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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 8.1873

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545

Aus dem Oesterreichischen Kunstverein.

546

— aber auch jener Kaulbach ist er geblieben, deffen groß-
artiger Gedanke stets iu Episoden zerfällt, welche mit dem
Centralpunkte in kaum mehr als symbolischen Beziehungen
stehen, deffen Gestalten nur durch den feffelnden Rhyth-
mus der Linien zusammengehalten werden, welchen aber
der tiefere organische Zusammenhang mit dem Wesen der
Darstellung mangelt. Jmmer und immer kommt man bei
den großen Kaulbach'schen Kompositionen auf Raffael's
Fresken in der Camera della Segnatura zurück, wo die
Lösung Lhnlicher Probleme in einer Ruhe und Klarheit
sich entwickelt, die bei Kaulbach trotz seines pomphaften
Aufwandes technischer Mittel nicht zu finden ist. Ver-
gleicht man Kaulbach und Raffael mit einander, so zeigt
sich sofort, wie die wunden Stellen in des Ersteren Bildern
gerade darauf beruhen, daß er in der Symbolik weit über
die Grenzen der Malerei hinausgeht. Der symbolische
Gedanke wird bei ihm aufdringlich und lockert den maleri-
schen Zusammenhang, wenn er ihn nicht gar völlig zerreißt.
Schon in der „Zerstörung Jerusalem's" zeigte sich dieses
Zerlegen des Grundgedankens in einzelne Akte, welche
bei all ihrer virtuosen Detaildurchführung in dem Zu-
sammenreihen doch nur dem pomphaften Schlußtableau
eines Ballets ähnlich sind.

Nicmand kann es vor Kaulbach's „Nero" läugnen,
daß die bedeutungsvolle Epoche des Uebergangs vom
Heidenthum zur christlichen Zcit in äußerst geistvoller
Weise geschildert ist; die angedeuteten Bedenken aber
machen sich hier ebenso lebhaft geltend, wie allen großen
Kompositionen des Künstlers gegenüber, höchstens die
„Hunnenschlacht" ausgenommen. Das noch einmal in
allem äußeren Glanze des Glückes und Genusses auf-
flackernde Heidenthum, ist in der oberen Gruppe des
Bildes mit aller Verve dargestellt. Hier drängen sich
unter dem Portale des Palastes die nackten Buhlerinnen,
die trunkenen Knaben, die Sänger und „Verseflicker" um
den sich selbst vergötternden Kaiser, der als Apollo mit
der Strahlenkrone vor das Publikum tritt, mit der Linken
in die von einem Knaben emporgehaltene Lyra greifend,
während die Rechte den schäumenden Becher wie im
Triumphe emporhebt. Die Gestalt Nero's ist jugendlich,
weibisch aufgefaßt, so recht als Symbol des hohlen
Palhos, des blos von dem blinden Gehorsam seines
VolkeS getragenen Jmperators, der es als Schauspieler
vielleicht ebenso am Gängelbande zu führen wußte, wie
ein moderner Cäsar bis vor Kurzem seine Nation.
Eine originelle Gestalt ist die des alten Tigellinus, der
dem kaiserlichen Sänger Beifall klatscht. Jn der Sena-
torengruppe dahinter begegnen uns echtrömischeCharakter-
köpfe. Jn den Gruppen der beiden bacchantischen Knaben
und der todten Christin mit ihren beiden Knäblein vor
dem Präfekten sind die Gegensätze, die sich im Bilde
begegncn, räumlich zu nahe gelegt; cs verletzt geradezu,
die Orgie unmittelbar neben der Leiche zu sehen; es ist

abstoßend, zu sehen, wie iu so schöuen Formen, in welchen
Kaulbach das ganze Bacchanal gezeichnet hat, so viel
Bestialität stecken kann. Das Heranströmen der jubelnden
Massen von der Terrasse im Hintergrunde, die Gruppen
der bekränzten Römerinnen, der germanischen Krieger
bis herab zu dem allmählichen Berhallen des Jubels in
dem schattigen Garten, umrahmt von imposanter, nur
etwas zu schematisch korrekter Architektur, ist ein einheit-
liches, in sich abgeschlossenes Ganze. — Jm Vordergrunde
des Bildes entwickelt sich die zweite Gedankenreihe der
Komposition; es ist wohl ein Zusammenhang da, aber er
beruht nur im Gegensatz; der „prophetische Klang", daß
das Christenthum, welches in seinen Urkeimen hier die
kosmopolitischen Jdeen vertritt, aus den Drangsalen des
Märtyrerthums siegend hervorgehen werde, kann einem
Musiker und Poeten im ähnlichen Falle eher gelingen
als dem Maler, der nur den stummen Augenblick festhält;
znm Mindesten ist es Kaulbach nicht geglückt, diesen
Grnndgedanken in der Gestalt des Apostels Paulus oder
der Episode der abtrünnigen Christen schlagend zum Aus-
druck zu bringen. Die Christenfamilien bilden für sich
keine Einheit, sie zerfallen in nicht unter sich zusammen-
hängende Glieder und impomren als Träger einer
großen Jdee gerade dadurch nicht genugsam der Reprä-
sentation des Heidenthums gegenüber. — Jn großen, schön
komponirten Gruppen wird in der unteren Hälfte das
Martyrthum der jungen Christengemeinde geschildert. Jn
herrlichen Linien baut sich in der Mitte die Kreuzigung
des heiligen Petrus auf. Die Schergen stemmen sich
gerade an, um das Kreuz zu heben, an welches der Dulder
mit dem Haupte nach abwärts geschlagen ist. Die rüh-
rende Scene, welche sich links davon entwickelt, wo die
Mutter dem an den Brandpfahl gebundenen Vater noch
eiumal sein Kind zum Kusse reicht, könnte sür sich, wie
die vorher erwähnte Gruppe, allein ein Bild abgeben.
Der Zusammenhang mit der oberen Scene ist nur durch
das Hinaufblicken des wachehaltenden Aethiopen einerseits
und des ängstlich sich umwendenden Mädchens anderer-
seits eingeleitet. Mehr in die Gesammtmaffe greift die
rechte Gruppe, wo neben heroischer Duldung auch Angst,
Schmerz und Verzweiflung ungezügelten Ausdruck findet.
Die drohende Gestalt des Apostels und die mit gesenktem
Haupte sich von den Gräueln abwendende weibliche Figur
gehören in ihren Linien zu den edelsten Gestalten, die Kaul-
bach bisher geschaffen. Jn den Gärten, die der übermüthige
Kaiser wie „Urwälder" dem Quirinal entlang angelegt
hatte, „weil man der Edelsteine schon satt war", wie
Tacitus erzählt, verhallt nach rechts hin in klagenden
Frauengestalten das Schreckensdrama.

Die Technik des Bildes zu besprechen, ist wohl über-
flüssig; sie läßt sich ja bei Kaulbach wie immer als „vir
tuos" bezeichnen. Es ist nur leider zu Vieles schöu; die bar-
barischen Schergen sind so elegant gezeichnet, die Formen

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