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Kunstblatt.

Donnerstag den 4. März 1847.

Archäologie.

Annales archeologiqu.es, dirigdes par
Didron aind. Paris, seit Mai 1844, in 4. mit
Abbildungen. (Bis jetzt 2 Bände und 16 Monathefte.)

(Schluß.)

So benehmen sich die Annales gegen schlechte Restaurato-
ren , welche gothisch bauen wollen und es nicht verstehen. Allein
diese sind bekanntlich selber nur die Minorität; weit mächtiger
sind die Klassicisten, welche in der Aeademie des heanx arts
und in allen ober» Behörden thronen, und ihre Plänkler, die
Anhänger der gemäßigten Renaissance, — und hier liefern die
Annales wiederum eine Schlacht nach der andern. Soviel wir
aus den Annales selbst entnehmen können, haben sie angefan-
gen. Schon im ersten Bande S. 129 wird ganz beiläufig in
einem Zwischensätze bemerkt, die Madeleine, N. D. de Lorette
und St. Vincent de Paul in Paris setzen d’incroyables ba-
raqucs qui font rirc de nous l’Europe enliere. Bald darauf
hat die Klafficität in Person des Herrn Raonl-Rochette, Mit-
gliedes der Akademie der Inschriften und beständigen Sekretärs
der Akademie der schönen Künste, einen Generalangriff zu be-
stehen, unter der tendenziösen Aufschrift: die alten und die
neuen Archäologen. Raonl-Rochette hatte in seinem Text zu
den Zeichnungen der malerischen Villa Pia des Pirro Ligorio
im vaticanischen Garten die gothische Baukunst heruntergemacht,
u. A. weil sie nackt setz, worauf ihm geantwortet wird, die
gothischen Kirchen setzen nur daun nackt, wenn Geistesverwandte
des Herrn Raonl-Rochette darüber gekommen setzen und sie
geplündert und übertüncht hätten. Ebenso wird Herrn Quatre-
merc de Qnincy und seinem Oielionnaire de l'arebiteelure
der Krieg erklärt in mehrern Artikeln: de 1’art et de l’archi-
tecture von Lassus, einem der Hauptmitarbeiter. (Bei dieser
Gelegenheit wird ein begeisterter Bewunderer der Gothik aus
dem Jahre 1702, Fremin und seine Memoires critiques,
nieder herv orgezogen, eine für jene Zeit allerdings ganz ab-
norme Erscheinung.) Endlich setzte Vielte t-Leduc in einem
Aufsatze de l'art etranger (antik, heidnisch) et de l’art na-
tional (gothisch, christlich) klar auseinander, daß und weßhalb
nach der Ueberzeugung der Annales die gothische Kunst erstens
unbedingt und zweitens jedenfalls für Frankreich den Vorzug
vor der antiken verdiene. Im Maiheft 1818 wird der Aus-
länder Bernini mit dem Ausländer Hittorf (ohne diesen zu
nennen) zuiammengestellt und beide als Fremde lächerlich ge-
macht. Nun wurde es der Akademie zu viel. Ihr Organ, der
Moniteur des arts, meldete mit bedeutsamen Worten, es setzen
neulich in der Akademie sechs Kapitalsragen über die Möglich-
keit und Zweckmäßigkeit des gothische,, Kirchenbaues im 19ten
Jahrhundert aufgeworfen worden, und brachte bald darauf, ohne
eine Antwort der Annales abzuwarten, ein Manifest Raoul-
Rochette's, welches wohl als Maßpab der jetzigen Durchschnitts-
meinung der Herren Akademiker über diesen Gegenstand zu

betrachten ist. In der Tiefe des Gemüthes ist und bleibt man
klassisch gesinnt, aber man weiß Konzessionen zu machen, da
gegen ein Publikum, welches durch V. Hugo's Notre Dame de
Paris verdorben worden, doch nicht mehr aufzukommen ist.
Man zieht also den Hut und verneigt sich vor der Gothik; man
j sagt: wir wollen ja ebenso wenig in griechischer Weise bauen,

j seht nur die Madeleine, die ist ja nicht griechisch! (Sehr wahr.)

Aber das Gothische hat diese und jene Mängel, es verdeckt seine
Außenseiten durch Strebepfeiler, cs ist nicht solid genug (!), ist
willkürlich, hat keine Verhältnisse, nackte Interieurs und an
den Portalen lange magere Figuren, weil breitere in den
schmalen Nischen keinen Platz gehabt hätten u. s. w. Diese
Salbaderei wurde von der Akademie gntgeheißen und an das
Ministerium abgeschickt, obschon jeder Unparteiische dem Herrn
Sekretär und den Herren Mitgliedern hätte sagen können, daß
sie sich damit das Zengniß einer gränzenlosen Ignoranz in diesen
Dingen ausstellten. Die Antwort der Annales (Juniheft 1846),
verfaßt von Viollet-Lednc, ließ nicht auf sich warten, und man
kann sich denken wie sie aussiel. Gegen einen solchen Feind
war nicht schwer zu streiten, und die Akademie der schönen
Künste wird sich vielleicht ein andermal besser besinnen. Merk-
würdigerweise hatte Raonl-Rochette den gewöhnlichste» Vorwurf
gegen die Gothik, daß sie nämlich zu theuer setz, klüglich bei
Seite gelassen, wahrscheinlich in der Voraussicht, daß man ihm
j in diesem Falle mit gewissen Rechnungen über die Kosten ge-
wisser klassischer Gebäude kommen könnte. — Wir wissen nicht,
ob inzwischen die „Partei des 13ten Jahrhunderts" und die
Akademie der schonen Künste noch einmal aufeinander getroffen
sind, jedenfalls aber meint es die erslere sehr ernstlich. Die
Annales begannen schon ihren Prospektns mit der Zeichnung
und Erläuterung einer seingothischen Jdealkirche; eine Reihe
von Artikeln von Viollet-Lednc: Construction des edifices
religieux en France, behandelt die Sache prinzipiell, und fast
in jedem Hefte wird die Frage irgendwie berührt. Wer die
Zeiten und die Dinge mit Besonnenheit erwägt, wird mit uns
an einer wahren und allseitigen A-.rscrwecknng der Gothik ver-
zweifeln, gleichwohl aber den Anstrengungen dieser „Parteides
13ten Jahrhunderts" nicht ohne Theilnahme zusehen und sie in
ihrer Bedeutung für die jetzigen Bildnngözustände Frankreichs,
gegenüber den akademische» Klassicisten, zu würdigen wissen.
Wie vollständig dieselbe alle Rücksichten über Bord wirft, sieht
man auch an den von ihr ansgegangenen Glasgemälden in den
restaurirteu französischen Kirchen, welche theils genaue Kopien
nach Fenstern des 13ten Jahrhunderts, theils völlig im Geiste
desselben erfunden sind und alle Kindlichkeiten des damaligen
Sttzls wiederholen. Die Annales theileu mehrere Proben in
guten Abbildungen mit, und nach diesen zu urtheilen, müssen
z. B. die herrlichen Glasgemälde in der Auer Kirche zu Mün-
chen jenen Herrn schon als moderne Ketzerei Vorkommen, ob-
schon sie die Münchner Kunst bei Gelegenheit eifrig anerkennen.
Ein schönes Talent, H. Gereute, hat sich der Glasmalerei im
Sinne der Annales vollständig ergeben. Konsequent ist diese
Partei, das muß man ihr lassen.
Register
Burckhardt: Archäologie: Annales archéologiques, dirigées par Didron ainé. (Schluß)
 
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