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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 3.1868

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Genelli's "Leben eines Künstlers"
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142

Wie oft sind solche Scencn aus dem Künstlerleben schon
geschildert und dargestellt worden: das frohe Schaffen
in der Werkstatt, umstrahlt von Mäcenatengunst oder
Frauenliebe, die mannigfache Noth und Lumperei des
Lebens, im Bettlermantel der Sentimentaliät oder ver-
sehen mit den Tröstungen des Humors! Bei Genelli fin-
det sich nichts von alledem; er ist auch hier ganz er selbst.
Tief ernst, die Weihe des Künstlerberufs mit dem Sclbst-
gefühle des Genius erfassend, greift er in die Tiefen der
Seele uud in die Entwickelungsgeschichte seines eigenen
Lebens hinein und bringt, was da Göttliches oder Dä-
monisches in ihm waltet, zu plastisch anschaubarer Gestalt.
„Nicht große Aktionen beschreibt sein Griffel; was man
das „eigentliche Leben" nennt, hat wenig überdauerude
Spuren zurückgelassen, den Schritt des Jahrhunderts
hört man nicht. Sein Herz allein ist der Dinge Maß,
bloß in der Welt des Reinmenschlichen hat er Erlebnisse;
aber durch seine Seele hindurchgehend wird ihni Ereigniß,
was Anderen kaum zum Bewußtsein dringt, wird das
Kleine groß, das Unscheinbare bedeutsam." *) Drei
Sphären sind es namentlich, in welchen er sich bewegt:
die stille Sammlung im Dienste der Kunst, der Verkehr
mit der Welt in Freundschaft oder feindseligem Zusammen-
stoß, und endlich das frohe Behagen und der sanfte Liebes-
verkehr im Hause der Seinen von den Tagen der Kind-
heit bis in's Greisenalter. Nichts ist anziehender in diesen
Bildern als die Bevorzugung, welche der Künstler gcradc
der letzterwähnten Sphäre, der des häuslichen, familien-
haften Verkehrs, hat angedeihen lasseu. Dadurch be-
währt er sich so recht wieder als deutscher Künstler und
zeigt von Neuem den ewig Unbekehrbaren, wie wenig
klassische Kunst und germanischeSinnesart einander wider-
sprechen.

Begleiten wir ihn jetzt durch die Reihe der Bilder.
Den Grundakkord des Ganzen schlägt das Titelkupfer:
„Der Künstler" an, in der wundervollen Nhythmik
seiner Komposition jenen göttlichen Stanzen der Göthe'schen
„Zueignung" vergleichbar. „An ödem Gestade, nur von
Amor begleitet, der ihm zu Füßen entschlummert ist, rnht
der Künstler im Schoße seiner Göttin, der Hoffnung.
Was sic als Sinnbild seines Geschickes ihm auferzicht
mit vestalischer Pflege, zeigt wachseud Drachengestalt: das
ideale Wollen droht ihn selbst zu verschlingen. Er aber,
unbekümmert um irdisches Dasein, läßt Fortuna mit ihren
lockenden Gaben begehrungslos vorüberziehen. Fernab
schläft Fama, der Ruhm; nicht HLlt er die Eine, noch
weckt er die Andre, sondern giebt sich ganz dcm Liebling
hin, der aus göttlicher Höhe zu ihm herniederflattert,
Phantasus, iu dessen Wundcrspiegel cr dcr Secle Ahniing

') Worte der Einleitung von M. Jordan, welchem wir
auch die kurzen, nach Notizen des Kiinstlers verfaßten Erläute-
rungen der Bilder verdanken.

und des Herzens Wünsche im Wechsel unendlicher Ge-
stalten verkörpert selig schauend genießt."

Die sechs ersten Lebensbilder gclten den glücklichen
Knabenjahren: schon an der Mutter Brnst saugt das
Kind Bewunderung und Liebe der Kunst ein; währcnd
es die erste Lebcnsnahrung trinkt, ist die Mutter in ein
Werk des Vaters, — des Landschafters Janns Genelli,
— verloren, das ihr dieser mit begeistertcn Wortcn
erklärt; dann sehcn wir den Kleinen, im Umkreise nmnterer
Mädchen, des Vaters Schülerinnen, als kühneu Tafel-
bekritzler die Künstlerlaufbahn spielend betreten: Ahnnugen
der höchsten Schönheit, von Eltern nnd Freunden geweckt
und gepflegt, steigen in der Kindesseele auf und zugleich
erblüht der schnmcke Leib des Kuaben zu so vollkommener
Anmuth, daß er einmal als Amor, wie er vom Throne
Jupiters herabsteigt, einem befreundetcn Künstler Modell
zu steheu auserlesen ward; auch Märchen und Rittcrspiel
ragcn in die holde Knabcnwelt hinein, die phantastische
Seite in der Natur des Künstlers voraus verkündigend.

Jetzt naht die Zeit des Uebergaugs zum Jünglings-
alter, des Mellepheben, wie das weiche hellenische Wort
sie nennt: „der laute Knabe wird still, der vordem ge-
sellige sucht die Einsamkeit. Zum ersten Mal in Gedanken
über sich selber verloren, cmpfiudet der Jüngling das
Nathsel des Daseins." Eine der wnndervollsten Kompo-
sitioncn (Tafel 7) vcrkörpert uns den Moment, in welchem
sich dem Einsamen die Bestinmiung seineS Lebcns enthüllt:
es naht ihm „als Bote seines Genius der Gott der
Gestalteuwelt, Phantasus, und flüstert dem Sinnendcn,
der dem göttlichen Sendling eutzückt die Arme entgegen-
breitet, holde Verheißungen zu." — Um sie zu erfüllen,
bedarf es nun aber des ernsten Studiums und der
Kenntniß der Welt. Sechs folgende Bildcr zeigen uns
die Hauptmomente dieser Lehrjahre des Künstlers: des
Oheims, Christian Genelli, des geistvollen Architekten
und Forschers liebevolle Unterweisung in veredclnder
Wissenschaft; das bis tief in die Nacht unter Schaucrn
des Toves rastlos betriebene Studium der Anatomie; dic
stillcu Weihestunden im Verkehr mit eiuer erhabcnen
Freundin; endlich die Blicke auf die Schatten- und Nacht-
seiten dcs Lebens, darunter auch in ein Jrrenhaus, —
eiu merkwürdiges Gegenstück zn Kaulbach's berühmter
Zeichnung.

Den Lehrjahren folgen die Wanderjahre. Wo
anders hätte Genclli sie zubringen sollen als in Jtalien?
Manch zartes Geheimniß uud mancher Zug echttlassischer
Lebenslust wird in den siebcn reizvollen Blättern cnthüllt,
welche das Treiben dieser goldenen Tage schildcrn. Es
sind des Meisters „Nömische Elegicn." Deu Schluß
dieser Serie bildet die Scene: „Aus toller Zeit," welche
uns die künstlerischen Genossen jener Tage, den alten
Koch, Brugger und Rahl mit Genelli nm den aus leerem
Fasse thronenden Gott Komus versammelt vorführt.
 
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