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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 8.1873

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Aus Tirol
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Rosenberg, Adolf: Das Parisurtheil in der Kunst des Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.4815#0187

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363

DaS Parisurtheil in der Kunst des Mittelalters.

364

Wir können es nur billigen, wenn das Museum
darauf bedacht ist, gute Bilder tirolischer Meister zu
sammeln, seien es nun ältere oder jiingere, und wenn
auch nicht ersten oder selbst zweiten Ranges. Die Kunstge-
schichte hat nicht bloß nach diesen zu fragen; es ist oft
wichtig, den Einfluß, die Verbreitung und Dauer mancher
Richtungen kennen zu lernen. Gerade Tirol, wo sich das
deutsche und das wälsche Element so vielfach kreuzten, böte
zu solchen Studien gute Gelegenheit.

Es beginnt bald wieder der Fremdenzug. Da möchten
wir noch einmal dringend zur beffern Aufstellung der
so wcrthvollen Galerie Tschager rathen; durch bloßes
Schimpfen auf mißliebige Korrespondenten in dieser An-
gelegenheit wird wahrlich nicht geholfen.

Das Parisurcheil in -er Kunst des
Mittelalters.

Obwohl man allgemein mit Recht die von Passavant,
Rathgeber und von Quandt aufgebrachte Deutung der
unter obigem Titel zusammengefaßten Darstellungen auf
„König Alfred von Mercia, Ritter Albonak und seine
drei Töchter" aufgegeben hat und wieder zum „Paris-
urtheil" zurückgekehrt ist, sind dennoch in der Erklärung
der Einzelheiten sowohl als auch der gesammten Ausfassung
einige Schwierigkeiten zurückgeblieben. Doch werden auch
diese durch einen meines Wissens bisher unberücksichtigten
Kupferstich des Virgilius Solis gelöst.

Auf dem von Bartsch Bd. 9 unter No. 110 ver-
zeichneten Kupferstich jenes Stechers erblickt man im
Bordergrunde einer Landschaft drei unbekleidete Frauen.
Die erste von ihnen, zur Linken des Beschauers, hält in
der erhobenen Rechten eine Kugel, die Linke hat sie auf
die Schulter der zweiten Frau gelegt, welche dem Beschauer
den Rücken zukehrt. Diese ist bekränzt und trägt inder aus-
gestreckten Linken einen Palmenzweig, die Rechte legt sie
auf den linken Arm der dritten, welche im Profil nach
links gewendet erscheint und mit einem Diadem und großen
Flügeln aus Pfauenfedern versehen ist. Jhre Rechte ist
mit einem Pfeile bewaffnet. — Jm Hintergrunde des
Bildes liegt, äußerst klein, ein gewappneter Mann halb
aufgerichtet unter einem Baume. Hinter ihm erscheint ein
zweiter, der mit der Linken auf die Göttinnen weist. Er
trägt einen mit Flügeln geschmückten Helm. Links an
einem Baume befindet sich das Monogramm des Künst-
lers. Ueber der ersten Göttin steht U. (d. i. ^kallas"
vgl. Virg. Solis, Bartsch No. 109, wo Pallas ebenfalls
mit einer Kugel auf der Haud als dem Shmbol der Welt-
herrschaft erscheint; durch einen Schild zu ihren Füßen
ist sie auf No. 110 überdies noch mehr charakterisirt),
über der zweiten v. (d. i. „viaiia" auf B. 108 auch mit
einer Palme in der Hand), über der dritten endlich V.

(„Vsnnus" auf B. 107 geflügelt*) mit Pfeil und Palme;
auf No. 110 steht zu ihren Füßen ein Pfau). Am oberen
Rande des Stiches liest man DRLVN U^R18. Wir
begegnen also hier einer Version des Mythus, nach
welcher dem im Walde eingeschlafenen Paris die drei
Göttiunen in Begleitung des Merkur im Traume er-
schienen. Ferner wurde an Stelle der Juno Diana in
die Mitte der Göttinnen gesetzt. Wenigstens zwingt uns
die Jnschrift auf dem Stiche des Solis. ein solches
Factum anzunehmen, wenn wir auch nicht auf den übrigen
Bildern dieses Gegenstandes eine derartige Abweichung
anzunehmen haben. — Woher diese neue Wendung der
Sage stammt, wird sich schwer auffinden lassen. Jeden-
falls findet man in den bisher gedruckten Büchern über
die trojanische Sage nichts Einschlägiges. Das Erscheinen
des Merkur in mittelalterlicher Rüstung darf nicht auf-
fallen, auch wenn ihm besondere, aufseine göttliche Eigen-
schaft deutende Abzeichen fehlen.**) Es war diese Auf-
fassung eine Folge des Einflusses der höfischen Ritter-
dichtung. Die Epiker des 13. und 14. Iahrhunderts
behandelten und beschrieben Personen des klassischen Alter-
thums mit derselben Vorliebe für prächtige Wehr und
Waffen, wie dieFiguren derdeutschen Rittersage. Hektor,
Paris und Alexander unterscheiden sich äußerlich (und
wohl auch geistig) in Nichts von Parzival und den Rittern
des heil. Gral.***) Der Bart, das Zeichen der Mann-
haftigkeit, durfte dem weichlichen Paris ebensowenig wie
dem jugendlichen Götterboten fehlen.

Das auf den meisten Darstellungen dieser Sage be-
sindliche Pferd hinter dem schlafenden oder erwachenden
Paris erklärt sich daraus, daß die Sage in ihrer Er-
weiterung und Umbildung erzählte, Paris wäre von der
Iagd ermüdet eingeschlafen. Eine Jagd ohne Pferd
konnte sich aber das Mittelalter kaum denken. Im „Liet
von Troye" des Herbort von Fritzlar berichtet Paris
selbst, V. 164 flg., sein Abenteuer in ähnlicher Weise.
„Jch war bereit und sollte jagen, gen Sommerzeit in
heißen Tagen, da kam mir ein Hirsch zu heraus vom
Morlande. Ich hetzete meine Hunde, erfolgen ich ihn
nicht kunnte. Das Wetter war sehr heiß, da trieb mich
Hitze und Schweiß unter einen kühlen Baum. Der kleinen
Wässerlein Strom hatte ihn umgangen... Sein Schatten
konnte langen über der Wässerlein Gang.. Ein Brunnen

') Die Beflügelung war im Mittelalter die allgemeine
Bezeichnung einer Gottheit. So erscheint in der Geschichte
des troj. Krieges von S)air von Nördlingen (Augsburg 1488)
Oenone, als ihr Paris begegnet, und Venus und Discordia
beim Parisurtheil mit Kopfflügeln.

**) Vgl. Virg. Solis, B. 154. 159. (bärtig mit Flügel-
helm). 133. 168. u. 177 (ohne Bart). Nnr einmal 175 im
idealen Koüüm.

*") Sotzmann, Bl. f. lit. Unt. 1852, No. 11. Woltmann
in dieser Zeitschr. 1872, S. 187.
 
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