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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Lemcke, Carl: Straßburg: (Brief an den Herausgeber)
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0004

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VI- Jahrgang.

Äriträgr

N"d anvr. C.v.Littzow
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21. Oktodrr.

Nr. 1.

Inserate

k 2 Sgr. für die drei
Mal gespaltene Petit-
zeile werden von jeder
Buch- und Kunsthand-

187«.

Beiblatt zur Zeitschrist sür bildende Kunst.

Verlag von L. A. Leemann in TLetVZtg.

Am 1. und 3. Freitage jedes Monats erscheint eine Nummer von in derRegel einem Quartbogen. Die Abonnenten der „Zeitschrift für bildende Kunst" er-
halten dies Blatt xrLtis. Apart bezogen kostet dasselbel^ZTHlr.ganzjährlich. Alle Buch-und Kunsthandlungenwie allePostämternehmenBestellungen an.

Inhalt: Straßburg. — Die Ausstellung der Piloty'schen Schule in der
Münchener Kunstakademie. — Aus Käser's Kunstsalon. — Korrespon-
denz (Florenz). — Nekrologe. — Kunstliteratur und Kunsthandel. —
Personalnachrichten. — Kunftvereine, Sammlungen und Ausstellungen.
— Bermischte Kunftnachrichien. — Neuigkeiten des Kunfthandels und
der Kunstliteratur. — Zeitschriften. — Znserate.

Straßburg.

(Brief an den Herausgeber.)

O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt,

Davor, da liegt begraben so mancher brave Soldat. —

So haben unsere Landwehrmänner aus dem Norden,
wo dies Lieblings - Volkslied von Straßburg uns von
Kindheit an umklungen, den Anfang: „Darinnen liegt
begraben" — geändert. Jch bin, sobald am 30. Septbr.
die halbwegs sichere Nachricht kam, man kögne in die
Stadt hinein gelangen, augenblicklich abgefahren, um
Deinem Wunsche gemäß und dem eignen Wunsche folgend
nach dem Münster zu sehen. Zwei Bekannte, darnnter
Th., schloßen sich mir an; mit dem Nachtzuge gingen wir
Vvn hier ab, um von Karlsruhe ans den ersten Zug be-
nutzen zu können und den ganzen Tag für Straßburg zu
haben. Die Wartestunden in der Nacht in Karlsruhe
waren allerdings ungemüthlich genug; die Restauration
erster und zweiter Klasse geschlossen; die der dritten Klasse
wurde um zwei Uhr geschlofsen und alle Sitze der Warte-
säle besetzt oder belegen, so daß schon bei unserer An-
kunft etliche Personen sich auf dem Fußboden eine Lager-
vder Streckstätte gesucht hatten. Zur ausdauernden Be-
krachtung des schönen Sternenhimmels aber war die
Wartezeit zu lang und die Nacht zu kalt. S o waren wir
sroh, beim Tagesgrauen wieder auf die Bahn zu kommen,
vrn etwas Morgenschlaf nachnicken zu können. Gegen
veun Uhr waren wir in Kehl. Beim Eintritt in das j
^uggedehnte Städtchen sieht man wenig von ver als so
ßewaltig geschilderten Zerstörung: zertrümmerte DLcher, !
hte und da burchlöcherte Mauern, zerschlagene Fenster; j

einem zweiflerischen Gemüthe kann der Gedanke auf-
steigen, die Nachrichten von derBerwüstung Kehl's möchten
so iibertrieben sein, wie diejenigen von Saarbrücken es in
der That waren. Sobald man aber in die Hauptstraße
eingebogen und über die Kirche Hinausgekommen ist, wird
man eines Andern belehrt. Bis zum Rheinbahnhof hin
hört mit einem Wort und im eigentlichen Sinne Alles
auf. Die totalste Verwüstung! Hie und da Mauerfetzen,
durchgängig aber kein Stein auf dem andern, Alles so in
Schutt und Grus zerfallen, als ob werkthätige Hände ge-
holfen hätten, zu planiren, und man oft nicht begreift, wo
die Massen, die hier sich erhoben, geblieben sind: rein ab,
rein ab, bis auf den Boden! Seit ich Kehl als Vor-
spiel und daun Straßburg's Vorstädte gesehen, verstehe
ich etliche Kapitel aus der Bibel und der alten Kriegs-
geschichte besser. Dieses radikale Niederliegen wird daher
kommen, daß alles Holzwerk völlig zu Asche gebrannt ist,
sich nirgends Aufstauchungen bilven konuten und der
Schutt so in sich zusammenfiel, daß man glauben kann,
Alles sei ganz und gar dem Fußboden wieder gleich
geworden.

Es war mir interessant, an mir zu gewahren, wie
gleich hier alle gewöhnlichen Maßstäbe aufhörten. Ein-
mal hinein getreten in diese Verwüstung und das Maß
ist voll! Alle gewöhnlichen Vergleichungen gewöhnlicher
größerer Feuersbrünste haben aufgehört. Ob noch hundert
oder ein Paar hundert Häuser mehr zerstört wären, würde
für den Augenblick keinen gewaltigeren Eindruck machen,
der eben mit der bloßen Vsrmehrung der Vielheit nicht
im selben Verhältniß sich zu verstärken vermag. Glück-
licher Weise nicht. Oder die Menschen, welche die
Gräuel eines Schlachtfeldes oder anch nur die Summe
der Hollenaualen eines Lazareths voll Schwerverwundeter
sähen, würden wahnwitzig. Auch hinsichtlich des Gemüths-
lebens sind wir wie die Pflanzen: ein bestimmtes Maaß
 
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