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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Das Schicksal der Kunstwerke Unteritaliens
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0041

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Das Schicksal der Kunstwerke Uuteritalieus.

denm Herrlichkeit griechischer Kolonim in Calabrien.
Aber die Zeit der Wiedergeburt von Wissenschaften und
Künsten ist im Königreich Neapel nicht wie anderwärts
der Ausgangspunkt einer neuen Kultur gewesen. Treffend
wird die künstlerische Entwicklung von da ab von einem
gelehrten Benediktiner in dem Worte charakterisirt:
„Bon Luther bis auf unsre Tage war hier gleichsam
ein zweites Mittelalter."

Gegenwärtig sind die Kunstschätze dieser Provinzen
wie die ganz Jtaliens als Nationaleigenthum deklarirt.
Aber die Bildungsstufe der Süditaliener ist leider noch
eine so tiefstehende und die praktische Anwendung dieses
Satzes noch eine so mangelhafte, daß noch geraume Zeit
vergehen dürfte, bis der Stolz auf dieses Bewußtsein
ein gerechter zu nennen ist, Jst doch der Begriff „Kunst"
den Köpfen jener Süditaliener noch ein so fremdes Ding,
daß selbst Gebildete in größeren Städten zumeist nicht
wissen, was ihr Wohnsitz an Kunstschätzen birgt. Än
die Untersuchung und die Aufnahme von plastischen
Monumentm oder von Malereien seitens eines Fremden
werden immer als Jngenieurarbeiten beurtheilt, während
das gemeine Volk darin mit mißtrauischem Auge
die Arbeit eines Zauberers und Schatzgräbers sieht.
Photographische Aufnahmen der Monummte sind natür-
lich fast nirgends aufzutreiben. Diese Zustände sind
aber von der allerschlimmsten Bedeutung für die Er-
haltung beweglicher Kunstwerke, besonders der den Klein-
künsten angehörenden Objekte. Frühmittelalterliche Email-
arbeiten, Krucifixe, miniaturenreiche Codices und andere
vereinsamte Reste früherer Kulturepochen befinden sich
meist im Besitze vos Klöstern und Kirchen. Wo nun
dem Clerus eine Ahnung von dem Werthe der in seinen
Händen liegenden Schätzm nicht abgeht — und nicht
selten wird ihm dieselbe durch die Nachfrage eines
Fremden nahegelegt, — da liegt es in der Natur der
Verhältnisse, daß er hier die sonst fruchtlose Opposition
gegen moderne staatliche Einrichtungen zur Geltung bringt
und ungehindert über das Eigenthum der Nation schaltet
und waltet. Entweder verwehrt man die Betrachtung
der Gegenstände, vorgebend, dieselben seien nicht mehr
vorhanden oder die bedenklichen kirchlichen Verhältnisse
erlaubten nicht ihr Vorzeigen — Hindernisse, die sich oft
noch durch Fürsprache Einflußreicher heben lassm, —
oder auch, und das ist das Schlimmste, man läßt die
Kunstwerke in fremden Besitz übergehn, um sie vor dem
alles erbarmungslos in sich aufnehmenden Labyrinth,
dem Nationalmuseum in Neapel, dessen Jnspektoren be-
reits wie Minotauren das Land zu durchziehen an-
fangen, zu retten- So ist die alte Bischofsmitra von
Scala, in der Email- und Filigranarbeit das Zarteste,
Feinste und in der Zeichnung Vollendetste, was Jtalien
von mittelalterlicher Technik dieser Art aufzuweisen hat,
auf Gemeindebeschluß in den verborgenen Besitz eines

Amalfitaner Bürgers übergegangen. Je geringer dad
Bewußtsein eigener Größe in der Bergangenheit ist,
desto größer ist das Zurückschrecken vor dem der neuer-
stehenden nationalen Wiedergeburt: ein sehr merkwür-
diger psychologischer Zug.

Dieses Verfahren ist übrigens nicht so ganz neu-
König Ferdinand II. hat davon selbst in Neapel im
Jahre 1848 Gebrauch gemacht, indem er das berühmtc
Officium der Madonna mit Miniaturen von Giulio

Clovio von der Bibliothek des bourbonischen Museunis

zurückzog, seit welcher Zeit es nicht mehr vor die Oeffent-
lichkeit gckommen ist. Jn Vasari's Lebensbeschreibung
des genannten Miniators nimmt fast ein Drittel die
Beschreibung dieses Officiums ein, an dem der Künstlei'
neun volle Jahre mit dem Vorsatze arbeitete, damit se>n
Meisterwerk zu schaffen. Vasari's Bewunderung für das
Werk ist so groß, daß er unter anderem sagt, man könne
behanpten, Don Giulio habe in diesem Werke die Alten
und die Modernen übertroffen, er sei darin für seine
Zeit ein kleiner und neuer Michelangelo. Selbst die
Ausgabe Vasari's von Le Monnier (Bd. 13, 1857) und
ebenso die Reisehandbücher führen das Werk immer noch
als ini neapolitanischen Museum befindlich an.

Die meisten derartigen Kunstschätze ziehen indessen
auf einer anderen Straße aus dem Bereich der Oeffent-
lichkeit, welcher zu folgen auch für den eifrigsten Forscher
cin vergebliches Unternehmen bleiben wird; die Klöster
schenken vor ihrer Aufhebung, wenn es nur irgend geht,
ihre Schätze an Handschriften, natürlich vor allem die
mit Miniaturen geschmückten, als Scheidegruß dem Papste,
ein Verfahren, von dem selbst die Theatiner von Capua
keine Ausnahme machten, indem sie den schönen minia-
turenreichen Exultetvotulus von Benevent aus dem Jahre
1059 hinter die chinesische Mauer des kataloglosen Reiches
vatikanischer Archive wandern ließen. Capua, das alte
Casilium, und seine Mutterstadt, das nahebeiliegende
Santa Maria Capua Vetere, sind sonst Städte, die sich
von den geschilderten traurigen Zuständen in rühmlichster
Weise abheben. Reich an Monumenten aus der Zeit der
Longobardenherrschaft, noch mehr an solchen seiner antiken
Größe haben beide Städte, als sie vor wenig Jahren
die Gründuna eines Museums für kampanische Alter-
thümer beabsichtigten, erst nach harten Kämpfen der Ri-
valität sich dahin geeinigt, daß Capua nuova der Sitz
desselben sein solle. Die Räume eines Palastes sind
demselben zur Verfügung gestellt, und so bildet denn die
bereits ansehnlicke Sammlung den gerechten Stolz der
Provinz, die damit vor den Thoren Neapels, eingedenk
ihrer großen Vergangenheit, sich in künstlerischer Be-
ziehung eine Selbständigkeit wiedererobern wollte. Für
den Reisenden wird der Besuch dieses am 31. Mai 1874
eröffneten Museums immer eine lohnende Vorbereitung
auf das neapolitanische sein. Es bietet so ziemlich die-
 
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