile über der Tribüne oder Mittel-Empore findet, zeigt
vollkommen den Styl der übrigen deutschen Bauwerke
aus dem Ende des 12. Jahrhunderts. Die Ausschmückung
der goldenen Pforte aber ist von so eigenthümlicher An-
lage, so reicher und fremdartiger Schönheit, daß sie in
Hinsicht auf Zeit der Entstehung, wie auf Nationalität
des Styles zu einem Problem für den Kunstsorscher wird,
das nicht so leicht zu lösen seyn dürfte. Die figurirten
Sculpturen stellen sich denen von Wechsclburg zur Seite;
dieselbe Schönheit des Stvls, und wie es scheint, noch
größere Freiheit und Lebendigkeit der Vollendung. Auch
hier eine bemerkbare Verschiedenheit, indem die größeren
in den untern Nischen befindlichen Gestalten mehr aus
deutschem, die im Thürsturz und den Zwischenräumen
der Bogenkrümmung, mehr aus italienischem Naturell
entsprungen scheinen. Sodann aber in der Architektur
eine völlig auf der römischen Antike süßende, höchst phan-
tasievvlle Ausschmückung byzantinischer Formen, wie sie
in der deutschen Architektur vom io. bis 13. Jahrhundert
unsers Wissens sonst nirgends Vorkommen! zierliche Ni-
schen, in welchen die Figuren aus dünnen Säulchen stehen,
Akanthuscapitelle von reicher, üppiger, säst ganz antiker
Gestaltung, gerade und gewunden kannelirte Säulenschäfte,
wie sie an den spätrömischen Badwerken Vorkommen, reich
mit Laubwerk geschmücktes Gesims. Ständen diese Dinge
nicht zwischen den unläugbaren Formen der rundbogigen
Architektur des 12. Jahrhunderts, z. B. an deren rauten-
förmig verzierten Säulenschäften, den attischen Säulen-
füßen mit dem abwärts liegenden Blatt, und wäre nicht
die ganze Anlage so völlig dem Rundbogenstyl entsprechend,
so möchte man sich eher versucht halten, dem Geiste, der
dies schöne Werk entworfen, jene genauere Bekanntschaft
mit der römischen Antike, die in Italien seit der Mitte
des 15. Jahrhunderts begonnen hatte, zuzuschreibcn, als
ihn an den Ausgang des 12. zu versetzen.
Die Herausgeber widerrufen in der Einleitung ihre
in der Beschreibung von Wechselburg geäußerte Meinung
daß die dortigen Bildwerke durch italienische 'Künstler
entstanden sepen. Sie bringen die Bildwerke von Frepberg