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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Die akademische Ausstellung in Berlin, [4]
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Die akademische Ausstellung in Berlin.

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in seincn Porträten, daß er bei dem Erfolg scincs
g^oßcn GemLldes auf dcr vorigcn Ausstcllnng sich nichl
^ruhigen dars. Seine Farbe mnß noch sanfter, scin
^oisch leichter, lcbendiger werden. Dielitz' „Bismarck",
! )on von früher her bekannt, ist eine tüchtige, talent-
dolle Arbeit.

Unter jenen Uebergangsbildern vom Porträt zum
^enre, die nieist beides vereinigen, waren wir auf frü-
)eren Ausstellungen gewohnt, sehr Tüchtiges von Kraus
^ finden. Was er diesmal bringt, bleibt hinter jenen
Arbeilen zurück. Dafür ist Amberg's „Vor der
^atinse", eine Dame ganz in weiß, die sich die Hand-
schuhe znknöpfend einen letzten prüfendcn Blick in den
^piegel wirft, cin lebendigcs, fein und sorgfältig ge-
dialtcs Bildchen, bei dcm viclleicht nur die kalten rosa
dud blauen Töne im Flcisch etwas zu sehr dominiren;
Unwillkürlich denkt man an Uonärs äo rin. Anch ist
Haltung der im Hintergrund mit Ueberwurf und
^ouguet wartenven Jungfer etwas steif. Darüber aber
^rf nicht die Vorzüglichkeit der Malcrei wie der Ge-
^nimthattung vergessen werden, und gerade wcil dies
^erk aus der bekannten Weise des Künstlers heraus-
^'itt und zugleich glänzend heraustritt, verdient es be-
svnderc Aufmerksamkeit. Die Bilder von Paulsen,
'n denen man wohl den Einfluß vpn Kraus crkennen
^arf, leiven noch unter einer gewissen Schwere der Be-
i)andlung wie einer ctwas gemachtcn Grazie der Zeich-
>>ung. Graf Harrach's „Einklang", zwci musizircnde
Danien in Phantasiekostüm, Porträtköpfe aus der Fa-
uülie des Künstlers, hängt so hoch, daß cin Urthcil
^arüber ganz unmöglich ist; gerade cinem Maler wie
^raf Harrach aber gegcnüber, noch dazu, wo derselbe
Uur dies cine kleine Bild zur Au stellung gesendet,
dürfte cin solches Todthängcn schwcrlich zn verantworten
soin; macht sich doch in leidlich gutcm Lichte viel
uüttclmäßiges und sclbst schlechtes Zcug breit.

Fassen wir den Rcst der norddeutschen Maler, so
derschiedene Gebiete sie anch vertrcten, in eins zusam-
uien, so verdient durch den hohcn Ernst des Strebens,
bie geschickte technische Diirchführnng unv die Eigenart
dcr Auffassung E. v. Gebhardt untcr ven crsten hcr-
Uvrgehoben zu werden. Scinc „Kreuzigung" bleibt der
oinmal betretenen Richtung treu, wie sie in einem be-
sonderen Aufsatze des Jhrgs. 1872 d. Zeitschr. geschildert
Urorden. Auch hier wieder ist die Auffassung, beeinflußt
durch das Studium der ältern deutschen, namentlich
der niederländischen Meister, streng realistisch und durch-
aus verständig, — aber der kühle reflektirende Verstand
überwiegt auf Kosten der poetischen Wärme, die unbedingt
die Schilderung von Scenen der heiligen Geschichte
verklären muß, wenn anders ste sich von bloßen Genre-
vder Historienbildern unterscheiden sollem Es ist eben
doch immer ein großer Unterschied zwischen der Auf-

fassung jener alten Meister, die in gutem Glauben und
völlig unbefangen einfach als das ihnen Natürlichste die
Erzählungen der Bibel in ihre eigene Zeitgeschichte über-
sctzten, und dcm als ein Resultat der Reflexion und
vcrständiger Berechnung zu betrachtenden Entkleidcn der-
selben Vorgänge von allem Wunderbaren und an das
Ueberirdische Anklingenden. Kirchlich ist selbstverständ-
lich eine solche Malerei, die mit aller Tradition bricht,
nie, aber auch nur als religiöse in gläubich-christlichem
Sinne wird man sie schwerlich gelten lassen, denn auch
der Christus der freisinnigsten Gemeinde bleibt immer
eine ideale Gestalt, die mit dem sehr naturalistisch be-
handelten Gekreuzigten Gebhardt's wenig Berührnngs-
punkte gemein hat. Sieht man dagegen allein auf die
allgemein menschlichen Vorgänge in der christlichen Legende,
so wird von diesem unbefangeneren Standpunkte die
Benrtheilnng wesentlich anders ausfallen. Dann fesselt
in unserem Bilde der Hergang durch seine Lebenskraft
und Wahrheit. Freilich nicht der Gekreuzigte ist es,
der unser Jnteresse in Anspruch nimmt, er ist vielmehr
von ziemlich nntergcordneter Bedeutung, sondern der
Schmerz der Leidtragenden, der von Johannes untcr-
stützten, gramvoll im tiefsten Seelenschmerz zum todten
Sohn oie Hände emporstreckenden Mutter, wie der am
Kreuz zu Boden gesunkenen Maria aus Magdala, dazu
die in Todesqual zu ihm, der schon ausgelitten hat,
hinüberblickenden Schächer fesseln und rühren uns.
Technisch ist das nur mittelgroße Bild eine Mcister-
leistung. Der kühle Silberton des Ganzen, ferner
Einzelheiten, so die Köpfe und Hände der beiden Ma-
rien mit ihrem feinen grauen Schatten und der blasscn
Tönung können sich geradezu den besten Niederländcrn
an die Seite stellen.

Großen poetischen Reiz gewinnt durch die nrale-
rische Auffassung G. von Bochmann's dem Gegen-
stande nach prosaischcr, der Zeichnung nach natura-
listisch behandelter „Sonntag bei der Kirche in Esth-
land". Auf dem kahlen leeren Platze vor einer Dorf-
kirchc, von dcm man links hinaus auf die Feldcr, rcchts
auf die von einigen BLumen beschattete HLßliche schwer-
fällige Kirche blickt, haben sich mehrere esthnische Bauern
eingefunden, um dem Gottesdienste beizuwohnen. Einige
halb abgeschirrte Pserde warten schläfrig vor ihrem
Wagen an der Friedhofsmauer, während die Besitzer
schon in der Kirche sind. Da nnd dort sitzt ein Bettler
am Wege. Das öde steinige Terrain nimmt den
meisten Platz im Bilde ein, die Gestalten sind spora-
disch darauf zerstreut. Dem Ganzen aber ist jener
melancholisch schwerfällige Charakter, der der nordischen
Flächc namentlich in Herbsttagcn eigen, in ergreifen-
der Weise aufgeprägt. Es muthet den Beschauer an,
wie die schwermüthigen Nationallieder der diese Striche
bewohnenden Völkerschaften. Alle Farbe hat einen Stich
 
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