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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Die akademische Ausstellung in Berlin, [5]
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Die akademische Ausstellung in Berlin.

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^ geläufigen Merkurgestalt zu thun, viclmehr aber mit
^Ueiu Arbeiter; jcncs kräftige juugc Mädchen sieht nicht
die Psyche des Alterthums sondern wie eine ctwa
Zlvanzig- l>is zwciundzwanzigjährige Dame nnserer heu-
Pen Gcsellschaft aus. Aber der Gedanke dcs Ganzen
^niut in staunenswcrthcr Wcise klar zum Ausdruck.

erkur käuert sich zusammen zum Fluge und giebt eben
^ner Gefährtin, die keincswcgs schr zuvcrsichtlich an
Wagestück geht, die letzten Verhaltungsmaßregeln.
nächsten Augenblicke sauscn sie davon! Das Halb-
^Enstsein vom Bodcn, die Zuversicht dcs Gottcs wie
'E Besorgniß der Pshche können gar nicht prägnanter
^^gestellt werdcn. Das Ganze ist in der bci Begas
^Wohnten naturalistisch detaillirendcn Weise bchandclt,
vobcj freilich einzelne Jnkorrektheiten der Kvrpcrbildung
""t unterlaufen. Eine kommcnde Zeit wird es meines Er-
^lleus diescm Künstlcr zum Verdicnst anrechnen, daß
^ zuin ersten Male, ob bewußt oder unbewußt ist gleich-
^^tig, die germanische Körperbildung im Gegensatz
rouianischen allgemein iu die Plastik eiugcführt
Bei den Romanen und Hellenen besitzt dic Haut
^ gleichmäßigcres Fettpolstcr, sie schlicßt sich dahcr
s^affcr uni das Muskelflcisch, bei den Germanen fehlt
ikUes mehr, die Haut erscheint dadurch weiter, ist reicher
^ kleinen Unebenheiten und das Fleisch hängt etwas
^k)r ciu dcm Knochcngerüst; eine Bcobachtung dic be-
^nntlich die Antike schon gemacht. Dcr Naturalismus
^ k7. und 18. Iahrhunderts war romanisch; erst
^kgas bringt die Eigenart der Nordländer konsequent
?ur Geltung. Hier sei nur auf die besonders schöne
Wke Schulter der Psyche hingewiesen. Jndem sie sich
^rbeugt unv zugleich den Ellcnbogcn etwas nach hintcn
uylebt, kommt der Kopf des Oberarmbeines ziemlich
^utlich heraus und unter ihm quetscht sich das volle
owisch des pectoralis major und des m. deltoides.

Viel weniger befriedigend ist das Gipsmodell zu
E'lleni großen Grabmal für den Sohn des Vr. Strouß-
^3- Auf seinem Lager liegt der eben Verstorbene,
^ Kopf ruht in den Armen einer an dem oberen Ende
^ Bahre sitzendcn weiblichen Figur. Nackte Füße,
^Perniaßen ideales Kostüm und ein Stundenglas schei-
sie als irgend welche Allegorie zu bezeichnen, der
uyr portraitartige Kvpf aber läßt wieder eine Verwandte
^'uiuthen. Am unteren Endc der Bahre legen zwei
^utti Guirlanden auf dieselbe. Man sieht, der Ge-
uuke jst beides, barock und unklar. Die Zeichnung,
^rtrefflich sie auch in cinzelneu Stücken ist, läßt
^ den beiden Kindern, namentlich dem dem Beschauer
Rückcn kehrenden, viel zu wünschen übrig. — Carl
^9as folgt der Richtung seines Bruders ohne dessen
^ulent. Seine „Mutter und Kind", eine nackte Mutter,

die

vlrien recht häßlich gcbauten Knaben bei seinen ersten

"^hstudien unterstützt, ist ein unbedeutendes Werk; die

dicken Oberlider der Augen sind dabei den Franzosen nach-
gemacht, eine bekannte Unart derselben, um sinnlichen
Effekt zu erzielcu. Eine Marmorbüste dessclbcn Künfl-
lers „Römischer Knabe" ist verhauen, beidc Hälftcn des
Gesichtes sind ungleich, an der cinen Wange fehlt ein
ziemlich bedeutendes Stück; besser ist das Pendant dazu
„römisches Mädchcn". — Offenbar von R. Begas be-
einflußt, aber doch um vieles maßvollcr in seinem Na-
turalisnms ist das schöne Gipsmodcll cincs jüngcren
hicsigcn Künstlcrs, P. Otto, „Ccntaur und Nymphc",
welches in Rom entstanden. Wieder ist es der beliebte
Gegensatz zwischen der zarten weiblichen Erscheinuug
und dem gröberen Halbmenschen, der den Gedanken
dieses Bildwerkes ausmacht. Die Auffassung ist edel,
die Charakteristik gemüthvoll.

Unter den Portraitbüsten stehen obenan die von
E. Enke; sie glänzen durch die seltene Vereinigung
einer bis in's Dctail gehenden Wiedergabe der Eigen-
thümlichkeiten des Originals mit einer maßvollen, dem
Material Rechnung tragenden Vortragswcise; weiter
sind hier die Arbeiten von A. Wolff und Steiner
zu nennen. — Tüchtige naturalistisch behandelte Werke,
darunter namentlich zwei flotte Büsten in gebranntem
Thon, hat M. Wiese ausgestellt, dic cbenso der Arbeit
wie der glücklichen und für Berlin ziemlich neuen Verwer-
thung dieses schönen Materiales wegen zu nennen sind.

Was Jtalien gesendet, zeigt ganz jene rein male-
rische Behandlung, die wir an seinen plastischen Werken
heute gewohnt; wieder präsentiren sich allerlei Genre-
gruppen von lesenden, strickenden, spielenden, weinenden
Kindern rc., tüchtiges Mittelgut in sciner Art, wie es
aber schon oft geboten worden.

Zum Schluß eine Bcmerkung rein technischcr Na-
tur. An all diesen Arbeiten spielt unter den Werkzeugen
der Bohrcr eine größere Rolle als je in der bis-
herigen Entwickclung der Plastik. Wenn aber neuer-
dings — und dies gilt durchaus nicht nur von den
Jtalienern —- die runden Bohrlöcher hier und da un-
verarbeitet stehen bleiben, so ist dies einfach eine Lüdcr-
lichkeit der Technik, die, wenn sie stärker einreißt, den
Verfall zwingend zum Gefolge hat. Mit Bedauern
konstatire ich, daß selbst an so sorgsamen Arbeiten, wie
die E. Müller's es siud, in dcn Nebcnsachen (am
Fußboden), um unter einzelnen Blättern einen tiefen
Schatten zu erhalten, einfach ein Loch gebohrt worden.
So kleinlich diese Bemerkung einzelnen Lesern scheinen
mag, jeder, der sich je um die Technik der Plastik
gekümmert und antike Statuen aus der Verfallzeit
gesehen, weiß, welch gefährliches, weil den Schlen-
drian begünstigendes Jnstrument der Bohrer ist, sobald
andere Werkzeuge seine Spuren nicht nachträglich vcr-
wischen. L. v.
 
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