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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Die Mosaiken der Façade von St. Paul vor den Mauern Roms
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Abrest, Paul d': Der Salon, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0327

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643

Der Salon.

644

Gruppen von je drei nebenemander schreitenden kompo-
nirt; aber diese Umgehung der monotonen Feierlichkeit,
welche die Vorbilder charakterisirt, hat den größeren
Fehler einer befremdlichcn und wunderlichen Genrehaftig-
keit zur Folge gehabt. Und dieser Eindruck wird noch
erhöht durch die an und für sich gewiß berechtigte Auf-
fassung der die Scene an beiden Enden abschließenden
Städtebilder von Jerusalem und Betlehem, in alter
Zeit zinnengekrönte byzantinische Burgen mit edelstein-
besetzten Thoren und farbenprächtigen Marmorpalästen,
hier aber nach dem Prinzip moderner Landschaftsmalerei
hingestreckte modern-orientalische Architekturkomplexe tür-
kischer Privatbauten.

Die unterste durch drei hohe Rundbogenfenster
gegliederte Abtheilung zeigt die stehenden Gestalten der
vier großen Propheten, Schriftrollen führend, auf denen
prophetische Sprüche verzeichnet sind. Die hergebrachte
leidige Dramatik dieser ekstatischen Männer ist in der
Körperbewegung hier glücklich gemildert, nur die pomp-
hafte Gewandung ist noch eine Reminiscenz der früheren,
von den römischen Künstlern aus dem vorigen Jahr-
hundert herübergenommenen Uebertreibungen.

Der Zalon.

v.

M. Munkacsy hat seit einer Reihe von Jahren
Glück auf den Ausstellungen. Auch heuer blieb ihm
Fortuna hold; denn ein enthusiastischer Engländer soll für
seinen „Ocxp äu vIUuAö" 60,000 Francs bezahlt haben.
Es ist bekanntlich schwer, den materiellen Werth eines
Bildes zu sixiren und ein Gemälbe „billig" oder „theuer"
zu finden, wie etwa ein Seidenkleid oder ein Geschmeide.
Wenn man einmal über die Kosten der technischen Her-
stellung eines Bildes hinaus ist, giebt es keine anderen
Grenzen als die persönliche Anschauung des Amateurs,
deu Grad von Genugthuung, den ihm das Werk ein-
flößt — und die Mittel, die seinem Geschmacke oder
seiner Laune zur Verfügung stehen. Nehmen wir z. B.
an, dcr britische Ersteher des Munkacsy'schen Bildes
hätte eine eigene Passion für richtig getroffene, frische
von der Pußta weg aufgegriffene ungarische Volkstypen,
so versteht man vollkommen, daß er der Realisirung
seiner Wünsche ein großes Opfer brachte, während der
exklusive Bewunderer von Landschaften oder der Por-
trätliebhaber zwar nicht gleichgiltig an dem „Ocxx äs
viUuAs" vorübergehen wird, aber ebenso wenig daran
denken dürfte, das Bild mit Banknoten zu bedecken.

Der Coq, der Hahn des erwähnten Gemäldes ist
ein Zweifüßler ohne Gefieder, seine Haut steckt statt im
bunten Federschmuck, in dem grobleinenen Zwilchrock
eines Pußtasohnes. Dieser „Hahn" ist der stärkste im
ganzen Dorf, der Raufbold, vor dem Alles den Kürzeren

zieht, der „Sapermentskerl", dem alle Mädel nachlaufen-
Ein durchziehender Jahrmarkt-Herkules rühmt sich n»n
in der Dorfschenke, wo die Honoratioren des Ortes
versammelt sind, es mit Jedermann aufzunehmen. Der
„Hahn" bietet sich natürlich als Fechter an und für-
wahr, er blickt so grimmig drein, er ballt so boshast
die nervigen Fäuste, daß der arme Herkules in seinein
zu breit gewordenen Trikot gar jämmerlich zu schlottern
beginnt. Um die beiden Champions bilden die oblU
gaten Typen einer ungarischen Wirthshausgesellschast
j bunte Gruppen. Jede Physiognomie ist treffend, und
man braucht nicht viel nachzudenken, um jedem dcr
Herren seinen gesellschaftlichen Charakter auf die Stirne
! zu schreiben. Hier der Apotheker, dort der aus vollew
Halse lachende Bindermeister, im Winkel dort um den
Tisch zwei Pferdediebe, die dralle Hebe in kurzem Rock
I und Schürze, und voran die kleine barfüßige Magyarin,
die, ohne sich um den Zweikampf besonders zu kümmern,
mit den auf dem Boden liegenden messingenen Kugeln
des Seiltänzers viel Amusement hat. Es ist eine echt
ungarische Dorfscene, und man sieht auf den ersten
Blick, daß die vorjährige Reise des Künstlers in seine
Heimat ihm von Vortheil gewesen.

Wer gesunden Humor, geistreiche Einfälle, init
einem Worte gemalte Vaudevilles sucht, der wende sich an
Herrn Simon Durand. Was für lustige Beobachtungen
machen wir nicht vor seinem „Hochzeit auf dem Bürger-
meisteramte". Die ganze Hochzeitsgesellschaft harrt in
dem Amtssaal der Mairie,der Dinge, die da kommen
sollen, welche aber nicht kommen. Der Maire, der be-
reits die klassische trikolore Schärpe um den Leib ge-
wunden, wärmt sich philosophisch die Füße am Kachel-
ofen. Der Polizeisergeant, ein alter Fuchs im vollen
Wichs, schielt gar grimmig nach der Thüre, als wollte
er den renitenten Bräutigam mittelst der magneti-
schen Kraft seines Säbels hereinzaubern. Die Braut
zupft unwillig an dem Bouquet, und die rosafarbene
Toilette bringt das mißmuthige Gesicht noch greller zur'
Geltung. Die Aermste! Das Gespenst des Sitzen-
bleibens in der elften Stunde steigt jeden Moment, wie
sie auf den leeren Stuhl neben ihr einen Blick wirft,
vor ihren Augen auf. Hinter den Zwillingsstühten der
Brautleute sitzen mit den verdrießlichsten Gesichtern der
„Papa Schwiegervater", die Zeugen und zwei Damen,
die bereits mitleidsvoll zu kichern beginnen. Nur ein
blaubefrackter, kurz gehoster Patron, auf deffen jugend-
lichem Antlitz zu lesen ist, daß er zu jenen zählt, welcheN
das Reich allein gehört, lümmelt auf seiner Bank
dahingestreckt, gähnend. Seine Gleichgiltigkeit bildet
den grellsten Kontrast zu dem geschwätzigen Eifer zweier
Mütter in der Haube, die nicht im Geringsten ihre
Schadenfreude verhehlen, daß einer vornehmen Daine
so ein Malheur begegnen kann. Nun, hoffen wir, daß

S
 
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