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Kunstblatt.

Dienstag, den 3. Januar 1843.

Bericht über die Kunstausstellung zu Dcrliu
im Herbste 18-12,
von Jak. Burckhardt.

Berlin, Anfang Noobr. 1842.

Als die Säle der königlichen Akademie im September
dieses Jahres eröffnet wurden, fand man, die Masse der
Kunstwerke habe noch nie so sehr außer allem Verhältniß
zum innern Werthe gestanden, als bei dieser Ausstellung.
Die ungünstigsten Berichte hallten ans allen Zeitungen
wieder; man stellte der Gegenwart wie der Zukunft in
Hinsicht der Kunst die allerschlimmsten Prognostika. Nach
und nach aber erschienen bedeutendere Leistungen, beson-
ders seit dem Schlüsse der Kölner Ausstellung, und in
diesen Tagen, nachdem manches Schlechte beseitigt,
manches Treffliche neu ausgestellt worden, erscheint die
Ausstellung dieses Jahres sogar als eine der glänzender».
Gleichwohl kann cs keinem Menschen auffallen, daß auch
diesmal daö Schlechte, und besonders das Mittelmäßige
überwiegr. Die Commission, welche über Annahme und
Abweisung der Kunstwerke zu entscheiden hat, scheint
auch diesmal überaus mild verfahren zu seyn, um selbst
den Mittelmäßigsten nicht zu entmuthigen. In der
\ großen Masse der Bilder thnt sich eine Gedankenarmut!),
eine Kraftlosigkeit der Auffassung kund, welche den hohlen
Prunk der Ausführung nur um so wicderwärtiger er-
scheinen läßt. Kaum werden wir hie und da ein Bild
gewahr, wo eine reiche Phantasie in stürmischer Jugend-
kraft nach Ausdruck ringt; nur zu häufig finden wir den
Maler mit einem gewissen Grade von Ausdruck und
Durchbildung längst zufrieden und abgefunden, aber
Ideen, Inhalt, kräftige Gestaltung — danach seufzt er
und ringt die Hände. Das Beste wäre freilich, die Pa-
lette niederznlegen.

> Nicht die ganze Schuld fällt auf den Künstler; die
zerrissene Zeit hat einen großen Theil daran. Sic ist es,
"dem Menschen seinen freien, richtigen Blick verwirrt
und verschiebt, ihn auf Bahnen hetzt, die seinem Innern

nicht gemäß sind, ihn mit all den furchtbaren geistigen
und materiellen Bedrängnissen an sich selbst irre macht
ohne Unterlaß. Es giebt in unser» Tagen eine unglaub-
liche Anzahl von Menschen, welche in sich Anlage und
Beruf zur Beschäftigung mit dem Ideal in Wort und
Form zu verspüren glauben, der gestaltenden Kraft aber
säst gänzlich entbehren. Die geistig aufgeregte Zeit jedoch
stachelt sie so lange, bis sie sich der Kunst zuwenden und
unglückliche, unbedeutende Maler, Dichter u. s. w. werden.

Doch genug der Klagen. Wir betrachten die bessern
Kunstwerke und suchen ans ihnen auf die Gegenwart und
Zukunft der Kunst sichere Schlüsse zu gewinnen.

Die bessern Werke deutscher Künstler lassen uns einen
gemeinsamen Grundzug erkennen; cs ist der einer treuen,
nachdenklich individualisirenden Durchbildung ihrer Ge-
stalten; keine ist ohne ein geistiges Princip geschaffen.

Da dem Deutschen bisher ein öffentliches Leben fehlte, *
welches allein eine höhere historische Kunst zu erzeugen
im Stande ist, richtete er sich auf Durchbildung des
Einzelnen und hat in dieser Beziehung das Bedeutendste
geleistet. Da unserer Kunst bei aller jugendlichen Lebens-
kraft doch der dramatisch-historische Athem bisher man-
gelte, warf sie sich einer nnbegränzten Symbolik in die
Arme, die nun in einer weiten Scala, vom großartig-
sten Tiefsinn bis zur albernen Spielerei, vor unseren
Augen liegt. Durch einen glücklichen Zufall, der zwei
höchst ausgezeichnete Werke neuer französisch-belgischer
Kunst der Ausstellung zugeführt hat, sind wir im Stande,
uns die nationalen Unterschiede klar zum Bewußtseyn zu
bringen. Wir möchten das spezifisch Unterscheidende der
deutschen Malerei etwa in folgende Worte fassen: Dem *
deutschen Künstler * schwebt weniger die dramatische Hand-
lung als das psychologisch-symbolische Problem vor; er
stellt lieber geistige Bezüge der einzelnen Figuren unter

1 Ncf. hat hiebei zunächst allerdings die norddeutsche
Kunst im Auge. Weiter unten wird sich Gelegenheit zu
Andeutungen über die Münchener Schule ergeben.
Register
Jak. Burckhardt: Bericht über die Kunstausstellung zu Berlin im Herbste 1842.
 
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