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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 3.1868

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Ein Selbstporträt
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178

Seine Freunde fanden, er habe etwas von Diderol in
der Unabhängigkeit seines DenkenS und in der Ungenirt-
heit seines Stils: entschiedene Sympathicn, lcidenschaft-
liches Urtheil. Aber vielleicht hat er mit seinem Urtheil
nicht so ganz Unrecht gehabt? Eine Art Nachwelt hat
darüber jetzt schon den Spruch gefällt.

Wahrlich, in der Frage nach dem Talent der Knnstler
und nach ihrem relativen Werth hat er, wie eS schcint,
fast immer Necht gehabt. Sind Dccamps und Delacroix
Maler oder nicht? Heute gehört nicht viel Verstand dazu,
sie als solche anznerkennen und zn wiirdigen. Abcr man
versetze sich um dreißig Jahre znrnck nnd erinnere sich der
gewaltigen Dispnte über diese Neuerer! Kein Mensch in
Frankreich hat mehr Schimpf ertragen müssen als Delacroix.
Eine unerbittliche Verfolgung traf seine ganze Schule.
Und was ist aus den Verfolgern geworden? Jhre Werke,
ja ihre Namen selbst sind vergessen.

T. Thorck war derVerbündete und ausdauernde Ver-
theidiger des revolutionären Siebengestirns. Seine
Salonberichte von 1844 — 48 bildcn den Schluß einer
ununterbrochenen Reihenfolge, seit 1832. Nur ein Jahr,
1841 nämlich, fehlte unser Kunstkritiker auf dem Schau-
platze der Ausstellung: er war damals wegen einer politi-
schen Broschüre eingesperrt. Wiederholt berichtete er da-
gegen in zwei Blättern gleichzeitig über eincn und den-
selben Salon. Die hanptsächlichsten dieser Berichte er-
schiencn im Constitutionnel, den der Doktor Vöron wieder
in's Leben gernfen hatte, unter Mitwirkung von Balzac,
George Sand und Eugene Sue, und dessen Redaktion er
alle mögliche Freiheit ließ. Man wird sehen, daß der
Bürger Thore davon den auSgedehntesten Gebrauch ge-
macht hat, selbst in den Jahren unmittelbar vor der Re-
volution.

Die Romantik erhob den ersten Sturmprotest gegen
die alten Regeln: instinktive Phantasie, Selfgovernment,
Freiheit von jeder Solidarität mit den übrigen Thätig-
keiten des menschlichen Geistes, das war ihre Parole.
Der Künstler sollte rein auf sich selbst gestellt sein und
seinenWeg machen, nnbekümmert nm Philosophie, Politik,
Bolkswirthschaft und Gelehrsamkeit; diese strebten aber
gleichzeitig, eine jede für sich, auch nach einer Ernenernng
der Welt.

Obgleich mittcn im Strndcl der Nomantik darin, accep-
lirte der Autor vcr Salonbcrichtc doch jenes Schlag-
wort: ,,1'art ponr I'art" keincswegs. Er sctzte ihm viel-
mehr schon damals eine anderc Formel gegenüber, welche
nach seiner Ansicht die wahrhaft moderne Kunst bcfscr
charakterisirt.

Ehemals war die Knnst nnr für Götter und Könige
da. Bielleicht ist die Zcit gekommen, wo sie einfack —
für Mcnschcn da ist. Also I'OIHt I.'IIO^lbll?-

dachte der vito^on Thorö, und W. Bürger findet, daß er !
nicht so llnrecht hat.

Allein.trotz diescm Glaubcn an cinc Negencration der
Knnst durch Wahrheit der Empfindung, Liebc znr Natnr,
durch den Anschluß an dic thatsächlichen Eroberungen
unserer von der Vergangenheit so grundverschiedenen Ci-
vilisation, bricht an einigen Stellen der Salonberichtc
^ nnseres Kritikers doch noch der alte Wahn hindurch. Hie
nnd da erscheiut die „Borsehnng", in mhstischeö Dunkel
gehüllt, nnd das „Jdeal" wiegt sich in allerhand nebel
haften Phrascn. Das war so literarische Mode damals.
Man wnßte zwar nicht, was all die schwülstigen Redens-
arten eigentlich bedenten sollten, aber man fand, sie
machten sich gnt. Man legte überhanpt weniger Gewicht
anf Präcision des Gedankens als auf Glanz der Sprache,
Stilift scin, das war das Höchste für die damalige Gcne-
ration. Sie hat nns denn aber anch einigc wahre Perlen
schriflstellerischer Knnst hinterlassen, in denen Arbeitcr
von der raffinirtcsten Geschicklichkeit die schwierigsten Anf-
gaben sprachlicher Darstellung mit einer Vollendnng ohne
Gleichen behandelt haben.

Eine andere Manie der damaligen Zcit, die noch
lange in Fraukreich fortdauern wird, ist die, das franzö-
sische Volk allen anderen Bölkern des Erdkreises voranzn-
stellen. Anch von diesem naiven nltrapatriotischen Vor-
urtheil wird man in den Salonberichten T. Thorö's noch
eiuige Spuren finden.

Jch habe T. Thorv in Paris vor 1848 kenncn ge-
lernt, aber am häufigsten sah ich ihn im Anslande,
während seincs Exils, an den llfern der Themse nnd deS
Rheins, des Genfer See's nnd der Znydersee. Man
lernt anf Reisen. Er hat viel gelernt, aber hauptsächlich
viel vergessen. Er schätzte damals Shakespeare nnd
Goethe schon ebenso hoch wie die großen Schriftsteller
Frankreichs. Jch habe ihn sogar einmal sagen hören,
Rembrandt sei cin besserer Zeichner als Poussin!

Während seines langen Aufenthaltes in der Fremde,
unter den vcrschiedensten Völkern, ohne Hosfnnng auf
Heimkchr in das Vaterland, war er Kosmopolit gewordcn.
Er hatte einsehen gelernt, daß der nniverselle Charakter
der Zeit, begünstigt dnrch so viele wunderbare Erfindnngcn,
der alten isolirten Entwickelnng der Völker den Boden
unter den Füßen wegziehen müsse, daß die kühnsten Ein-
gebungen der Poesie nicht mehr stichhalten können gegen-
über der positiven Wissenschaft, daß die verstocktesten Vor-
nrtheile der allgemeinen Anfklärung weichen müssen, und
daß, waS speciell die Knnst anbelangt, eS gcltc, eine
rationelle Geschichte und cinc neue Kritik im Hinblick anf
einc nene Kunst zn schafsen.

Diese Jdcen beschäftigten ihn besonders lebhaft nach
der WeltanSstcllung von 1855, und cr faßtc sie znsammcn
in eincm, dicscn Saloubcrichtcn voranSgeschicktcn, Artikcl
- „Neue Zielpnnkte der Knnst", — welcher viellcicht von
dcn Fortschrittcn dcS GeisteS scit dcn Tagcn der Romantik
ein Bild geben kann.
 
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