Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

DOI Artikel:
Vom Christmarkt
DOI Artikel:
Die Kunstausstellung in Amsterdam, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0073

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
135

Dic K>i»stausstellu»g'in Anistcrdam

136

Herr Zeichmmgslehrer E. V. I. Spitzwörgele sehr
schöne neue Bilder geliefert hat, die mit der köstlichen
Biedermannspoesie dcs bekanntcn Sängers einen wohl-
thucnden Akkord abgeben. 8.

Die Kunstausstelliing in Ärnsterdam.

ii.

Wenn ein Liebhaber und Kenncr der alten hollän-
dischen Mcister zum ersten Male hier die neucre hollän-
dische Malerei sah und cmf jcne hin betrachtete, fand
cr sich ini Stilllebcn, Blumcnstück, in Architcktnr, Ma-
rine, dcm kleineren und besonders dem auf Lichtwirkung
angelegten Genre sogleich heimisch. Auf anderen Ge-
bieten nmßte er eine Reihe großer Bestrebungen ver-
missen, deren Vorbild er anderswo, etwa in Deutschland,
in hochbedeutenden Leistungen wirksam gefunden hatte.

Was ist jetzt mehr on voAuo als Frans Hals,
van der Helst, Rembrandt, Hobbema! Wo war hier ein
Werk, das einen diescr Mcister als Vorbild zeigte? Das
Kühne, Große, Historische wird von der holländischen
Malerei mehr gemieden als erstrebt. Jn der Land-
schaft hcrrscht der französischc Realisnms.

Während die Portraitmalerei in Deutschland in
den letzten Decennien einen neuen Aufschwung genommen
hat, wobei nicht zum wenigsten die großen Niederländer
studirt wordcn sind, sah man sie hier so gut wie gar
nicht vertrcten. Die Entwickelung bcs Portraits hängt
zusammen mit der Bedeutung und Entwicklung der
Persönlichkeit^nderMannigfaltigkeit, aber auchKomplicirt-
heit der Charaktere und mit dem Einfluß solcher Per-
sönlichkeiten auf die großen Angelegenheiten des Volks-
lebcns. Daher im 16. Jahrhundert, als der kirchliche
Bann und der Bann des alten zünftigen Herkommens
in allen Vcrhältnisscn des Lebens gebrochen war, eine
neue Enldeckung in der Jnnenwelt. Die großen pshcho-
logischen Staatsmänner, Historiker und Künstler wuchsen
aus der Erde: die Shakespeare, Cervantes, Velazquez,
Rubens, van Dyck, Hals, v. d. Helst, Rcmbrandt folg-
ten den Jtalienern als ewige Charakterschilderer in
Pocsie und Malerei. Denkt man an diese großen Be-
ziehungen der Kunst zum Leben, so möchte man in dem
Fehlcn des Portraits auf der Ausstellung etwas für die
politischen Zustände Hollands Charakteristisches wieder
erkennen: es fehlt augenblicklich in Holland bei sehr
kräftigen und zum Theil leidenschaftlichen Parteien an
hcrvorragenden Persönlichkeiten. Das Jndividuell-Cha-
raklcristischc zählt verhältnißmäßig wenig Vertreter; es
bcginnt freilich nach dieser Nkichtung eine immcr steigende
Bewegung. Holländer werden es verstehen, wenn wir
uns in dieser Gedankenverbindung wundern, daß z. B.
kein Portrait von Multatuli auf der Ausstellung zu
schen war oder daß kein holländischer Portraitmaler

darauf gekoinmen war, für die AuSstellung etwa Poi'
gieter's Charakterkopf oder Herrn Beets over Frau Bos-
boorn-Toussaint zu malen, wenn denn politische
religiöse Kreise weniger Anlaß boten.

Ein Bilbniß Overbeck's von Sterck (Amsterdaml,
ein Portrait von Frl. Schwartze, einer jungen jvr
Farbc begabten Künstlerin, eine Portraitstudie von vaN
Essen, das für die Zukunft etwas verspricht —
hälten wir dic holländischen Portraits.

Jul. Schrader hatte cin Portrait Bismarck's aus--
gestellt, sehr tüchtig, aber nicht, was wir ein „historisch^
Portrait" nach dem Borbilde der größtcn Meister ncnncn,
vie weltgeschichtliche Personcn dargestellt haben. Hintci'
diesem Kopfe leuchtete zu wenig von dem Geist eine§
Bismarck. Der große blaue Rock des gewaltigen Kos"
pers machte sich im Bilbe sehr unangenehm. Auch
Bilder von Tuer linckx (Brüssel) zeigten in dieser Gall
lung von Salon-Portraits nichts Hervorragendes voN
dem bckannlen und geschätzten Künstler.

Das große Jdeenbild fehlte ganz. Hier hatto
kcin eingesieischter Realist Anlaß, sich über Resiexions-
Malerei, Fresco- oder plastischen Stil zu ereifern. Auch
das religiöse Bild fehlte durchaus, sowohl das kirchlich'
ideale, was weniger verwunderlich war für Holland »nd
holländische Kunst, als auch das reinmenschlich-religiöse,
wie seiner Zeit etwa Rembrandt die Güke, Sanftmiith,
Meuschcnliebe in Aulehnung an die christlich-historische»
Vorstellungen auch in Arniulh und Niedrigkeit zu ver-
klären gewußt hat. Holland ist außerordentlich religios.
Nirgends in Deutschland vder Frankreich giebt es so
viele cigenthümliche over absonderliche religiöse Parteien
oder Seklen nebeneinander, die so charakteristisch ihren
religiösen Ueberzeugungcn folgen. Was in England
literarisch in Joshua Davivson sich geltend gemacht hat,
was wir in einer bemerkenswerthen Weise in der deut-
schen Malerei durch v. Gebhardt vertreten sehen, das
fand hier zu nnserer Bcrwunderung durchaus kein
Gegenstück.

Ueberhaupt war nur in einem belgischen Meister
cine heut zu Tage so außerordentlich wichtige Geistes-
strömung wiederzufinden. I. van Lerius hat male-
risch das Wort: „die Wissenschaft muß umkehren"
gegcn die ganze neuere belgische Schule mit eincr leiver
krankhaften Askese in Zeichnung und Kolorit bethätigt-
Er führte uns in die Zeit ver Herzensergießungen cines
kunstliebenden Klosterbruders unv ves deutschen Naza-
renerthums zurück. —> Front machend gegen eine tech-
nische realistische Bravour, die, um einen gewöhnlichcn
Ausdruck zu gebrauchcn, den Jnhalt über der Form ver-
gißt, gab de Bricndt (Brüssel) eine Erneuerung der
historisch-romantischen Malerei. Es ist keine Nachahmung
von Stil und Manier des Lcys. De Vriendl's
Bilder grcifen aus dic mittelalterliche epische Darslelluug
 
Annotationen