Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

DOI Artikel:
Atkinson, Joseph Beavington: Ausstellung alter Meister in der Londoner Akademie, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0179

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
347

Ausstellung alter Meister in der Londoner Akademie.

348

neun Bildnisse dieses jungen Königs sind bekannt, von
denen acht dem deutschen Meister zugeschrieben werden.
Das jetzt von dom Grafen von Mrborough A^s-
stellung gesandte Gemälde ist eines der besten, doch ist
die Replik im Welfenmuseum zu Hannover ebenso gut,
wenn nicht besser.

Einige wenige Porträts finden sich von Hals,
Rembrandt, Mytens und Van der Helst, aber
besonderer Erwähnung werth ist das Bildniß des ersten
Grafen von Essex, der des unglücklichen Günstlings der
Königin Elisabeth Vater war. Es ist von der Hand
des Anthony Moor, der nach Holbein's Tode
Vieles und Treffliches in England geschaffen hat. Er mil-
derte die ältere harte Malweise der deutschen Schule
durch die Farbenfrische, die Durchsichtigkeit und das
Jmpasto der Jtaliener. Jhm verdanken wir prächtigc
Schilderungen historischer Eharaktere. Der nächste große
Meister, der in England viel beschäftigt war, ist Van
Dyck, von dessen eleganten und fruchtbaren Pinsel sich !
vierzchn Schöpfungen in der Akademie vorfinden. Van
Dyck malte den König und seine Edelleute in wahrhaft
aristokratischem Stile, und die hier aufgezählten sind
vorzügliche Belege dafür: „Der Herzog von Richmond",
„Der Graf von Strafford" und „Mary, Herzogin von
Hamilton"; -— „Die Familie Doria"'(im Besitz des
Herzogs von Abercorn) ist wohl eine der schätzbarsten
Porträtdarstellungen Van Dyck's aus der Zeit seines
AufentHaltes in Genua.

Von Werken der englischen Schule des vorigen
Jahrhunderts war manches Gute ausgestellt, so „Miß
Fenton als Polly Peachum in „Ills LsMar's oxsru"
von Hogarth, „Miß Pelham, die Küchlein fütternd",
von Reynolds und die „Zwei Schwestern" von
Gainsborough. Als ein Zeugniß dafür, wie hoch
die heimischen Meister des vorigen Jahrhunderts geschätzt
sind, wollen wir hier nur anführen, daß die „Zwei
Schwestern" kürzlich um 6300 Guineen verkauft wurden.
War früher die Porträtmalerei fast ganz in den Händen
von Ausländern, so werden jetzt die Hunderte von Bild-
uissen, wie sie jedes Jahr angefertigt werden, fast aus-
schtießlich von einheimischen Kräften geliefert. Seit
den Zeiten des Reynolds strebt man dahin, die Farbe
Tizian's mit der Attitude Van Dyck's zu verbinden.

Die englische Historien- und Genremalerei, — von
verhältuißmäßig sehr jungem Datum, kaum übcr ein
Jahrhundert alt, — sind durch einige charakteristische
Werke von Hogarth, Wilkie, Calcott, Turner
und Daniel Maclise vertreten. Dem letztgenannten
Maler, eincm von den äußerst wenigen Engländern,
welche es mit der großen historischen Kunst hielten, hat
man die Ehre einer Spezialausstellung zu Theil werden
lassen, die 15 seiner berühmtesten Bilder vereinigt, als:
„Die Hochzeit von Strongbow und Eva auf dem Schlacht-

felde", „Die Bauketscene aus Shakspeare's Macbeth
und „Dcr erste cnglische Buchdruckcr, Caxton, an dcr
Presse." Seine Formgebung ist von der muskulösen
Fülle des Michelangelo, die Aktion ausfahrend und thea-
tralisch, die Farben und Schatten trübe und schwer-
Und doch, ungeachtet dieser mangelhaften Seiten seiner
Kunst, verdient der Meister den ihm zugestandenen Irnf i
ein packender Realismus, eine geschickte Kompositions'
weise, eiue schöpferische Phantasie zeichnen ihn vor Allein
aus. Von ihm rührt die Anwendung des Wasserglas-
Verfahrens in England her; aus Wunsch des Prinzen
Albert ging er nämlich nach Berlin und lernte voN
Kaulbach die von diesem bei den Fresken im Treppcm
hause des neuen Museums angewandte Methode. Nach
seiner Heimkehr führte er zwei riesige Kompositioncn -
„Der Tod Nelson's" und „Wellingtou und Blücher bci
Waterloo" in Wasserglas-Malerei aus. Der bedenklich^
Zustand dieser gewaltigen Gemälde im Westminstec
Palast hat kürzlich zu lcbhafteu Debatten Veranlassung
gegeben. Der Fehler scheint iu der zu übermäßigen AnweM
dung des Wasserglases zu liegen, und man glaubt, daß
die Restauration sich durch Entfernung der auf der Obei"
fläche angesetzten Silikatkruste leicht wird bewerkstelligen
lassen.

Das Feld der Laudschaft ist im neunzehnten Jahi'-
hundert in England mit viel Eifer und Erfolg angc-
baut. Unsere insulare Selbständigkeit, die sich bei dei'
Porträt- und Figurenmalerei geltend macht, zeigt sich
nicht weniger in der Landschaft, die von der in Deutsch-
land und Frankreich herrschenden Auffassung der NatM'
wesentlich abweicht. Doch sind auch bei uns zwei Haupt'
richtungen zu unterscheiden, die eine, welche den buch-
stäblicheu Naturalismus mit photographisch treuem De-
tail verfolgt, die andere, welche den phantasievollen Jdea-
lismus pflegt. Der ersten Richtung gehören diejenigeu
englischen Maler an, welche sich die holländische Land-
schaft zum Vorbilde nehmen, der letzteren Turner und
seine zahlreichen Schüler. Von diesem letztgenannteN
Meister waren zwei prächtige Werke ausgestellt, dic
„Weinlese zu Macon" und der „Schiffbruch des Mmo-
taur", beide in Besitz des Grafen Uarborough. Turnei',
den wir in London als den ersten Landschaftsmaler der
Neuzeit verehren, hatte wie andere große Meister drei
Perioden; zuerst ahmte er die holländischen Meister und
Claude Lorrain nach, dann beschränkte er sich lediglich
auf das Studium der Natur, und schließlich ging ei'
zu einer idealen, transcendentalen Darstellung über, die
bei zunehmendem Alter über das Ziel hinausfuhr. Seinc
künstlerische Bedeutung beruht auf seinem lebendigen
Naturgefühl, seiner Beherrschung der Komposition und
seiner herrlichen Farbenstimmung. Seine Bilder stehcn
hoch und steigen noch fortwährend im Preise.

Unsere englischen Maler leiden nicht unter der Zu-
 
Annotationen