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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Wächter, Eberhard: Gutachten Eberhard Wächter's über die Boisserée'sche Sammlung
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Verschiedenes und Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0321

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«31

Kunstliteratur.

632

wahren Zweck der Kunst zu halten; ja manche verloren
sich bis in das Phantastische, und was besonders auf-
fallend ist, der Stil der neuern Produkte, und ihr Vor-
trag mußte ganz die äußere Form der Aelteren an-
nehtnen. Da aber im Allgemeinen die Nachahmungs-
sucht ohnehin nur an der äußeren Schale hängen
bleibt, und an jenen früheren Werken der Geschmack
überdieß noch wenig ausgebildet ist, so führt die jetzt
in die Mode gekommene sogenannte neudeutsche oder
neualterthümliche Kunst schon in dieser Benennung
ihre Verurtheilung mit sich.

Diese vorläufigen Bemerkungen schienen mir zu
besserer Beantwortung der mir vorgelegten zwei Fragen
nothwendig, ich habe aber deßwegen nicht die Anmaßung,
ein Urtheil aussprechen zu wollen, sondern eine bloße
Meinung, und auch diese nur, weil ich förmlich dazu
aufgefordert bin und mick nicht zurückziehen kann.

Was also

1) den Kunstwerth der bcwnßten Bilder betrifft,
so kann mit allem Recht sehr viel Gutes und Lobens-
werthes darüber gesagt werdcn; Einige dersclben sind in
ihrer Art für vortrefflich zu halten; ja in kunstgeschicht-
licher Hinsicht gewährt wohl die ganze Sammlung viel
Jnteresse, und mag als ehrwürdiges Denkmal altnieder-
ländischer Kunst jedem Orte zur Zierde gcreichen. Es
fragt sich aber auch

2) eignen sich diese Gemälde für eine Kunst- oder
polytechnische Schule, als Muster zu Bildung des
Geschmackes? Jch hoffe nicht, daß man mich einer
Parteilichkeit, oder Einscitigkeit werde bcschuldigen können,
wenn ich es wage, einige Zweifel hierüber auszusprechen.

Ausbildung des Schönheitssinnes — ein Haupt-
bedingniß aller schönen Kunst — soll doch das vorzüg-
lichste Bestreben einer Schule sein; nun ist aber gewiß,
und die wärmsten Verehrer dieser Bilder müssen es selbst
eingestehen, daß gerade hier ihre schwächere Seite sich
zeigt, und daß in Beziehung auf Großartigkeit des
Stils, verständige und würdevolleKomposition, Richtig-
keit der Zeichnung, Harmonie der Farben u. s. w. selbst
die besseren dieser Bilder die genannte Eigenschaft lange
nicht in dem Grade besitzen, wie die erst späterhin, be-
sonders in Jtalien (und auch da nur auf kurze Zeit)
noch höher und schöner ausgebildete Kunst solche ent-
faltet hat, und daß sie folglich nicht als wahre Muster
für Geschmacksbildung gelten dürften. — Jch erkenne
zwar und bewundere die große Vollendung im mecha-
nischen Theil der Kunst (besonders in untergeordneten
Sachen) und will auch den guten Einfluß, den einige
der besseren aüf einen denkenden, und schon etwas aus-
gebildeten Künstler, der das Gute überall herauszufinden
weiß, haben können, nicht geradezu bestreiten; aber den
absoluten Nutzen zu dem beabsichtigten > Zwecke kann ich
nicht anerkennen; und dennoch müßte dieser sehr groß

sein, um mit dem sür den Staat gegenwärtig sehr be-
deutenden Geldaufwand in einem richtigen Verhältniß
zu stehen.

Ehren wir also (wie billig) jene schätzbaren Reste
einer ehrwürdigen Kunstepoche! aber hüten wir uns
ja, dieselben als einen Leitstern auf unserem (wegen
der in unseren Tagen so sehr sich durchkreuzenden Kunst-
ansichten freilich sehr unsicher gemachten) Kunstpfade an-
zusehen und als Muster der Nachahmung aufzu-
stellen.

Die Gefährlichkeit der jetzigen Geschmacksrichtung
(in so fern sie die höhere Malerei betrifft) habe ich
schon oben bemerkt. Sie führt zur Sentimentalität und
sucht in der Ausführung Schönheiten zu er-
streben, welche der gute Stil in der Kunst verwirft!

Jch sehe nun freilich von vielen Seiten her Blicke
des Unwillens so mancher edler, der neuen Lehre er-
gebener Künstler und Kunstfreunde gegen mich gerichtet!
Es ist mir dieses um so mehr leid, da ich Niemandem
gerne ein unangenehmes Gefühl verursache; aber doch
noch weit mehr leid müßte mir der Vorwurf von Seiten
meines Vaterlandes sein, wenn sp äterhin die Erfahrung
zeigen würde, daß der beabsichtigte Nutzen der großen
Erwartung nicht entsprochen hätte, wie er ihr auch
meines Dafürhaltens nicht entsprechen kann! Ein Vor-
wurf, dem ich nicht entgehen könnte, wenn ich gegen
meine Ueberzeugung auf diese zweite Frage bejahend
würdc geantwortet haben.

Geschrieben im Dezember 1825.

Ebcrhard Wächter.

kunstlileratur.

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tlio lutsst rosonrolios üz- Uuckz- Hustiuüv.
2 vols. 1874. Imlläon, ckolin Nnrrnzs.

Zwanzig Jahre sind seit Beröfsentlichung der letzten
! Ausgabe dieses zweckmäßigen Handbuchs verflossen, ein
durch ungewöhnliche Forscherthätigkeit in der Geschichte
der italienischen Kunst merkwürdiger Zeitraum. Kugler's
Handbuch, dessen erste Ausgabe bereits 1844 erschien,
gebührt anerkanntermaßen das Verdienst, das britische
Publikum zur Würdigung namentlich der älteren Schulen
herangebildet zu haben. Die kritische Methode war in
England etwas Neues. Man begann die Kunstwerke von
Jnnen heraus zu betrachten und in Motive aufzulösen,
die sich als äußere und sichtbare Zeichen innerer Be-
dingungen dem Auge darboten, man lernte ihren Werth
schätzen, je nach ihrer Fähigkeit, edle Empfindungen in
den Gemüthern anzuregen- Mit andern Worten, der
Stil wurde „subjektiv", während vorher die Kritik in
England fast ausschließlich objcktiv gewesen war. Mr.
 
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