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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 7.1872

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Meyer, Bruno: Die Konkurrenz-Entwürfe zum Berliner Goethe-Denkmal, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4814#0210
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411

Konkurrenz - Entwiirfe zum Berliner Goethe-Denkmal. III.

412

Unglück" unter ihrem linken Knie. Rechts die Tragödie
als nackter langbärtiger Mann, schlafend; zwischen seinen
Schenkeln sitzt ein — wie es scheint — auch eingenickter
Iunge mit einem Dolch, rechts davon spielt einer mit
einer riesigen tragischen Maske. Hinten links das Epos,
ein völliges, halbnacktes Weib; die Linke hält ein Schwert;
über die rechte Schulter kost sie mit einem Jungen, ein
anderer, rechts sitzender stößt in eine Trompete. Rechts
die Philosophie, ein sinnender nackter Mann, dessen linke
Hand den Wasserspeier faßt; die rechte ruht am Halse;
hinter ihm sitzt eine Eule, im Schoße ruht ihm ein Junge
mit Schrifttafeln, rechts liegt einer lesend über ein dickes
Buch hingestreckt. Das Alles treibt sich in möglichsthorizon-
taler Lage umher. AlleGlieder sind in Auflösung, wie wenn
sie durch Torturexperimente aus den Gelenken gebrochen
wären. Jedes Einzelne sucht eine Stütze. Durch jene ge-
waltsamen Neckungen sind Längenverhältnisse und Lagen
unerhörtester Art herbeigeführt; Schwindel ergreift einen,
wenn man versucht, sich die Knochengerüste dieser menschen-
ähnlichen Gestalten vorzustellen. Und doch, was zeigt
sich hier für eine urwüchsige Kraft und für eine Phantasie
in der Konzeption! Wer jenen bärtigen Repräsen-
tanten der Tragödie gesehen hat, der vergißt den Ein-
drnck wohl nicht so leicht; ihm ist, als wäre ihm ein neue
Seite der Sache anfgegangen. Was Begas selber stets
nnr durch die Aeußerlichkeiten fertig bekommen hat, noch
niemals durch die tiefe Geistigkeit und den großartigen
Anhauch, jenen wahren ntklntus äivinns, das hat der Nach-
strebende bereits vermocht: an Michelangelo zu erinnern;
„U Oropnsoolo" wolltemirnichtaus demSinne, obgleich
äußerlich gar keine Aehnlichkeit vorhanden war. Es bricht
einem das Herz, wenn man sieht, wie eine solche Kraft
dem Gelächter und dem kalten Hohne verfällt, weil sie
sich durch Maßlosigkeit zerrüttet. Wie kann ein solches
Talent sich dazu hergeben, sich an dem vierten Aufguß,
der von den Fehlern des gewaltigen Florentiners gemacht
wird, zu nähren, beziehentlich zu vergiften, statt das
Mark der Gesundheit an der Urquelle in sich aufzu-
nehmen? Möchte der hochbegabte junge Künstler von
dem Großmeister der Kunst lernen, den er hier verherr-
lichen wollte, und den er sehr oberflächlich zu kennen
scheint. Auch der brauste in jugendlichem Ungestüm da-
her, Freiheit wähnend, was Zügellosigkeit war; und als
er von seinemJrrthume geheilt ein wahrer, großer, reifer
Künstler geworden war, da faßte er seine normgebende
Lebenserfahrung zu Nutz und Frommen Aller, die hören
und lernen wollen, in die wahrhaft ewigen Worte
zusammen: Jn der Beschränkung zeigt sich erst der
Meister, und das Gesetz nur kann uns Freiheit
geben! — Und in anderer Form, geheimnißvoll fast,
doch unerschöpflichen Sinnes voll: Willst du in's
Unendlichc schreiten, geh nur im Endlichen nach allen
Seiten! — Die Hofsnung ist wohl berechtigt, daß der

Künstler sich früher oder später seinen Verpflichtungen
und seiner Verantwortlichkeit gegenüber der Menschheit
bewußt und gerecht werden und das ihm anvertraute Pfund
nicht als Schleppträger der Einseitigkeit verzetteln wird.
— Von der sitzenden Statue sage ich nichts weiter; sie
ist Begas'scher Richtnng, ohne besondere Eigenthümlichkeit.

Otto Pfuhl in Berlin. Er ist wegen der Ver-
werthung der über die lebende Natur geformten Maske
bemerkenswerth. Namentlich verdient die mit ausgestellte
lebensgroße Büste als eine treffliche und des Originales
wegen sehr werthvolle Arbeit der Beachtnng empfohlen
zu werden. Das Monument als ganzes (mit stehender
Statue) ist wenig bedeutend. Den Figuren am Postament
fehlt es an Entwickelung, wiewohl manches recht gut ge-
wollt ist.

Vincenz Pilz in Wien. Unbedingt eines der her-
vorragendsten und gelungensten Monumente im Aufban,
von einer ganz vortrefflichen Totalwirkung. Die Anord-
nung des Postamentes ist eben so originell wie glücklich.
Ein elliptischer, breit genommener Kern, von konzentrischen
Stufen in zwei Absätzen umgeben. Der untere Absatz hat
nach vorn und hinten eine Ausladung, die ein kleines
Plateau bildet; auf dem vorderen ruht Phidias, nackt,
durch dieHephaistoskappe als Werkmeister bezeichnet, gegen
den Zeuskopf gelehnt, auf dem die Rechte mit dem Schlägel
aufliegt, während die Linke mit dem Meißel den aufge-
stützten Schenkel zum Ruhepunkte hat. Diese Figur —
als Einzelheit genommen — hat in der ganzen Goethe-
konkurrenz mit Ausnahme der Donndorf'schen Statnette
nichts an absoluter Genialität Ebenbürtiges gefunden.
Dabei ist sie dieser durch den großartigeren Wurf, die er-
habenere Monumentalität unendlich überlegen: man glaubt
eine Riesenfigur wie den antiken Nil oder Tiber oder dgl.
durch ein Berkleinerungsglas zrr sehen. Diese Gestalt ist
eine der bedeutendsten plastischen Jnspirationen der Neu-
zeit, unbedingt eine der schönsten halbliegenden Figuren,
die überhaupt existircn — und man weiß, was das sagen
will! Jndem man sie beschaut, wird man an die unfehlbare
plastische Auffassung und Haltung der Antike und zugleich
an Rahl'sche Leben- und Formen-, ja man möchte sagen
Farbenfülle gemahnt. Wenn die Goethekonkurrenz weiter
gar nichts zuwege gebracht hätte, als diese Figur entstehen
zu lassen, so wäre sie schon um deswillen ein unberechen-
barer Gewinn für die Kunst gewesen. — Dem Phidias
entspricht auf der hinteren Seite Plato, eine ähnlich mo-
tivirte und auch ähnlich wirkungsvolle Fignr, doch nicht
von der souveränen Vollendung der ersteren. Um den
Unterbau läuft ein Reliefstreifen, auf den ich zurück-
komme. Auf demselben erhebt sich ein viereckiger, sich
verjüngender Sockel von vortrefflichen Verhältnissen (wie-
wohl er ohne Schaden und wohl selbst mit Vortheil etwas
niedriger sein könnte) und von außerordentlich schöner
Prosilirung. (Sollte nicht Hansen einigen Theil an der
 
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