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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 3.1868

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Lübke, W.: Die Konkurrenz für den Berliner Dombau
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https://doi.org/10.11588/diglit.5183#0011

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genommen ein Nnding ist, da ein Dom (odcr eine Kathe-
drale) Ausdruck hierarchischcr Ordnnng ist, nnd der Pro-
testantismus einc Hierarchie nicht anerkcnnt. Wollen
wir es aber damit so genau nicht nehmen, so hat sich doch
allgemein die Ueberzeugnng festgesetzt, daß ein protestan-
tisches Gotteshaus, will es scinem Hanptzweck nickt nntren
werden, nicht blos jedem Streben nach Kolossalität in
evangelischer Bescheidenheit entsagcn muß, sondern daß
überhaupt seine Ausdehnung an die immerhin engen
Grenzen gebunden ist, welche die Predigt als Kernpunkt
der gottesdienstlichen Feier der räumlichen Entfaltung
auferlegt.

Schon diese Erwägungen lasien die Schwierigkeiten
in helles Licht treten, welche dem Entwurf eines an solcher
Stelle zu errichtenden, großartig wirkenden und doch zu-
gleich seinen geistigen-Zwcck erfüllcnden cvangelischen
Domes sich cntgegenstellen. Andcre Bedenken crscheinen
nicht minder gcwichtig. Jn welchem Stil, welcher Ge-
sammtform wird der Dom zu behandcln sein, um in Har-
monie mit den übrigen Bauwerken der Nmgebuug zu
trctcn, um nameutlich der beuachbartcn Front des Mu-
seums uicht zu schaden? Eifrige Jünger des Mittclalters
werden in erster Linie gewiß an die gothische Bauform
denken, deren Aufnahme in jüngster Zeit bei Kirchenbauten
katholischen wie protestantischen Bekenntnisies entschiedcn
im Stcigen begriffen ist. Aber dabei muß die Befürchtung
sich aufdrängen, daß die gothische Formcnwelt, dic dem
Ausdruck des griechischeu BaugeisteS so schueidcnd cut-
gegengcsetzt ist, iu unlöslichcn Konflikt mit der ionisckeu
Sänlenhalle des Museums treten nnd diese iu ihrer
Wirkung so gut wie vcrnichten würdc. Wir sagcn dieS
wahrlich nicht aus Abneigung gegen die Gothik, dercn
Verdienste wir vollkommen würdigen, uud gcgeu deren
Anwcndung auch bei heutigeu kirchlichcn Bautcn in ge-
wiffcn Grcnzen wir uichts einzuwcuden habcn, wofcrn
mau nur gute Wcrke hcrvorbringt. Doch wollen wir dic
Bemcrkung nicht unterdrückcn, daß der Katholizismus unS
mehr berechtigt scheint, den gothischcn Stil bci seiuen
Kirchen anzuwenden als der Protcstantismus, dessen
Gottesdienst entstandcn ist, als die Gothik gcrade zu Grabc
ging, und desien weltcrschütterndes Auftrcten mit dazu bci-
gctragen hat, jene Baukunst des Mittclalters zu stürzeu.
Vielleicht könnte man daraus folgern, daß nichtS so sehr
dcn Charakter des protestantischen Knltns anszudriicken
geeignet sei als gewisse centrale Kuppclbanten der Früh-
rcnaissance, wie sie von Brunellesco bis aus Bramante
zahlreich entstanden sind, und die jedcnfalls in ihrer klar
übersichtlichen Plananlagc und dem maßvoll cdlcn, bc-
scheidenen Charakter ihrer Oruamcutik und Gliederung
dem evangelischen Geiste wohl zu entsprcchen scheinen.
Aücin so enghcrzig wollen wir nicht scin, vielmchr auck
dem Protcstantismns die Frcihcit über das gcsanimtc
Material der Vergangcnheit krast dcs Rcchtes der modcr-

ncn Wisieusckaft nnd Kritik in vollem Maßc zugestchn.
Nur dürfte in unscrem Falle die Nücksicht auf die ganzc
Umgebung gegen die gothische Formcnwelt Bedenken cr-
wecken. Hat man doch selbst in Miinchen, wo der Eklck-
tizismus die üppigsten Blüthen getrieben, in der Grnp-
pirung der Bauwerke Sinn fiir Harmonie bewiescn und
sich wohl gchütet, ctwa deu Wittclsbacher Palast in dic
Nähe der Glyptothck, oder die Auer Kirche iu dic Ludwigs-
straße zu pflanzen.

Doch wir wollcn nicht wcitcr in die Fragc uach dcm
Stil des neuen Berliner Donies eiutretcn. Es wird die
Sache genialer Künstlerkraft sein, hier die gceignete, schönc
nnd würdige Lösung zu findcn. Und dicsc Lösuug wird sich
vielleicht am ersten und natürlichsten vou der Erwägung
aus ergeben, welchen Gesammtumriß, welche Art von
Wirknng und Gliedernng dcr Massen der neuc Dom ha-
ben mnß, um sich nicht als stvrendeS, sondern als har-
monisches Glicd der Neihc beuachbartcr Mouumente cin-
zufügen. Man wird vielleicht dahin kommen, sich zn ge-
stehen, daß ein Bau mit entschiedener oder gar cinseitiger
Vertikalentwicklnng nicht am Platze sei; daß demnach sehr
hoch aufstrebendc, etwa mit schlanken Spitzhelmenchekrönte
Thürme ernste Bedcnkcn eiiiflößcu; daß ein K'uppclba»,
vielleicht der Fassnng romanischer Knppeln sich nähernd
oder in einer ähnlich freien Umgestaltnug der romanischen
Kuppelform, wie sie an bramantischen Kirchen Oberita-
liens vorkommt, wohl am meistcn zu ciner bedcutsamcn
Charakteristik und harmonischen Znsamnienstimmuiig ge-
eignet seiu möchte; daß freilich dabei die Rücksicht auf die
Akustik des Jnnern sich moderirend und regulirend wird
geltend zu machen haben; daß endlich das Thurmpaar,
welches man nach dentscher Sitte der Fayade gern wird
geben wollen, eher dnrch masienhafte, gedrungene Verhält-
nisse und geringe Ansteigung der Bedachung, für welche
ebenfalls der ronianische Stil genug beachtenswerthe Fin-
gerzeige bietet, als durch das Gegentheil sich wird auszeich-
ucn miisicn. Wcnn wir hier mehrfach auf dcu romani-
schen Stil verwicsen haben, so ist dies nicht im Sinne
sklavischer Nachahmung, sondcrn frcicr Aüfnahmc in gcist-
vollcr Umbildung gcschehen.

Doch alles dies sind Punktc, dcrcn siegreiche Lösung
schließlich der schöpferischen Kraft eines Meisters anheim
fallen muß. Nian möge nns daher unsre vielleicht niüs-
sigen Bemerkungen zu Gute halten, denn was wir mit
ihnen bezweckcn ist erstlich das Publiknm für diese hochbe-
dentende Angelcgenhcit zu interessiren, zweitens, auf die
uugcwöhulichcu Schwierigkeiten gerade dicser Aufgabe,
dic einc hohe künstlerischc Jntelligenz, cinc Aiischnng re-
flcktirender Dcukkraftund schöpfcrischcr Phantasic erheischt,
hinzuweiscn. Angcsichts dieser großartigstcn Aufgabe,
wclche Dcutschland vicllcicht für lange Zeit dem architek-
tonischen Genius zu stellcn hat, dürfen wir nnn wohl fra-
 
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